Gemeinsam statt einsam

Lesedauer: 7 Minuten

Europa Ende 2020: Corona feiert sein düsteres Comeback. Mit knapp 30.000 Neuinfektionen pro Tag erlebt Deutschland eine besonders heftige zweite Welle. Auch andere europäische Länder versuchen, der Lage Herr zu werden und verhängen Ausgangssperren und Maskenpflicht. Währenddessen scheint China, das Ursprungsland des Virus, seit Monaten virusfrei zu sein. Konsequente Maßnahmen haben zu einer raschen Beruhigung der Lage geführt. Es ist vor allem das europäische Geeiere, das die Bekämpfung des Virus unnötig erschwert.

Von der Epidemie zur Pandemie

Wir alle erinnern uns: Vor einem Jahr war das Coronavirus noch weit, weit weg. Die ersten Infektionen mit dem neuen Erreger wurden bereits Ende letzten Jahres in China festgestellt. Seitdem breitete sich das Virus ungehemmt in China aus. Ganze Gemeinden wurden abgeriegelt, weil die Infektionszahlen in die Höhe schnellten. Es gab strenge Ausgangssperren; das Virus war einfach nicht unter Kontrolle zu bringen.

Währenddessen in Deutschland: Besorgt beobachtete man den Fernen Osten dabei, wie er versuchte, mit dem Sars-ähnlichen Virus fertigzuwerden. Man rümpfte leichtsinnig die Nase darüber, dass da drüben zwischenzeitlich alle mit Maske herumliefen. Andererseits war man den Anblick von asiatischen Mitmenschen mit Maske im Gesicht bereits gewöhnt. Gefährlicher als Smog konnte das neue Virus also gar nicht sein. Was sollen denn die Europäer sagen, die regelmäßig von Grippewellen heimgesucht werden?

Dann kamen die ersten Fälle nach Europa. Hilflos mussten auch die Deutschen zusehen, wie das Virus einen Bereich nach dem anderen lahmlegte. Das chinesische Problem war zu einem europäischen geworden. Es dauerte nicht lange, da wütete das Coronavirus auf der ganzen Welt. Die Epidemie von 2019 war zu einer Pandemie des Jahres 2020 geworden.

Die Jet-Set – Pandemie

Immer wieder hört man Vergleiche zwischen der Pest und dem Coronavirus. Ich halte das nur teilweise für berechtigt. Die Pest mag zwar auch über weite Teile der Erde gezogen sein – die Ausbreitung des Coronavirus ist in unserer schnelllebigen und eng vernetzten Welt aber um ein vielfaches schneller. Es dauerte einige Wochen bis das Virus aus dem fernen China in Bayern angekommen war. Bei der Pest dauerte ein vergleichbarer Weg mehrere Jahre.

Mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Krankheit ist die Lage in Europa weiter zugespitzt. Krankenhäuser laufen voll, Betten werden knapp, das Personal ist noch mehr am Limit als schon ohne die Pandemie. Haben wir vor zwölf Monaten noch die Chinesen für ihre Probleme mit dem Erreger belächelt, da haben die Chinesen heute eher Grund über uns zu lachen. Denn: Seit dem Abflauen der ersten Welle im Frühsommer, war China wie weggefegt aus der öffentlichen Wahrnehmung. Das Virus schien vollständig aus China vertrieben zu sein.

Das verwundert kaum: Innerhalb weniger Wochen haben die Chinesen eine Vielzahl an provisorischen Krankenhäusern und Corona-Aufnahmestationen errichtet. Die Bagger standen keine Minute still, die Arbeiterinnen und Arbeiter waren rund um die Uhr im Einsatz. Mit voller Kraft steuerten die Chinesen gegen das Virus. In besonders betroffenen Gebieten war das öffentliche Leben eine Zeit lang nicht mehr existent. Auch über diesen Lockdown, im Frühjahr manchmal noch Shutdown bezeichnet, glucksten die Europäer zunächst. Es ist ihnen im Halse steckengeblieben.

Unkoordiniert statt diszipliniert

Nach den wenig rühmlichen Bildern von vor einem Jahr war China plötzlich zum Musterschüler in der Pandemiebekämpfung aufgestiegen. Nach einem harten und konsequent durchgeführten Lockdown ist China zwar weiterhin nicht Corona-frei, doch mit der Disziplin der Chinesinnen und Chinesen bei der Virusbekämpfung können die Europäerinnen und Europäer nicht mithalten. In Deutschland marschierten die treuen Kundinnen und Kunden weiter in die Geschäfte – natürlich immer mit Maske. Kaum raus aus dem Laden, da wurde der Stofffetzen luftringend vom Gesicht gerissen – inmitten einer Meute von hunderten Menschen in der Einkaufsstraße.

Wenig verwunderlich ist es da, dass die Zahlen in Deutschland und Europa weiter steigen, statt abzuflachen. Besonders blamabel ist es aber, dass gerade die Länder, die sich stets dafür rühmen, demokratisch verfasst zu sein und die Menschenrechte bei jeder Gelegenheit hochhalten, gegen ein Land abstinken, das ebendiese Rechte regelmäßig mit Füßen tritt. Die strengen Anti-Corona – Regeln in China dürften kaum demokratisch legitimiert sein. Trotzdem führte der rigide Kurs rasch zu einer Trendwende. Währenddessen stolpert Deutschland von einer Verschärfung der Maßnahmen in die nächste Lockerung. Anstatt dem Virus mutig und ambitioniert die Stirn zu bieten, macht die Bundesregierung eher gute Miene zum bösen Spiel.

16 Wege mit Corona fertigzuwerden

Der Föderalismus ist eine wunderbare Errungenschaft in der demokratischen Geschichte unseres Landes. Er verhindert, dass das Land zentralistisch regiert wird, wie es in einer Diktatur der Fall wäre. Gerade in den letzten Monaten hatten die Bürgerinnen und Bürger aber häufig das Gefühl, dass die föderale Ordnung unseres Landes der Pandemiebekämpfung eher im Weg stand. Ein einheitlicher Kurs scheiterte oft an einzelnen Landesregierungen, die den eingeschlagenen Weg nicht mitgehen wollten. Immer wieder waren es Eitelkeiten und individuelle Befindlichkeiten, die den Kampf gehen das Virus lähmten. In China war es stets nur eine Person, auf deren Eitelkeiten man Rücksicht nehmen musste. Dadurch, dass hier ein einziger Autokrat das Sagen hat, fielen langwierige Abstimmungsprozesse weg.

Die Mühlen der Demokratie malen oft langsam. Am Ende stehen aber oftmals gute Entscheidungen, bei der eine Breite der Gesellschaft ein Mitspracherecht hatte. Besonders im Kampf gegen Corona waren die Damen und Herren der Bundes- und Landesregierungen aber viel zu oft mit sich selbst beschäftigt, anstatt den Souverän in diesem Land anzuhören. Mit deutlich mehr Bürgerbeteiligung könnte man dem chronischen Überbietungswettbewerb, wessen Weg der richtigste ist, leicht Einhalt gebieten. Bürgerräte hätten außerdem den Vorteil, dass die Menschen viel eher hinter den getroffenen Verfügungen stehen würden, weil sie selbst daran mitgewirkt hätten. So würde auch die Disziplin im Kampf gegen Covid-19 steigen.

Keine Zeit für Einzelkämpfer

Leider ist besonders Deutschland in der Frage der Virusbekämpfung weiter tief gespalten. Das liegt vor allem an den teilweise schlecht kommunizierten Maßnahmen, welche die Menschen eher irritieren, statt sie zu motivieren. Wenn in jedem Landkreis unterschiedliche Regelungen gelten, resignieren viele und machen, was sie wollen. Diese Einzelkämpfer kommen aber nicht gegen das Virus an. Es ist nur gemeinsam in den Griff zu bekommen. Hinzu kamen viel zu frühe Lockerungen, die Neiddebatten erzeugten. Diese wurden durch spätere Teil-Lockdowns sogar noch befeuert, weil viele Geschäftsschließungen willkürlich und unüberlegt anmuteten. Letztendlich zweifeln immer mehr Menschen die Zielgenauigkeit vieler Maßnahmen an, weil sie unklar definiert sind und die Grenzziehungen eher verschwimmen.

Sehr viel nötiger wäre eine einheitliche Strategie, die von allen Ländern getragen wird. Das Virus hat es innerhalb einiger Wochen vom fernen China nach Deutschland geschafft. Wie kurz braucht es dann erst, um von Bayern nach Berlin zu kommen? Bevor die ersten Fälle in der Bundeshauptstadt registriert werden, hat der Erreger den Freistaat längst hinter sich gelassen. Gerade weil das Virus in anderen Dimensionen als in Landkreisen und Regionen wütet, ist eine ständige und einheitliche Abstimmung unerlässlich. Nur wenn wir dem Virus geschlossen entgegentreten, können wir es noch besser machen als China.


Mehr zum Thema:

Vertrauter Feind

Fortschritt hui, Veränderung pfui

Vorteile mit vielen Nachteilen

Sommer, Sonne, Sonnenschein

Smartphone und Verantwortung in einer Hand

Kein Rückgrat

Auf Umwegen durch die Krise

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Lockdown mal anders

Lesedauer: 7 Minuten

Seit Tagen sind sie wieder voll im Gespräch: Verschärfungen der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. Bei täglich neugemeldeten Fallzahlen, die schnurstracks auf die 10.000er-Marke zusteuern ist auch ein zweiter Lockdown nicht mehr ausgeschlossen. Viele Menschen haben nun damit begonnen, sich für dieses Szenario zu rüsten.

Lange erwartet, nun ist sie da: die zweite Welle des Corona-Virus. Manche sprechen gar von der dritten Welle – als ob sich die kurzzeitige Erhebung im Infektionsgeschehen von vor ein paar Wochen mit den derzeitigen Entwicklungen messen könnte. Aktuell gibt es in Deutschland rund 8.000 Neuinfektionen an einem Tag. Das ist so viel wie noch nie zuvor. Nicht einmal auf dem Höhepunkt der ersten Welle im Frühjahr waren die Zahlen so hoch wie jetzt. Das Muster ist allerdings das gleiche wie damals: Wieder preschten einige Länder mutig voran und wiesen bereits vor Wochen deutlich gestiegene Infektionszahlen vor. Und wieder haben die anderen Länder nicht begriffen, dass ihnen ein sehr ähnliches Schicksal winkt, wenn sie nicht rechtzeitig gegensteuern.

Lockdown ohne Hamstern

Es ist schon erstaunlich, wie schnell man sich wieder an die reichlich gefüllten Supermarktregale gewöhnt hat, nachdem vor wenigen Monaten ganze Heerscharen an latenten Hamsterkäufern den deutschen Einzelhandel leergefegt haben wie zuletzt vor dem Krieg. Ein Lockdown stand damals kurz bevor oder war zumindest schon teilweise eingeleitet. Über einen Lockdown wird auch jetzt wieder diskutiert. Und auch heute ist das Muster ähnlich wie vor einem halben Jahr. Die Menschen schauen, dass sie alles nötige beisammen haben, um notfalls mehrere Monate in ihren Luftschutzbunkern überleben zu können. Die Jagd auf das mehrlagige Gold ist jedenfalls seit einigen Tagen eröffnet.

Bereits heute wieder Mangelware: Erste Regale mit Toilettenpapier wie leergefegt

Der Einzelhandel hat berechtigterweise überhaupt keinen Bock darauf, dass die Regale wieder über Wochen leerstehen. Damit es ihrem Klopapier, den Konserven, Nudeln, Mehl, Zucker und Salz nicht wieder an den Kragen geht, steuern erste Geschäfte bereits jetzt dem fatalen Hamstertrend entgegen. So erheben einzelne Filialen der Kette REWE in Baden-Württemberg seit Donnerstag Einlassgebühren in ihre Läden. Die Preise variieren pro Kunde zwischen 5 und 9 Euro.

Transparent und kinderleicht

Der Einzelhandelsriese ist sich sicher, dass Hamsterkäufer es sich aufgrund der Eintrittspreise zweimal überlegen werden, ob sie die Filialen auf ihren Plünderzügen heimsuchen werden. In den vergangenen Tagen musste sich REWE mehrfach den Vorwurf gefallen lassen, auf diese Weise erst recht Hamsterkäufer anzuziehen. Es sei schwer nachvollziehbar, warum Menschen ihren Monatseinkauf nicht auf einen Termin legen sollten, wenn sie dadurch Geld sparten. Hierauf hatte die Kette allerdings auch eine Antwort parat. Das ausgestellte Eintrittsticket am Eingang sei nur für einen zeitlich eng begrenzten Rahmen gültig. Wer beim Verlassen des Geschäfts die vorgesehene Zeit überschritten hat, der muss draufzahlen. Entsprechendes gilt auch bei überfüllten Einkaufswägen durch Hamsterkäufe.

Die Chefetage von REWE verwies des weiteren darauf, dass die Berechnung des Zusatzentgelts kinderleicht sei. Sie verglich sie sogar mit der Einfachheit der von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Anti-Corona – Maßnahmen. So dürften Kunden aus Single-Haushalten lediglich das 0,2-fache ihres Körpergewichts einkaufen. Für jede weitere 500 Gramm würde ein Strafzoll von 5 Prozent des Gesamteinkaufs fällig. Sollte der Kunde in einem Schaltjahr geboren worden sein, blondes Haar haben und zusätzlich an einem zweiten Dienstag im Monat erwischt werden, verringert sich die Strafe auf 1,5 Prozent. Kunden aus Haushalten mit nicht mehr als drei Kindern dürften die Hälfte des Gewichts ihres leichtesten Kindes einkaufen. Überschreiten sie diesen Wert um mehr als 10 Prozent, wird der Wert ihres Einkaufs mit der Quadratwurzel von Pi multipliziert und ihnen zusätzlich in Rechnung gestellt.

Privatbesuche statt Geschäftsaufgabe

Die Einzelhandelskette ist sich sicher, so einen wertvollen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten. Kleine und unnötige Einkäufe würden so verhindert werden, aber auch übermäßigen Hamsterkäufen würde man einen Riegel vorschieben. Ein Sprecher von REWE betonte, dass man so zu einem verantwortungsvollen Einkaufsverhalten beitrage: „Wir hoffen natürlich, dass unsere Idee Schule macht und sich weitere Filialen unserer Kette wie auch die Konkurrenz an der sinnvollen Maßnahme beteiligen.“

Auch viele Solo-Selbstständige zeigen sich angesichts eines drohenden zweiten Lockdowns ähnlich kreativ. Mehrere Friseurinnen und Friseure aus Thüringen, Bayern und Nordrhein-Westfalen bieten seit vergangener Woche fast ausschließlich Hausbesuche an. Friseurmeisterin Bettina S. aus Soest (NRW) sagt dazu: „Viele meiner Kunden hat das Maskentragen in meinem Salon gestört. Wenn ich sie daheim besuche, entfällt eine Maskenpflicht. Außerdem ist so besser sichergestellt, dass niemand reinplatzt und ein weiteres Infektionsrisiko darstellt.“ In mehreren Bundesländern gelten seit kurzem Beschränkungen für Besuche in den eigenen vier Wänden. Die Friseurinnen und Friseure machen sich diese Regelung nun zunutze und deklarieren ihre Dienste als Privatbesuche, wo sie allein mit ihren Kunden sind. Immerhin sind bei einem Haarschnitt in den eigenen vier Wänden selten mehr als zehn Personen zugegen, was in einem Friseursalon unter Umständen anders sein kann.

Kreative Sperrstunden

Andere Dienstleistungen verfolgen diese Entwicklung mit Interesse und erwägen sogar, mit einem ähnliche Service nachzuziehen. Einige Nagelstudios haben bereits einen Home-Service in ihr Programm aufgenommen. Vereinzelt schicken auch namhafte Bekleidungsgeschäfte Mitarbeiter auf Hausbesuche. In sehr kleinem Kreis können so vor allem Menschen aus Risikogruppen mit neuen Klamotten versorgt werden, selbst wenn die Filiale um die Ecke wegen des Lockdowns dichtmachen muss. Kathrin F. aus Bielefeld betreibt einen eigenen kleinen Klamottenladen. Von der Idee von Hausbesuchen ist sie ganz begeistert: „Wenn wir nun alle wieder unsere Läden zumachen müssen, verlieren wir trotzdem unsere Einnahmen nicht. Wir müssen nicht mal darauf hoffen, dass der Bund beim nächsten Corona-Paket an uns Solo-Selbstständige denkt.“

Kontrovers diskutiert wird dieser Tage auch die Sperrstunde, die es gastronomischen Betrieben verbieten soll, nach 23 Uhr geöffnet zu haben. Geschlossen erklärten die Niederlassungen von Irish Pub in Deutschland, diese in ihren Augen unsinnige Regelung zu boykottieren. Sie sind prinzipiell bereit, sich an einer allgemeinen Sperrstunde zu beteiligen, mögen sich das Wann aber nicht explizit vorschreiben lassen. So beschlossen die Betriebe, die Sperrstunde um eine Stunde nach hinten zu verschieben. Ausschank und Bewirtung gibt es bis Mitternacht. Irish Pub verwies dabei auf die Zeitverschiebung von einer Stunde zwischen Deutschland und Irland. Außerdem wüsste sowieso jeder, dass die Uhren in Irland anders tickten. Barbetreiber Kenny O’Reilly stellte gar einen Bezug zum bevorstehenden Brexit her: „Zumindest wir Nordiren sind bald sowieso nicht mehr an deutsche Verordnungen gebunden.“

Auch andere Restaurants und Gaststätten mit nationalem Bezug schlossen sich der Irish-Pub – Regel an. Sie alle richten die Sperrstunde an der Zeitzone ihrer Herkunftsländer aus. Das Echo ist allerdings gemischt. Xi Ping ist Pächter eines China-Imbisses in Erfurt. Er ist von der neuen Regelung enttäuscht: „Mein Heimatland China ist Deutschland um sechs Stunden voraus. Es ist für uns ein wirtschaftliches Fiasko, unser Lokal bereits um 17 Uhr schließen zu müssen.“


Mehr zum Thema:

Sommer, Sonne, Sonnenschein

Auf Umwegen durch die Krise

Ein schmaler Grat

Hamsterkäufe und anderer Volkssport

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!