Buntes Wunder für die UEFA

Beitragsbild: Chickenonline, pixabay.

Lesedauer: 8 Minuten

Es hätte ein fulminantes Zeichen gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten werden können. Doch die UEFA weigerte sich, das Allianz-Stadion in München beim EM-Spiel gegen Ungarn in den Regenbogenfarben beleuchten zu lassen. Diese Entscheidung führte zu massiver Kritik und entfachte eine hitzige Debatte. Diskutiert wurde allerdings weniger die Lage der real Diskriminierten in Ungarn, sondern die angebliche Homophobie der UEFA. Anstatt über eine potentielle Rückwärtsgewandtheit im Fußball zu sprechen, sollte man sich lieber darauf konzentrieren, dass bloßes Fahnenschwingen nicht die einzige Reaktion auf die neuen ungarischen Gesetze bleiben.

Verspielte Chance

Mehrere Wochen war im Netz eine Petition gegen Homophobie und die systematische Benachteiligung von Homo- und Transsexuellen in Ungarn aktiv. Konkret ging es darum, das Allianz-Stadion in München während des EM-Spiels Deutschland : Ungarn in den Regenbogenfarben erleuchten zu lassen. Dadurch wollte man ein klares Signal setzen gegen die homophobe ungarische Regierung. Immerhin hatte das ungarische Parlament vor kurzem einem Gesetz zugestimmt, das homo- und transsexuelles Leben aus Kinder- und Jugendmedien verbannt.

Bei der UEFA (Union of European Football Associations) stieß das Anliegen allerdings auf taube Ohren. Der europäische Fußballverband wollte sich an dieser Aktion für mehr Toleranz und gegen Diskriminierung nicht beteiligen. Stattdessen verwies er auf seine politische Neutralität. Die Beleuchtung des Stadions hingegen sei ein politisches Statement.

Die UEFA verpasste damit eine Chance, sich gegen ein undemokratisches Gesetz zu positionieren. Dabei hätte der Verband gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können: Einerseits hätte er ein klares Zeichen gegen Viktor Orbán und seine LGBTQI-feindliche Kampagne setzen können, andererseits hätte er beweisen können, dass der deutsche und europäische Fußball kein Ort mehr sei, der vor sexuellen Minderheiten hermetisch abgeriegelt ist. Denn weiterhin ist Homosexualität im Männerfußball ein Tabuthema. Es gibt weiterhin kein aktives Mitglied der deutschen Nationalmannschaft, welches offen homosexuell lebt. Auch das ist ein Statement.

Unfreiwillig homophob

Es ist nur allzu verständlich, dass sich gegen die Entscheidung der UEFA Widerstand regt. Die Praxis der UEFA stößt viele Menschen vor den Kopf. Rasant schnell hat die Empörung allerdings eine Dimension erreicht, welche das eigentliche Anliegen bei weitem übersteigt. Öffentlichkeitswirksame Presse erhielt die Petition erst, nachdem die UEFA ihr nicht entsprach. Leider setzten die Medien dieses Frustrationspotenzial nicht dazu ein, der Petition zum Erfolg zu verhelfen. Dann wäre den Schwulen, den Lesben und den Transsexuellen in Ungarn nämlich weitaus besser geholfen gewesen als durch das Jammern über vergossene Milch.

Stattdessen wurden die Rufe immer lauter, die UEFA habe sich durch ihr Nicht-Handeln öffentlich zu ihrer Homophobie bekannt. Das ist vollkommener Blödsinn. Die ungarische Regierung hat sich eindeutig als homophob erwiesen, nicht erst durch das neue Gesetz. Nun aber die UEFA derart hart anzugehen, weil sie nicht sofort auf jede politische Entwicklung angemessen reagiert, ändert an echter Homo- und Transfeindlichkeit nichts. Statt den europäischen Fußball als offen homophob zu geißeln und damit die wahren Täter vom Haken zu lassen, sollte man seine Kräfte lieber darauf konzentrieren, dass die nächste Aktion ein voller Erfolg wird.

Dass das gelingen kann, zeigten die zahlreichen Aktionen von Fans, Privatpersonen oder öffentlichen Einrichtungen. Am Tag des Spiels erstrahlte das Allianz-Stadion zwar nicht besonders bunt, aber an vielen anderen Stellen wurden die Regenbogenfahnen gehisst. So verhalf man diesem wichtigen Anliegen doch noch zu einem Teilerfolg, weil Toleranz und Vielfalt an diesem Tag sichtbar waren – und zwar entgegen dem Wunsch aus Ungarn.

Moralische Demontage

Doch sogar die Tagesschau ließ sich am vergangenen Dienstag dazu hinreißen, die geplatzte Petition als erste Meldung in der 20-Uhr – Ausgabe zu verkünden. Die fehlende Pride-Beleuchtung am Münchner Allianz-Stadion war sicher eine Meldung wert, doch ist es unverständlich, warum gewerkschaftsnahe Streiks in Frankreich, die Aufarbeitung des wirecard-Skandals und der 80. Jahres des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion dagegen den kürzeren ziehen mussten.

Es ist kein Wunder, wenn die Empörung gegen die UEFA dadurch immer größer wird. Und tatsächlich ist die Entscheidung des Verbands kritikwürdig. Anscheinend ist vielen Akteuren allerdings gar nicht an einer sachlichen Debatte gelegen. Denn die UEFA wird für ihren Beleuchtungsboykott nicht kritisiert, sondern moralisch degradiert und regelrecht zerlegt. Den übermotivierten Aktivistinnen und Aktivisten scheint nicht aufzufallen, dass sie ein bisher unbescholtenes Blatt wie die UEFA mit einer offen homophoben Regierung wie der in Ungarn gleichsetzen. Ganz im Dienste der linksliberalen Gleichschaltung machen sie keinen Unterschied zwischen fehlendem Widerstand und offensiver Aggression.

Wie selbstverständlich erwarten sie von der UEFA, sich aktiv an politischen Debatten zu beteiligen. Bei dieser politischen Durchtränkung sämtlicher Lebensbereiche ist die UEFA nicht das erste und sicherlich auch nicht das letzte Opfer. Anscheinend kann man nicht einmal mehr ein Fußballspiel anschauen, ohne dabei eine politische Botschaft zu vermitteln. Vielleicht lassen sich aus den Länderschals der Fans bald auch Koalitionspräferenzen für nach der Bundestagswahl ablesen.

Politische Neutralität und ziellose Debatten

Man sollte sich sowieso noch einmal die Frage stellen, ob ein Fußballstadion der richtige Ort für politische Botschaften ist. Einerseits erreicht man durch diese populäre Sportart ein sehr großes Publikum, andererseits haben viele beim Fußballschauen keine Lust auf Politik. Und so kritikwürdig die Entscheidung der UEFA auch sein mag – jeder Verein in einer demokratisch verfassten Gesellschaft muss zu jeder Zeit selbst entscheiden können, zu welcher politischen Streitfrage er sich wann und wie und ob überhaupt äußert.

Die jetzt angestoßene Debatte, welche politischen Werte die UEFA vertritt, hat der Verband bereits in seiner Ablehnung der Beleuchtungsanfrage klargemacht: gar keine. Nun darüber zu diskutieren, ob die UEFA möglicherweise politisch rückwärtsgewandt ist, wie es am Mittwoch bei Markus Lanz der Fall war, ist eine ziellose Debatte. Sie kann erstens zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen und sie nützt niemandem in diesem Land. Denn kein einziger Fan wird sich nun dauerhaft vom Fußball abwenden, wenn einige Oberschlaue meinen, die UEFA habe sich als homophob erwiesen.

Lichterspiel gegen Diskriminierung

Merkwürdig ist auch, dass man von öffentlichen Einrichtungen, von Institutionen oder eben von Fußballverbänden immer nur dann ein politisches Statement erwartet, wenn uns das eigentliche Problem gar nicht betrifft. Diskriminierung von sexuellen Minderheiten ist auch in Deutschland ein Thema, aber wir sind zum Glück meilenweit von Homophobie per Gesetz entfernt. Wesentlich akuter ist hierzulande eine soziale Diskriminierung durch unhaltbare Arbeitsbedingungen in der Pflege oder bei Paketzuliefererdiensten, durch entwürdigende Behausungen von Mitarbeitenden in Fleischereibetrieben oder durch die unverschämte Lohn- und Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen.

Es hat einen säuerlichen Beigeschmack, dass sich die Großen und die Medien immer nur dann durchsetzen und sich empören, wenn sie leicht die Position des moralisch Überlegenen einnehmen können. Die neuen Diskriminierungsgesetze in Ungarn boten nun den Anlass für die Regenbogen-Aktion. Das ist ein ermutigendes Zeichen an all die Menschen, die unter der ungarischen Gesetzgebung leiden. Wenn von der UEFA nun erwartet wird, dass sie ihre Beleuchtung immer dann anpasst, wenn eine bestimmte Gruppe an Menschen diskriminiert wird, dann können wir uns auf ein freudiges Lichterspiel freuen. Aber auch dazu wird die UEFA nicht bereit sein. Und die Empörung darüber wird enttäuschend leise bleiben.

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Kritik von links

Lesedauer: 7 Minuten

Paukenschlag bei den Linken: Einige Mitglieder des nordrhein-westfälischen Landesverbands fordern den Parteiausschluss von Sahra Wagenknecht. Mit ihrem neuen Buch verstieße die ehemalige Fraktionschefin gegen elementare Werte in der Partei. Sie merken nicht, wie sie unwillentlich jedes Wort aus Wagenknechts neuem Werk bestätigen und ihrer Partei selbst den größten Schaden zufügen. Sie verkennen das Einende und adeln das Trennende. Linke Politik geht so nicht.

Vor einigen Wochen erschien das neue Buch von Sahra Wagenknecht. Darin rechnet sie gnadenlos mit einem linksliberalen Lebensstil ab. Ihr Hauptkritikpunkt ist die überhebliche und bevormundende Art und Weise, wie linksliberale Kräfte derzeit Teile des öffentlichen und politischen Diskurses beherrschen. Passend dazu erschien ihr neues Werk unter dem Titel „Die Selbstgerechten“.

Sahra muss weg

Das Buch schlug bereits vor seiner Veröffentlichung hohe Wellen. Eingefleischte Wagenknecht-Kritiker witterten sogleich die große Revolution gegen die eigene Partei. Wilde Drohgebärden ließen tatsächlich nicht lange auf sich warten. Sie gingen jedoch nicht von Autorin Sahra Wagenknecht aus, sondern bislang ausschließlich von ihren Kritikern. Seit einer Woche hat der parteiinterne Streit eine neue Eskalationsstufe erreicht: einige Mitglieder des nordrhein-westfälischen Landesverbands, zu dem auch Wagenknecht selbst gehört, möchten die unliebsame Kritikerin am liebsten für immer aus ihren Reihen verbannen. Sie streben seit neuestem ein Parteiausschlussverfahren an.

Mit dieser politischen Entsorgungsaktion werden die dunkelsten Prophezeiungen aus Wagenknechts neuem Buch wahr. An vielen Stellen attestiert sie eine schwindende Bereitschaft, sich argumentativ und sachlich auseinanderzusetzen. Sie vermisst harte aber faire politische Debatten. Stattdessen würden alle kritischen Geister, die nicht auf Linie sind, diskreditiert und teilweise durch Mobbing zur Strecke gebracht. Diese problematische Entwicklung sieht sie besonders in Parteien des linken Spektrums, inklusive ihrer eigenen.

Out of proportion

Was sich die getreuen Genossinnen und Genossen aus NRW nun haben einfallen lassen, grenzt schon an Realsatire. Besser als mit einem Parteiausschlussverfahren hätten sie Wagenknechts Worte nicht bestätigen können. Wie in ihrem Buch beschrieben, treiben diese selbsterklärten Gutmenschen eine Kultur ohne Störenfriede, eine Cancel Culture, voran, der nun auch die ehemalige Bundesfraktionschefin Wagenknecht zum Opfer fallen soll.

Dass sie mit ihrem neuen Buch aneckt und auch provoziert, das war Sahra Wagenknecht sicher bewusst. Warum sonst hätte sie sich in den vergangenen Monaten so vorsichtig zu ihrer politischen Zukunft äußern sollen? Auch auf so manche böse Attacke war sie sicher vorbereitet. Die Heftigkeit, mit der manche nun aber gegen sie vorgehen, wird wahrscheinlich selbst die erfahrene Politikerin überrascht haben.

Immerhin geht es der Linken-Politikerin nicht um die Zerstörung ihrer Partei. Es geht ihr darum, Alternativen zum immer stärker vorherrschenden Linksliberalismus aufzuzeigen. Nicht umsonst heißt es im Untertitel ihres neuen Buches „Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“. Auf den knapp 350 Seiten beschäftigt sich Sahra Wagenknecht mit Grundsatzfragen. Sie verliert sich nicht im Klein-klein, sondern präsentiert einen alternativen Gesellschaftsentwurf, in dem sich Menschen auf Augenhöhe begegnen und wo wieder echte Solidarität gelebt wird.

Zeichen der Zusammenarbeit

Allein dieses Ziel zeigt bereits, dass Sahra Wagenknecht sehr viel mehr mit ihrer Partei verbindet als trennt. In ihrem Buch vertritt sie Positionen, die glasklar links sind. Ihre Kritiker stürzen sich aber beinahe obsessiv auf die wenigen Punkte, in denen sie von ihrer Partei abweicht. Sie missbrauchen Wagenknechts Kritik schamlos dazu, um ihr eine Entfremdung von der Partei zu unterstellen. In ihrem grenzenlosen Ausschlusseifer gegen die Noch-Parteigenossin missinterpretieren sie das Anliegen des Buches völlig. Es soll nicht spalten, sondern einen. Beabsichtigt ist eine konstruktive Debatte und nicht die destruktiven Dauerstreitereien, die die Kritiker nun erneut vom Zaun brechen.

Das Buch kann durchaus als Kooperationsangebot von Sahra Wagenknecht verstanden werden. An vielen Stellen gibt es Anknüpfungspunkte mit den Parteien, die sich dem linken Spektrum zugehörig fühlen. Doch wie bereits 2018, als Wagenknecht die linke Sammlungsbewegung aufstehen ins Leben rief, schlug man die ausgestreckte Hand barsch zurück. Bereits damals ging es den ach so Linken nicht darum, Differenzen zu überwinden, sondern das Trennende zu verfestigen.

Zwei unversöhnliche Seiten

Diesen andauernden Grabenkampf kritisiert Wagenknecht in ihrem Buch ebenfalls scharf. Verwunderlich ist die ablehnende Haltung von Teilen der Partei trotzdem nicht. Immerhin sind sie vor langer Zeit einer politischen Fährte auf den Leim gegangen, die Unterschiede geradezu glorifiziert. Auf dem identitätspolitischen Irrweg betonen sie in schier zwanghafter Manie alles, was die Menschen im Land voneinander unterscheidet. Gemeinsame Werte und Ziele interessieren kaum noch oder werden pauschal mit dem Verdacht des Nationalismus überzogen. In dieser künstlich diversifizierten Atmosphäre ist kein Platz für den Aufruf von Sahra Wagenknecht zu mehr Gemeinsinn und Zusammenhalt.

Trotzdem besteht Sahra Wagenknecht darauf, auch aus ihrer eignen Partei Lob und Anerkennung für ihr neues Buch zu bekommen. Mediale Beachtung finden allerdings hauptsächlich die Kritiker. Es ist, als würde der seit Jahren schwelende Richtungsstreit in der Linken nun in eine neue Runde gehen. Soll die Partei zu den linken Traditionen zurückkehren oder weiter mit den Grünen um linksliberale Positionen wetteifern?

Schon 2012 sprach Gregor Gysi auf dem Göttinger Parteitag von Hass in der Partei. Mit der Personalie Wagenknecht hat dieser Hass eine neue Dimension erreicht. Zwischenzeitlich haben es die Agitationen gegen die ehemalige Fraktionsvorsitzende geschafft, sie in der öffentlichen Wahrnehmung von ihrer Partei zu entfremden. Viele Menschen im Land finden, dass Wagenknecht in der falschen Partei sei. Mit ihren Stellungnahmen und Positionierungen passt sie schon seit langem nicht mehr in das Bild, das viele von der Partei Die Linke im Kopf haben.

Streitende Parteien verlieren

Diese Entwicklung ist besorgniserregend. Immerhin bedeutet das, dass viele zwar weiterhin dieser Partei ihre Stimme geben, ihre Wahlentscheidung aber von Sahra Wagenknecht abhängig machen. Für viele ist Die Linke ausschließlich wegen Sahra Wagenknecht wählbar. Wo die Partei stünde, würden sie Wagenknecht tatsächlich opfern, möchte man sich gar nicht vorstellen.

Trotz allem behaupten die Wagenknecht-Kritiker steif und fest, es wäre die Schuld von Sahra Wagenknecht, dass die Partei bei den letzten Wahlen eher bescheidene Ergebnisse erzielt hätte. Auch stellen sie einen Kausalzusammenhang zwischen Wagenknechts Nominierung zur nordrhein-westfälischen Spitzenkandidatin und dem Umfragetief der Partei her. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die ständigen Frotzeleien gegen Wagenknecht im Rahmen ihrer Nominierung haben zu dem Umfrageeinbruch geführt. Denn streitende Parteien verlieren immer.

Die Linke ist eine Partei, die von jeher mit einer sehr kleinen Auswahl an Personen geglänzt hat. Früher war das Gregor Gysi. Heute ist es Sahra Wagenknecht. Die Partei sollte sich überlegen, ob sie reif dazu ist, Wagenknecht auf’s Abstellgleis zu stellen, wenn die Partei sonst keine nennenswerten charismatischen Überflieger zu bieten hat. Ansonsten sieht es duster aus.


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Auf der Schlachtbank des Linksliberalismus

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Auf der Schlachtbank des Linksliberalismus

Lesedauer: 9 Minuten

Der Kampf gegen Rechts ist eine schmutzige Schlacht. Kollateralschäden und Blessuren werden dabei gern in Kauf genommen. Dabei übersehen die ärgsten Verfechter viel zu oft, dass es ihren Verfehlungen zu verdanken ist, dass die Rechte überhaupt erst so stark werden konnte. Die Devise ist: Die Rechte verurteilt unseren Weg und allein deshalb muss er der richtige sein. Menschen, die diesen Kurs trotzdem kritisieren, haben in den eigene Reihen nichts mehr zu suchen. Das ist Futter für eine immer wildere rechte Bestie, die durch ideologische Debatten mehr aufgestachelt als gezähmt wird.

Unliebsame Kritik

Mit ihrem neuen Buch Die Selbstgerechten wirbelt Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht jede Menge Staub auf. In ihrer neuesten Veröffentlichung setzt sie sich äußerst kritisch mit dem Weg auseinander, den linke Parteien bereits vor Jahren eingeschlagen haben. Sie spricht von Bevormundung, Belehrung und einer mehr als latenten Selbstgerechtigkeit. Vor allem weist sie auf die zunehmende Entfremdung zwischen linken Parteien einerseits und den Menschen, die solche Parteien einst wählten, andererseits hin. Nicht allen in Wagenknechts Partei gefällt das – wie zu erwarten war.

Denn bereits seit Monaten äußerte sich Wagenknecht stets sehr vage und vorsichtig zu ihrer politischen Zukunft. Dass sie weiterhin als Publizistin tätig sein möchte, daran ließ sie seit ihrem Rückzug von der Fraktionsspitze Anfang 2019 keinen Zweifel. Immer wieder erklärte sie, dass sie nun endlich wieder mehr Zeit hätte zu lesen und zu schreiben. Trotzdem antwortete sie immer ausweichend, sprachen Journalisten sie auf ihre Zukunft in Partei und Fraktion an. Mit ihrem neuen Buch schließt sich dieser Kreis.

Bewusstes Risiko

So ein Buch schreibt sich nämlich nicht von heute auf morgen. Immerhin legt Sahra Wagenknecht auf mehr als 300 Seiten detailliert dar, wo das Problem vieler linken Parteien weltweit liegt. Natürlich wusste sie viele Monate im Voraus, worauf sie sich bei dem Buch einließ. Natürlich kam ihr Verdruss über die Richtung ihrer Partei nicht erst, als das Buch im Handel erhältlich war. Und natürlich war sie sich von Anfang an darüber im Klaren, dass sie das Buch weitere politische Ämter kosten könnte.

In ihrem neuen Buch rechnet Sahra Wagenknecht mit ihrer eigenen Partei ab.

Sie machte es trotzdem. Dafür verdient Sahra Wagenknecht zweifellos Respekt. Diese Achtung genießt sie seit vielen Jahren in der deutschen Bevölkerung. Mancheiner kann sich sogar eine Bundeskanzlerin Sahra Wagenknecht vorstellen. Zumindest verschaffte sie ihrer Partei bei der letzten Bundestagswahl einige Zugewinne. Der prozentuale Anteil der Zweitstimmen für Die Linke stieg 2017 zwar nur leicht, allerdings hatte die Partei mit zwei Konkurrenten mehr zu kämpfen – der wiedereingezogenen FDP und dem Neueinsteiger AfD.

Wagenknechts Partei interessierte diese Zustimmung offenbar wenig. Ungeachtet des enormen Rückhalts, den Sahra Wagenknecht bei den Wählerinnen und Wählern genießt, demontierten die Linken ihre Fraktionschefin Stück für Stück. Irgendwann warf Wagenknecht schließlich das Handtuch und verzichtete auf eine erneute Kandidatur für das Spitzenamt. Die Linke kommt seitdem bei Umfragewerten auf keinen grünen Zweig mehr. Momentan liegen sie bei gerade einmal 7 bis 8 Prozent.

Köder für Rechts

Von dem Zerwürfnis zwischen Wagenknecht und ihrer Partei profitiert keiner so sehr wie die AfD. In der Vergangenheit hatten die Rechtspopulisten die Positionen der Linkenpolitikerin immer wieder vereinnahmt. Erst kürzlich stellte die AfD ein Wahlplakat auf, welches das Konterfei von Sahra Wagenknecht zeigt und ihr scheinheilig rechtgibt. Wagenknecht selbst geht inzwischen rechtlich gegen diese Unverschämtheit vor.

Die Gegner der AfD machen es rechtsaußen aber auch spielend einfach, solche unlauteren Mittel gewinnbringend einzusetzen. Immerhin schwelt in der Linkspartei seit Jahren ein Konflikt um die Richtung der Partei. Längst haben sich viele Parteimitglieder von der einstigen Fraktionschefin distanziert und ihr rechte Tendenzen unterstellt. Vollkommen verblendet haben sie damit jede sachliche Diskussion im Keim erstickt und den Rechten das Feld überlassen. Im Ergebnis konnte die AfD Wagenknechts Position kopieren und mit braunem Gedankengut völlig entstellen.

Hauptsache Spaltung

Das Muster ist bekannt: Die AfD identifiziert einzelne Politikerinnen und Politiker als ernstzunehmende Gefahr, weil diese unkonventionelle Positionen vertreten und sie sogar sachlich begründen können. Weil die Diskussionskultur in Deutschland aber immer weiter verkümmert, scheint für diese Personen kein Platz mehr in ihren Parteien zu sein. Sie werden öffentlich an den Pranger gestellt und geraten wegen ihrer fragwürdigen Positionierungen in Verruf. Letzten Endes können sie sich kaum dagegen wehren, dass die AfD ihre Positionen aufgreift und unter neuer Flagge vermarktet. So ging es nicht nur Sahra Wagenknecht, sondern auch Boris Palmer in Tübingen.

Das Ziel ist völlig klar: Die Rechte will den anderen Parteien die Wähler abspenstig machen. Einerseits hoffen sie darauf, dass tatsächlich Wählerinnen und Wähler auf ihre plumpe Masche reinfallen und bei der nächsten Wahl ihr Kreuzchen neben der AfD machen. Andererseits profitiert sie gerade deshalb davon, weil sie die Wählerschaft der anderen Parteien in zwei Lager spaltet. Die eine Hälfte hält treu zur Partei, die andere kehrt ihr entsetzt den Rücken. Ob diese Menschen dann rechts wählen, ist für die AfD zweitrangig. Hauptsache für die Rechtspopulisten ist, dass die politische Konkurrenz Stimmen verliert und die Polarisierung in der Gesellschaft zunimmt.

Gute Ziele, falsche Debatten

Auf genau diesen Missstand weist Wagenknecht in ihrem neuen Buch hin. Vorstellungen und Ideen, die nicht streng der Linie der Partei folgen, werden abgekanzelt. Den Personen hinter den Ideen wird sogleich Böswilligkeit unterstellt. Fortan stehen sie unter dem Verdacht, die Partei spalten zu wollen oder völlig andere politische Ziele zu verfolgen.

Seit Jahren versuchen viele innerhalb der Partei Die Linke krampfhaft die Grünen zu kopieren. Durch einen sozialen Anstrich versuchen sie, Themen wie Klimakampf und Geschlechtergerechtigkeit eigenes Leben einzuhauchen. Besonders diese beiden Themen sind ausgesprochen wichtig und es ist richtig, dass darüber diskutiert und gerungen wird. Die Stoßrichtung der Debatte ist allerdings grundfalsch und es ist fatal, wenn andere Parteien die Rhetorik der Grünen unreflektiert übernehmen.

Geschlossene Gesellschaft

Die Ansätze der Grünen richten sich nämlich hauptsächlich an ein exklusives Publikum. Ihre Sprache und ihre Forderungen grenzen eher aus als den Eindruck von Gemeinschaft und Solidarität zu vermitteln. Linke Parteien kümmern sich traditionell um die Benachteiligten in einer Gesellschaft. Das kann nicht funktionieren, wenn Forderungen wie Preissteigerungen auf Fleisch und Benzin diese Menschen von vornherein ausschließen.

Auch die Debatte um geschlechterneutrale Sprache inklusive Gendersternchen muss man sich erst einmal leisten können. Für Menschen, denen bereits am 15. das Geld ausgeht, sind solche Fragen bestenfalls zweitrangig. Wirft man ihnen dann noch pauschal vor, rassistisch oder queerfeindlich zu sein, ist die Entfremdung von der Basis perfekt.

Billige Kopien

Traditionell linke Parteien verlieren sich immer mehr in solchen Debatten, die sie von ihrer Stammwählerschaft entfernen. Diese Debatten sind Sache der Grünen und das ist auch gut so. Was mit Parteien passiert, die auf Biegen und Brechen die Konkurrenz imitieren, um Wähler zurückzugewinnen, hat man an der CDU bereits gesehen. In Thüringen beispielsweise zeigte man sich besonders unversöhnlich gegenüber Rot-Rot-Grün und übernahm teilweise sogar die Rhetorik der dort besonders scharfen AfD. Die Wahlergebnisse der letzten Landtagswahl dort sprechen wahrlich Bände. Keine andere Partei verlor so stark wie die CDU. Die Kopie des Originals trieb Wähler eher dorthin als sie zurückzugewinnen.

Ungeachtet dieses politischen Naturgesetzes verfängt sich die politische Linke immer weiter auf dem linksliberalen Irrweg der Grünen. Dabei sind viele Visionen der Grünen absolut unterstützenswert. Es benötigt aber eine starke linke Kraft auf dem Weg dorthin, um weite Teile der Bevölkerung auf diese Reise mitzunehmen. Doch die Signale von angeblich linken Parteien sind seit Jahren eindeutig: Wer unsere Lehren nicht versteht, wer unser Handeln nicht gut findet, der ist dumm und schlecht. Mit Deserteurinnen wie Sahra Wagenknecht wird kurzer Prozess gemacht. Für viele augenscheinlich Linken ist sie inzwischen eine Ikone der Neuen Rechten. Dabei haben gerade diese selbstgerechten Fanatiker vor langer Zeit aufgehört, links zu sein.


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