Folgenschweres Opfer

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Vor kurzem erschien Sandra Kaudelkas Film über die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht auf DVD. Im Film ist eine kämpferische, aber angeschlagene Frau zu sehen, die für ihre Sache einsteht. Im Film ist aber auch ein skrupelloser und intrigant geführter Machtkampf zu sehen, welcher der Protagonistin immer stärker zusetzt. Am Ende bleibt ihr nichts anderes als der Rückzug. Die Partei opfert damit eine der beliebtesten Politikerinnen des Landes – und verschanzt sich in der Einstelligkeit.

Eine runde Sache

Im März diesen Jahres, da war die Welt fast noch in Ordnung. Es gab zwar bereits massenweise Infektionen mit dem Coronavirus, ein Lockdown ließ allerdings noch ein paar Wochen auf sich warten. Man konnte noch in Restaurants gehen, auf Reisen gehen oder einen Film im Kino schauen. Zum Beispiel den Film über Sahra Wagenknecht von Sandra Kaudelka. Doch kaum war der Film über die Berlinale gelaufen, da fiel er wie vieles andere der Pandemie zum Opfer. Nun ist er auf DVD erschienen und kann ganz legal online gestreamt werden.

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In etwas über 90 Minuten begleitet der Film die Linken-Politikerin vom Wahlkampf 2017 über ihr politisches Wirken in Zeiten einer erneuten großen Koalition bis hin zu ihrem Rücktritt im Jahr 2019. Ihre Entscheidung, auf dem Parteitag im letzten Jahr nicht wieder für den Fraktionsvorsitz anzutreten, ist ein zentrales Element des Films. Gleich zu Beginn bekommt der Zuschauer Wagenknechts Ankündigung zu hören, zukünftig nicht mehr Fraktionsvorsitzende zu sein. Mit ebendiesem Moment schließt der Film auch. Er ist also eine runde Sache.

Aus den eigenen Reihen

Selbst wer nicht weiß, wer Sahra Wagenknecht ist und sie in diesem Film das erste Mal sieht, kann erahnen, worauf die Handlung des Films hinausläuft. Ihr Rückzug kommt und kam für keinen überraschend. Eindrücklich untermauert der Film, unter welchem Druck die Politikerin stand und dass ihr irgendwann gar nichts anderes übrigblieb, als hinzuschmeißen, wenn sie sich nicht komplett kaputtmachen wollte. Die Intrigen gegen Sahra Wagenknecht ziehen sich jedenfalls wie ein roter Faden durch den Film.

Tatsächlich untermauert Kaudelkas Film die ständigen Attacken und parteiinternen Intrigen gegen die Fraktionsvorsitzende als den wahren Grund für Wagenknechts politischen Rückzug. Oft sieht man sie in Interviewsituationen, in denen sie direkt auf das Mobbing in ihrer Partei angesprochen wird. Man sieht ihre Mitarbeiter, wie sie fassungslos die neueste Entgleisung der Parteiführung zur Kenntnis nehmen. Direkt nach einer besonders unverschämten Äußerung sieht man dessen Urheber Bernd Riexinger, wie er bereits drauf und dran ist, ein Statement vor der Presse abzugeben. Plötzlich rauscht seine Co-Vorsitzende Kipping ins Bild und drängt ihn mit den Worten „Wir müssen auf jeden Fall uns erst mal kurz verständigen“ weg von den Journalisten.

Wagenknecht selbst hat immer beteuert, der Grund für ihre Entscheidung seien gesundheitliche Probleme gewesen. Spätestens nach dem Film kann sich aber jeder vorstellen, woher diese gesundheitlichen Probleme kamen. Auch wenn Wagenknecht ein ums andere Mal auf ihren Gesundheitszustand verwies, Intrigen gegen ihre Person teilweise sogar herunterspielte, zeichnet dieser Film in Teilen ein anderes Bild. Allerdings ist völlig klar, dass der Film nicht ihre Krankheit in den Vordergrund rücken kann. Zu intim und viel zu voyeuristisch wäre er ansonsten geworden. Trotzdem sieht man Wagenknecht zigmal mit eindeutigen Erkältungssymptomen im Film.

Kein Fähnchen im Wind

Dass der Politikbetrieb das reinste Haifischbecken ist, verschleiert der Film nicht. Immer wieder sieht man sich in dieser Tätigkeit mit Angriffen von unterschiedlichen Seiten konfrontiert. Wer gestern noch Weggefährte war, kann einem heute eiskalt in den Rücken fallen. Sahra Wagenknecht kann davon sicher ein Lied singen. Verbogen hat sie sich trotzdem nie. Genau das hat sie mit Sicherheit auch für viele so unbequem gemacht. Sie war nie bereit, in essentiellen Fragen Abstriche zu machen, die Prinzipien dem Erfolg unterzuordnen. Ihr Kernanliegen waren stets die Interessen der sozial Benachteiligten. Sie ist eine Kraft, mit der man rechnen muss – und kann. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz hat in der Dokumentation „Rot, Rosa, Sahra“ einmal gesagt, Wagenknecht sei „das Gegenteil von opportunistisch“.

Wie ein Fels in der Brandung hat sie sich gerade in den letzten Jahren politisch bewährt. Sie spürte zwar, dass sich um sie herum vieles veränderte. Sie selbst wich von den meisten ihrer Positionen aber nicht ab. Das führte vielleicht auch dazu, dass man gerade in jüngerer Vergangenheit Schwierigkeiten hatte, sie politisch einzuordnen. In den 1990ern war sie selbst für viele Linke untragbar. Sogar Gregor Gysi hielt sie für zu links. Heute wird die DDR-Verteidigerin von damals immer öfter in die rechte Ecke gestellt. Eigentlich ein Phänomen.

Eine Partei auf Irrwegen

Und grundfalsch. Denn wer wirklich glaubt, unbegrenzte Einwanderung schütze am besten vor Diskriminierung, der hat unsere Wirtschaftsordnung nicht verstanden. Es ist Fakt, dass die unbegrenzte Zuwanderung auf dem Arbeitsmarkt zur Ausbeutung der Migranten führt. Der Druck auf die Stammbelegschaft wächst ebenfalls. Immer deutlicher bekommen Mitarbeitende zu spüren, dass ihre Arbeit auch für weitaus weniger Geld von zugewanderten Arbeitern gemacht werden kann. Das ist Gift für den Arbeitsmarkt und stört den gesellschaftlichen Frieden. Freier Internationalismus sieht wahrlich anders aus. Die Position, die Sahra Wagenknecht in dieser Frage vertritt, ist somit ein urlinker Standpunkt. Sie ist nicht bereit, sich dem linksliberalen Lifestyle zu unterwerfen, dem seit Jahren links der Union gefrönt wird.

Denn auch ihre eigene Partei ist auf Irrwegen. In einer besonders emotionalen Szene des Films wirft eine Parteigenossin Wagenknecht vor, jedwede Debatte zu unterdrücken. Dabei hat Sahra Wagenknecht doch wirklich keine Gelegenheit ausgelassen, neue Diskussionsräume zu eröffnen. Der enorme Widerspruch aus der eigenen Partei zeigt leider deutlich, dass jenseits der Union politisch wenig bis nichts zu reißen ist.

Besonders deutlich wird das an der von Sahra Wagenknecht mitinitiierten Sammlungsbewegung aufstehen. Diese Bewegung erfreut sich bis heute einer Vielzahl von aktiven Ortsgruppen in ganz Deutschland. Medial ist ihr Aufschrei aber längst verklungen. Das verwundert kaum, zeigten doch alle selbsternannten linksgerichteten Parteien der Bewegung die kalte Schulter. Selbst Mitglieder der Linkspartei warfen der Fraktionschefin vor, mit diesem Manöver die Partei spalten zu wollen. Dabei waren es doch deren eigene Eskapaden und Angriffe gegen Wagenknecht, die der Partei enormen Schaden zugefügt hatten. Denn die Demontage einzelner ist immer auch eine Teildemontage der gesamten Partei.

Kanzlerin Wagenknecht?

Sandra Kaudelka hat sich dazu entschlossen, Sahra Wagenknecht zwei Jahre lang zu begleiten und einen Film über sie zu drehen. Warum eigentlich ausgerechnet über Sahra Wagenknecht? Warum nicht über Gregor Gysi, Katja Kipping oder Wagenknechts Co-Vorsitzenden Dietmar Bartsch? Vermutlich, weil diese Politiker kaum Kinobesucher für mehr als 90 Minuten in den Kinositzen halten würden. Unbestritten ist Sahra Wagenknecht nämlich eine der bekanntesten Politikerinnen des Landes. Mit ihrer Geradlinigkeit, ihrem kühlen Kopf und fachlicher Kompetenz kommt sie bei den Bürgern gut an, vor allen Dingen weil sie die Menschen ernstnimmt. Keiner traut ihr zu, dass sie die Wählergunst als Spielball missbraucht. Selbst Angela Merkels Beliebtheitswerten kam sie zeitweise gefährlich nahe. Dass sie die Wunschkanzlerin von vielen ist, macht zumindest eine besonders begeisterte Dame im Film deutlich.

Trotzdem wurde Sahra Wagenknecht viel zu häufig übergangen. Bei der Elefantenrunde 2017 saß Parteichefin Kipping an ihrer statt neben Merkel, Schulz & Co. Dabei lässt der Film bereits nach wenigen Minuten erahnen, dass sich das auch Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht anders gewünscht hätte. Unstrittig ist, dass die Linke bei der Wahl 2017 Stimmen gewonnen hat. Unstrittig ist auch, dass die wenigsten damit zufrieden waren. Zu groß war der Erfolg der AfD, zu schwach das Durchdringen zu abgehängten Wählerschichten.

Folgenschweres Opfer

Winfried Kretschmann zeigte sich im Wahlkampf 2017 unzufrieden mit der Linie seiner Partei. Streckenweise prophezeite er den Grünen sogar weniger als 10 Prozent. Er sollte recht behalten. Als Grund dafür gab er an, die Partei verfolgte eine Politik, die völlig an den Realitäten vorbeiginge. In einer ähnlichen Position befindet sich Sahra Wagenknecht. Anstatt linksliberale Parolen zu schwingen und den Menschen von oben herab zu erklären, was sein darf und was nicht, hätten die Linken gut daran getan, in wesentlichen Punkten ihrer Fraktionsvorsitzenden zu folgen. Dann stünde die Partei heute mit 13 Prozent da, wo die AfD heute steht.

Ein Auffangen der Wählerinnen und Wähler, die enttäuscht der SPD den Rücken gekehrt haben, wäre nämlich durchaus möglich gewesen. Stattdessen hat man sich auf besserverdienende Wählermilieus aus dem Westen mit akademischer Bildung konzentriert. Den Wahlerfolg musste man sich mit den Grünen teilen. Denn noch nie hat eine Partei gewonnen, wenn sie das Original kopiert hat. Das lernen die Linken gerade bei den Grünen. Der wertkonservative Flügel der Union bekam es bereits beim peinlichen Mimikry der AfD zu spüren.

Das fortschrittliche Mitte-Links – Lager muss sich heute mit weniger als 40 Prozent der Stimmen begnügen. Das ist ein Problem. Anstatt es aber durch eine deutlich differenziertere und glaubwürdige linke Politik zu lösen, opfert man durch Intrigen und Machtspiele die einzige Politikerin, die diesen Aufbruch noch verkörpert. Eigentlich unverzeihlich.

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Protest aus der Komfortzone

Lesedauer: 9 Minuten

Sie sind laut, sie sind bunt und sie sind unbequem. Sie sind aber auch realistisch, vernünftig und angepasst. An den Grünen scheiden sich die Geister. Viele sehen in der Partei den Ausweg aus der Klimakrise, andere den Untergang des Abendlands. Kaum eine andere Partei muss solch unterschiedlichen Rufen gerecht werden. Und nicht viele Parteien haben einen solch bemerkenswerten Wandel durchgemacht wie die Grünen. Früher verschriener Protestverein für abgehobene Vögel, heute eine Partei, die auch Mainstream kann. Dieser Wandel ebnete den Grünen den Weg in verschiedene Regierungsämter. Doch alles hat seinen Preis.

Politische Kindheitserinnerungen

Ich war zehn Jahre alt, als bei der Bundestagswahl 2002 Edmund Stoiber von der CSU gegen den amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder von der SPD antrat. Es war die erste Bundestagswahl, die ich bewusst wahrnahm. Am Wahlabend fragte ich meine Eltern gespannt, wem sie ihre Stimme gegeben hatten. Hatten sie Schröder oder Stoiber gewählt? Meine Eltern blickten sich merkwürdig an. Vielleicht erkannten sie durch ihren Blick, dass sie unterschiedlich gewählt hatten. Vielleicht flehten sie den anderen aber auch nur wortlos an, eine kindgerechte Erklärung für das deutsche Wahlsystem zu finden. Denn woher soll ein Zehnjähriger denn wissen, dass man in seinem Ort weder den einen noch den anderen direkt wählen kann?

Ob meine Eltern überhaupt antworteten und wenn ja, was sie mir entgegneten, weiß ich heute nicht mehr. Doch eines weiß ich noch immer: der Showdown lief zwischen Union und SPD, aber da war noch eine dritte Kraft, die um Gedeih und Verderb mitmischen wollte. Es war die Partei, die sämtliche ihrer Wahlplakate mit der Blüte einer Sonnenblume schmückte. Den Wahlkampf vor achtzehn Jahren erlebte ich als ein Kräftemessen zwischen den beiden großen Volksparteien und der grünen Partei, die irgendwie da war, die ich aber damals nur halbernst nahm.

Eine Partei für die Bauern

Als zehnjähriger Junge musste man mir nicht erklären, wofür eine Partei stand, welche die Farbe der Natur im Namen trägt. Das musste eine Partei sein, die sich den Schutz derselben und den Erhalt einer lebenswerten Umwelt auf die Fahne geschrieben hatte. Aber trotzdem nahmen viele sie nicht ganz ernst, war sie doch auch ein Auffangbecken für Ökos, Menschen mit alternativem Lebensstil und solchen Leuten, deren Sinn für Natur und Umwelt fanatische Ausmaße erreichte. Ich stempelte die Grünen für mich als eine Partei ab, die hauptsächlich von Bauern gewählt wurde. Immerhin verstand ich, dass Bauern auf eine intakte Natur angewiesen waren. Außerdem blühten auf dem Land häufig ganz besonders prächtige Sonnenblumen.

Meine Einstellung zu der Partei hat sich im Laufe der Jahre genau so verändert wie die allgemeine Akzeptanz, die sie heute erfährt. Die Wahlergebnisse der einstigen Nischenpartei sprechen wahrlich Bände. Auf Bundesebene tut sie sich nach wie vor schwer, auf zweistellige Ergebnisse zu kommen, doch in den Bundesländern sind die Grünen längst hinter den Regierungsbänken angekommen. In Baden-Württemberg sind sie sogar regierungsführend. Die Splitterpartei von gestern ist zur Regierungspartei von heute herangewachsen.

Umweltschutz und ganz viel anderes

Auch wenn die Grünen in manchen Punkten unbequem geblieben sind, den Rang als Alternative hat ihnen eine andere Partei abgelaufen. Auch wenn die AfD mitnichten eine erstrebenswerte Alternative ist, hat es die rechtspopulistische Partei geschafft, den Begriff „Alternative“ umzudeuten. Heute gelten viele Wähler der Grünen nicht mehr als Menschen, die einen alternativen Lebensstil pflegen. Der Lebensstil derer, die damals als versponnen galten, drängt sich heute mehr und mehr in den Mainstream. Wurden die Grünen früher als eine Partei wahrgenommen, denen es fast ausschließlich um Frieden und Umweltschutz ging, haben sie sich im Laufe der Jahre zu Vorreitern für einen hippen grünen Lebensstil entwickelt.

Der Erhalt unserer Natur ist den Grünen nach wie vor eine Herzensangelegenheit geblieben. Doch abgesehen von einigen verstärkten Bemühungen während der Fridays-for-Future – Phase rutschte das für diese Partei einst so wichtige Thema immer weiter in den Hintergrund. Verschwunden ist es selbstverständlich nie, doch wirtschafts- oder finanzpolitische Entscheidungen hätte man der Partei vor gut 25 Jahren sicher nicht zugetraut.

Bürgerlich und links in einem

Die Grünen konnten ihren Wählerstamm von damals um viele weitere Stimmen erweitern. Wählerschichten, denen die Grünen in den 1990ern noch mindestens suspekt waren, geben der Partei, die sich offiziell dem Frieden und den Sonnenblumen verschrieben hat, heute wohlwollend ihre Stimme. Immer deutlicher lassen sich im großen und ganzen zwei Wählerlager unterscheiden.

Da sind zum einen die Überzeugungswähler, denen Artenerhalt und Friedensbemühungen wirklich über alles gehen. Vielen von ihnen würde nicht im Traum einfallen, einer der anderen kriegstreiberischen und umweltfeindlichen Parteien die Stimme zu geben. Auf der anderen Seite stehen die Wähler, die mit der generellen Stoßrichtung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zwar übereinstimmen, dem ganzen aber gerne einen grünen Anstrich verpassen würden. Ihnen macht es keine Umstände, eine Partei zu wählen, die für viele andere für höhere Stromkosten und teureres Autofahren steht. Diese Gewissenswähler haben das Gefühl mit der Wahl der Grünen etwas gutes zu tun, weil sie es sich leisten können.

Regieren hat seinen Preis

Die Protestpartei der 1980er hat sich zu einer angepassten, beinahe konformistischen Partei gewandelt. Der Weg dorthin war lang und sicherlich auch steinig. Paradebeispiel für diesen Wandlungsprozess ist Joschka Fischer. Der ehemalige Außenminister und Vizekanzler verkörperte am Ende der Ära Rot-Grün fast nichts mehr von dem, für was er Jahre zuvor noch gestanden hatte. Machte er im Jahr 1984 noch durch seinen berüchtigten Zwischenruf von sich reden, hat er sich auch äußerlich dem Regieren angepasst. Der legere Auftritt mit Turnschuhen war Jackett und Hemd gewichen. Noch heute erlaubt der Aufzug mancheines Grünen Rückschlüsse darauf, ob er den bürgerlich-liberalen Flügel der Partei vertritt oder zum eher linken Flügel gehört.

Als Protestpartei waren die Grünen unbequem und verschrieen. Allgemein wurden sie gemieden. Sie wollten die Gesellschaft von Grund auf verändern, etwas bewegen im Land. Eine reine Protestpartei ist zum Regieren allerdings denkbar ungeeignet. Die Grünen haben das begriffen. Sie haben verstanden, dass man das Land erst dann verändern kann, wenn man bei sich selbst damit anfängt. Sie sind die vielleicht flexibelste Partei, die derzeit im Bundestag sitzt. Wie bereits die SPD mit dem Godesberger Programm von 1959 hat sie eine Metamorphose angestoßen, die zwar Opfer kostete, aber letzten Endes in Regierungsfähigkeit mündete.

Trotzdem wenden sich viele ehemalige Stammwählerinnen und -wähler von den Grünen ab. In ihren Augen ist die Partei zu einem Pappaufsteller geworden, der umkippt, sobald man ihn nur leicht anpustet. Von Beliebigkeit und Machtgier ist die Rede. Winfried Kretschmann beispielsweise wird vorgeworfen, er hätte seine Partei bis zur Unkenntlichkeit an die CDU angenähert, ein Unterschied wäre immer schwerer erkennbar. Nicht nur die Wandlung hin zu einer regierungsfähigen Partei haben die Grünen mit der SPD gemeinsam. Auch der ihnen vorauseilende Ruf, viel zu versprechen, nur um die Regierungssessel einzusitzen, wird ihnen immer mehr zum Hindernis.

Von der Protest- zur Verbotspartei

In aktuellen Umfragen sind die Grünen weiterhin zweitstärkste Kraft hinter der Union. Corona hat ihre Zustimmungswerte zwar etwas gedämpft, deutlich zweistellig sind sie in den Befragungen aber weiterhin. Es gibt also immer mehr Menschen, die den Grünen ihre Stimme geben würden. Bei vielen anderen Wählerinnen und Wählern allerdings wächst der Unmut gegen die Partei ins beinahe unermessliche. Für sie mutiert die grüne Partei immer mehr zum roten Tuch. Sie verstehen sie als Verbotspartei, die daran arbeitet, Deutschland abzuschaffen. Der von den Grünen propagierte linksliberale Lifestyle wirkt abstoßend auf sie.

Und das liegt tatsächlich weniger an den konkreten Zielen der Grünen, sondern eher daran, wie sie die Message transportieren. Ihre Botschaften klingen bevormundend und abgehoben. Lange haben sie den Bezug zu den Menschen verloren, für sie einst in den Parlamenten stritten. Das ist eigentlich wirklich tragisch. Denn viele der sogenannten Protestwähler der AfD wären bei den Grünen wunderbar aufgehoben. Stattdessen malen sie die Partei in den schwärzesten Farben und werfen ihnen vor, Volksverräter zu sein.

Sozialpolitisch stehen die Grünen für eine gestärkte öffentliche Daseinsvorsorge. Sie wenden sich gegen prekäre Beschäftigungen und Ausbeutung in den Betrieben. Kurzum wollen sie, dass es gerecht zugeht und dass jeder die gleichen Rechte hat. Das wollen sicherlich auch viele, die ihr Kreuzchen inzwischen bei den Rechtspopulisten gemacht haben. Aber indem die Grünen jeden, der billiges Fleisch kauft oder gegen Fahrverbote auf die Straße geht, ins Schäm-dick – Eck verweist, bauen sie eher Mauern auf als sie niederzureißen.

Mit ihrer Rhetorik haben sie den Kontakt zur Lebensrealität vieler Menschen verloren, die zwar gerne Mustermenschen sein würden, sich das aufgrund ihrer konkreten Lebensverhältnisse aber nicht leisten können. Es ist sehr einfach, auf Dinge zu verzichten, wenn man die Alternative kennt und nutzen kann. Wer allerdings weniger hat, der schreit völlig zurecht auf, wenn man ihn für das wenige kritisiert. Und deswegen haben die Grünen vor langer Zeit aufgehört, eine Partei für die Bauern zu sein.


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