Moderner Kulturraub

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Quidditch heißt jetzt Quadball und die Uni Tübingen will sich von ihrem Namensgeber trennen. Das alles, weil sich die Urheber nicht so verhalten haben, wie es heute politisch korrekt wäre. Seit Jahren machen die Verfechter*innen der Cancel Culture Jagd auf jeden noch so absurd kleinen dunklen Fleck in Kultur und Geschichte. Mit der Umbenennung des Zaubersports hat dieser Trend eine neue Stufe der Absurdität erreicht. Einige besonders obsessive Kulturtilger*innen wagen es tatsächlich, sich das geistige Eigentum einer Autorin anzueignen und nach ihren Vorstellungen umzuformen. Sie verfolgen ein edles Ziel, lösen jedoch kein einziges Problem, sondern schaffen höchstens neue. Der Kulturraub des 21. Jahrhunderts weist dabei eindeutig faschistoide Tendenzen auf.

Tod einer Autorin

Die Geschichte des Zauberlehrlings Harry Potter fasziniert seit vielen Jahren Jung und Alt. Die Abenteuer des jungen Magiers sind viel mehr als der Kampf gegen ausgebüxte Trolle, wildgewordene Drachen und psychopathische Gegenspieler. Autorin J. K. Rowling hat in ihren Büchern eine völlig andersartige Welt geschaffen, mit eigenen Gesetzen, sozialen Codes und einer Sportart, die über die Fanbase hinaus große Bekanntheit erlangt hat: Quidditch. Einige besonders faszinierte Anhänger der Serie haben das magische Großereignis inzwischen von seiner Fiktionalität befreit. Begeistert machen sie Jagd auf den Schnatz und werfen sich den Quaffel zu – das alles wohlgemerkt am Boden, denn die Naturgesetze können auch sie nicht außer Kraft setzen.

Manche dieser Quidditchspieler argwöhnten allerdings die Äußerungen, die Erschafferin Rowling zu Transmenschen machte. Mit ihren Ansichten stieß sie auf viel Kritik und wurde in Folge dessen nicht einmal zum zwanzigjährigen Jubiläum des ersten Films der Reihe eingeladen. Nach dem Willen mancher Quidditchbegeisterter soll die Sportart nun einen neuen Namen bekommen, um sich von Rowling und ihren Positionierungen zu distanzieren.

Ein Zeugnis der Gegenwart

Die Initiatoren dieser Kampagne wurden wohl einmal zu oft vom Klatscher getroffen, denn sie sind gerade drauf und dran, ein Werk zu zerstören, das keinerlei homophoben oder rassistischen Tendenzen aufweist. Die Umbenennung von Quiddich zu Quadball ist eine ungeheuerliche Respektlosigkeit gegenüber der Leistung von J. K. Rowling. Es ist IHRE Geschichte und IHR Sport.

Mit der Geschichte um Harry, Ron und Hermine hat Rowling Millionen von Kindern zum Lesen gebracht. Kaum auszuhalten war die Neugier und die Vorfreude auf den nächsten Teil. Immer wieder reicherte Rowling ihre Geschichte um neue Aspekte und neue Details an, es zeichnete sich ein immer klareres Bild einer gut durchdachten fiktiven Gesellschaft.

Wie jedes Kunstwerk ist auch die Harry-Potter – Reihe ein Zeugnis der Gegenwart, in der die Geschichte geschrieben wurde. In den Passagen in der Muggelwelt spielen Autos zwar eine Rolle, das Internet hingegen nicht. Es war erst im Kommen, als Rowling die Bücher schrieb und zur Zeit der Geschehnisse in den Büchern noch nicht erfunden. Und wie bei jedem anderen Kunsterzeugnis klingen darin immer wieder kulturelle Aspekte an, die für die Künstlerin oder den Künstler und das Publikum selbstverständlich sind, im Laufe der Jahre aber gegebenenfalls an Selbstverständlichkeit verlieren.

Das rechtfertigt aber noch lange keine regelmäßige kulturelle Anpassung oder Aneignung. Dieses übergriffige Vorgehen beschädigt den geschichtlichen Wert eines Kunstwerks empfindlich und zerstört das Gegenwartszeugnis, das es darstellt. Auch die Geschichten von Enid Blyton mussten kürzlich diesen unsäglichen Kulturrevisionismus über sich ergehen lassen. Autorin Cornelia Funke erklärte, dass nicht alle ihre wilden Hühner weiß wären, würde sie die Geschichte heute noch einmal schreiben. Was gestern völlig normal war, ist es heute nicht mehr. Das ist der Lauf der Dinge, das ist nicht außergewöhnlich. Der obsessive Drang alles von gestern auf links zu drehen, ist es schon.

Naive Blender

Es geht bei diesen Fantastereien einer diskriminierungsfreien Welt mitnichten darum, Diskriminierung nachhaltig abzuschaffen. Es geht einzig darum, rechtzuhaben und seinen Willen durchzusetzen. Denn kein einziges Unrecht an Frauen, an Schwulen oder an Juden wird gesühnt oder gar ungeschehen gemacht, wenn man sich heute an kulturellen Erzeugnissen von damals vergreift. Der ständige Hinweis auf angeblich offensichtliches Diskriminierungspotenzial heizt dieses eher an, anstatt es abzubauen. Erst seitdem einige Verkehrsbetriebe das Wort „Schwarzfahren“ aus ihrem Vokabular gestrichen haben oder sich einige Oberschlaue am offiziellen Namen der Universität Tübingen stören, sind diese Themen rassistisch und antisemitisch aufgeladen. Davor waren sie das nicht.

Ob die Uni zu Tübingen nun Eberhard-Karls – Universität, ganz schlicht „Universität Tübingen“ oder ganz anders heißt, wird keinen antisemitischen Übergriff verhindern. Der Antisemitismus ist mitten in unserer Gesellschaft. Der Name einer Uni hat darauf keinen Einfluss. Eine Umbenennung wischt das Problem naiv vom Tisch, anstatt es zu lösen.

Ähnliches gilt für das Gendern. Nur weil bestimmte Wortendungen plötzlich tabu oder absolut in Mode sind, wird sich am geschlechterspezifischen Lohngefälle im Lande nichts ändern. Die finanzielle Diskriminierung von Frauen in vielen Berufen wird auch dann noch ein Problem sein, wenn sich das Gendersternchen endgültig durchgesetzt hat. Die All-Inclusive – Schreibweise wird nichts daran ändern, dass homo- und transfeindliche Übergriffe vielerorts an der Tagesordnung stehen.

Für kulturellen Fortschritt

So edel und erstrebenswert die Ziele der Kulturkritischen auch sein mögen: Das Umschreiben von Geschichten, die Umbenennung ehrwürdiger Bildungseinrichtungen und die Verhüllung von Statuen ist der völlig falsche Weg. Diese Herangehensweise opfert die Entwicklung, welche die Gesellschaft durchgemacht hat, seitdem Graf Eberhard im Barte Namensgeber der Uni Tübingen wurde oder seitdem J. K. Rowling ihre Geschichte aufschrieb.

Wir sind heute keine durch und durch antisemitische Gesellschaft mehr und wir haben besonders in den letzten Jahrzehnten vieles gelernt über Diversität und Geschlechtervielfalt. Antisemitische und rassistische Ressentiments sind seit Jahren wieder auf dem Vormarsch. Eine Cancel Culture wird dem nichts entgegensetzen. Kunst zu verbieten oder mutwillig zu verändern, weil sie nicht ins Weltbild passt, trägt eindeutig faschistoide Tendenzen in sich.

Es ist völlig normal, dass wir uns im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte immer weniger mit den Urhebern von Kunstwerken identifizieren können. Die logische Konsequenz daraus darf nicht sein, ihre Werke für alle Zeiten zu verdammen. Kunst prägt die Gesellschaft und treibt sie voran. Wer sie pauschal verbietet oder zu seinen Zwecken umdeuten will, bewirkt das Gegenteil. Solche Methoden führen zu einer nicht-egalitären und ungleichen Gesellschaft, die vor allem für eines steht: kulturellen Stillstand.

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Auf der Schlachtbank des Linksliberalismus

Lesedauer: 9 Minuten

Der Kampf gegen Rechts ist eine schmutzige Schlacht. Kollateralschäden und Blessuren werden dabei gern in Kauf genommen. Dabei übersehen die ärgsten Verfechter viel zu oft, dass es ihren Verfehlungen zu verdanken ist, dass die Rechte überhaupt erst so stark werden konnte. Die Devise ist: Die Rechte verurteilt unseren Weg und allein deshalb muss er der richtige sein. Menschen, die diesen Kurs trotzdem kritisieren, haben in den eigene Reihen nichts mehr zu suchen. Das ist Futter für eine immer wildere rechte Bestie, die durch ideologische Debatten mehr aufgestachelt als gezähmt wird.

Unliebsame Kritik

Mit ihrem neuen Buch Die Selbstgerechten wirbelt Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht jede Menge Staub auf. In ihrer neuesten Veröffentlichung setzt sie sich äußerst kritisch mit dem Weg auseinander, den linke Parteien bereits vor Jahren eingeschlagen haben. Sie spricht von Bevormundung, Belehrung und einer mehr als latenten Selbstgerechtigkeit. Vor allem weist sie auf die zunehmende Entfremdung zwischen linken Parteien einerseits und den Menschen, die solche Parteien einst wählten, andererseits hin. Nicht allen in Wagenknechts Partei gefällt das – wie zu erwarten war.

Denn bereits seit Monaten äußerte sich Wagenknecht stets sehr vage und vorsichtig zu ihrer politischen Zukunft. Dass sie weiterhin als Publizistin tätig sein möchte, daran ließ sie seit ihrem Rückzug von der Fraktionsspitze Anfang 2019 keinen Zweifel. Immer wieder erklärte sie, dass sie nun endlich wieder mehr Zeit hätte zu lesen und zu schreiben. Trotzdem antwortete sie immer ausweichend, sprachen Journalisten sie auf ihre Zukunft in Partei und Fraktion an. Mit ihrem neuen Buch schließt sich dieser Kreis.

Bewusstes Risiko

So ein Buch schreibt sich nämlich nicht von heute auf morgen. Immerhin legt Sahra Wagenknecht auf mehr als 300 Seiten detailliert dar, wo das Problem vieler linken Parteien weltweit liegt. Natürlich wusste sie viele Monate im Voraus, worauf sie sich bei dem Buch einließ. Natürlich kam ihr Verdruss über die Richtung ihrer Partei nicht erst, als das Buch im Handel erhältlich war. Und natürlich war sie sich von Anfang an darüber im Klaren, dass sie das Buch weitere politische Ämter kosten könnte.

In ihrem neuen Buch rechnet Sahra Wagenknecht mit ihrer eigenen Partei ab.

Sie machte es trotzdem. Dafür verdient Sahra Wagenknecht zweifellos Respekt. Diese Achtung genießt sie seit vielen Jahren in der deutschen Bevölkerung. Mancheiner kann sich sogar eine Bundeskanzlerin Sahra Wagenknecht vorstellen. Zumindest verschaffte sie ihrer Partei bei der letzten Bundestagswahl einige Zugewinne. Der prozentuale Anteil der Zweitstimmen für Die Linke stieg 2017 zwar nur leicht, allerdings hatte die Partei mit zwei Konkurrenten mehr zu kämpfen – der wiedereingezogenen FDP und dem Neueinsteiger AfD.

Wagenknechts Partei interessierte diese Zustimmung offenbar wenig. Ungeachtet des enormen Rückhalts, den Sahra Wagenknecht bei den Wählerinnen und Wählern genießt, demontierten die Linken ihre Fraktionschefin Stück für Stück. Irgendwann warf Wagenknecht schließlich das Handtuch und verzichtete auf eine erneute Kandidatur für das Spitzenamt. Die Linke kommt seitdem bei Umfragewerten auf keinen grünen Zweig mehr. Momentan liegen sie bei gerade einmal 7 bis 8 Prozent.

Köder für Rechts

Von dem Zerwürfnis zwischen Wagenknecht und ihrer Partei profitiert keiner so sehr wie die AfD. In der Vergangenheit hatten die Rechtspopulisten die Positionen der Linkenpolitikerin immer wieder vereinnahmt. Erst kürzlich stellte die AfD ein Wahlplakat auf, welches das Konterfei von Sahra Wagenknecht zeigt und ihr scheinheilig rechtgibt. Wagenknecht selbst geht inzwischen rechtlich gegen diese Unverschämtheit vor.

Die Gegner der AfD machen es rechtsaußen aber auch spielend einfach, solche unlauteren Mittel gewinnbringend einzusetzen. Immerhin schwelt in der Linkspartei seit Jahren ein Konflikt um die Richtung der Partei. Längst haben sich viele Parteimitglieder von der einstigen Fraktionschefin distanziert und ihr rechte Tendenzen unterstellt. Vollkommen verblendet haben sie damit jede sachliche Diskussion im Keim erstickt und den Rechten das Feld überlassen. Im Ergebnis konnte die AfD Wagenknechts Position kopieren und mit braunem Gedankengut völlig entstellen.

Hauptsache Spaltung

Das Muster ist bekannt: Die AfD identifiziert einzelne Politikerinnen und Politiker als ernstzunehmende Gefahr, weil diese unkonventionelle Positionen vertreten und sie sogar sachlich begründen können. Weil die Diskussionskultur in Deutschland aber immer weiter verkümmert, scheint für diese Personen kein Platz mehr in ihren Parteien zu sein. Sie werden öffentlich an den Pranger gestellt und geraten wegen ihrer fragwürdigen Positionierungen in Verruf. Letzten Endes können sie sich kaum dagegen wehren, dass die AfD ihre Positionen aufgreift und unter neuer Flagge vermarktet. So ging es nicht nur Sahra Wagenknecht, sondern auch Boris Palmer in Tübingen.

Das Ziel ist völlig klar: Die Rechte will den anderen Parteien die Wähler abspenstig machen. Einerseits hoffen sie darauf, dass tatsächlich Wählerinnen und Wähler auf ihre plumpe Masche reinfallen und bei der nächsten Wahl ihr Kreuzchen neben der AfD machen. Andererseits profitiert sie gerade deshalb davon, weil sie die Wählerschaft der anderen Parteien in zwei Lager spaltet. Die eine Hälfte hält treu zur Partei, die andere kehrt ihr entsetzt den Rücken. Ob diese Menschen dann rechts wählen, ist für die AfD zweitrangig. Hauptsache für die Rechtspopulisten ist, dass die politische Konkurrenz Stimmen verliert und die Polarisierung in der Gesellschaft zunimmt.

Gute Ziele, falsche Debatten

Auf genau diesen Missstand weist Wagenknecht in ihrem neuen Buch hin. Vorstellungen und Ideen, die nicht streng der Linie der Partei folgen, werden abgekanzelt. Den Personen hinter den Ideen wird sogleich Böswilligkeit unterstellt. Fortan stehen sie unter dem Verdacht, die Partei spalten zu wollen oder völlig andere politische Ziele zu verfolgen.

Seit Jahren versuchen viele innerhalb der Partei Die Linke krampfhaft die Grünen zu kopieren. Durch einen sozialen Anstrich versuchen sie, Themen wie Klimakampf und Geschlechtergerechtigkeit eigenes Leben einzuhauchen. Besonders diese beiden Themen sind ausgesprochen wichtig und es ist richtig, dass darüber diskutiert und gerungen wird. Die Stoßrichtung der Debatte ist allerdings grundfalsch und es ist fatal, wenn andere Parteien die Rhetorik der Grünen unreflektiert übernehmen.

Geschlossene Gesellschaft

Die Ansätze der Grünen richten sich nämlich hauptsächlich an ein exklusives Publikum. Ihre Sprache und ihre Forderungen grenzen eher aus als den Eindruck von Gemeinschaft und Solidarität zu vermitteln. Linke Parteien kümmern sich traditionell um die Benachteiligten in einer Gesellschaft. Das kann nicht funktionieren, wenn Forderungen wie Preissteigerungen auf Fleisch und Benzin diese Menschen von vornherein ausschließen.

Auch die Debatte um geschlechterneutrale Sprache inklusive Gendersternchen muss man sich erst einmal leisten können. Für Menschen, denen bereits am 15. das Geld ausgeht, sind solche Fragen bestenfalls zweitrangig. Wirft man ihnen dann noch pauschal vor, rassistisch oder queerfeindlich zu sein, ist die Entfremdung von der Basis perfekt.

Billige Kopien

Traditionell linke Parteien verlieren sich immer mehr in solchen Debatten, die sie von ihrer Stammwählerschaft entfernen. Diese Debatten sind Sache der Grünen und das ist auch gut so. Was mit Parteien passiert, die auf Biegen und Brechen die Konkurrenz imitieren, um Wähler zurückzugewinnen, hat man an der CDU bereits gesehen. In Thüringen beispielsweise zeigte man sich besonders unversöhnlich gegenüber Rot-Rot-Grün und übernahm teilweise sogar die Rhetorik der dort besonders scharfen AfD. Die Wahlergebnisse der letzten Landtagswahl dort sprechen wahrlich Bände. Keine andere Partei verlor so stark wie die CDU. Die Kopie des Originals trieb Wähler eher dorthin als sie zurückzugewinnen.

Ungeachtet dieses politischen Naturgesetzes verfängt sich die politische Linke immer weiter auf dem linksliberalen Irrweg der Grünen. Dabei sind viele Visionen der Grünen absolut unterstützenswert. Es benötigt aber eine starke linke Kraft auf dem Weg dorthin, um weite Teile der Bevölkerung auf diese Reise mitzunehmen. Doch die Signale von angeblich linken Parteien sind seit Jahren eindeutig: Wer unsere Lehren nicht versteht, wer unser Handeln nicht gut findet, der ist dumm und schlecht. Mit Deserteurinnen wie Sahra Wagenknecht wird kurzer Prozess gemacht. Für viele augenscheinlich Linken ist sie inzwischen eine Ikone der Neuen Rechten. Dabei haben gerade diese selbstgerechten Fanatiker vor langer Zeit aufgehört, links zu sein.


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Besonders schwere Fahrlässigkeit

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Wirken die bisher zugelassenen Impfstoffe gegen Corona? Wogegen genau wirken sie? Wie lange wirken sie? Sind Geimpfte ansteckend? Diese Fragen dürfen derzeit in keiner Debatte um die Impfstoffe von AstraZeneca, BioNTech & Co. fehlen. Sie alle eint, dass es unbeantwortete Fragen sind – und dass ihre Beantwortung wohl noch einige Zeit auf sich warten lässt. Verkürzte Testverfahren haben dazu geführt, dass die Skepsis gegen die neuentwickelten Präparate dieses Mal ungewöhnlich groß ist. Währenddessen sprechen sich immer mehr Politiker für Privilegien für Geimpfte aus. Doch das ist der völlig falsche Weg.

Ein Meilenstein?

Am 21. Dezember 2020 war es soweit: Mit dem Wirkstoff von BioNTech und Pfizer wurde der erste Impfstoff gegen Covid-19 in der EU zugelassen. Nach nicht einmal neun Monaten Pandemie war ein Meilenstein im Kampf gegen das Virus erreicht. Wer vom Virus besonders bedroht ist, darf sich seit Ende Dezember impfen lassen. In den vergangenen Monaten erhielten dann immer mehr Wirkstoffe die Zulassung.

Über die Impfstoffe wurde schon lange gesprochen. Die WHO hatte Corona noch nicht einmal zur Pandemie erklärt, da setzten viele ihre Hoffnungen bereits auf einen aussichtsreichen Impfstoff. Doch spätestens seit die Zulassung in die heiße Phase ging, wurde eine Gruppe immer lauter: Zahlreiche Impfskeptiker meldeten Bedenken gegen die Impfstoffe an. Den Wissenschaftlern und Politikern ist es bisher nicht gelungen, diese Kritik zu entkräften.

Infektiologische Frühgeburt

Das können sie auch gar nicht. In seinem Buch Corona Impfstoffe – Rettung oder Risiko? setzt sich der österreichische Biologe Clemens G. Arvay mit ebendieser Skepsis gegenüber den Impfstoffen sehr sachlich und differenziert auseinander. Sein Fazit nach etwa 130 Seiten ist eindeutig: Die Testphasen waren viel zu kurz, um überhaupt verlässliche Aussagen bezüglich der Impfstoffe zu treffen.

In äußerst verständlicher Weise führt der Autor den Lesern vor Augen, was es bedeutet, wenn ein Impfstoff in weniger als einem Jahr entwickelt und zugelassen wird. Immer wieder verweist er dabei auf das Vakzin gegen Mumps, das mit stolzen vier Jahren den bisherigen Weltrekord des am schnellsten entwickelten Impfstoffs hielt. Allerdings handelte es sich bei diesem Wirkstoff um einen konventionellen Impfstoff. Die neuen Corona-Impfstoffe jedoch basieren auf einem Verfahren, das bisher kaum oder noch gar nicht am Menschen zum Einsatz kam.

Arvay ist es daher besonders ein Dorn im Auge, dass das Zulassungsverfahren trotzdem derart gerafft vonstattenging. Selbst wenn es zu unerwünschten Auffälligkeiten kam, so kann man diese aufgrund der äußerst mageren Datenlage unmöglich auf die Wirkstoffe zurückführen. Es kann aber genau so wenig ausgeschlossen werden, ob nicht vielleicht doch der Impfstoff dahintersteckt.

Wider die Vernunft

Der Biologe Arvay geht aber noch einen Schritt weiter. Die niedrige Zahl an Probandinnen und Probanden, der generelle Ausschluss von Risikogruppen aus dem Testverfahren und die Zusammenlegung verschiedener Testphasen lassen keine seriösen Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Präparate zu, von der Wirkdauer ganz zu schweigen. Solange diese offenen Fragen durch ausgiebige und angemessene Forschung nicht zweifelsfrei geklärt sind, verbietet sich jede Debatte über eine Impfpflicht oder über Privilegien für bereits Geimpfte.

Wider die menschliche Vernunft erwägen nun aber immer mehr Politikerinnen und Politiker, über gewisse Vergünstigungen für Geimpfte zumindest zu diskutieren. Jüngst erwog auch Justizministerin Christine Lambrecht, Geimpften bei einer gewissen Wirksamkeit der Impfstoffe entsprechende Lockerungen in Aussicht zu stellen. Anscheinend soll so von den Bedenken gegenüber den Impfstoffen abgelenkt werden.

Ein politisches Armutszeugnis

Wie schwach muss das Vertrauen der Politik in die Vernunft der Menschen sein, wenn sie es nötig hat, solch schwere Geschütze aufzufahren? Sollte sich tatsächlich herausstellen, dass die Impfstoffe eine Wirksamkeit von um die 95 Prozent besitzen, dann wäre eine solch aggressive Werbekampagne überhaupt nicht notwendig. Die Menschen würden sich dann in großer Zahl nämlich aus eigenem Antrieb impfen lassen.

Privilegien für Geimpfte hängen den Menschen allerdings eine Karotte vor den Kopf. Eventuell führt das zwar auch zu einer hohen Impfquote, die Debatte um die Impfsicherheit ist damit aber lange nicht beigelegt. Was wäre denn, wenn sich in einigen Jahren doch in großer Zahl Spätfolgen durch die neue Impftechnik einstellten? Der Staat trüge die Verantwortung dafür. Schließlich hat er durch seine Impfprivilegien die Menschen in ihrer Entscheidung maßgeblich beeinflusst.

Sozialer Druck und gesellschaftliche Spaltung

Natürlich ist es bei Spätfolgen immer schwer, die Ursache zu ermitteln. Und wenn sich fast alle Menschen impfen lassen, wird sich ein Kausalzusammenhang auch nur schwer herstellen lassen. Trotzdem ist es eine an Vorsatz grenzende Fahrlässigkeit, wenn Menschen durch die Aussicht auf mehr Freiheiten geködert werden und an einer Impfung kein Weg vorbeiführt, um ein normales soziales Leben zu führen. Selbst wenn die Impfstoffe die Infektionsketten zu fast 100 Prozent unterbrechen würden, wäre eine solche Kampagne nicht vertretbar. Immerhin handelt es sich um neuartige Impfverfahren, die noch nicht ausreichend am Menschen erprobt sind.

Ich bin mir sicher: Versprochene Lockerungen für Geimpfte würden zu einer hohen Impfquote führen. Die meisten werden dem sozialen Druck nicht standhalten können. Wer sehnt sich schließlich nicht danach, endlich mal wieder in ein Restaurant zu gehen oder bei einer zünftigen Shoppingtour gepflegt ein Geschäft nach dem anderen abzuklappern? Die Impfentscheidung wäre aber eine unaufrichtige, weil sie größtenteils auf sozialen Druck zurückzuführen wäre. Viele würden sich widerwillig impfen lassen, einige aus Protest auf die Impfung verzichten. Durch solche Vorgehensweisen spaltet man die Gesellschaft eher, anstatt sie in so schweren Zeiten zu einen.

Testen, testen, testen

Wie zielführender wäre es stattdessen, die Öffnung von Geschäften, von Kneipen und Restaurants und von Einrichtungen des Kulturbetriebs an eine Testpflicht zu koppeln? Nur wer einen negativen Corona-Test vorweisen kann, darf am öffentlichen Leben teilnehmen. Einen solchen Test über sich ergehen zu lassen, ist immerhin jedem zumutbar.

Natürlich haben auch solche Tests eine Fehlerquote, die nicht von der Hand zu weisen ist. Es ließen sich dadurch aber einige Infizierte gezielt isolieren. Nach allem, was wir wissen, lässt sich derzeit nämlich nicht belegen, dass die Impfungen vor einer Ansteckung mit dem Virus schützen. Es ist daher das Gebot der Stunde, das Infektionsgeschehen ohne ein solches Wundermittel unter Kontrolle zu bringen.

Wir brauchen Daten

Auch mit einer Testpflicht wird es zu weiteren Infektionen kommen. Deswegen kann das nicht das Ende der Fahnenstange sein. Mindestens genau so wichtig ist ein massiver Stellenausbau im Gesundheitswesen, sowohl in der medizinischen Versorgung als auch in den Gesundheitsämtern. Gerade durch eine hoffnungslose Unterbesetzung in den Behörden können die Infektionsketten mittlerweile nicht mehr nachverfolgt werden. In der Folge stecken sich auch mehr Menschen an. Kaputtgesparte Krankenhäuser kommen an ihr Limit.

Bis heute ist unklar, wo die meisten Infektionen entstehen. Die meisten Wissenschaftler sind sich zwar einig, dass die meisten Menschen sich drinnen anstecken. Drinnen kann aber in der Schule sein, auf der Arbeit, in Bus und Bahn, im Wohnzimmer oder in einer Höhle. Genau wie bei den Testverfahren zu den Impfstoffen reicht die Datenlage hier nicht aus, um irgendwelche verlässliche Aussagen zu treffen. Es scheint, als wäre die katastrophale Datenlage ein omnipräsentes Problem in der Krise.


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