Partei der Täter

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Die Wahlergebnisse bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sind erschütternd. Nie standen die demokratischen Parteien schlechter da, in allen drei Bundesländern machte die rechtsextreme AfD einen gewaltigen Sprung nach vorne. An den vergangenen Sonntagen haben sich für die AfD Türen geöffnet, an denen sie lange gerüttelt haben. Ihr starkes Abschneiden gibt ihnen nicht nur neue parlamentarische Macht: Noch effektiver als bisher können sich die Neofaschisten als Opfer inszenieren. In manchen Bundesländern wurde zum Sprung über das nächste Stöckchen schon angesetzt…

Richter von AfDs Gnaden

Korkenknallen bei der AfD – in Brandenburg ziehen sie bei der dritten Landtagswahl in Folge deutlich gestärkt ins Landesparlament ein; und knacken erneut die Sperrminorität. Vor wenigen Wochen erst wurde sie in Thüringen stärkste Kraft – das erste Mal, dass dies einer rechtsextremen Partei in der Geschichte der Bundesrepublik bei einer Landtagswahl gelang. Im Erfurter Landtag ist das starke Abschneiden der extremen Rechten besonders problematisch. Nicht nur geht mit dem ersten Platz theoretisch der Auftrag zur Bildung einer Landesregierung einher, das Rekordergebnis eröffnet der Höcke-Partei auch ganz neue politische Gestaltungsmöglichkeiten. So wird die AfD bei der Besetzung des Landesverfassungsgerichts künftig ein deutliches Wort mitreden. Ihnen unliebsame Personen können sie dann als Verfassungsrichter blockieren – und dadurch indirekt solchen Amtsträgern den Weg in die Richtersessel ebnen, die ihnen eher zugetan sind.

Die Sperrminorität in gleich zwei Landtagen ermöglicht es ihnen außerdem, alle Entscheidungen abzublocken, die eine Zweidrittelmehrheit benötigen. Denn obwohl das Zweitstimmenergebnis der AfD in beiden Bundesländern unter 33 Prozent lag, verfügen sie dennoch über mindestens ein Drittel der Landtagssitze. Zustande kommt das durch nicht berücksichtigte Stimmen für Parteien, die an der 5-Prozent – Hürde scheiterten. Relevant ist diese Blockadeoption vor allem bei Änderungen der Landesverfassung. Hier wird künftig kein Weg mehr an den Rechtsextremen vorbeiführen.

In Thüringen hat die AfD außerdem Anspruch, einen Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten vorzuschlagen. Ginge es nach Rechtsaußen wäre das die Abgeordnete Wiebke Muhsal. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Parlamentarier sie wählt. Ins Haus steht also eine zähe Konstituierung des neuen Landtags, weil er ohne eine Präsidentin nicht handlungsfähig ist.

Lex AfD, die nächste

CDU und BSW wollen diesen Vorgang gerne beschleunigen und planen daher einen Antrag, der allen Fraktionen schon im ersten Wahlgang ein Vorschlagsrecht einräumt. Vermutlich bekäme dann der Kandidat der CDU am ehesten eine Mehrheit zusammen. Was die beiden Vielleicht-Koalitionäre allerdings ausblenden: Wenn die AfD bei dieser wichtigen Wahl schon von vornherein ausgestochen wird, kann sie sich noch schneller als Opfer inszenieren als es nach der noch gültigen Geschäftsordnung des Landtags möglich wäre.

Wieder einmal springen die demokratischen Parteien über ein Stöckchen, das ihnen die AfD hinhält. Enttäuschend ist das besonders vom BSW. Immerhin wollte man sich konstruktiv und sachlich mit den Demokratiefeinden auseinandersetzen. Stattdessen wird die AfD quasi in die Opferrolle gedrängt – wo sie aber definitiv nicht hingehört. Denn durch ihre menschenfeindliche Hetze sind AfD-Politiker keine Opfer, sondern Täter. Als geistige Brandstifter von Übergriffen, Beleidigungen und sogar schwersten Straftaten haben sie lange Übung.

Täter mit Erfahrung

Mittlerweile wird aber auch immer deutlicher, dass die AfD aktive Straftäter in den eigenen Reihen duldet. Die ominösen Geldströme aus Russland und China rund um die EU-Wahl und die umstürzlerischen Umtriebe der ehemaligen Abgeordneten Malsack-Winkemann dürften dabei nur die Spitze des Eisbergs sein. Bei mehr als 100 Personen aus dem rechtsextremen Spektrum, die für Bundestagsabgeordnete der AfD arbeiten, dürften bald noch weitere strafrechtlich relevante Sachverhältnisse ans Licht kommen.

Es handelt sich nicht um Opfer, wenn manche Funktionäre der AfD an Konferenzen teilnehmen, wo über die Deportation einer beträchtlichen Zahl von Bürgerinnen und Bürgern diskutiert wird. Und es ist auch kein böswillig inszeniertes Missverständnis, wenn in Stuttgart zur Kommunalwahl AfD-Plakate hängen, welche die Ausweisung von Migrantinnen und Migranten mit der Schaffung von Wohnraum gleichsetzen. Das ist rechtsextrem, menschenverachtend und schlichtweg erbärmlich.

Gefährlich ist die AfD aber nicht nur für Menschen mit Fluchtgeschichte oder Migrationshintergrund. Schaut man sich das bisschen Sozialpolitik an, das die Partei zu bieten hat, wird einem um den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land angst und bange. Eingedroschen wird ausschließlich auf die Schwächsten in der Gesellschaft. Die AfD träumt von einer Besteuerung, welche die Reichsten im Land stärker bevorteilt als wenn man der FDP freie Hand ließe. Und selbst der AfD ist klar, dass die Ausweisung einer großen Zahl an Menschen nicht spurlos an einem Land vorübergehen kann. Um die verlorengegangene wirtschaftliche Kraft zu kompensieren, schwebt ihnen vor, stattdessen Rentnerinnen und Rentner zur Erwerbstätigkeit heranzuziehen. So geschehen im Bundestag am 28. Juni 2024, vorgetragen von Potsdam-Teilnehmerin Gerrit Huy.

Höchststrafe für die Extremen

Höchste Zeit, sich inhaltlich mit der AfD auseinanderzusetzen, wie es viele Spitzenpolitiker nach verlorengegangenen Wahlen gerne fordern – und dann regelmäßig schuldigbleiben. Denn eine inhaltliche und sachliche Befassung mit der Rechtsaußen-Partei heißt eben nicht, ausschließlich über diese Partei zu reden. Die AfD zum Maßstab seines eigenen Denkens und Handelns zu machen, ist der größte Gefallen, den man dieser Truppe machen kann.

Die etablierten Parteien müssen wieder mehr Selbstbewusstsein zeigen und Anträge ungeniert und vorbehaltlos einbringen und für ihre Überzeugungen einstehen. Die Angst davor, in die rechte Ecke gestellt zu werden, hat unsere Parlamente bei vielen Themen zu einem einstimmigen Chor verkommen lassen. Der Mut zum Kanon muss wieder geweckt werden. Wer eine gute Idee hat, der erträgt auch den Applaus der AfD. Der vorgebliche Beifall ist nichts weiter als ein Vorspann zu ihrem Abgesang, weil sich wieder jemand getraut hat, den Finger in die Wunde zu legen, ohne dabei ins Extremistische abzudriften.

Warum nicht mal ganz ruhig und besonnen bleiben, wenn die AfD das Wort ergreift? Reflexartige Empörung und einstudierte Fassungslosigkeit helfen hier nicht weiter und haben noch nie dazu geführt, dass die Partei nennenswert geschwächt wurde. Eine seriöse Auseinandersetzung mit Vorschlägen aus der rechten Ecke wird schnell ans Licht bringen, wie blank die selbsternannte Alternative eigentlich ist. Gepaart mit einer Politik, die keine Scheu davor hat, auf Tuchfühlung mit den Sorgen und Nöten der Bürgerinnen und Bürger zu gehen, lässt die AfD eingehen wie eine Primel. Es muss endlich Schluss damit sein, dieser Partei ein ums andere Mal eine Bühne für ihren Opfermythos und ihre Inszenierungen zu geben. Die AfD hat die Höchststrafe verdient: ernsthafte Diskussionen.

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Auf wackeligen Beinen

Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni waren lange Koalitionsverhandlungen vorprogrammiert. Die Mehrheit aus CDU und SPD war so knapp, dass Rainer Haseloff sein Kabinett um die FDP erweiterte. Der Preis für so viel Kompromissbereitschaft ließ nicht lange auf sich warten: Haseloff gelang es erst im zweiten Wahlgang, sich zum Ministerpräsidenten wiederwählen zu lassen. Der Weg des neuen alten Regierungschefs ist nicht alternativlos: Eine Bündelung der demokratischen Kräfte wäre auch anders denkbar gewesen.

Munteres Zahlenspiel

Seit vergangenem Donnerstag ist es offiziell: Das Land Sachsen-Anhalt hat eine neue Regierung. Ministerpräsident bleibt Rainer Haseloff von der CDU. Er führt das Land fortan mit einer Deutschlandkoalition mit SPD und FDP. Wie bereits in Thüringen vor anderthalb Jahren zeichnete sich bereits am Wahlabend am 6. Juni ab, dass es zu langen Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen kommen würde. Klarer Wahlsieger war zwar Haseloffs CDU, doch gestaltete es sich schwierig, die Bedürfnisse aller Koalitionspartner unter einen Hut zu bringen.

Umso erstaunlicher ist nun, dass es Ministerpräsident Haseloff gelungen ist, sich aus drei unterschiedlichen Lagern zum Regierungschef wählen zu lassen – wenn auch erst beim zweiten Anlauf. Immerhin ist die Regierungsbeteiligung der FDP rein rechnerisch überhaupt nicht vonnöten. Die CDU in Sachsen-Anhalt käme auch allein mit der SPD auf eine absolute Mehrheit. Die beiden Parteien stellen im Magdeburger Landtag derzeit 49 von 97 Sitzen, also genau die Anzahl an Mandaten, die für eine Mehrheitsbildung nötig ist.

Alles für die Mehrheit

Die Liberalen wurden als reiner Stabilitätsfaktor mit ins Boot geholt. Der erste Wahlgang vom Donnerstag zeigte, dass dieser Puffer eine gute Investition für Rainer Haseloff war. Selbst mit dieser breiten Mehrheit gelang es ihm zunächst nicht, auf die absolute Mehrheit zu kommen. Wie wäre der Wahlgang wohl ausgegangen, wenn die FDP nicht gewesen wäre?

Vermutlich hätte Haseloff eine noch herbere Niederlage einstecken müssen. Trotzdem ist es durchaus bedenklich, dass die rechnerische Mehrheit zulasten der Opposition erweitert wird. Rainer Haseloff mag die Landtagswahl zwar haushoch gewonnen haben, trotzdem verteilten sich abweichende Meinungen auf insgesamt fünf Parteien. Es ist nicht demokratisch, diese Vielfalt an Widerspruch durch Mehrheitsbeschaffungsmaßnahmen ungerecht kleinzuhalten.

Weniger Opposition, mehr AfD

Es ist nämlich einerseits keine Selbstverständlichkeit für die FDP, überhaupt in den Landtag eines ostdeutschen Bundeslands gewählt worden zu sein. Seit der Wiedervereinigung hatten es die Liberalen eher schwer, in diese Parlamente einzuziehen. Das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler nun dazu zu nutzen, um auf Teufel komm‘ raus in der Regierung zu sitzen – das ist für die FDP schon einmal nach hinten losgegangen.

Diese Schwächung der Opposition hat aber noch einen anderen Effekt. Die Oppositionsführerin AfD hat nach der Fahnenflucht der FDP nun noch mehr Gewicht. Mit einem Konkurrenten weniger in der Opposition wird es ihr noch leichter fallen, sich als einzige wählbare Alternative zu gerieren.

Dokumentierte Treue

Über ihren vermeintlichen Wahlsieg im Juni kann sich die CDU also nach wie vor nicht freuen. Der Abstand zur AfD ist zwar größer als erwartet, doch besonders in der CDU brodelt ein Richtungsstreit, der Haseloff einige Stimmen gekostet hat. Großes Streitthema in der Fraktion ist der Umgang mit der AfD. Haseloffs Brandmauerpolitik gefällt nicht jedem. Dieser Zwist wird einer der Gründe dafür sein, warum Haseloff im ersten Wahlgang insgesamt acht Stimmen abhandengekommen sind.

Um sich keinem falschen Verdacht auszusetzen, sah sich mindestens ein Abgeordneter der CDU beim zweiten Wahlgang dazu genötigt, seinen Stimmzettel mit dem Kreuz für Rainer Haseloff zu fotografieren. Diesen fragwürdigen Treueschwur nutzen die Grünen nun dazu, um gegen die Wahl vorzugehen. In jedem Fall verdeutlicht dieser Vorgang den Riss, der durch die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt geht.

Auf wackeligen Beinen

Die wackelige Mehrheit, auf die sich Rainer Haseloff beruft, ist kein neues Phänomen. Seit Jahren verlieren rechnerische Mehrheiten nach Parlamentswahlen an Bedeutung. Immer wieder mussten gestandene Politiker erleben, wie sie von Gefährten aus den eigenen Reihen zu Fall gebracht wurden. Erinnert sei hier nur an den traurigen Fall von Heide Simonis (SPD). Einer der ihren verweigerte ihr in insgesamt vier Wahlgängen die Unterstützung und führte damit die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein vor.

Auch die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel musste die Erfahrung machen, dass ihre Koalition nicht geschlossen hinter ihr steht. Bei ihrer Wiederwahl zur deutschen Bundeskanzlerin am 14. März 2018 fehlten ihr insgesamt 35 Stimmen. Selbst bei einer Großen Koalition ist diese Differenz bemerkenswert.

Eine Regierung für alle?

Diese unsteten Mehrheiten zeigen, dass es den Parteien zunehmend schwerfällt, die politischen Kräfte in klassischen Mehrheitskoalitionen zu bündeln. Oft wird in diesem Atemzug die AfD genannt, die die politische Ordnung durcheinanderbringt. Man rechtfertigt übergroße Koalitionen wie in Sachsen-Anhalt damit, dass sich die demokratischen Parteien gegen die AfD zusammenschließen müssten.

Die Verteidigung der Demokratie ist durchaus eine wichtige Aufgabe aller demokratischen Parteien. Eine Regierung sollte aber nicht nur den Kampf gegen die Undemokraten in einer Gesellschaft im Blick haben, sondern vor allem die Bedürfnisse der breiten Mehrheit. Bei zu großen Regierungskoalitionen schauen viele Menschen schnell in die Röhre. Unter dem Vorzeichen des Kompromisses ist es der Politik dann nicht mehr möglich, der politische Vielfalt in der Bevölkerung angemessen Rechnung zu tragen.

Angewandte Demokratie

Im übrigen könnten die Parteien der AfD auch ohne künstlich erzeugte Mehrheiten etwas entgegensetzen. Jenseits von Regierungsmehrheiten ist ein Zusammenschluss in Einzelfragen durchaus möglich. Das Stichwort ist hier „Toleranz“. Diese Toleranz kann sogar so weit gehen, dass die Parteien eine Regierung akzeptieren, die auf keine parlamentarische Mehrheit kommt. In Sachsen-Anhalt könnte davon besonders die FDP profitieren, die weiterhin keine Abstriche aus Rücksicht auf eine Koalition nehmen müsste.

Solche Minderheitsregierungen würden dem Wunsch vieler Menschen im Volk entsprechen. Die Parteien müssten wieder echte Überzeugungsarbeit leisten. Es würde wieder eine lebendige Diskussion stattfinden. Die Hetzer von rechts hätten es schwerer, vom politischen Einheitsbrei zu faseln. In Zeiten, in denen es immer schwerer wird, stabile Mehrheiten zu bilden, wäre eine solche Lösung ein wahrer Gewinn für die Demokratie. Dieser Weg wäre ausdrücklich kein Einknicken vor der AfD. Viel eher würde man den Wunsch in der Bevölkerung nach Unterscheidbarkeit der Parteien ernstnehmen. Im Kampf für die Demokratie helfen keine Machtdemonstrationen. Es braucht Demokratiedemonstrationen.

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Eindeutig uneindeutig

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Niemand hat sich Illusionen gemacht, dass mit dem Wahlergebnis aus Sachsen-Anhalt leicht Politik zu machen ist. Umso erstaunter waren sicher viele, wie weit die Ergebnisse von CDU und AfD nun doch auseinanderliegen. Doch die Lage bleibt verzwickt: Eine rasche Regierungsbildung ist nicht zu erwarten. Grund dafür ist ein immer diverseres Parteienspektrum, das eine Bündelung schwerer macht. Diese Splitterung der Parteienlandschaft betrifft die linke Seite des Spektrums deutlich stärker als die rechte. Der Anteil an Nichtwählern wächst indessen weiter.

Glasklarer Sieger?

Die Würfel in Sachsen-Anhalt sind gefallen. Die CDU feiert sich als eindeutigen Wahlsieger. Die AfD ist am Heulen. Die Parteien des linken Spektrums lecken sich die Wunden. Bundesweit zeigen sich viele Menschen erleichtert über den klaren Vorsprung, den die CDU gegenüber der rechten Herausforderung aufbauen konnte. Mit einer leicht schwächelnden AfD und einem bestätigten Ministerpräsidenten scheint für viele in Sachsen-Anhalt die Welt in Ordnung zu sein. Dabei wird der eigentliche Sieger der Wahl völlig außer Acht gelassen: die Nichtwähler.

Denn erneut liegt die Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt nicht bedeutend über 60 Prozent. Für eine Demokratie ist das eine glasklare Niederlage. Mit um die 40 Prozent überholen die Nichtwähler sogar den angeblichen Wahlsieger CDU.

Zweitstärkste Kraft

In Sachsen-Anhalt kam vergangenen Sonntag erneut ein Trend besonders krass zum Ausdruck. Die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen liegt traditionell unter dem Bundestrend. Geht man noch weiter ins Eingemachte, sinkt die Wahlbeteiligung weiter. Bei manchen OB-Wahlen ist man froh, wenn man 40 Prozent der Stimmberechtigten an die Urnen bekommt.

Aber auch auf Bundesebene ist die Beteiligung an Wahlen seit den 1980er-Jahren fast ungebrochen rückläufig. Immer weniger Menschen entscheiden sich dazu, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen. Seit etwa fünfzehn Jahren ist ein Sieg der Nichtwähler eher die Regel als die Ausnahme. Hätten die Nichtwähler nach der Bundestagswahl 2017 eine Fraktion gebildet, wären sie heute die zweitstärkste Kraft im Parlament.

Angebliche Wahlsiege der Parteien verkommen damit letztendlich immer mehr zur Farce. Wenn nicht einmal mehr zwei Drittel der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben, mutet es umso lächerlicher an, wenn die stärkste gewählte Kraft nicht einmal mehr auf 40 Prozent kommt.

Keine Volkspartei

Besonders erschreckend an der Wahl in Sachsen-Anhalt ist aber, dass in dem Flächenland inzwischen mehr als die Hälfte der Menschen der Demokratie eine Absage erteilt haben. Bei der mickrigen Wahlbeteiligung kam die AfD trotz allem auf mehr als 20 Prozent der Stimmen. Im Zusammenspiel mit den Menschen, die bewusst nicht an der Wahl teilgenommen haben, entsteht ein Bild, bei dem es jedem echten Demokraten nur Angst und Bange werden kann.

Tino Chrupalla beharrte erst kürzlich bei Anne Will darauf, dass die AfD eine Volkspartei in Sachsen-Anhalt sei. Dabei wird es mit dem Anspruch einer Volkspartei selbst bei der CDU eng, setzt man das Wahlergebnis in Relation zu den Nichtwählern. Deutlich früher als im Bund setzte in den ostdeutschen Bundesländern der Trend einer zersplitterten Parteienlandschaft ein. Die Wahlergebnisse im Osten waren bis auf wenige Ausnahmen in den 1990ern selten so eindeutig wie im Westen. Die SPD konnte in den neuen Bundesländern nur schwer fußfassen, die PDS war deutlich stärker als in den alten Bundesländern. Parlamente mit weniger als vier Fraktionen waren von Anfang an seltener als in Westdeutschland.

Die Ära der Notbündnisse

Trotzdem gibt es in den ostdeutschen Bundesländern besonders seit der Jahrtausendwende keine zwei eindeutig dominierenden Kräfte mehr. Die kleineren Parteien schrammen nicht automatisch an der 5-Prozent – Hürde entlang, während zwei Volksparteien an die 40 Prozent oder mehr holen. Viel eher haben sich die Wahlsieger bei um die 30 Prozent eingependelt, während die schwächere Konkurrenz trotzdem zweistellige Ergebnisse holt.

Dreierkoalitionen sind besonders in den neuen Ländern schon lange nichts neues mehr. Streckenweise diskutierte man sogar über eine sogenannte Simbabwe-Koalition mit vier beteiligten Parteien, um das zersplitterte Parteienspektrum zu überwinden. Währenddessen verzwergen sich die Sieger von vorgestern immer weiter. Die SPD ist in Sachsen-Anhalt inzwischen schwächer als die Parteien, die in den Hochrechnungen und Prognosen als „sonstige“ ausgewiesen werden.

Existenzprobleme

Der Wahlausgang in Sachsen-Anhalt bestätigt außerdem einen Trend, der zwar im Osten des Landes früher einsetzte, aber inzwischen auch im Westen angekommen ist. Viel häufiger als früher geht es den Wählerinnen und Wählern um eine Profilierung ihrer gewählten Parteien als um mögliche Zusammenarbeiten oder eine gemeinsame Stoßrichtung. Entlarvend ist dabei eine Umfrage zu möglichen Koalitionen in Sachsen-Anhalt: Die Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen erfährt unter den Befragten die geringste Zustimmung, obwohl es sich dabei um eine Zusammenarbeit der Wahlsieger handeln würde. Immerhin konnten alle diese Parteien bei der Wahl in unterschiedlichem Maße dazugewinnen.

Bei der Wahl in Sachsen-Anhalt erreichte nur noch die CDU das Niveau einer Volkspartei. Sie ist der relative Wahlsieger. Auf dem zweiten Platz rangiert eine erschreckend starke AfD. Eine ähnliche Entwicklung ist auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern zu beobachten. Bis auf wenige Ausnahmen fällt dabei auf, dass vor allem die Parteien schrumpfen, die sich traditionell dem linken Spektrum zuordnen. Die SPD ist dermaßen geschrumpft, dass sie kaum wiederzuerkennen ist. Die Linken kommen nur noch in Thüringen auf Traumergebnisse – und auch hier wahrscheinlich nur wegen des sympathischen Ministerpräsidenten.

Erstarken können hingegen die Parteien des rechten Spektrums, auch solche des demokratisch rechten Spektrums. Sie haben weitaus weniger mit Existenzproblem zu kämpfen als Linke, Grüne und SPD. Einstige Wählerinnen und Wähler dieser Parteien wanderten entweder zur AfD ab oder blieben der Wahl ganz fern. Der Grund dafür ist so simpel wie traurig: Würden die Grünen weniger auf nachrangingen Themen wie einer gendergerechten Sprache oder vorgeschriebenen Quoten in der Arbeitswelt herumreiten, dann würden sie auch im Osten deutlich bessere Ergebnisse einfahren. Von ihrem angeblichen Hoch war vergangenen Sonntag zumindest wenig zu spüren.

Keine Lust auf Belehrungen

Man löst das Problem von Diskriminierung nicht dadurch, dass man ein künstliches Sprachkonstrukt aufbaut. Viele Menschen wissen nichts von einem dritten Geschlecht und sie wollen es vielleicht auch gar nicht wissen. Sie begreifen den Sinn hinter gendergerechten Endungen nicht, weil diese Sprache ihre Lebensrealität nicht widerspiegelt. So entsteht eine Atmosphäre der Bevormundung, die eher spaltet als zusammenführt.

In der Konsequenz fühlen sich die Menschen von Parteien verprellt, die diesem Trend folgen. Die Art und Weise, wie Leute sprechen, wird immer mehr zum Statement erhoben. Wer gendert, muss ein neuer Linker sein, der mich belehren will. Wer es nicht tut, ist entweder zu dumm, das hohe Ziel der Antidiskriminierung zu verstehen oder er ist selbst einer dieser diskriminierenden Aggressoren. Viele Wählerinnen und Wähler möchten damit nichts zu tun haben. Sie scheiden aus dem demokratischen Geschäft aus oder wenden sich solchen Parteien zu, die viel mehr ihre bequemen Bedürfnisse ansprechen. Denn immerhin schreiben diese Parteien ihnen nicht vor, wie sie zu leben haben.

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