Die Lückenschließerin

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Traut sie sich, oder lieber nicht? Seit Monaten wird die Gründung einer Wagenknecht-Partei rauf- und runterdiskutiert. Wie ein penetrantes Schreckgespenst geistert diese Idee durch die Medien, die Zeitungen, die Talkshows. Konkret ist davon bisher wenig, auch wenn verschiedene Headlines im gerade zurückliegenden Sommer anderes vermuten ließen. Immer interessanter wird aber die Frage: Was passiert, wenn die neue Partei nicht kommt? Das Ende der Ikone Wagenknecht? Ein weiterer Push für die AfD? Dem Land fehlt eine durchsetzungsstarke linke Alternative. Die neue Partei, wer immer sie gründet, muss daher ein Erfolg werden.

Routiniert unkonkret

Das Sommerloch hat wieder zugeschlagen. Nachdem sich die Gerüchte um eine mögliche Wagenknecht-Partei seit mehreren Monaten hartnäckig hielten – und von der Hauptperson mitunter kräftig befeuert wurden – hatte die Presse ausreichend Zeit, sich damit zu befassen. Nun sorgten ausgerechnet exklusive Informationen der BILD-Zeitung für ein weiteres Medienbeben. Angeblich sei alles längst beschlossen, die Bekanntgabe sei nur noch eine Frage der Zeit.

Keiner der Beiträge hielt, was er versprach. Nicht einer von ihnen enthielt nennenswerte neue Informationen. Alle bereiteten sie seit Monaten bekanntes clever wieder auf. Dabei reichen die Gerüchte um einen politischen Neustart von Sarah Wagenknecht deutlich weiter zurück als zum Jahresanfang. Schon ihr Bestseller „Die Selbstgerechten“ aus dem Frühjahr 2021 machte mit erschreckender Offenheit deutlich, dass Wagenknecht mit ihrer Partei gebrochen hatte. Ihr „Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ war die Blaupause für neue politische Projekte.

Die Gründung einer neuen Partei ist daher nur die logische Konsequenz. Irgendwann begriffen das auch die Medien und so nahm man ihre zunächst sehr zurückhaltenden Äußerungen eines Tages zum Anlass, sie nach der Gründung einer eigenen Partei zu fragen. Der Geist war damit aus der Flasche. Seitdem werden die Hinweise immer konkreter, bleiben aber vage. Mittlerweile hat der Begriff „Wagenknecht-Partei“ das Potenzial, zum (Un-)Wort des Jahres gekürt zu werden.

Die Geister, die sie rief…

Fakt ist: Aus der Nummer kommt Sarah Wagenknecht nicht mehr raus. Zunächst machte alles den Anschein, als wartete die Linken-Ikone nur darauf, dass sich irgendwer anders fände, der die Gründung für sie übernehmen könnte. Sicher nicht zufällig zierte sie sich zunächst, einen entsprechenden Schritt anzukündigen. Lange sprach sie im Konjunktiv: Es gibt eine politische Leerstelle – es müsste eine neue Kraft entstehen.

Andere waren da kognitiv schneller und ließen alsbald Taten folgen. Der Vorstand der Linken erklärte öffentlich, dass Wagenknecht nichts mehr in der Partei verloren hätte. Die Journalisten nötigten Wagenknecht sodann regelrecht dazu, sich zu ihrer Idee zu bekennen.

Sie alle haben ihr Ziel gewissermaßen erreicht: Wagenknecht hat längst erklärt, dass sie für Die Linke nicht noch einmal in den Ring steigen wird, die Entscheidung über eine Parteigründung wird im Herbst fallen. Dabei ist die Sache völlig klar: Sahra Wagenknecht muss liefern, sonst ist sie selbst geliefert. Inzwischen hängt ihre Glaubwürdigkeit von der Gründung einer neuen Partei ab. Niemand würde es ihr durchgehen lassen, stellte sie sich nach den Landtagswahlen im Oktober vor die Kameras und sagte: „Ich habe leider keine Mitstreiter gefunden.“ Eher noch würde man ihr verzeihen, würde das Parteiprojekt nicht die erwünschte Durchschlagskraft entfalten.

Natürlich steht Sarah Wagenknecht unter enormem Druck. Schon einmal ist sie ein ähnliches Wagnis eigegangen und hat mit Getreuen die Sammlungsbewegung aufstehen gegründet. Nach viel Tamtam und Bohei ist der soziale Protest sogleich wieder im Keim erstickt. Wagenknecht selbst führt das heute auf ihr mangelndes Organisationstalent zurück. Nicht gerade rosige Aussichten für eine neue Partei…

Kampf der sozialen Ignoranz

Man kann von Sarah Wagenknecht halten was man will. Mit einem hat sie aber definitiv recht: Es gibt eine Repräsentationslücke in der deutschen Parteienlandschaft. Bestimmte Meinungen und Interessen sind in der heutigen Politik bestenfalls unterrepräsentiert. Um das zu ändern, dafür braucht es eine neue Partei.

Schon das Kanzlertriell 2021 hat gezeigt, dass viele Menschen mittlerweile dazu neigen, sich zwischen Pest und Cholera zu entscheiden. Olaf Scholz konnte auf den letzten Metern nur deshalb so gut aufholen, weil seine beiden Herausforderer noch viel schlechter für das Land waren – und keine Gelegenheit ausließen, das zu zeigen. Heute ist von den Siegern von damals nicht mehr viel übrig: Mickrige 23 Prozent sind mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden.

Besonders Vorhaben wie das Heizungsgesetz und die Gasumlage haben den Unmut in der Bevölkerung geschürt und der Regierung nachhaltig Vertrauen gekostet. Gerade in diesen Zeiten der sozialen Ignoranz und der entfesselten grünen Fantastereien wäre eine kraftvolle linke Opposition bitter nötig. Die Linke wird nicht müde, sich zu dieser Aufgabe zu bekennen – und vermasselt sie gehörig. Aus Angst, AfD-Wähler könnten mitlaufen, schafft es diese ausrangierte Protestpartei nicht einmal, Demonstrationen gegen die existenzgefährdende Politik der Ampel zu organisieren.

Politische Amnesie

Dabei wären doch vor allem die verführten AfD-Wähler erstes Ziel solcher Protestaufrufe. Sie haben sich aus genau den Gründen von der Politik abgewandt, gegen die sich der Protest richtet. Für eine selbstbewusste linke Opposition wäre es kein Problem, einen großen Teil dieser Wähler zurückzugewinnen und ihnen eine neue politische Heimat zu bieten. Auch Nichtwähler könnten auf diese Weise angesprochen und wieder eingebunden werden.

Stattdessen macht man es den Wählern der AfD zum Vorwurf, die Politik der demokratischen Parteien nicht zu verstehen. Getreu dem Motto „Der Wähler muss zur Partei passen“ ist man entsetzt darüber, dass viele die AfD der angeblich so offensichtlich besseren Option vorziehen. Im schlimmsten Fall geißelt man diese Wähler pauschal als rechtsextrem. Nach zehn Jahren neuem Rechtspopulismus hat leider noch immer kein Lerneffekt eingesetzt.

Es setzt sich stattdessen immer mehr der Trend durch, reflexhaft mit unhaltbaren Vorwürfen zu reagieren, wenn neue Ideen zu sehr vom Mainstream abweichen. Anders als mit fortschreitender Amnesie ist es zumindest nicht zu erklären, warum man sogar Sarah Wagenknecht ob ihrer Äußerungen in die rechte Ecke stellt. Es ist noch gar nicht so lange her, da warf man der ewig Unbequemen noch vor, sie stünde zu weit links. Ein Königreich für diese Zeiten…

Mut zum Linkssein

Die etablierten Parteien haben verlernt, die Sorgen und Ängste der Menschen ernstzunehmen. Ihnen geht es heute in erster Linie darum, ihre Ideologien und Programmatiken durchzusetzen. Früher versuchten die Parteien zumindest, ihre Parteiprogramme auf die realen Nöte der Wähler anzupassen. Momentan macht das fast ausschließlich die AfD – ihr Erfolg in den Umfragen ist das beste Zeugnis dafür.

Die Menschen im Land haben Angst vor der horrenden Inflation. Sie möchten preiswert ihre Wohnungen beheizen und für ihre Arbeit fair bezahlt werden. Das alles sind Tatsachen. Die meisten Parteien bleiben überzeugende Antworten darauf schuldig. Mit ihren Überlegungen einer Parteineugründung greift Sarah Wagenknecht exakt diese Fragen auf und stellt den plumpen Parolen der AfD eine vernünftige Alternative gegenüber.

Wenig überraschend bringt Wagenknecht dabei auch linke Konzepte ins Spiel. Das ist vielen nicht geheuer, hat man sich doch mittlerweile daran gewöhnt, dass unbequeme Töne nur noch von rechts kommen. Auf der linken Seite stehen stattdessen woke Gutmenschen, die vielen anderen zum Feindbild gereichen. Dass links davon früher auch eine Menge passiert ist, haben die meisten heute vergessen. Linke Politik ist kein Alleinstellungsmerkmal von woken Weltverbesserern und Umweltaktivisten, sondern ein Angebot an die Breite der Gesellschaft. Aber das muss Deutschland erst wieder lernen…


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Ein Schritt nach links

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Gute Nachricht für alle Zukunftsbegeisterten: Meine Kristallkugel funktioniert wieder. Auf ihrer Suche nach politischen Schlagzeilen in den nächsten Monaten ist sie schnell fündig geworden. Eine besonders vorhergesehene Nachricht muss dabei unbedingt mit der Vorwelt geteilt werden. Denn es ist tatsächlich wahr – die Wagenknecht-Partei kommt. Wer jedoch glaubte, die gute Frau schmeißt den Laden allein, der wird sich wundern. Mal schauen, ob das Ding auch die Ergebnisse der nächsten Bundestagswahl kann…

Artikel auf tagesschau.de vom 2. September 2023:

In Saarbrücken gaben eine Reihe linksgerichteter Politiker und Aktivisten heute bei einer Pressekonferenz die Gründung einer neuen Partei bekannt. Die neue Partei für Soziale Gerechtigkeit (PSG) soll all jenen Menschen eine politische Heimat bieten, die nach Ansicht der Parteigründer in den letzten Jahren „sträflich vernachlässigt wurden“. Dem Podium der Initiatoren gehörten neben den ehemaligen Linkenpolitikern Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Fabio De Masi auch eine Reihe Personen des öffentlichen Lebens und Funktionsträger von Nicht-Regierungs – Organisationen an.

Parteigründung mit Ansage

Schon lange war über die Gründung einer sogenannten Wagenknecht-Partei spekuliert worden. Die umstrittene Politikerin befeuerte diese Gerüchte immer wieder mit vagen und ausweichenden Antworten auf ihre politische Zukunft. Ihr wurde dabei wiederholt eine Nähe zum rechten Spektrum und der AfD unterstellt.

Parteimitgründer und Ehemann von Sahra Wagenknecht Oskar Lafontaine betonte bei der Pressekonferenz hingegen, dass es sich bei der neugegründeten Partei eindeutig um eine linke Partei handele. Dabei unterstrich er, dass sich die Partei insbesondere darauf konzentrieren werde, enttäuschte Wähler anzusprechen, die sich „teilweise schon von der Demokratie abgewandt haben“.

Wagenknecht fügte hinzu: „Es kann einfach nicht sein, dass immer mehr Themen der extremen Rechten überlassen werden. Es kommt einer Obsession gleich, dass alle Bereiche, die von der AfD angesprochen werden, sogleich tabuisiert werden. Unter solchen Voraussetzungen ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen denken, nur die AfD spreche die Wahrheit aus. Diesem Trend stellen wir uns entschlossen entgegen.“

Keine linke Fraktion mehr im Bundestag

Der Pressekonferenz folgte die Veröffentlichung eines gemeinsamen Gründungsmanifests, in der verschiedene Parteimitglieder der ersten Stunde zu Wort kommen. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken Heike Hänsel begründet ihren Übertritt folgendermaßen: „Die Parteien des linken Spektrums sind schon viel zu lange viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wenn solche Parteien nicht einmal dazu in der Lage sind, zu sozialen Protesten zu mobilisieren oder eine Friedensdemo zu organisieren, bin ich in solchen Gruppierungen fehl am Platz.“

Folgerichtig trat auch Parteigründerin Sahra Wagenknecht mit dem heutigen Tage aus Partei und Fraktion im Bundestag aus. Dem Parlament wird sie dennoch als fraktionslose Abgeordnete angehören, weil sie „von den Wählerinnen und Wählern einen Auftrag erhalten hat“. Die Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen und Klaus Ernst folgten Wagenknechts Beispiel und verließen ebenso die Fraktion. Anders als Wagenknecht und Dağdelen legte Ernst gleichzeitig sein Mandat nieder. Mit dem Fraktionsaustritt dreier Abgeordneter verliert Die Linke außerdem ihren Status als Fraktion im Bundestag. Die gewählten Abgeordneten bilden fortan eine Abgeordnetengruppe. Die Linke büßt dadurch zentrale Rechte im Parlament ein.

Fairer Mindestlohn und gute Arbeitsbedingungen

Auch wenn die Parteimitgründerin immer wieder betont, es handele sich bei der neuen Partei nicht um ein Projekt „Wagenknecht“, fungiert die 54-jährige Saarländerin gemeinsam mit dem Hamburger Fabio De Masi als provisorische Parteichefin. Beim ersten ordentlichen Parteitag im Dezember soll dann die Parteiführung gewählt werden. Während De Masi seine Kandidatur schon fest zusicherte, bittet Wagenknecht noch um etwas Bedenkzeit.

Im Fokus der jungen Partei steht in den nächsten Monaten die Aufstellung zur EU-Wahl im nächsten Jahr. Sie wolle alles dafür tun, damit wieder eine starke linke Kraft nach Brüssel entsandt wird. Pateigründer Lafontaine fügt hinzu: „Auch auf die Landtagswahlen im Herbst nächsten Jahres bereiten wir uns schon jetzt vor. Wir sehen gute Chancen, viele Menschen von unserem Programm zu überzeugen und überraschend gut abzuschneiden. Für eine Teilnahme bei den Wahlen in Bayern und Hessen haben wir leider die Frist verpasst.“

Gefragt zu den konkreten Zielen der Partei, waren sich die Gastgeber der Pressekonferenz einig: Man wolle für einen fairen Mindestlohn streiten, der nicht mehr von einer „realitäts- und wirtschaftsfernen Kommission“ abhängig sei. Die Partei möchte außerdem das Rentensystem grundlegend überarbeiten. Prekären Arbeitsverhältnissen wie Kettenbefristungen in der Leiharbeit sagten die Parteigründer deutlich den Kampf an. Auch für insgesamt bessere Arbeitsbedingungen und eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte möchte sich die PSG einsetzen.

Parteimitgründerin Sahra Wagenknecht ist noch ein weiterer Aspekt wichtig: „Wir haben uns ganz bewusst dazu entschieden, keine politische Ausrichtung im Parteinamen zu nennen. Trotzdem ist es in unserem Interesse, die politische Linke wieder mit positiven Assoziationen zu belegen. Die Realpolitik der letzten Jahre hat diesen politischen Begriff leider völlig entkernt.“

Gemischtes Echo

Die Resonanz auf die Parteigründung ist durchwachsen und reicht von strikter Ablehnung bis zu großer Zustimmung. Besonders aus den Reihen der Linkspartei sind kritische Töne zu hören. Parteichef Martin Schirdewan äußert Zweifel an der Notwendigkeit einer neuen linken Partei und prognostiziert ihr ein ähnliches Schicksal wie der Sammlungsbewegung „aufstehen“: „Schon mit ihrem Projekt einer Sammlungsbewegung ist Sahra Wagenknecht böse hingefallen. Eine soziale Opposition im Bundestag gibt es bereits und das ist und bleibt Die Linke.“

Auch Vertreter der SPD sind von der Parteigründung nicht begeistert. Der Abgeordnete Michael Schrodi richtet deutliche Worte an die Adresse der Parteigründer: „Sie schwafeln im Parteiuntertitel von „Frieden, Freiheit, Menschenwürde“. In Wahrheit sind das Putinfreunde, die lieber mit Kriegsverbrechern und Faschisten paktieren als mit den Demokraten in diesem Land.“*

Mehrere Polit-Experten und Politikwissenschaftler sind ebenfalls skeptisch bis zurückhaltend, was die Erfolgschancen der neuen Partei anbelangt. Joris Schwalmer vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen sieht in der Parteigründung eine Konstellation verursacht, die linke Politik in Deutschland eher behindert als fördert: „Eine harmonische Koexistenz zwischen zwei linken Parteien, die den Anspruch auf die einzig wahre soziale Opposition stellen, wird nicht möglich sein. Letzten Endes werden beide Parteien untergehen und der linken Politik damit einen Bärendienst erweisen.“

Anders sehen es hingegen viele Bürgerinnen und Bürger. In ersten Umfragen könnten sich zwischen 15 und 20 Prozent der Befragten vorstellen, die neue Partei zu wählen. Vor der tatsächlichen Parteigründung waren es noch über 25 Prozent, weswegen solche Angaben mit Vorsicht zu genießen sind. Auffallend ist jedoch, dass viele der Befürworter der PSG aus den Reihen der AfD-Wähler kommen. Schon vor drei Wochen gab jeder zweite befragte AfD-Wähler an, im Zweifelsfall auch eine von Sahra Wagenknecht gegründete Partei zu wählen.

Aus der AfD gab es zunächst keine offizielle Stellungnahme zur Gründung der PSG. Trotzdem haben die Rechtspopulisten eindeutig Konkurrenz bekommen: In einer neuen INSA-Umfrage zum Wahlverhalten bei der Bundestagswahl fiel die AfD von vormals 20 auf nun nur noch 13 Prozent. PSG – Co-Chef De Masi hat dafür eine einfache Erklärung: „Diese Menschen sind keine Rechtsextremen. Wenn man ihnen ein vernünftiges und ehrliches politisches Angebot macht, dann hören sie auch zu.“


*Der Abgeordnete erhielt dafür ein weiteres Ordnungsgeld.

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Folgenschweres Opfer

Lesezeit: 9 Minuten

Vor kurzem erschien Sandra Kaudelkas Film über die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht auf DVD. Im Film ist eine kämpferische, aber angeschlagene Frau zu sehen, die für ihre Sache einsteht. Im Film ist aber auch ein skrupelloser und intrigant geführter Machtkampf zu sehen, welcher der Protagonistin immer stärker zusetzt. Am Ende bleibt ihr nichts anderes als der Rückzug. Die Partei opfert damit eine der beliebtesten Politikerinnen des Landes – und verschanzt sich in der Einstelligkeit.

Eine runde Sache

Im März diesen Jahres, da war die Welt fast noch in Ordnung. Es gab zwar bereits massenweise Infektionen mit dem Coronavirus, ein Lockdown ließ allerdings noch ein paar Wochen auf sich warten. Man konnte noch in Restaurants gehen, auf Reisen gehen oder einen Film im Kino schauen. Zum Beispiel den Film über Sahra Wagenknecht von Sandra Kaudelka. Doch kaum war der Film über die Berlinale gelaufen, da fiel er wie vieles andere der Pandemie zum Opfer. Nun ist er auf DVD erschienen und kann ganz legal online gestreamt werden.

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In etwas über 90 Minuten begleitet der Film die Linken-Politikerin vom Wahlkampf 2017 über ihr politisches Wirken in Zeiten einer erneuten großen Koalition bis hin zu ihrem Rücktritt im Jahr 2019. Ihre Entscheidung, auf dem Parteitag im letzten Jahr nicht wieder für den Fraktionsvorsitz anzutreten, ist ein zentrales Element des Films. Gleich zu Beginn bekommt der Zuschauer Wagenknechts Ankündigung zu hören, zukünftig nicht mehr Fraktionsvorsitzende zu sein. Mit ebendiesem Moment schließt der Film auch. Er ist also eine runde Sache.

Aus den eigenen Reihen

Selbst wer nicht weiß, wer Sahra Wagenknecht ist und sie in diesem Film das erste Mal sieht, kann erahnen, worauf die Handlung des Films hinausläuft. Ihr Rückzug kommt und kam für keinen überraschend. Eindrücklich untermauert der Film, unter welchem Druck die Politikerin stand und dass ihr irgendwann gar nichts anderes übrigblieb, als hinzuschmeißen, wenn sie sich nicht komplett kaputtmachen wollte. Die Intrigen gegen Sahra Wagenknecht ziehen sich jedenfalls wie ein roter Faden durch den Film.

Tatsächlich untermauert Kaudelkas Film die ständigen Attacken und parteiinternen Intrigen gegen die Fraktionsvorsitzende als den wahren Grund für Wagenknechts politischen Rückzug. Oft sieht man sie in Interviewsituationen, in denen sie direkt auf das Mobbing in ihrer Partei angesprochen wird. Man sieht ihre Mitarbeiter, wie sie fassungslos die neueste Entgleisung der Parteiführung zur Kenntnis nehmen. Direkt nach einer besonders unverschämten Äußerung sieht man dessen Urheber Bernd Riexinger, wie er bereits drauf und dran ist, ein Statement vor der Presse abzugeben. Plötzlich rauscht seine Co-Vorsitzende Kipping ins Bild und drängt ihn mit den Worten „Wir müssen auf jeden Fall uns erst mal kurz verständigen“ weg von den Journalisten.

Wagenknecht selbst hat immer beteuert, der Grund für ihre Entscheidung seien gesundheitliche Probleme gewesen. Spätestens nach dem Film kann sich aber jeder vorstellen, woher diese gesundheitlichen Probleme kamen. Auch wenn Wagenknecht ein ums andere Mal auf ihren Gesundheitszustand verwies, Intrigen gegen ihre Person teilweise sogar herunterspielte, zeichnet dieser Film in Teilen ein anderes Bild. Allerdings ist völlig klar, dass der Film nicht ihre Krankheit in den Vordergrund rücken kann. Zu intim und viel zu voyeuristisch wäre er ansonsten geworden. Trotzdem sieht man Wagenknecht zigmal mit eindeutigen Erkältungssymptomen im Film.

Kein Fähnchen im Wind

Dass der Politikbetrieb das reinste Haifischbecken ist, verschleiert der Film nicht. Immer wieder sieht man sich in dieser Tätigkeit mit Angriffen von unterschiedlichen Seiten konfrontiert. Wer gestern noch Weggefährte war, kann einem heute eiskalt in den Rücken fallen. Sahra Wagenknecht kann davon sicher ein Lied singen. Verbogen hat sie sich trotzdem nie. Genau das hat sie mit Sicherheit auch für viele so unbequem gemacht. Sie war nie bereit, in essentiellen Fragen Abstriche zu machen, die Prinzipien dem Erfolg unterzuordnen. Ihr Kernanliegen waren stets die Interessen der sozial Benachteiligten. Sie ist eine Kraft, mit der man rechnen muss – und kann. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz hat in der Dokumentation „Rot, Rosa, Sahra“ einmal gesagt, Wagenknecht sei „das Gegenteil von opportunistisch“.

Wie ein Fels in der Brandung hat sie sich gerade in den letzten Jahren politisch bewährt. Sie spürte zwar, dass sich um sie herum vieles veränderte. Sie selbst wich von den meisten ihrer Positionen aber nicht ab. Das führte vielleicht auch dazu, dass man gerade in jüngerer Vergangenheit Schwierigkeiten hatte, sie politisch einzuordnen. In den 1990ern war sie selbst für viele Linke untragbar. Sogar Gregor Gysi hielt sie für zu links. Heute wird die DDR-Verteidigerin von damals immer öfter in die rechte Ecke gestellt. Eigentlich ein Phänomen.

Eine Partei auf Irrwegen

Und grundfalsch. Denn wer wirklich glaubt, unbegrenzte Einwanderung schütze am besten vor Diskriminierung, der hat unsere Wirtschaftsordnung nicht verstanden. Es ist Fakt, dass die unbegrenzte Zuwanderung auf dem Arbeitsmarkt zur Ausbeutung der Migranten führt. Der Druck auf die Stammbelegschaft wächst ebenfalls. Immer deutlicher bekommen Mitarbeitende zu spüren, dass ihre Arbeit auch für weitaus weniger Geld von zugewanderten Arbeitern gemacht werden kann. Das ist Gift für den Arbeitsmarkt und stört den gesellschaftlichen Frieden. Freier Internationalismus sieht wahrlich anders aus. Die Position, die Sahra Wagenknecht in dieser Frage vertritt, ist somit ein urlinker Standpunkt. Sie ist nicht bereit, sich dem linksliberalen Lifestyle zu unterwerfen, dem seit Jahren links der Union gefrönt wird.

Denn auch ihre eigene Partei ist auf Irrwegen. In einer besonders emotionalen Szene des Films wirft eine Parteigenossin Wagenknecht vor, jedwede Debatte zu unterdrücken. Dabei hat Sahra Wagenknecht doch wirklich keine Gelegenheit ausgelassen, neue Diskussionsräume zu eröffnen. Der enorme Widerspruch aus der eigenen Partei zeigt leider deutlich, dass jenseits der Union politisch wenig bis nichts zu reißen ist.

Besonders deutlich wird das an der von Sahra Wagenknecht mitinitiierten Sammlungsbewegung aufstehen. Diese Bewegung erfreut sich bis heute einer Vielzahl von aktiven Ortsgruppen in ganz Deutschland. Medial ist ihr Aufschrei aber längst verklungen. Das verwundert kaum, zeigten doch alle selbsternannten linksgerichteten Parteien der Bewegung die kalte Schulter. Selbst Mitglieder der Linkspartei warfen der Fraktionschefin vor, mit diesem Manöver die Partei spalten zu wollen. Dabei waren es doch deren eigene Eskapaden und Angriffe gegen Wagenknecht, die der Partei enormen Schaden zugefügt hatten. Denn die Demontage einzelner ist immer auch eine Teildemontage der gesamten Partei.

Kanzlerin Wagenknecht?

Sandra Kaudelka hat sich dazu entschlossen, Sahra Wagenknecht zwei Jahre lang zu begleiten und einen Film über sie zu drehen. Warum eigentlich ausgerechnet über Sahra Wagenknecht? Warum nicht über Gregor Gysi, Katja Kipping oder Wagenknechts Co-Vorsitzenden Dietmar Bartsch? Vermutlich, weil diese Politiker kaum Kinobesucher für mehr als 90 Minuten in den Kinositzen halten würden. Unbestritten ist Sahra Wagenknecht nämlich eine der bekanntesten Politikerinnen des Landes. Mit ihrer Geradlinigkeit, ihrem kühlen Kopf und fachlicher Kompetenz kommt sie bei den Bürgern gut an, vor allen Dingen weil sie die Menschen ernstnimmt. Keiner traut ihr zu, dass sie die Wählergunst als Spielball missbraucht. Selbst Angela Merkels Beliebtheitswerten kam sie zeitweise gefährlich nahe. Dass sie die Wunschkanzlerin von vielen ist, macht zumindest eine besonders begeisterte Dame im Film deutlich.

Trotzdem wurde Sahra Wagenknecht viel zu häufig übergangen. Bei der Elefantenrunde 2017 saß Parteichefin Kipping an ihrer statt neben Merkel, Schulz & Co. Dabei lässt der Film bereits nach wenigen Minuten erahnen, dass sich das auch Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht anders gewünscht hätte. Unstrittig ist, dass die Linke bei der Wahl 2017 Stimmen gewonnen hat. Unstrittig ist auch, dass die wenigsten damit zufrieden waren. Zu groß war der Erfolg der AfD, zu schwach das Durchdringen zu abgehängten Wählerschichten.

Folgenschweres Opfer

Winfried Kretschmann zeigte sich im Wahlkampf 2017 unzufrieden mit der Linie seiner Partei. Streckenweise prophezeite er den Grünen sogar weniger als 10 Prozent. Er sollte recht behalten. Als Grund dafür gab er an, die Partei verfolgte eine Politik, die völlig an den Realitäten vorbeiginge. In einer ähnlichen Position befindet sich Sahra Wagenknecht. Anstatt linksliberale Parolen zu schwingen und den Menschen von oben herab zu erklären, was sein darf und was nicht, hätten die Linken gut daran getan, in wesentlichen Punkten ihrer Fraktionsvorsitzenden zu folgen. Dann stünde die Partei heute mit 13 Prozent da, wo die AfD heute steht.

Ein Auffangen der Wählerinnen und Wähler, die enttäuscht der SPD den Rücken gekehrt haben, wäre nämlich durchaus möglich gewesen. Stattdessen hat man sich auf besserverdienende Wählermilieus aus dem Westen mit akademischer Bildung konzentriert. Den Wahlerfolg musste man sich mit den Grünen teilen. Denn noch nie hat eine Partei gewonnen, wenn sie das Original kopiert hat. Das lernen die Linken gerade bei den Grünen. Der wertkonservative Flügel der Union bekam es bereits beim peinlichen Mimikry der AfD zu spüren.

Das fortschrittliche Mitte-Links – Lager muss sich heute mit weniger als 40 Prozent der Stimmen begnügen. Das ist ein Problem. Anstatt es aber durch eine deutlich differenziertere und glaubwürdige linke Politik zu lösen, opfert man durch Intrigen und Machtspiele die einzige Politikerin, die diesen Aufbruch noch verkörpert. Eigentlich unverzeihlich.

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