Auf Stimmenjagd

Lesedauer: 7 Minuten

Es war so knapp wie nie zuvor: Das BSW scheiterte wegen weniger Tausend Stimmen am Einzug in den Bundestag. Dabei kam es in einer Vielzahl von Wahllokalen zu eklatanten Auszählungsfehlern. Einige wenige davon wurden überprüft, die meisten anderen werden konsequent ignoriert – trotz offensichtlicher Auffälligkeiten. Das BSW zieht vor Gericht. Ob die junge Partei damit Erfolg haben wird, steht in den Sternen. Klar ist aber schon jetzt, dass ein weiterer massiver Vertrauensverlust in die Demokratie bevorsteht.

Das BSW schreibt weiter Geschichte. Nach einem Parteiaufbau in Rekordzeit, einer fulminanten Serie von Wahlerfolgen im vergangenen Jahr und dem Einstieg in zwei Landesregierungen hat die etwas über ein Jahr alte Partei ein weiteres Novum geknackt. Noch nie hat eine Partei beim ersten Anlauf ein so gutes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erzielt. Noch nie zuvor ist eine Partei so knapp an der 5-Prozent – Hürde gescheitert wie das BSW. Selbst bei einer scheinbaren Niederlage lässt das BSW alle anderen alt aussehen.

Kampfansage

4,981 Prozent – so lautet das amtliche Zweitstimmenergebnis des BSW. Der Partei fehlten laut offizieller Verlautbarung gerade einmal rund 9.500 Stimmen, um auch im nächsten Deutschen Bundestag mitmischen zu dürfen. Doch schon einen Tag nach der Wahl drohte Ungemach: Die Parteispitze erklärte in der Bundespressekonferenz, man werde das Wahlergebnis in jedem Fall juristisch überprüfen lassen und wenn nötig anfechten. Was in den Medien als das letzte Aufbäumen einer gescheiterten Politexistenz vermarktet wird, könnte die deutsche Politik Monate, wenn nicht Jahre, in Atem halten.

Laut vorläufigem Ergebnis der Bundestagswahl fehlten dem BSW nämlich noch 4.000 Stimmen mehr, um ins Parlament einzuziehen. Berücksichtigt wurden dabei in der Zwischenzeit lediglich die Korrekturen vereinzelter Wahlbezirke. Wenn aber selbst eine oberflächliche Überprüfung eine Verringerung von mehr als 30 Prozent der fehlenden Stimmen bedeutet, sollte einer vollständigen Neuauszählung eigentlich nichts im Wege stehen.

Zufälle mit System

Es wurde anders entschieden. Trotz offensichtlicher Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung verwies man die Gelackmeierten auf das Instrument der Wahlprüfbeschwerde im Anschluss an die offizielle Bekanntgabe des amtlichen Wahlergebnisses. Dabei ließen schon die nachgereichten Stimmen vermuten, dass es sich um systematische Fehler handelt.

So gingen die Stimmen für das Bündnis Sahra Wagenknecht in der ersten Runde auffallend oft an das Bündnis Deutschland, das in vielen Wahlkreisen auf den Stimmzetteln direkt über der Wagenknechtpartei platziert war. Dieser Fehler mag in wenigen Einzelfällen nachvollziehbar sein. Tritt er allerdings in einer derartigen Häufigkeit wie bei der letzten Bundestagswahl auf, liegt der Verdacht nahe, dass es in vielen weiteren Wahllokalen zu einer derartigen Verwechslung kam. Aus der Luft gegriffen ist diese Vermutung jedenfalls nicht. Selbst auffällige Wahllokale wurden nicht flächendeckend überprüft. Und wer sich fragt, wer das Bündnis Deutschland ist: Von dieser Partei ist nur die Gründung vor gut zwei Jahren in Erinnerung geblieben.

In eigener Sache

Hinzu kommen weitere Ungereimtheiten, denen schnellstmöglich nachgegangen werden sollte. Weil das BSW in den meisten Wahlkreisen nur mit der Zweitstimme wählbar war, könnte es sein, dass viele seiner Wähler auf die Erststimme verzichtet haben. Bei der Auszählung bestünde dann die Gefahr, dass manche dieser Stimmzettel vorschnell als komplett ungültig gewertet wurden. Auch das ist keine haltlose Hypothese: Dieser Fehler wurde bei den lückenhaften Überprüfungen ebenfalls vielfach festgestellt.

Wenn solche eklatanten Fehler so schnell ans Licht kommen, ist es skandalös, wenn das amtliche Endergebnis ohne eine bundesweite Neuauszählung der Stimmen festgestellt wird. Dem BSW bleibt nun nur noch die Wahlprüfbeschwerde, in deren Folge der Bundestag eine Neuauszählung beschließen müsste. Dieses Instrument existiert jedoch nur auf dem Papier. Würden die im Bundestag vertretenen Parteien tatsächlich eine erneute Auszählung aller Stimmen veranlassen, liefen sie bei einem so knappen Ergebnis Gefahr, sich zusätzliche Konkurrenz ins Parlament einzuladen.

Zahnloser Papiertiger

Die Wahlprüfbeschwerde ist also schon in sich unlogisch. Zum einen kommt sie nur für solche Parteien infrage, die denkbar knapp am Einzug in den Bundestag gescheitert sind. Für Parteien mit beispielsweise 3 Prozent macht sie keinen Sinn, weil mehr als 0,1 Prozentpunkte zusätzlich nicht realistisch sind. Das BSW hingegen könnte durch eine Neuauszählung den Sprung ins Parlament doch noch schaffen. Darauf haben die übrigen Parteien bekanntlich so gar keine Lust.

Zum anderen hätte der Einzug des BSW in den Bundestag weitreichende Folgen für die angestrebte Regierung aus Union und SPD. Mit gerade einmal dreizehn Sitzen Vorsprung ist die ehemalige GroKo so knapp wie nie zuvor mehrheitsfähig. Eine zusätzliche Fraktion würde diese Regierungskonstellation definitiv die Mehrheit kosten.

Und selbst wenn die Oppositionsparteien die Regierung so sehr hassen, dass ihnen selbst das BSW lieber ist: Ohne Stimmen aus der Koalition wird eine Neuauszählung der Bundestagswahl nicht kommen. Die Wahlprüfbeschwerde sieht demokratisch aus, ist aber ein Webfehler im deutschen Parlamentarismus.

Schadensbegrenzung

Es sieht also so aus, als würde das BSW auch mit der Wahlprüfbeschwerde beim Bundestag scheitern. Für die Partei wäre das ein weiterer Rückschlag, für die deutsche Demokratie ein Desaster. Dem 21. Deutschen Bundestag würde bis auf weiteres der Makel anhaften, dass er nicht rechtskonform zusammengesetzt ist. Die angestrebte Koalition aus Union und SPD wäre immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass ihr die demokratische Legitimation fehlte.

Es sollte im ureigensten Interesse aller Abgeordneter liegen, diesen Verdacht so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen. Das wäre übrigens kein Einknicken vor einer unliebsamen Partei wie dem BSW. Es wäre ein echter Dienst an der Demokratie.

Doch Fairplay spielt bekanntlich weder für die Abgeordneten des alten noch des neuen Bundestags eine Rolle. So beriefen Union und SPD drei Wochen nach der Wahl noch flugs den gerade abgewählten Bundestag ein, um die dort vorhandene Zweidrittelmehrheit für ihre wahnsinnigen Aufrüstungspläne zu nutzen. Weil öffentliche Bundestagssitzungen das zügige Vorankommen bei den Koalitionsverhandlungen offenbar zu stören drohen, lassen die neugewählten Vertreter der gleichen Parteien rigoros die erste planmäßige Sitzungswoche des Parlaments streichen. Autoritarismus kommt eben doch nicht immer schleichend.


Auch wenn die etablierten Parteien es nicht wahrhaben wollen: Je länger sie eine Neuauszählung des Bundestags hinauszögern, desto weniger relevant wird es sein, ob das BSW tatsächlich da ganz links sitzen sollte. Noch ist der Skandal, dass fehlerhaft ausgezählt wurde und das BSW möglicherweise unrechtmäßig vom Parlamentsbetrieb ausgeschlossen wird.  Es liegt an den Abgeordneten des 21. Bundestags, ob daraus ein neuer Skandal erwächst, weil sie die Partei systematisch daran hindern, an ihr Recht zu kommen. Der Schaden an der Demokratie ist längst entstanden. 630 Menschen haben es in der Hand, wie groß er wird.

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Anschlag auf die Demokratie

Lesedauer: 7 Minuten

Ohne entschlossenes Gegenlenken könnte der Bundestag nach der nächsten Wahl mehr als 1.000 Abgeordnete zählen. Handlungsbedarf zur Reduzierung der Sitze ist daher dringend geboten. Die Ampelkoalition hat sich nun etwas ganz Besonderes überlegt: die Abschaffung von Überhang- und Ausgleichsmandaten und die Streichung der Grundmandatsklausel. Mathematisch geht ihr Plan voll auf, die Demokratie bleibt währenddessen auf der Strecke.

Bundestag ohne Bayern?

Der Bundestag ist zu groß. Das Problem ist seit Jahren offensichtlich. Schon beim Umzug ins Reichstagsgebäude Ende der 1990er-Jahre beherbergte die berühmte Kuppel 665 Abgeordnete. Heute zwängen sich regelmäßig bis zu 736 Abgeordnete in den Plenarsaal. Der Handlungsbedarf lag auf der Hand, eine Lösung ließ aber bis vor kurzem auf sich warten. Nun ist sie da, die langersehnte Wahlrechtsreform – und mit ihr jede Menge neue Probleme.

Die von der Regierungsmehrheit getragenen Fraktionen haben am 17. März im Grunde nichts anderes beschlossen als eine Schwächung der Direktmandate. Durch die Reform ist die Sitzzuteilung im Bundestag ab sofort allein vom Zweitstimmenergebnis abhängig. Die Erststimmen spielen bei dieser Frage keine Rolle mehr. Ein errungenes Direktmandat erhöht zwar die Chance, in den Bundestag einzuziehen, der Sieg in einem Wahlkreis ist aber lange keine Garantie mehr für einen Sitz im Parlament. Selbst wer seine Mitstreiter weit hinter sich lässt, kann sich fortan nicht mehr darauf verlassen, in den nächsten vier Jahren in Berlin zu sitzen.

In der Theorie bedeutet das: Eine Partei könnte alle Direktmandate eines Bundeslands gewinnen, aber keinen einzigen Sitz im Bundestag erhalten, weil ihr Zweitstimmenergebnis dazu nicht ausreicht. In der Praxis heißt das: Die CSU geht im Zweifelsfall leer aus, obwohl sie in Bayern enormen Rückhalt hat. Allein dieses bildhafte Beispiel reicht aus, um die großen Zweifel an der Reform zu verstehen.

Die Christlich-Sozialen haben bei den vergangenen Bundestagswahlen kontinuierlich schwächer abgeschnitten und müssen inzwischen darum bangen, die 5-Prozent – Hürde zu meistern. Trotzdem gewinnen sie regelmäßig die meisten Wahlkreise im größten deutschen Bundesland. Ihre personelle Repräsentanz im Bundestag dürfte damit außer Frage stehen.

Wahlkampf ohne Sinn?

Das Direktmandat ist der direkte Draht zum Wahlkreis. Die gerade beschlossene Wahlrechtsreform missachtet diesen Grundsatz, weil sie die Bindung zwischen Abgeordneten und Wählern schwächt. Die Abgeordneten werden auch in Zukunft einen Bezug zu ihren Wahlkreisen haben, aber es sind eben nicht mehr zwingend die Kandidaten im Bundestag vertreten, welche die größte Zustimmung hinter sich wissen. Viele Wähler werden sich fragen: Warum soll ich einer bestimmten Person meine Stimme geben, wenn die Vertretung meiner persönlichen Interessen damit nicht wahrscheinlicher wird?

Auf der anderen Seite werden es besonders kleine Parteien künftig schwerer haben, motivierte Kandidaten für ihren Wahlkampf zu gewinnen. Wenn absehbar ist, dass die Partei nur mit Mühe mindestens 5 Prozent der Zweitstimmen holen wird, dann macht die Performance der Direktkandidaten keinen Unterschied mehr. Kandidaten von Parteien, die im Trend liegen andererseits, brauchen sich nicht besonders abzumühen: Ihr Einzug in den Bundestag ist schon allein aufgrund des Zweitstimmenergebnisses wahrscheinlicher. Die Reform hat also auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Wahlkampf. Es besteht das Risiko politisch verwahrloster Wahlkreise, weil der Wählerwille nicht ausreichend repräsentiert wird und die Kandidaten ein demotivierendes Szenario vor Augen haben.

Immer auf die Kleinen

Völlig überraschend erweiterten die Regierungsparteien ihre Wahlrechtsreform um die Streichung der Grundmandatsklausel. Selbst die Fachpresse war von dieser Entwicklung überrumpelt. Fraktionslose Abgeordnete sind in den künftigen Bundestagen also nicht mehr vorgesehen. Nur wenn gewählte Abgeordnete ihre Fraktionen verlassen, gehören sie dem Parlament weiterhin als Fraktionslose an. Die Abbildung regionaler politischer Präferenzen wird so unterbunden.

Es ist in Zukunft nämlich völlig unerheblich, ob Parteien in bestimmten Wahlkreisen und Regionen deutlich mehr Zustimmung erfahren als im Bundesdurchschnitt. In der Geschichte der Bundesrepublik gab und gibt es Parteien, die in manchen Gegenden besonders punkten können und Wahlkreise für sich bestimmen, in anderen Gegenden aber nur die dritte oder vierte Geige spielen. Sie konnten bislang trotzdem Abgeordnete ins Parlament entsenden oder sogar eine Abgeordnetengruppe bilden.

In den 1990er-Jahren profitierte von dieser Regelung besonders die damalige PDS. Auch bei der Bundestagswahl 2021 rettete die Grundmandatsklausel der heutigen Linken den Kopf. Von jeher hatten gerade kleine Parteien durch die Klausel sprichwörtlich einen Fuß in der Tür. Auch wenn ihr Zweitstimmenergebnis nicht für die Bildung einer Fraktion ausreichte, konnten die Wählerinnen und Wähler auf ihre politischen Belange auf sich aufmerksam machen.

Der Wegfall der Grundmandatsklausel ist somit ein Anschlag auf demokratische Entwicklung und Innovation. Vor allem kleine und aufkeimende Parteien werden dadurch von Anfang an abgewürgt. Ihre Chancen, im Bundestag repräsentiert zu sein, sinken erheblich durch den Wegfall einer Regelung, die sich als überaus demokratisch erwiesen hat.

Die unvollständige Reform

Die kürzlich beschlossene Wahlrechtsreform schließt demokratische Türen, ohne an anderer Stelle neue zu öffnen. Beim Ausdruck des Wählerwillens sieht sie einseitig Einschränkungen vor. Die Erststimmen werden künftig weniger zählen als die Zweistimmen, direkt gewählte Kandidaten verpassen womöglich den Einzug in den Bundestag, regionale politische Bewegungen und Strömungen werden konsequent ignoriert. All diese Defizite lassen sich durch einfache und nachvollziehbare Maßnahmen ausgleichen.

Fällt das Direktmandat als Garantie für den Bundestageinzug weg, muss die Sperrklausel sinken. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass Parteien mit hohen Erst- aber niedrigen Zweistimmenergebnissen im Bundestag vertreten sind. Senkt man die Hürde zum Beispiel auf 3 Prozent, wäre es außerdem wahrscheinlicher, dass vorrangig Kandidaten von kleinen Parteien einziehen, die ein Direktmandat errungen haben.

Abgesehen davon, sind Direktmandate durch die neue Reform obsolet geworden. Sie spielen in der Abbildung des Wählerwillens künftig bestenfalls eine nebengeordnete Rolle. Wenn bei unseren Wahlen aber weiterhin der Gleichheitsgrundsatz gelten soll, müssen sie ganz abgeschafft werden. Nach der neuen Regelung verursachen sie einzig ein Ungleichgewicht. Solange die Balance nicht wiederhergestellt ist, bleibt die Reform unvollständig und unehrlich.


Die regierungstragenden Fraktionen haben am 17. März Geschichte geschrieben. Sie haben Schluss gemacht mit einem Wahlsystem, das überaus demokratisch war, das Parlament aber unnötig aufblähte. Mit einem Schnellschuss haben sie beide Aspekte dieses Systems überwunden. Künftige Wahlen werden dadurch nicht gerechter, sondern undemokratischer.

Mehr zum Thema:

Weniger Sitze, weniger Repräsentanz

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Krisenverlierer

Lesedauer: 9 Minuten

Die Linke hat es dieser Tage nicht leicht. Der völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine stellte ihr Russlandbild auf den Kopf. Im Raum stand sogar ein Ja zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Diese Grundsatzentscheidung lieferte neuen Zündstoff im scheinbar ewig währenden innerparteilichen Streit. Auch bei diesem Thema befasst sich die Partei lieber mit der Abstrafung einzelner Abweichler aus den eigenen Reihen, statt mit den realen Problemen der Menschen im Land. Dadurch verspielt die Partei zunehmend an Glaubwürdigkeit und kann keine überzeugenden Antworten mehr liefern. Doch gerade jetzt ist eine starke Linke mehr gefragt als je zuvor…

Kurskorrektur extrem?

Der Krieg in der Ukraine stellt Die Linke erneut vor eine harte Bewährungsprobe. Konsequent stellte sich die Partei gegen jede Form von Kriegsbeteiligung und Waffenlieferungen. Ihr besonderes Verständnis für Russland brachte sie immer wieder in Bedrängnis. Ein ums andere Mal verwiesen Mitglieder der Partei auf die amerikanischen Verfehlungen und deren kriegerischen Verstrickungen im Nahen Osten.

Nach Putins völkerrechtswidrigem Einmarsch in die Ukraine soll nun alles anders sein. Der ehemalige Parteichef Gregor Gysi zeigte sich wohlwollend gegenüber den Plänen der Bundesregierung und der Oppositionsführerin Union hinsichtlich des weiteren Umgangs mit der Ukraine und Russland. Von ihrer grundsätzlichen Ablehnung von Waffenexporten wich die Partei trotzdem nicht ab. Sie hält fest an dem Grundsatz, dass sich Deutschland nie wieder an Kriegen beteiligen dürfe.

Harte Worte

Eine Handvoll Abgeordnete der Linken waren über Gysis Appell dermaßen empört, dass sie im Anschluss an die Abstimmung im Bundestag eine Erklärung abgaben, in der sie auf eine Mitverantwortung der NATO an der entstandenen Situation hinwiesen. In einem Brandbrief reagierte Gregor Gysi auf diese Stellungnahme. Er zeigte sich entsetzt über „die völlige Emotionslosigkeit“ des sogenannten Wagenknecht-Lagers.

Einmal mehr ist ein offener Streit in der Partei Die Linke entbrannt. Dieses Mal geht es nicht um Koalitionsfragen oder das Gendern. Es geht um eine Grundsatzfrage der demokratischen Sozialisten: Wollen sie die NATO weiterhin grundlegend ablehnen und Waffenlieferungen für alle Zeiten ausschließen? Es geht dieses Mal aber auch um die Existenz einer Bundestagsfraktion.

Ein hoher Preis

Die Linke zog im vergangenen Jahr mit Ach und Krach in den Bundestag ein. Bereits am Wahlabend sackte sie in Hochrechnungen unter die 5-Prozent – Hürde. Sie verdankt es drei Direktmandaten, dass sie überhaupt eine Fraktion bilden kann. Es reicht aus, wenn drei Mitglieder die Fraktion verlassen, damit die Partei den Fraktionsstatus verliert und ein Dasein als Abgeordnetengruppe fristen muss. Dann nämlich würde die Anzahl der in den Bundestag eingezogenen Mitglieder weniger als 5 Prozent der Gesamtzahl der Parlamentarier ausmachen.

Dieses Szenario ist nach dem Eklat um die Wagenknecht-Erklärung und Gysis Reaktion darauf nicht unwahrscheinlich. Der Linken-Ikone Wagenknecht wurde in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten der Parteiaustritt nahegelegt. Sowohl Feinde von linker Politik als auch deren Unterstützer sahen für Sahra Wagenknecht keine Perspektive in der Partei. Sie attestierten eine zunehmende Entfremdung zwischen der Politikerin und ihrer Partei.

Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang auch das angestrebte Parteiausschlussverfahren gegen Sahra Wagenknecht im letzten Frühjahr. Einzelne Mitglieder der Partei reagierten damit auf das damals gerade erschienene Buch der Abgeordneten, in dem sie heftige Kritik an der politischen Linken und deren Umgang mit bestimmten politischen und gesellschaftlichen Fragen übte. Es bleibt abzuwarten, ob eine solch opportunistische Entrüstung erneut gegen Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützer hereinbricht. Ihr Mann Oskar Lafontaine ist einem drohenden Parteiausschluss inzwischen zuvorgekommen: Er trat in der zurückliegenden Woche aus der Partei aus.

Chance für die Kleinen

In den letzten Jahren reihte sich an eine Krise an die andere. Die Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU) war überschattet von Ereignissen, die das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in die Politik nachhaltig erschüttert hat. Dass sich die ehemalige Kanzlerin gleich dreimal in ihrer Amtszeit für eine Große Koalition entschied, hat diesem Trend sicher nichts entgegengesetzt. Volksparteien können in schwierigen Situationen eine politische Heimat bieten und in der Krise effektiv zusammenarbeiten. Wenn diese Kollaboration allerdings zu einem Dauerzustand wird, verlieren die großen Parteien an Schärfe und Profil. Die Wählerinnen und Wähler wenden sich dann lieber den kleineren Parteien zu, von denen sie sich einen Kurswechsel erhoffen.

An keiner anderen Partei kann man dieses Phänomen in den letzten Jahren so gut beobachten wie bei der AfD. Die Partei war kaum aus der Taufe gehoben, da rannten ihr enttäuschte Wähler die Bude ein. Manche von ihnen haben das Vertrauen in die etablierten Parteien für immer verloren, auch Die Linke konnte ihnen kein politisches Angebot machen.

Das letzte Mal, dass diese Partei ihr Profil wirklich schärfen und neue Wählerinnen und Wähler hinzugewonnen konnte, war die Finanzkrise ab dem Jahr 2008. Bei der Bundestagswahl 2009 fuhr Die Linke mit knapp unter 12 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis ein.

In die rechte Ecke

Heute ist die Partei von einem solchen Traumergebnis meilenweit entfernt. Die Herausforderungen durch den großen Flüchtlingsstrom ab 2015 bot dieser Partei massenweise Ansätze, um zu ihrer alten Stärke zurückzufinden. Trotzdem wirkte sie auf viele Wahlberechtigte wenig vertrauenswürdig. Die Wählerinnen und Wähler entschieden sich stattdessen für andere Parteien – allen voran die AfD.

Es wäre mit linker Politik nicht vereinbar gewesen, hätte die Partei damals die Schließung sämtlicher Grenzen gefordert. Viele schlossen daraus aber, es wäre die beste Lösung, die Arme aufzureißen und alle Geflüchteten unreflektiert ins Land zu lassen. Das war genau so naiv und kurzsichtig wie jegliche Kritik an dieser Art der Flüchtlingspolitik sogleich in die rechte Ecke zu verbannen. Man darf sich über steigende Wahlergebnisse der AfD nicht wundern, wenn man einen beträchtlichen Teil der Wähler dort sehen möchte.

Krisenverlierer

Seit Jahren spielen die realen Probleme der Menschen im Land für viele Linke nur noch eine untergeordnete Rolle. Anträge zu diesen Themen werden zwar regelmäßig in den Bundestag eingebracht, trotzdem wenden sich immer mehr Wählerinnen und Wähler ab. Sie kennen beide Gesichter der Partei: einerseits die Verfechterin für soziale Gerechtigkeit und die Heimat für Abgehängte und Entrechtete, andererseits den moralischen Zeigefinger, der bestimmte Äußerungen und Verhaltensweisen tabuisiert. Beides gleichzeitig geht nicht. Die Linke muss sich endlich entscheiden, welchen Weg sie geht. Die ständigen Richtungsstreitereien verprellen die Wählerschaft umso mehr.

Auch in der Zeit der Coronapandemie blieb Die Linke erschreckend lange stumm und farblos. Auch nach zwei Jahren mit SARS-Cov-2 ist kein klarer Kurs erkennbar. Einerseits stimmt man in den Kanon einer aggressiven Impfkampagne mit ein, andererseits verheddert man sich in den kontroversen Aussagen einzelner Parteimitglieder.

Das gleiche gilt für die Haltung in der wieder entflammten Ukrainekrise. Man ist bereit, viele Prinzipien über Bord zu werfen, um sich von einer besonders lauten und medienwirksamen Minderheit in der Partei abzugrenzen. Diese Abgrenzung führt aber zu keiner eigenen Positionierung, sondern direkt in die Arme des politischen Mainstreams. Es ist daher kein Wunder, dass sich immer weniger Menschen ernsthaft vorstellen können, diese Partei zu wählen.

Massenweise Ansätze

In den Umfragen liegt Die Linke derzeit bei teilweise unter 5 Prozent. Selbst kurz vor der letzten Bundestagswahl lag sie höher und fuhr am Wahlabend trotzdem ein desaströses Ergebnis ein. Dabei ist eine parlamentarische Linke wichtiger als jemals zuvor. Die traditionell linksorientierten Parteien SPD und Grüne verabschieden sich immer mehr von klassischen linken Themen. Von ihnen ist in der laufenden Legislaturperiode kein großer Wurf in puncto soziale Gerechtigkeit zu erwarten, erst recht nicht mit der FDP in der Regierung.

Statt sich mit der nachhaltigen Bekämpfung des Pflegekräftemangels zu beschäftigen, begründet die Bundesregierung die katastrophale Lage in deutschen Krankenhäusern mit externen Faktoren wie der hohen Corona-Inzidenz und einer ausbaufähigen Impfbereitschaft. Sie verschwendet keinen Gedanken daran, dass hinter den unhaltbaren Zuständen grundsätzlich schlechte Arbeitsbedingungen, zu geringe Löhne und eine Impfpflicht steckt, welche die Lage zusätzlich verschärft.

Dazu kommt die weitere Ausbreitung prekärer Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit, Kettenbefristung und Mini-Löhne, die garantiert in die Altersarmut führen. Gut zwei Drittel der jungen Menschen haben Angst davor, im Alter in die Armut zu rutschen. Besonders betroffen davon sind die Frauen. Linke Politik könnte sie hier effektiv abholen und im demokratischen Gefüge integrieren.

Auch die drohende Explosion der sowieso schon steigenden Heiz- und Energiekosten sind ein Thema, das linke Parteien unbedingt aufgreifen sollten, weil sie darauf potentiell gute Antworten geben können. Doch in all diesen Bereichen übertönt sich Die Linke durch innerparteiliche Querelen und Auseinandersetzungen selbst. Sie ist heute für viele eine Partei mit durchaus respektablen Ansichten, charismatischem Personal, aber einem enormen Glaubwürdigkeitsproblem. Die jüngsten Entwicklungen deuten eher darauf hin, dass die Partei dieses Problem so schnell nicht in den Griff bekommen wird und demnächst in die politische Bedeutungslosigkeit verschwinden könnte.


Mehr zum Thema:

Kritik von links

Wie die Linken die Menschen rechts liegenlassen

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!