Politischer Neustart gesucht

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Die Demos gegen Rechts reißen nicht ab. Woche für Woche gehen zigtausende Menschen auf die Straße, um klare Kante zu zeigen gegen rechte Hetze, Radikalismus und Deportationsfantasien. Die Demos stellen eindrucksvoll unter Beweis, wie stark sich weite Teile der Bevölkerung mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit identifizieren. Die Umfragewerte der AfD berührt das bisher nur peripher. Trotz der bekanntgewordenen Pläne zur sogenannten „Remigration“ von Menschen halten viele der AfD weiterhin die Stange. Hoffnung setzen viele in das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Ob die neue Partei die extreme Rechte wirklich schwächen kann, hängt davon ab, wie überzeugend sie ihr Programm und ihren neuen politischen Stil insbesondere gegenüber den Nichtwählern vertritt.

Die AfD halbieren?

Seit Monaten wird darüber spekuliert, was das neue BSW politisch in Deutschland bewirken kann. Wird es einen Politikwechsel geben? Schließt sich die Repräsentationslücke? Halbiert das Bündnis die AfD? Besonders ans letzterer Frage scheiden sich die Geister. Während manche in der Wagenknechtpartei nichts weiter sehen als neuen populistischen Ballast, glauben manche in der einstigen Linken-Ikone eine politische Heilsbringerin zu erkennen.

Die Umfragewerte der neuen Partei können sich jedenfalls sehen lassen. Schon seit letztem Sommer kursieren Stimmungswerte, die dem Bündnis teilweise mehr als 20 Prozent an Wählerzustimmung attestieren. Das ist insoweit fraglich, da vor einem guten halben Jahr noch nicht einmal feststand, ob die neue Partei überhaupt kommt. Klar wurde dadurch nur: Es gibt Bedarf an einer neuen politischen Akteurin.

Ein realistisches Bild

Seit Gründung des Vorgängervereins und schließlich der Partei ist die Lage nicht mehr so klar. Zwar gibt es immer noch Umfragen, die der Partei eine Zustimmung im deutlich zweistelligen Bereich bescheinigen, andererseits setzt allmählich eine Ernüchterung ein. Für die Thüringen-Wahl im nächsten Herbst beispielsweise klaffen die Prognosen besonders weit auseinander. Während manche Umfragen auf BSW-Werte von 17 Prozent kommen, schafft es die neue Partei in anderen Befragungen nicht einmal über die 5-Prozent – Hürde.

Auch auf Bundesebene scheint sich die Einstelligkeit zu verfestigen. Die Erfolgsaussichten des BSW schmälert das nur bedingt. Die Ergebnisse sind nach dem Gründungsparteitag und dem Bekanntwerden konkreter programmatischer Punkte lediglich realistischer geworden. Dass eine Partei aus dem Stand ein Fünftel der Wähler anspricht, wäre unglaubwürdig und wenig demokratisch gewesen. Für die Umfragewerte gilt vermutlich das gleiche wie für die Partei selbst: Sie wachsen langsam.

Abgestempelt

Obwohl viele von den EU-Wahlen im Juni sprechen, ist es bis dahin noch mehr als drei Monate hin. Sobald die Wahlen noch näherrücken und der Wahlkampf so richtig an Fahrt aufgenommen hat, wird es wahrscheinlich spürbare Veränderungen bei den Zustimmungswerten geben. Bislang zumindest ist von einer Halbierung der AfD durch das BSW wenig zu spüren. Viele sprechen von einer Stammwählerschaft, die für demokratische Alternativen nicht mehr zu gewinnen ist.

Auch hier wird die Zeit zeigen, was in der neuen Partei und vor allem in den bisherigen AfD-Wählern steckt. Denn durch brillante Ideen und großartige Inhalte hat sich die AfD bisweilen nicht hervorgetan. Stattdessen bietet sie ein Forum für verständliche Unzufriedenheit und Verärgerung auf die etablierten Parteien. Ihre Wähler als unrettbar verloren und ewig rechts zu geißeln, ist vermessen und viel zu kurzsichtig. Es ist diese Vorverurteilung, die sie von der selbsterklärten demokratischen Mitte immer weiter wegtreibt.

Eine demokratische Tragödie

Darum ändern auch die zahlreichen Demos gegen Rechts kaum etwas an den Umfragewerten für die AfD.  Wer heute AfD wählt, fühlt sich von den Protesten nicht angesprochen, weil solche Wähler natürlich nicht für die Deportation von Menschen stehen. Es ist eine demokratische Tragödie, dass sie so viele Jahre der AfD überlassen wurden und der einzige Weg zurück zu einem völligen Gesichtsverlust führt, weil man sich eingestehen muss, dass man einer Partei gefolgt ist, die Menschen in Lager stecken will.

Die meisten heutigen AfD-Wähler werden sich bestimmt nicht die Blöße geben, nun doch wieder etabliert zu wählen. Eher noch gehen sie dahin zurück, wo sie herkamen: zu den Nichtwählern. Und tatsächlich befinden wir uns in Deutschland mittlerweile in einer Situation, wo man um jeden dankbar sein muss, der lieber nicht wählt, statt zur AfD überzulaufen. Mehr Politikversagen geht kaum.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Die hohen Umfragewerte der AfD entsetzen viele deshalb, weil sie lange Zeit einem gewaltigen Irrtum aufsaßen. Wenn die SPD bei der letzten Bundestagswahl rund 26 Prozent erzielt, dann steht dieses Ergebnis immer in Relation zu allen abgegebenen Stimmen. Nichtwähler werden nicht berücksichtigt. Und ebenso wie sie bei den Wahlen aus dem Raster fallen, so hat man sie auch gesellschaftlich viel zu lange aus dem Blick verloren. Keinen scherte es, dass teilweise deutlich über 20 Prozent der Wahlberechtigten zu Hause blieb. Dieses enorme demokratische Potenzial ist von den etablierten Parteien kaum noch zu erreichen – dafür aber von Protestparteien wie der AfD.

Es gibt keinen besseren Zeitpunkt, die Menschen von der AfD zurückzugewinnen als jetzt. Wenn allen Ernstes über die Deportation von Migranten diskutiert wird, ist eine Grenze erreicht. Die etablierten Parteien bringen’s nicht, darum könnte das BSW als neue politische Kraft gute Chancen haben, Enttäuschte und Frustrierte wieder in den demokratischen Diskurs einzubinden. Das bisherige Gebaren der neuen Partei lässt zumindest hoffen, dass sie für einen grundsätzlich anderen Politikstil steht.

Aber das BSW ist mehr als nur eine Anhäufung von Versprechen, die den Nichtwählern schon so oft gemacht wurden. Der Gründungsparteitag am 27. Januar hat gezeigt, dass die neue Partei alles andere ist als ein Sammelbecken gescheiterter Politiker. Im BSW engagieren sich erstaunlich viele Quereinsteiger, die mit Politik bislang wenig am Hut hatten. Das sendet ein wichtiges Signal an solche Menschen, die den Wahlen sonst fernblieben. Anders als die AfD verharrt das BSW nicht in der Empörung. Es steht viel mehr für einen politischen Neustart und weckt Hoffnung in den Menschen, dass auch sie die Kraft haben, etwas zu verändern.

Ein Schritt nach dem anderen

Das BSW ist noch keine zwei Monate alt, da beherrschen schon Koalitionsfragen die Debatte. Überraschend ist das nicht: 2024 stehen wichtige Wahlen an. Im Juni wird das EU-Parlament gewählt und im Herbst finden gleich drei Landtagswahlen in Ostdeutschland statt. Natürlich ist es interessant, welche Ambitionen die neue Partei bei diesen Wahlen hat.

Die Signale aus den anderen Parteien sind jedoch alles andere als hoffnungsvoll. Es wird also erst einmal auf die Oppositionsrolle hinauslaufen. Je stärker das BSW in der Opposition abschneidet umso besser. Denn insbesondere eine starke Opposition kann den Diskurs im Land verändern – die AfD ist ein beeindruckendes Negativbeispiel dafür.

Und auch wenn die Medienberichte anderes vermuten lassen: Sahra Wagenknecht steht nicht für jede beliebige Koalition zur Verfügung. Gedankenspiele zur Zusammenarbeit mit der CDU sind rein hypothetischer Natur und belegen stattdessen: Nur Inhalte übereinander legen reicht nicht aus. Viel wichtiger ist es, dass in den etablierten Parteien ein Sinneswandel zustandekommt. Wenn sie ihre Positionen und Ideen wieder so ausrichten, dass sie der Breite der Bevölkerung zugutekommen, ist der Zeitpunkt gekommen, um über Koalitionen zu sprechen.

Eines darf man nicht vergessen: Das BWS findet besonderen Anklang bei Menschen, die von der Politik enttäuscht sind oder sich schon abgewendet haben. Deren Interessen sind bei möglichen Koalitionen unbedingt zu beachten. Sollten sie die neue Partei wählen, ist ihr Vertrauen ein ganz besonders wertvolles Gut. Munteres Koalieren um jeden Preis wird solche Wähler wieder verprellen und sie noch weiter von der Parteiendemokratie entfremden. Nur den extremistischen Kräften wäre damit gedient.


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Noch achtzehn Tage bis zur Parteigründung: Mit ihrer gerade entstehenden Partei will Sahra Wagenknecht die politische Landschaft aufmischen. Damit bürden sich die Parteigründer jede Menge auf. Sie wollen möglichst vielen enttäuschten Wählern eine politische Heimat bieten, egal aus welcher politischen Richtung es sie zum neuen Bündnis verschlägt. Den Medien passt das gar nicht. Sie haben sich in den letzten Jahren an die Schublade gewöhnt und sehen in dem neuen Projekt nichts weiter als ein Sammelbecken für chronisch Frustrierte. Dass mit der neuen Partei der etablierte Politikstil grundsätzlich in Frage gestellt wird, kommt in der Berichterstattung oft zu kurz.

Sahra Wagenknecht ist eine Rechte. Seit Jahren versuchen verschiedene Medien, die einstige Linken-Ikone in die Nähe der AfD zu rücken. Manchmal haben sie damit Erfolg. Denn Sahra Wagenknecht provoziert und polarisiert. Das ist vielen nicht geheuer, hat sich doch die linke Seite des politischen Spektrums zu harsche Kritik an den Regierenden schon vor Jahren abgewöhnt. Sahra Wagenknecht will nicht ins Raster passen. Kein Problem für die Medien, denn: Was nicht passt, wird passend gemacht.

Einschlägige Besetzung

Nun hat Sahra Wagenknecht vor einigen Wochen einen bemerkenswerten Schritt gemacht. Mit einigen Getreuen hat sie einen Verein gegründet, der eine Parteigründung im Januar unterstützen soll. Mit ihr verließen neun weitere Bundestagsabgeordnete die Partei Die Linke. Neben Wagenknecht saßen bei der Vereinsvorstellung bei der Bundespressekonferenz unter anderem Amira Mohammed-Ali und Christian Leye auf dem Podium. Angesichts dieser einschlägigen Besetzung fiel es den Journalisten sichtlich schwer, von einem rechten Bündnis zu sprechen, ohne sich dabei der Lächerlichkeit preiszugeben. Manche taten es dennoch.

In einigen Berichterstattungen war von einer linken Sozialpolitik die Rede, die auf eine rechte Migrationspolitik trifft. Solch obskure Einordnungen werfen Fragen auf. Viele wollen von Sahra Wagenknecht wissen: Wo soll es hingehen? Nach links oder nach rechts?

Koalition mit der CDU?

Die sonst so wortgewandte Politikerin bleibt hier beharrlich unkonkret. Immer wieder weist sie darauf hin, dass die meisten Bürger mit solchen politischen Labels schon lange nichts mehr anzufangen wüssten. Einst bedeutende Leitplanken für die politische Orientierung, wurden diese Begriffe mittlerweile so überdehnt, dass offenbar keine Einigkeit mehr besteht, was sie eigentlich bedeuten. Das heißt in der Konsequenz: „Links“ und „grün“ werden auch in Zukunft synonym verwendet. Schade.

Doch nicht jeder Journalist gibt sich mit solchen Ausflüchten zufrieden. Auf die Frage, wo in den Parlamenten die neue Wagenknecht-Partei denn sitzen würde, antwortete dessen vorläufige Namensgeberin im Gespräch mit dem Autor Marc Friedrich knapp, sie sähe sich am ehesten in der Mitte. Es ist immerhin der Anspruch der neuen Partei, die Mitte der Gesellschaft zu repräsentieren. Dass sich Wagenknecht im Zweifelsfalle auch eine Koalition mit der CDU vorstellen kann, dürfte vielen Erzlinken für einen Moment die Sprache verschlagen haben.

Richtungsentscheidung

Vermutlich ist es zu früh, um über Koalitionen zu spekulieren, wenn einer der Koalitionspartner noch nicht einmal gegründet wurde. Und mit Sicherheit ist es ebenso vorschnell, über ein Parteiprogramm zu diskutieren, das es noch gar nicht gibt. Eckpunkte dafür liefert jedoch die Website des von Wagenknecht und Co. gegründeten Vereins. Wie zu erwarten war, spricht sich der Verein für ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und für eine diplomatische Lösung des Kriegs aus. Außerdem kritisiert er die Verengung des zulässigen Meinungskorridors. Die neue Partei soll sich für Vernunft und Gerechtigkeit einsetzen.

Besonders dieser letzte Punkt brachte dem Verein viel Kritik ein. Zugegeben wäre es auch ziemlich absurd, eine Partei zu gründen, die sich für Ungerechtigkeit und Idiotie einsetzt. Erstens wäre damit den Bürgern im Land überhaupt nicht gedient und zweitens sitzen solche Parteien schon in der Regierung.

Partei der Beliebigkeit?

Im Urteil zur neuen Partei sind sich viele Berichterstattungen einig: zu pauschal, zu wenig greifbar, zu unkonkret – als hätte man sich in den letzten Monaten durch zahllose Interviews mit Sahra Wagenknecht nicht ein umfassendes Bild über ein mögliches Parteiprogramm machen können. Stattdessen wirft man ihr vor, die genannten Schwerpunktthemen könnten auch von jeder anderen Partei vertreten werden.

Auch nach jahrelanger Übung haben es manche Journalisten noch immer nicht begriffen: Politiker lassen sich nicht so leicht festnageln – und schon gar nicht Sahra W.. Die Frage nach Details eines imaginären Parteiprogramms und der politischen Orientierung einer gerade entstehenden Partei greift viel zu kurz. Längst sollte klar sein, dass Wagenknecht etwas viel größeres vorhat. Die von ihr immer wieder kritisierte Repräsentationslücke im Parteienspektrum hat viel mit dem Versagen der einstigen Volksparteien zu tun. Aus der Nische heraus konnte Wagenknecht bis zuletzt kaum etwas erreichen. Nun wendet sie sich einem neuen Projekt zu: Sie will die Volkspartei.

Zurück zur Volkspartei

Wieder einmal schwimmt Sahra Wagenknecht gegen den Strom. Das Totenglöckchen der Volksparteien läutet, da entdeckt sie ihr Herz für diese interessensübergreifende Formation. Denn der Trend geht eindeutig in Richtung Partikularisierung. Eine unbedachte Äußerung reicht heute aus, um in eine völlig falsche Schublade gesteckt zu werden. Als die Volksparteien die politische Landschaft noch dominierten, war das anders. Hier versammelten sich viele Verschiedendenkende um ein politisches Epizentrum, das die Stoßrichtung vorgab.

Nicht alle Wähler solcher Parteien waren vom kompletten Wahlprogramm überzeugt. Die 40 Prozent der Union waren nicht alles Nationalisten. Ebenso wenig hatten die Wähler der SPD in den 70er-Jahren das Ziel, den Kapitalismus lieber heute als morgen zu überwinden. Sie trauten der Partei ihrer Wahl aber zu, dass diese die Herausforderungen der Zeit meistern kann.

Heute ist das anders. Entweder man wählt zwischen Pest und Cholera oder man ist fanatischer Stammwähler. Abweichende Meinungen werden von den Kleinparteien weniger toleriert – sie kommen eben aus der Nische. Diese Vielfältigkeit an Meinungsströmungen kann Vorteile haben. Sie kann aber auch Menschen verprellen, die sich nicht so genau mit den Parteiprogrammen beschäftigen wollen. Viele Menschen wollen schlicht eine vernünftige Partei, die für viele wählbar ist. Genau diese Leerstelle hat Wagenknecht im Visier.

Raus aus der Nische

In den letzten Jahren war viel zu hören von den berüchtigten politischen Rändern. Diese wurden erst dann so stark, als die Volksparteien immer schwächer wurden. Das verwundert kaum: Es war schon immer Sinn und Zweck von Volksparteien, ein möglichst breites Spektrum an Meinungen zu bündeln. Wie ein Magnet hielten sie dabei auch Randpositionen in Schach. Was passiert, wenn sich die Magnete zu stark annähern und dadurch ihre Anziehungskraft verlieren, war bei beiden großen Volksparteien zu sehen. Es kam zu Abspaltungen auf der linken und rechten Seite. Deren Anziehungskraft kennt jedoch nur eine Richtung. Schnell können solche Parteien zu Sammelbecken für Extremisten werden.

Sahra Wagenknecht hat daraus anscheinend gelernt. Wie eine Volkspolitikerin spricht sie davon, die Mitte der Gesellschaft repräsentieren zu wollen. Sie hat begriffen, dass eine zu offensichtliche Schwerpunktsetzung nicht zum Erfolg führt und nur begrenzt etwas bewegen kann.  Stattdessen möchte sie möglichst viele Wähler aus verschiedenen sozialen Schichten und mit unterschiedlichen Biographien in einer Partei vereinen.

Sie hat sich damit eine Menge vorgenommen. Denn eine Volkspartei gründet man nicht so nebenbei. Andererseits könnte ihr neues Engagement auch voll aufgehen. Immerhin bietet sie ihren potenziellen Wählern nicht nur ein inhaltliches Programm, sondern einen alternativen Politikstil. Damit schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Denn mit diesem Konzept könnte sie sowohl die etablierten Parteien wie auch die AfD Wähler kosten. Erstere haben ein Programm, aber keinen Wumms. Letztere haben Wumms, aber kein Programm. Die Gründung dieser neuen Partei ist quasi naheliegend.


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In Deutschland gilt die Meinungsfreiheit. Jeder kann das sagen, was er will. Aber diese Vielfalt an Meinungen wird nicht immer adäquat repräsentiert. Von einseitiger Berichterstattung und einer Verengung des zulässigen Meinungskorridors ist die Rede. Besonders häufig betroffen sind Themen, die sich um soziale Gerechtigkeit, Diplomatie und Frieden drehen. Das ist angesichts einer konservativ und wirtschaftsliberal geprägten Opposition nicht verwunderlich.

Es rumort in der deutschen Bevölkerung. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, nicht verstanden zu werden oder mit ihren Problemen auf taube Ohren zu stoßen. Seit Jahren gilt es als chic, wenn man von einem Abbau der Meinungsfreiheit, einer Einschränkung der freien Rede oder sogar von Diktatur spricht. In Zeiten von Pegida und Querdenkern hatten diese zugegeben sehr vernehmbaren Vorwürfe Hochkonjunktur.

Eine Republik diskutiert

Wir leben nicht in einer Diktatur. Es gibt in diesem Land freie Wahlen, Machtwechsel sind jederzeit denkbar. Und es gibt zu vielen Themen lebendige Debatten. Wenn darüber diskutiert wird, wie künftig mit Menschen umgegangen werden soll, die containern gehen, dann bewegt das die Menschen. Es geht nämlich um weit mehr als einen möglichen Hausfriedensbruch und mögliche Eigentumsdelikte. Es geht um die grundsätzliche Frage, was mit Lebensmitteln geschieht, die nicht den Schönheitsidealen aus der Werbung entsprechen oder die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Es ist ein Thema, das alle in irgendeiner Art und Weise betrifft.

Ähnliches gilt bei der Freigabe von Genusscannabis. Auch wenn hier nicht alle Bürger unmittelbar betroffen sind, haben die meisten dazu eine Meinung. Über diese wird dann munter diskutiert. Das Thema macht Schlagzeilen, füllt ganze Seiten und landet auf den Titelseiten von politischen Magazinen. Man nähert sich einem Ja oder Nein, die Meinungen gehen zwangsläufig weiter auseinander als beim Containern.

Für heftige Debatten sorgte auch das Selbstbestimmungsgesetz, das unter anderem die Änderung des Geschlechtseintrags im Ausweis vereinfacht. Vielen im Land ging diese Art der Liberalisierung zu weit und sie taten laut ihre Meinung kund. Andere Kreise wiederum hielten entschieden dagegen und warfen der Gegenseite Homo- und Transphobie vor. Sie taten das in einer Weise, welche die Realität der Debatte nicht wiedergab. Viel zu laut waren dafür die Stimmen aus den Reihen der Kritiker.

Kein politischer Rückhalt

Als es um das Sondervermögen für die Bundeswehr und Waffenlieferungen an die Ukraine ging, war das lange Zeit anders. Hier gelang es den Befürwortern, abweichende Meinungen mit teilweise absurden Vorwürfen niederzubrüllen und die wahrnehmbare Kritik an dem Vorhaben möglichst kleinzuhalten. Dabei waren nicht wenige Menschen im Land völlig anderer Meinung. Der Unterschied zwischen den oberen und dem unteren Beispiel: Beim Thema Aufrüstung hatten die Skeptiker eine viel schwächere politische Repräsentanz als bei der Cannabislegalisierung und dem Selbstbestimmungsgesetz.

Denn geht es um sicherheitspolitische Ausgaben und um Aufrüstung, dann haben konservative und rechte Parteien grundsätzlich kein großes Problem damit. Das ist in der aktuellen Themensetzung deutlich zu spüren. Denn ein Rechtsruck in der Politik ist nicht von der Hand zu weisen. Jahre der AfD-Oppositionsführung haben diesem Land nicht gutgetan. Wie selbstverständlich spricht man heute über mehr Geld für Waffen und vernachlässigt dafür andere wichtige innenpolitische Themen.

Auch wenn sich die extreme Rechte in diesem Land häufig gegen eine militärische Unterstützung des Kriegs in der Ukraine positioniert, macht sie das nicht automatisch zu Pazifisten. Sie können es schlicht nicht ertragen, dass ihre Brüder im Geiste eins auf die Mütze bekommen. Das ist Selbstgerechtigkeit und keine Friedensliebe.

Klare Themensetzung

Die aktuelle Bundesregierung macht vieles falsch. Immer wieder belegt sie ihre völlige Inkompetenz und trifft fatale politische Entscheidungen. Der Widerspruch wird dann besonders laut, wenn es um die Rechte von Transmenschen geht, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen diskutiert wird oder die Legalisierung von Cannabis ins Haus steht. Droht ein Zusammenstreichen der Kindergrundsicherung, begeben sich tagtäglich zig Geringverdiener, Arbeitslose und Rentner auf Pfandflaschensuche oder erfrieren jeden Winter unzählige Obdachlose in deutschen Großstädten, flammt eine kurze Empörung darüber auf, die sogleich wieder abebbt. Das ist die logische Folge einer wirtschaftsliberal und konservativ geprägten Opposition und Zeugnis einer grotesk schwachen Linken.

Eine echte linke Opposition gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Die Debatten über Pfandflaschen, Obdachlose und arme Kinder werden nur am Rande geführt und sind sehr viel leiser als die Rufe nach Kriegstüchtigkeit und börsendominierter Rente. Soziale Gerechtigkeit verkommt immer mehr zum Nice-to-have.

Zeit für was Neues

Keine der im Bundestag vertretenen Parteien tritt glaubwürdig für Frieden und soziale Gerechtigkeit ein. Die SPD macht gelegentlich Ausflüge in die linke Ecke und der sozialpolitische Flügel der Grünen ist nichts weiter als eine Alibiveranstaltung dieser kriegsbesoffenen Partei. Lange hat sich Die Linke für diese Themen starkgemacht, aber nach Jahren der politischen Selbstverstümmelung nimmt diesen Verein heute niemand mehr ernst.

Stattdessen feiert die Partei den Austritt von Sahra Wagenknecht als Befreiungsschlag – und merkt nicht, wo die Reise hinführen wird. Stolz verkündet die Parteiführung auf verschiedenen Kanälen, dass es Parteieintritte in großer Zahl gab, seitdem sich die unbeugsame Linksrechte einem neuen Projekt zugewandt hat. Scheinbar ist es den führenden Köpfen der Linken mittlerweile egal, wen sie sich in die Partei holen. Es wird nicht lange dauern, bis von der einstigen Kämpferin für Gerechtigkeit und Frieden nichts weiter übrigbleibt als ein verlängerter Arm der Grünen. Die wenigen verbliebenen Linken in der Partei werden sich noch umschauen.

Im Grunde haben die linksgerichteten Parteien in diesem Land zwei Möglichkeiten: Entweder sie kommen endlich zur Vernunft und lassen eine ausgewogene und lebendige Debatte zu bestimmten Themen wieder zu oder sie können dabei zusehen, wie sich in Deutschland eine neue politische Kraft breitmacht, die ihnen Wähler absaugt und Regierungsbildungen in Zukunft noch schwerer macht.

Potenzial für eine solche neue Kraft gibt es allemal. Denn es stimmt, was die demokratischen Parteien über die AfD sagen: Die extreme Rechte hat keinen Plan für dieses Land, erst recht nicht, wenn es um Soziales und Gerechtigkeit geht. Sie selbst haben es aber auch nicht. Es liegt auf der Hand, was passiert, wenn eine Partei entsteht, die genau auf diese offenen Fragen plausible Antworten liefert…


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