Kommansnala?

Lesedauer: 8 Minuten

Nervenzusammenbrüche, peinliche Malheure und Schwimmbecken ohne Poolleitern? Was zunächst nach geschlossener Anstalt klingt, ist in Wahrheit ein Spiel, das unzählige von Menschen seit vielen Jahren begeistert. Seit mehr als zwei Jahrzehnten gibt es in der Welt der Sims Dramen zu erleben, Freundschaften werden geschlossen, Ehen geschieden, es wird gestritten und es wird ordentlich Kohle gescheffelt. Realitätsnahe Elemente im Spiel gehen Hand in Hand mit stellenweise grotesken Lebensläufen der Sims. Der Spielspaß kommt dabei definitiv nicht zu kurz.

Ein Jahrtausendspiel

Im ersten Jahr des Jahrtausends da kam ein Spiel auf den Markt, das alle bisherigen Simulationsspiele blass aussehen ließ. Die Entwickler von Maxis und EA Games hatten sich ein Gameplay ausgedacht, bei dem das echte Leben simuliert werden sollte – zumindest teilweise. Mit Die Sims gelang den Spielemachern vor etwas mehr als zwanzig Jahren ein Spielerfolg, der sich gerne auch mit Hypes wie Pokémon und Mario Kart messen kann. Die 3D-Avatare erfreuen weiterhin unzählige Menschen weltweit. Auf zig YouTube-Kanälen geben Nutzerinnen und Nutzer ihre Abenteuer aus der Welt der Sims zum besten – ob aus nostalgischen Gründen, als Ausdruck einer Sucht oder weil sie es einfach können.

Vielleicht kommt es mancheinem seltsam vor, dass es tatsächlich erwachsene Menschen gibt, die sich nach wie vor am Spiel Die Sims erfreuen. So obskur ist das aber gar nicht: Immerhin gibt es auch gestandene Menschen, die noch immer feuchte Augen bekommen, wenn sie eine Modelleisenbahn sehen, eine Carrera-Bahn oder schlicht den Controller einer PlayStation.

Vom Tellerwäscher zum Millionär

Doch was macht die Sims nun so einzigartig? Wie kann man mit einem Spiel so viel Geld machen, wenn es nichts weiter tut, als das Leben zu simulieren? Es ist die Art und Weise, wie es das tut. Die Sims ist im Grunde ein Spiel, das sich auf die Irrungen und Wirrungen des Lebens fokussiert. Wer einen ganz normalen Sim erstellt, der morgens aufsteht, zur Arbeit geht und abends müde ins Bett fällt, der macht etwas verkehrt.

In Die Sims geht es viel mehr um allerlei erfreuliches und unheilvolles, was einem im Laufe des Lebens so passieren kann. Es geht um Liebe, es geht um Karriere, es passieren Dramen und die Sims können auch sterben. In erster Linie können sie aber etwas erleben, das vielen im echten Leben verwehrt bleibt: den amerikanischen Traum. Jeder Sim hat die Möglichkeit, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen. Wer heute als kleiner Angestellter in einem Wirtschaftskonzern schuftet, der kann schon in wenigen Wochen zum Magnaten aufgestiegen sein.

Auch Zombies dürfen bei Die Sims heiraten.

In diesem Punkt ist Die Sims natürlich völlig unrealistisch. Niemand wohnt in einem abgeranzten Haus mit Mini-Fernseher und verstopfter Toilette und wird zur Belohnung morgens mit dem Helikopter zur Arbeit abgeholt. Die Sims bietet dem Spieler viel eher die Möglichkeit, sich auszutoben und für eine kurze Zeit all das zu haben, was im echten Leben unerreichbar ist. Damit das ganze nicht zu abgehoben wird, sorgen äußerst realistische Elemente dafür, dass das Spiel spielenswert bleibt. Eine eigens für das Spiel entwickelte Sprache amüsiert seit zwei Jahrzehnten die Spielerschaft. Seit Die Sims 2 haben sogar mehrere namhafte Künstler ihre Songs für das Spiel in Sim-Kauderwelsch neu eingesungen.

Spielspaß ohne Ende

Das Erfolgsrezept vieler Spiele besteht darin, dass es in diesen Spielen kein Ende gibt. Immerwährende Quests halten die Spieler bei Laune und sorgen dafür, dass sie gar nicht mehr aufhören wollen zu spielen. Bei Die Sims ist das ähnlich – zumindest fast. Seit der ersten Neuauflage des Spiels aus dem Jahr 2004 ist das Leben der Sims auf Erden begrenzt. Wenn sie zu alt sind, sterben sie einfach. Andererseits lässt sich mit den Nachkommen der Verblichenen noch so manches Abenteuer erleben. Was beim ersten Anlauf also nicht geklappt hat, wird beim zweiten nachgeholt. Auch so kann man Spieler bei der Stange halten.

Schier unzählige Updates und Erweiterungen halten das Gameplay auch über lange Zeit interessant. Durch neue Elemente wird das Spiel im Laufe der Zeit sogar noch realistischer. Mit der passenden Erweiterung können die Sims nicht nur Kohle auf der Arbeit scheffeln, sondern ihren Hobbys frönen, in den Urlaub fahren oder sich ein Haustier zulegen. Dadurch werden dem Spieler weitere Anreize geben, neue Ziele zu erreichen und sich auf so manches Experiment einzulassen.

Jobverlust und Grpßbrände

Anders als bei vielen anderen Spielen ist der Ausgang bei Die Sims völlig offen. In den meisten Spielsituationen gibt es kein festgelegtes Ergebnis. Oftmals spielt der Zufall eine wichtige Rolle. Wenn die Sims zur Arbeit gehen, kommt es mitunter vor, dass sie dort in merkwürdige Situationen geraten. In einem Dialogfeld kann sich der Spieler für eine von zwei Möglichkeiten entscheiden, wie sein Sim mit der Lage umgehen soll. Bei jeder Option gibt es eine 50-Prozent – Chance, in welche Richtung sich die berufliche Laufbahn des Sims weiterentwickelt. Selbst wenn ein Spieler also mehrmals mit dem gleichen Dialogfeld konfrontiert wird, garantiert Option 1 nicht immer den Erfolg.

Wer kennt ihn nicht – den plötzlichen Nervenzusammenbruch

Es gibt viele weitere unvorhergesehene Dinge, die einem im Spiel begegnen können. Ehe man sich versieht, hat der übereifrige Sim die Küche in Brand gesetzt. Der Brand greift schnell auf weitere Räume des Hauses über und am Ende entschwindet der Hobbykoch widerwillig ins Jenseits. Hat man keine anderen spielbaren Sims in dem Haushalt in Reserve, muss man wohl oder übel von vorne beginnen. Auf das nächste Desaster…

Ein Spiel – viele Spielertypen

Durch den rasanten Fortschritt gerade in der multimedialen Welt der Spiele war es auch für die Macher von Die Sims wichtig, mit den Entwicklungen schrittzuhalten. Sie wollten nicht irgendwann dafür verschrien sein, die Entwickler eines Uralt-Spiels zu sein. Durch regelmäßige Neuauflagen des Kassenschlagers passten sie die Welt der Sims immer wieder an die äußeren Gegebenheiten an. Die Grafik des Ursprungsspiels ist heute wohl kaum mit der seiner Nachfolger vergleichbar. Damit können die Spielemacher immer wieder auch ein jüngeres Publikum für das Spiel begeistern.

Die Sims konnte vor allem deshalb so viele Menschen begeistern, weil es die Bedürfnisse eines weiten Spektrums an Spielern abdeckt. Da wäre der rachsüchtige Voodoospieler, der seine Aggressionen gegen Mitmenschen aus dem echten Leben auf dem Bildschirm auslebt. Flugs fehlt eine Poolleiter, wo sich der verhasste Mathelehrer gerade ins kühle Nass geworfen hat. Auch Frustrationen aus Ehekrisen finden auf diese Weise ein Ventil.

Pragmatisch oder perfektionistisch?

Nicht ganz so kreativ zeigt sich der lieblose Gameplayer, dem es um nichts anderes geht, als möglichst lange und intensiv den Spielspaß zu erleben. Die Wohnungen seiner Sims sind meist äußerst dürftig und funktional eingerichtet. Er kennt alle Cheats und schafft es in einer Nacht, eine Großfamilie zu gründen, die Karriereleiter zu erklimmen und den Nachkommen eine beträchtliche Summe zu hinterlassen.

Dem gegenüber steht der perfektionistische Spieler, der ein Auge für’s Detail hat. Viele Stunden verbringt er damit, seine Sims zu erstellen, ihnen ein luxuriöses Heim zu errichten und sich ihre Lebensgeschichten auszudenken. Wenn das Spiel so richtig losgeht, hat dieser Spielertypus allerdings meist schon die Lust verloren. Diese Art der Spieler sind ein Paradebeispiel dafür, dass die Lust auf das Spiel häufig in Wellen kommt.

Alles in einem

Der Illusionist unter den Sims-Spielern versucht seine Unzulänglichkeiten aus dem echten Leben mit dem Spiel zu vergessen. In der virtuellen Welt der Sims kann er ein gefeierter Star oder ein begehrter Männer- oder Frauenschwarm sein, während er in der Wirklichkeit nichts auf die Reihe bekommt.

Und dann wäre da noch der Themenspieler, der sich auf ein selbst gewähltes Szenario regelrecht eingeschossen hat. Seine Sims verfolgen meist das gleiche Lebensziel, sei es, möglichst luxuriös zu leben, einen Großteil seiner Mitsims in die Kiste zu kriegen, zum mächtigsten Magier oder zur mächtigsten Hexe aufzusteigen oder einfach nur ganz biedermännisch in den eigenen vier Wänden zu leben.

Letztendlich wohnen aber alle diese Spielertypen jedem inne, der das Spiel schon einmal gespielt hat – natürlich in unterschiedlicher Ausprägung. Das Spiel bietet eine solche Fülle an Möglichkeiten, dass der Langzeiterfolg des Spiels wenig verwundert. Mit Die Sims kam vor mehr als zwanzig Jahren ein Spiel auf den Markt, das seine Spieler genau da packt, wo sie sich am wenigsten wehren können: bei der Erfüllung unmöglicher Träume, beim Gefühl, etwas im Griff zu haben und bei der Zähmung des kleinen Voyeurs, der in uns allen steckt.

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Folgenschweres Opfer

Lesezeit: 9 Minuten

Vor kurzem erschien Sandra Kaudelkas Film über die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht auf DVD. Im Film ist eine kämpferische, aber angeschlagene Frau zu sehen, die für ihre Sache einsteht. Im Film ist aber auch ein skrupelloser und intrigant geführter Machtkampf zu sehen, welcher der Protagonistin immer stärker zusetzt. Am Ende bleibt ihr nichts anderes als der Rückzug. Die Partei opfert damit eine der beliebtesten Politikerinnen des Landes – und verschanzt sich in der Einstelligkeit.

Eine runde Sache

Im März diesen Jahres, da war die Welt fast noch in Ordnung. Es gab zwar bereits massenweise Infektionen mit dem Coronavirus, ein Lockdown ließ allerdings noch ein paar Wochen auf sich warten. Man konnte noch in Restaurants gehen, auf Reisen gehen oder einen Film im Kino schauen. Zum Beispiel den Film über Sahra Wagenknecht von Sandra Kaudelka. Doch kaum war der Film über die Berlinale gelaufen, da fiel er wie vieles andere der Pandemie zum Opfer. Nun ist er auf DVD erschienen und kann ganz legal online gestreamt werden.

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In etwas über 90 Minuten begleitet der Film die Linken-Politikerin vom Wahlkampf 2017 über ihr politisches Wirken in Zeiten einer erneuten großen Koalition bis hin zu ihrem Rücktritt im Jahr 2019. Ihre Entscheidung, auf dem Parteitag im letzten Jahr nicht wieder für den Fraktionsvorsitz anzutreten, ist ein zentrales Element des Films. Gleich zu Beginn bekommt der Zuschauer Wagenknechts Ankündigung zu hören, zukünftig nicht mehr Fraktionsvorsitzende zu sein. Mit ebendiesem Moment schließt der Film auch. Er ist also eine runde Sache.

Aus den eigenen Reihen

Selbst wer nicht weiß, wer Sahra Wagenknecht ist und sie in diesem Film das erste Mal sieht, kann erahnen, worauf die Handlung des Films hinausläuft. Ihr Rückzug kommt und kam für keinen überraschend. Eindrücklich untermauert der Film, unter welchem Druck die Politikerin stand und dass ihr irgendwann gar nichts anderes übrigblieb, als hinzuschmeißen, wenn sie sich nicht komplett kaputtmachen wollte. Die Intrigen gegen Sahra Wagenknecht ziehen sich jedenfalls wie ein roter Faden durch den Film.

Tatsächlich untermauert Kaudelkas Film die ständigen Attacken und parteiinternen Intrigen gegen die Fraktionsvorsitzende als den wahren Grund für Wagenknechts politischen Rückzug. Oft sieht man sie in Interviewsituationen, in denen sie direkt auf das Mobbing in ihrer Partei angesprochen wird. Man sieht ihre Mitarbeiter, wie sie fassungslos die neueste Entgleisung der Parteiführung zur Kenntnis nehmen. Direkt nach einer besonders unverschämten Äußerung sieht man dessen Urheber Bernd Riexinger, wie er bereits drauf und dran ist, ein Statement vor der Presse abzugeben. Plötzlich rauscht seine Co-Vorsitzende Kipping ins Bild und drängt ihn mit den Worten „Wir müssen auf jeden Fall uns erst mal kurz verständigen“ weg von den Journalisten.

Wagenknecht selbst hat immer beteuert, der Grund für ihre Entscheidung seien gesundheitliche Probleme gewesen. Spätestens nach dem Film kann sich aber jeder vorstellen, woher diese gesundheitlichen Probleme kamen. Auch wenn Wagenknecht ein ums andere Mal auf ihren Gesundheitszustand verwies, Intrigen gegen ihre Person teilweise sogar herunterspielte, zeichnet dieser Film in Teilen ein anderes Bild. Allerdings ist völlig klar, dass der Film nicht ihre Krankheit in den Vordergrund rücken kann. Zu intim und viel zu voyeuristisch wäre er ansonsten geworden. Trotzdem sieht man Wagenknecht zigmal mit eindeutigen Erkältungssymptomen im Film.

Kein Fähnchen im Wind

Dass der Politikbetrieb das reinste Haifischbecken ist, verschleiert der Film nicht. Immer wieder sieht man sich in dieser Tätigkeit mit Angriffen von unterschiedlichen Seiten konfrontiert. Wer gestern noch Weggefährte war, kann einem heute eiskalt in den Rücken fallen. Sahra Wagenknecht kann davon sicher ein Lied singen. Verbogen hat sie sich trotzdem nie. Genau das hat sie mit Sicherheit auch für viele so unbequem gemacht. Sie war nie bereit, in essentiellen Fragen Abstriche zu machen, die Prinzipien dem Erfolg unterzuordnen. Ihr Kernanliegen waren stets die Interessen der sozial Benachteiligten. Sie ist eine Kraft, mit der man rechnen muss – und kann. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz hat in der Dokumentation „Rot, Rosa, Sahra“ einmal gesagt, Wagenknecht sei „das Gegenteil von opportunistisch“.

Wie ein Fels in der Brandung hat sie sich gerade in den letzten Jahren politisch bewährt. Sie spürte zwar, dass sich um sie herum vieles veränderte. Sie selbst wich von den meisten ihrer Positionen aber nicht ab. Das führte vielleicht auch dazu, dass man gerade in jüngerer Vergangenheit Schwierigkeiten hatte, sie politisch einzuordnen. In den 1990ern war sie selbst für viele Linke untragbar. Sogar Gregor Gysi hielt sie für zu links. Heute wird die DDR-Verteidigerin von damals immer öfter in die rechte Ecke gestellt. Eigentlich ein Phänomen.

Eine Partei auf Irrwegen

Und grundfalsch. Denn wer wirklich glaubt, unbegrenzte Einwanderung schütze am besten vor Diskriminierung, der hat unsere Wirtschaftsordnung nicht verstanden. Es ist Fakt, dass die unbegrenzte Zuwanderung auf dem Arbeitsmarkt zur Ausbeutung der Migranten führt. Der Druck auf die Stammbelegschaft wächst ebenfalls. Immer deutlicher bekommen Mitarbeitende zu spüren, dass ihre Arbeit auch für weitaus weniger Geld von zugewanderten Arbeitern gemacht werden kann. Das ist Gift für den Arbeitsmarkt und stört den gesellschaftlichen Frieden. Freier Internationalismus sieht wahrlich anders aus. Die Position, die Sahra Wagenknecht in dieser Frage vertritt, ist somit ein urlinker Standpunkt. Sie ist nicht bereit, sich dem linksliberalen Lifestyle zu unterwerfen, dem seit Jahren links der Union gefrönt wird.

Denn auch ihre eigene Partei ist auf Irrwegen. In einer besonders emotionalen Szene des Films wirft eine Parteigenossin Wagenknecht vor, jedwede Debatte zu unterdrücken. Dabei hat Sahra Wagenknecht doch wirklich keine Gelegenheit ausgelassen, neue Diskussionsräume zu eröffnen. Der enorme Widerspruch aus der eigenen Partei zeigt leider deutlich, dass jenseits der Union politisch wenig bis nichts zu reißen ist.

Besonders deutlich wird das an der von Sahra Wagenknecht mitinitiierten Sammlungsbewegung aufstehen. Diese Bewegung erfreut sich bis heute einer Vielzahl von aktiven Ortsgruppen in ganz Deutschland. Medial ist ihr Aufschrei aber längst verklungen. Das verwundert kaum, zeigten doch alle selbsternannten linksgerichteten Parteien der Bewegung die kalte Schulter. Selbst Mitglieder der Linkspartei warfen der Fraktionschefin vor, mit diesem Manöver die Partei spalten zu wollen. Dabei waren es doch deren eigene Eskapaden und Angriffe gegen Wagenknecht, die der Partei enormen Schaden zugefügt hatten. Denn die Demontage einzelner ist immer auch eine Teildemontage der gesamten Partei.

Kanzlerin Wagenknecht?

Sandra Kaudelka hat sich dazu entschlossen, Sahra Wagenknecht zwei Jahre lang zu begleiten und einen Film über sie zu drehen. Warum eigentlich ausgerechnet über Sahra Wagenknecht? Warum nicht über Gregor Gysi, Katja Kipping oder Wagenknechts Co-Vorsitzenden Dietmar Bartsch? Vermutlich, weil diese Politiker kaum Kinobesucher für mehr als 90 Minuten in den Kinositzen halten würden. Unbestritten ist Sahra Wagenknecht nämlich eine der bekanntesten Politikerinnen des Landes. Mit ihrer Geradlinigkeit, ihrem kühlen Kopf und fachlicher Kompetenz kommt sie bei den Bürgern gut an, vor allen Dingen weil sie die Menschen ernstnimmt. Keiner traut ihr zu, dass sie die Wählergunst als Spielball missbraucht. Selbst Angela Merkels Beliebtheitswerten kam sie zeitweise gefährlich nahe. Dass sie die Wunschkanzlerin von vielen ist, macht zumindest eine besonders begeisterte Dame im Film deutlich.

Trotzdem wurde Sahra Wagenknecht viel zu häufig übergangen. Bei der Elefantenrunde 2017 saß Parteichefin Kipping an ihrer statt neben Merkel, Schulz & Co. Dabei lässt der Film bereits nach wenigen Minuten erahnen, dass sich das auch Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht anders gewünscht hätte. Unstrittig ist, dass die Linke bei der Wahl 2017 Stimmen gewonnen hat. Unstrittig ist auch, dass die wenigsten damit zufrieden waren. Zu groß war der Erfolg der AfD, zu schwach das Durchdringen zu abgehängten Wählerschichten.

Folgenschweres Opfer

Winfried Kretschmann zeigte sich im Wahlkampf 2017 unzufrieden mit der Linie seiner Partei. Streckenweise prophezeite er den Grünen sogar weniger als 10 Prozent. Er sollte recht behalten. Als Grund dafür gab er an, die Partei verfolgte eine Politik, die völlig an den Realitäten vorbeiginge. In einer ähnlichen Position befindet sich Sahra Wagenknecht. Anstatt linksliberale Parolen zu schwingen und den Menschen von oben herab zu erklären, was sein darf und was nicht, hätten die Linken gut daran getan, in wesentlichen Punkten ihrer Fraktionsvorsitzenden zu folgen. Dann stünde die Partei heute mit 13 Prozent da, wo die AfD heute steht.

Ein Auffangen der Wählerinnen und Wähler, die enttäuscht der SPD den Rücken gekehrt haben, wäre nämlich durchaus möglich gewesen. Stattdessen hat man sich auf besserverdienende Wählermilieus aus dem Westen mit akademischer Bildung konzentriert. Den Wahlerfolg musste man sich mit den Grünen teilen. Denn noch nie hat eine Partei gewonnen, wenn sie das Original kopiert hat. Das lernen die Linken gerade bei den Grünen. Der wertkonservative Flügel der Union bekam es bereits beim peinlichen Mimikry der AfD zu spüren.

Das fortschrittliche Mitte-Links – Lager muss sich heute mit weniger als 40 Prozent der Stimmen begnügen. Das ist ein Problem. Anstatt es aber durch eine deutlich differenziertere und glaubwürdige linke Politik zu lösen, opfert man durch Intrigen und Machtspiele die einzige Politikerin, die diesen Aufbruch noch verkörpert. Eigentlich unverzeihlich.

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Coming-Out im Kino, Coming-Out auf der Straße

Lesedauer: 10 Minuten

Filme über das Coming-Out junger Leute gibt es heute noch und nöcher. Viele von ihnen ähneln den anderen. Es geht häufig darum, dass ein junger Mensch seine sexuelle Orientierung erkennt und lernt, sie anzunehmen und mit ihr zu leben. Andere Filme setzen sich gezielt mit der Thematik Homophobie und Diskriminierung auseinander. Wieder andere Filme verbinden all diese Elemente. So auch Heiner Carows Film „Coming Out“. Und trotzdem ist dieser Film herausragend. Mit dem Jahr 1989 erschien er sehr früh in der Geschichte des schwulen Kinos. Doch der Film begnügt sich nicht mit einer simplen Darstellung eines schmerzhaften Coming-Outs. Er geizt auch nicht mit Kritik an den damaligen Verhältnissen und einer Überstrapazierung so manchen Geistes.

Kultklassiker im Newsfeed

Die Algorithmen von Google und Co. sind schon manchmal unergründlich. Bisweilen haben sie allerdings auch eine so hohe Trefferquote, dass es fast unheimlich wird. Für Corona interessiert sich derzeit jeder und auch der Klimawandel ist noch nicht ganz vom Tisch. Artikel und Videos zu diesen Themen gibt es zuhauf, dazu muss nicht extra ein komplizierter Algorithmus generiert werden. Jenseits dieser offensichtlichen Themen wissen die Algorithmen der Internetgrößen aber doch ziemlich genau, was für jemanden interessant sein könnte. So habe ich dank YouTube erst kürzlich meine Leidenschaft für Haustiervideos entdeckt. 50 Leckerlies und gefühlt unendlich viele Umdrehungen bei der Jagd auf den eigenen Schwanz später schlug mir das World Wide Web allerdings noch einen weiteren Leckerbissen vor: den DDR-Kultfilm Coming Out, aus der Feder von Wolfram Witt und unter Regie von Heiner Carow.

Der Plot des Films ist schnell erklärt. Der junge Lehrer Philipp entdeckt seine Homosexualität und lernt Matthias kennen, mit dem er eine heimliche Beziehung beginnt. Problem: Philipp ist bereits mit seiner Kollegin Tanja zusammen. Es kommt wie es kommen muss. Philipps Geheimnis kommt für alle Beteiligten ans Licht. Schließlich muss Philipp lernen, zu seiner Veranlagung mit allen Konsequenzen zu stehen. Was zunächst ziemlich seicht und mainstreaming anmutet, war in der Spätphase der DDR eine regelrechte Revolution auf Leinwand. In keinem der beiden Deutschlands hatte es zuvor einen Film mit so zentral schwuler Thematik gegeben.

Mehr als schwules Kino

Okay, das historische ist damit abgehakt. Der Vollständigkeit halber erwähnt sei noch, dass der Film am 9. November 1989 Premiere feierte, ein Datum, welches für den Film sicherlich Fluch und Segen zugleich ist. Doch was ist es, das diesen Film von allen anderen frühen Versuchen unterscheidet, dem breiten Publikum das Thema Homosexualität und Coming-Out näherzubringen?

Die Antwort ist einfach: Der Film hat so viel mehr zu bieten als einen an sich recht flachen Plot, der trotz allem hochkontrovers war. Wer den Film schaut, hat eher das Gefühl, Zuschauer bei einem Theaterstück zu sein als auf dem heimischen Sofa mit aufgeklapptem Laptop zu sitzen. Denn der Film ist tatsächlich sehr intelligent inszeniert. An vielen Stellen muss der Zuschauer mitdenken, um zumindest einen Teil des gezeigten zu begreifen. Wichtigstes Instrument dazu sind Symbole, von denen der Film geradezu strotzt.

Spot the easter eggs

Manche dieser Symbole sind reine Easter Eggs, die wohl mit einem Augenzwinkern aufgenommen werden können. Wenn Philipp am Ende des Films endlich zu seiner sexuellen Orientierung steht, sieht man in der letzten Kameraeinstellung kurz ein Wendeverbotsschild. Philipp fährt mit seinem Fahrrad in ein neues, in ein befreites Leben, ein Umkehren ist nicht mehr möglich.

Andere Symbole im Film sind wesentlich wichtiger für die Handlung. Der Soundtrack des Films wird geschickt genutzt, um Einblicke in das Innenleben der Charaktere zu ermöglichen. Die fröhliche Musik aus den Clubs und die anmutigen Töne aus den Konzertsälen weichen immer wieder einer unbehaglichen Musik aus Streichern, die natürlich die innere Zerrissenheit und Verwirrung des Protagonisten Philipp wahrnehmbar macht.

Zwei in einem

Dann sind da noch greifbare Dinge, die im Laufe des Films eine immer größere Dynamik gewinnen. Der Schmuck von Tanja und Matthias ist die offensichtlichste Darstellung des Parallelismus, der dem Film von Beginn an innewohnt. Dabei sind es nicht nur die Armreifen, die Philipp beiden geliebten Personen schenkt oder die dreieckigen Ohrringe, die sowohl Tanja als auch Matthias am rechten Ohr tragen – mit besonderem Augenmerk auf die dreieckige Form der Ohrringe und der Konstellation zwischen den Charakteren. Es sind auch die Verläufe der beiden Parallelbeziehungen, die sich fast gleichen.

Ménage à troi: Für Philipp wird die Luft dünn (Matthias Freihof, r. mit Dagmar Manzel und Dirk Kummer).
Quelle: Heiner Carow. Coming Out, DDR 1989.

So spielen die Geburtstage der Charaktere eine zentrale Rolle. Philipp kommt Matthias an dessen Geburtstag näher. Gleich zweimal sitzt Philipp mit Tanja an deren Geburtstag in einem Konzert. Beim ersten ist sie glücklich mit ihm, beim zweiten kommt sie hinter sein Geheimnis und trennt sich von ihm. Auch die Szenen, in denen körperliche Liebe dargestellt wird, ähneln sich stark. Philipp kann sich nicht daran erinnern, dass er und Tanja einst zusammen studierten. Matthias‘ Namen erfährt Phillip erst, als er sich mit ihm in seine Wohnung zurückzieht. Er beginnt einen Satz mit „Du heißt Matthias.“ und antwortet damit sehr verspätet auf Matthias Feststellung „Du heißt Philipp!“ ungefähr zehn Laufzeitminuten früher.

In beiden Beziehungen wird Philipp auch leicht von der Gegenseite überrannt. Tanja sieht in ihm offenbar die Liebe ihres Lebens. Als er sie fragt, ob sie ihn als Mann attraktiv finde, interpretiert sie das als halben Heiratsantrag. Bei der ersten intimen Begegnung zwischen Philipp und Matthias nimmt Matthias sogleich die Stellung als Phillips fester Freund für sich in Anspruch. Philipp widerspricht all dem nicht. Er lässt sich treiben, in der naiven Hoffnung, beide halten zu können und beide glücklich zu machen. Am Ende macht er beide unglücklich und verliert auch beide.

Charaktere mit Wiedererkennungswert

So übersichtlich die Handlung an sich ist, so leicht überschaubar sind auch die wichtigen Charaktere im Film. Die meisten von ihnen wirken zunächst austauschbar und oberflächlich. Tatsächlich sind manche von ihnen derart dicht konstruiert, dass sie metaphorische Ausmaße annehmen. Tanja ist mehr als nur die zweite oder dritte Geige. Sie mag verletzt sein von Philipps Verhalten, doch es ist ihre persönliche Stärke, die ihr die Kraft gibt, ihren Geliebten freizugeben und nicht rachsüchtig zurückzuschlagen.

Phillips Figur genießt dafür einen hohen Wiedererkennungswert. Zum einen, weil er die Geschichte von Drehbuchautor Wolfram Witt nachzeichnet, zum anderen, weil seine Geschichte stellvertretend für so viele andere schwule junge Männer steht. In den Grundzügen kann sich jeder Schwule in die Gefühlswelt von Philipp versetzen. Dass ein Coming-Out nicht immer schmerzfrei verläuft, zeigen so viele andere Filme dieser Art aus den letzten Jahren.

Matthias (Dirk Kummer) hat Philipp endlich gefunden.
Quelle: Heiner Carow. Coming Out, DDR 1989.

Der Charakter von Matthias ist wahrscheinlich der metaphorischste im ganzen Film. Schon bei seiner ersten Begegnung mit Philipp ist er der geheimnisvolle Fremde, der die ganze Zeit auf Philipp gewartet hatte. Verdeutlicht wird das durch die weiße Theaterschminke im Gesicht, die eher wie eine Maske wirkt. Sein Gesicht, als Philipp ihm Tanja vorstellt, spricht wahrlich Bände. In sehr überspitzter Form ist Matthias die Verkörperung des Gefühls, das jeder Schwuler jedes Mal dann spürt, wenn er einen Jungen mit einem Mädchen sieht.

Lutz. Wer ist eigentlich Lutz?

Und dann ist da noch die Rolle des Lutz. Wer ist eigentlich Lutz? Zumindest fragte ich mich das, als Matthias diesen ominösen Kerl am Ende des Films als seinen neuen Partner präsentierte. Wo kam der auf einmal her? Erst nach und nach fiel mir auf, dass sich ebendieser Lutz wie ein viel zu schlecht wahrnehmbares Gespenst durch den Film schlängelte. Tatsächlich ist er nämlich einer von Philipps Schülern, der dem Lehrer mehr als einmal beachtlich nahekommt. Da ist zum einen die menschliche Geste, als Lutz seinem Lehrer in der Zauberflöte ein Taschentuch reicht. Zum anderen sieht man Lutz, wie er eine Mitschülerin barsch zur Seite stößt, nachdem Philipp von einer Gruppe Neonazis attackiert worden war.

Lutz ist der Inbegriff der Verworrenheit des ganzen Films. Nicht nur Philipps Gerüst aus Lügen und Ausflüchten wirkt brüchig. Auch der Inszenierung des Streifens ist nicht immer leicht zu folgen. Der ganz am Anfang gezeigte Selbstmordversuch von Matthias – passierte der wirklich vor der Handlung oder gab es einen Zeitsprung und Matthias versuchte sich erst nach der Trennung von Philipp das Leben zu nehmen? Immerhin spielt die Suizidszene an Silvester; die Trennung war zur Weihnachtszeit. Und noch eine Frage bleibt: War es vielleicht Lutz, der seinen Lehrer Philipp am Ende bei der Schulleitung angeschwärzt hat? Denn nicht nur Tanja muss im Laufe des Films zugeben: „Ich hab‘ den Lutz ganz anders eingeschätzt“.

Unter den Augen von Karl und Friedrich

Nachdem die Filmaffinen und Literaturbegeisterten während der letzten Absätze voll auf ihre Kosten kamen, hier noch eine andere Botschaft, die der Film vermittelt: Neben der offensichtlich homosexuellen Thematik kritisiert der Film nebenbei das gerade zu Ende gehende Regime der DDR. Der Film zeigt nicht nur auf, dass auch in der angeblich so progressiven DDR das Thema Liebe unter Männern ein Tabu war. Man brüstete sich gegenüber der Bundesrepublik, den Schwulenparagraphen bereits in den 1960ern abgeschafft zu haben, doch die gesellschaftliche Realität sah anders aus.

Feiger Angriff von rechts. Unmöglich in der DDR?
Quelle: Heiner Carow. Coming Out, DDR 1989.

Auch ein anderes totgeschwiegenes Problem in der DDR-Gesellschaft greift der Film rigoros auf. Die Führung des Arbeiter- und Bauernstaats nahm es so gerne für sich in Anspruch, dass Rechtsradikalismus ein Problem des kapitalistischen Auslands war. Das passt so gar nicht zu der Szene im Film, als eine Gruppe Neonazis in der S-Bahn einen ausländischen Fahrgast angreift und alle Fahrgäste stur wegsehen. Schließlich greift Philipp beherzt ein. Er kassiert selbst Schläge, kann die Skinheads allerdings am nächsten Bahnhof aus der Bahn werfen. Am Marx-Engels – Platz. Ge-ni-jal.

Wir haben die Schwulen vergessen

Ebenso verbissen behaupteten die hohen Tiere der DDR – und einige Menschen tun das bis heute – es hätte keine sozialen Unterschiede zwischen den Menschen gegeben. Die Randfigur Redford widerlegt diesen Mythos. Er erinnert Philipp an ein erotisches Intermezzo zu Schulzeiten und konfrontiert ihn damit, dass Philipps Eltern ihm großzügige Geschenke machten, um die Beziehung zu unterbinden. Seinen Satz „Und weil meine Eltern nicht so…“ muss er nicht beenden. Der Zuschauer weiß, dass er vom sozialen Unterschied zwischen Philipps und seiner Familie spricht. Bezeichnenderweise läuft Philipp erst dann aus dem Raum. Den Satz zu beenden und die gravierenden Unterschiede in der Gesellschaft explizit auszusprechen – so weit wollte, oder konnte, man dann doch nicht gehen.

Bei so viel impliziter und expliziter Kritik an den Verhältnissen ist allerdings klar, dass der Film erst veröffentlicht werden durfte, als es mit der DDR spürbar zu Ende ging. Früher wäre der Film undenkbar gewesen. Walters Monolog am Ende findet noch einmal deutliche Worte. Er beschwört die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen im Kommunismus. Doch er zieht auch ein düsteres Resümee: „Bloß die Schwulen, die haben wir vergessen.“

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