Die Stunde der Volksparteien

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Krisen spalten. Aber manchmal schweißen Krisen auch zusammen. Die derzeitige Covid-19 – Pandemie verlangt allen Menschen enorm viel ab. Manche müssen Zwangsurlaub nehmen. Andere reißen sich sprichwörtlich ein Bein aus, um anderen zu helfen. Viele weitere stehen unter Quarantäne. In dieser Zeit der Isolation ist es gut, wenn die Gesellschaft solidarisch zusammensteht. Die Rezeptur für dieses gesellschaftliche Haftmittel darf unter keinen Umständen abgeändert werden. Eine Bündelung politischer Interessen ist in solchen Situationen gefragt wie selten.

Die Zeit des Zusammenhalts

Es wird immer Ausnahmen geben. Die Not kann noch so groß sein, es wird immer jene geben, die meinen, es besser zu wissen. Jene, die glauben, über Expertenmeinungen und Naturgesetze erhaben zu sein. Und vielleicht sind diese Menschen als abschreckende Beispiele notwendig. Die Corona-Pandemie verlangt den Menschen aber etwas ganz anderes ab: Zusammenhalt. Achtsamkeit und gegenseitige Rücksichtnahme ist in diesen Tagen wichtiger denn je. Supermärkte bringen Desinfektionsspender an den Eingangstüren an, Politiker rufen zur Wachsamkeit auf, es bilden sich Nachbarschaftsnetzwerke.

Die Menschen fühlen sich isoliert und sind trotz geeint durch ein Gemeinschaftsgefühl. Die allermeisten wissen, dass der eigene Verzicht zum Wohle aller ist. Viele wissen auch, dass wir erst am Anfang der Krise stehen. Auf die akute Erkrankungswelle wird schon bald eine Zeit der wirtschaftlichen Not folgen. Denn der Shutdown, wie die Medien den derzeitigen Zustand immer gerne betiteln, wird Folgen haben. Umso wichtiger ist es, der Ausbreitung des Virus durch vereinte Kräfte entschlossen entgegenzutreten.

Deswegen macht sich die Krise längst auch politisch bemerkbar. Versammlungen und Demonstrationen, wichtige Instrumente zur politischen Teilhabe, sind derzeit nicht möglich. Viele Menschen hoffen auf eine baldige Überwindung der Krise. Ihre Hoffnung legen sie in die ehemaligen Volksparteien, die aktuell wieder zu alter Form auflaufen.

Denn es ist schon auffallend, dass vor allem die Union in den letzten Wochen im Aufwärtstrend ist. Die Bürgerinnen und Bürger sehnen sich offenbar nach einer starken politischen Kraft, die dem Virus Einhalt gebieten kann. Kleinere Parteien, die traditionell eher bestimmte Milieus ansprechen, sind in der derzeitigen Krise weniger gefragt. Während diese Splitterparteien durch die letzten Krisen eher profitiert haben, ziehen sie nun den schwarzen Peter.

Ein gemeinsames Ziel

Es gibt nämlich einen entscheidenden Unterschied zwischen der Corona-Krise und den Krisen der letzten Jahre. Die Covid-19 – Pandemie lässt viel weniger Handlungsspielraum zu als ihre Vorgängerkrisen. In der Flüchtlingskrise ab 2015 und während der Fridays-for-Future – Bewegung stritten die Menschen nicht nur um den besten Lösungsweg, viele waren sich nicht einmal über das Ziel einig. Die einen riefen nach Grenzschließungen und befürchteten eine schiere Flutwelle an Sozialschmarotzern, die sich im schlimmsten Falle als brutale Sexualstraftäter entpuppen könnten. Die andere Seite glänzte durch Gutmenschentum und demonstrierte bei jeder Gelegenheit ihre Refugees-Welcome – Sticker. Für die einen waren die jungen Aktivisten nichts anderes als notorische Schulschwänzer, während die andere Seite keine Gelegenheit ausließ, um die Generation 60+ in Misskredit zu bringen.

Solch bösartigen Diffamierungen gibt es in der Zeit der Pandemie nicht. Zum Glück. Die Menschen eint der Wille, das Virus zu bekämpfen. Es gibt keine ernstzunehmende Stimme, die das Virus leugnet. Leugner des menschengemachten Klimawandels sitzen im Bundestag. Würde jemand die Gefahr von Covid-19 leugnen, würde ihm der Vogel gezeigt werden.

Die Stunde der Volksparteien

Zwar wird auch derzeit über den besten Lösungsweg gestritten, aber es herrscht Einigkeit, dass die Pandemie eine nie dagewesene Herausforderung auf mehreren Ebenen ist. Die Schäden, die durch eine grundlegend andere Handhabung entstünden, liegen auf der Hand. Die Corona-Krise hat ein viel kleineres Polarisierungspotenzial als die Krisen davor. Zu einer Polarisierung gehören nämlich zwei Pole. Die gibt es in dieser Form nicht.

Was man viel eher beobachten kann, ist eine politische Interessensbündelung. Die können nur die einstigen Volksparteien gewährleisten. Sie nehmen alle Menschen aus allen Schichten in den Blick und versuchen, deren Lebensrealitäten bestmöglich zu verbessern. Dass diese Herangehensweise in den letzten Jahren viel zu kurz kam, steht außer Frage. Überspitzt formuliert gibt es in der jetzigen Situation aber eine Rückbesinnung auf das Drei-Fraktionen – Modell der 1960er und 1970er. Zwei starke Volksparteien und eine relativ schwache dritte Kraft. Diese dritte Kraft wird auch in Zukunft aus AfD, FDP, Grünen und Linken bestehen, aber die Volksparteien gewinnen trotzdem hinzu.

Keine Zeit für Protest

Denn ganz offensichtlich vertrauen die Bürgerinnen und Bürger in dieser existenziellen Krise eher Union und SPD als den kleineren Interessensparteien. Gerade die politischen Ränder konnten von wirtschaftlichen Krisen immer profitieren – und so wird es bei der nachfolgenden Wirtschaftskrise wahrscheinlich auch wieder kommen. Solange die Pandemie aber so akut wie jetzt ist, sind Protest- und Klientelparteien abgeschrieben.

In der Klimafrage erlebten die Grünen einen Höhenflug, der es ihnen einen Moment lang vergönnte, vom köstlichen Nektar des Volksparteientums zu kosten. Doch die Menschen spüren jetzt schon die gravierenden wirtschaftlichen Einschnitte der Corona-Krise. Wirtschaftspolitik war noch nie ein Kernthema der Grünen. In den elf Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind, führen sie in nur zweien das Wirtschaftsministerium. Anscheinend traut man ihnen ein Handling der anstehenden Wirtschaftskrise nicht zu. Ihre Umfragewerte sind derzeit wieder im Sinkflug.

Ähnliches ist bei der AfD zu beobachten. Platte Parolen und plumpe Provokationen sind derzeit nicht so der (Martin) Renner. Und Politik, die konkretes Handeln erfordert, war ja noch nie Sache der AfD. Die selbsternannte Protestpartei zerlegt sich derzeit lieber selbst in unerbittlichen Flügelkämpfen, anstatt sich in irgendeiner Form in die politische Lösung der Krise einzubringen.

Das Ringen um Zeit

Profilieren können sich in der derzeitigen Lage also vor allem die Volksparteien. Die Union kommt nach aktuellen Umfragen auf stattliche 37 Prozent, während sich selbst die SPD wieder der 20-Prozent – Marke nähert. Besonders unionsseitig stechen einzelne Politiker ganz besonders hervor. Die Kanzlerin wurde während vergangener Krisen ja stets für ihre Tranfunseligkeit kritisiert. Sie saß Probleme lieber aus, als sie offensiv anzugehen. Genau diese Art ist momentan ihr größter Trumpf. Abwarten und auf das beste hoffen ist zur Zeit nämlich tatsächlich das Gebot der Stunde. Solange es kein Medikament gegen das aggressive Virus gibt, muss wahrlich auf Zeit gespielt werden.

Ihren Verzicht auf eine erneute Kanzlerkandidatur hat Merkel bereits Ende 2018 öffentlich gemacht. Ein Parteitag, der die K-Frage klärt, erscheint im Moment zwar unwahrscheinlich. Trotzdem gewinnt das leidige Thema Kanzlerposten gerade in den letzten Wochen wieder an Fahrtwind. Viele Menschen scheinen zu ahnen, dass als künftiger Kanzler nur ein Macher in Frage kommt.

Ein Mann der Taten

Jens Spahn mag sich in den letzten Jahren häufiger als ewiger Merkel-Kritiker hervorgetan haben. Dieser Tage steigen seine Beliebtheitswerte allerdings wegen seines Krisenmanagements. Als Gesundheitsminister ist er der gefragteste Mann der Bundesregierung, dieser Verantwortung kann er sich schlichtweg nicht entziehen. Seine Präsenz und sein Wille zum Handeln kommt bei den Bürgern gut an. Trotz allem macht ihn das nicht immun gegen lauterwerdende Kritik an seinen konkreten Vorhaben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sitzt da schon fester im Sattel. Bei der K-Frage streifte er meist nur vorsichtig den Horizont. Er zeigte sich bescheiden und wich Fragen nach einer Kandidatur eher aus. In der jetzigen Krise inszeniert er sich erfolgreich als Macher, der die Lage weitestgehend im Griff hat. Er ist sich bewusst, dass die merkelsche Art des Abwartens und der guten Worte in der kommenden Wirtschaftskrise wenig Zustimmung finden wird. Viel eher sehnen sich die Menschen dann nach einer Figur, die konsequent und kompetent auftritt. Man wird sich an sein Management der Pandemie erinnern.

Söders derzeit größter Trumpf in der K-Frage ist sicherlich, dass er seine Konkurrenten in den Schatten stellt. Friedrich Merz machte zuletzt lediglich als Erkrankter von sich reden, Laschet quäkt mehr oder minder unqualifiziert dazwischen, ernst nimmt das zumindest niemand. Mit seinen zügig beschlossenen Ausgangsbeschränkungen für den Freistaat hat Markus Söder sinnvolle Maßnahmen ergriffen, die eine Ausbreitung des Virus zumindest verlangsamen. Nun möchte er Prämien ans Gesundheitspersonal zahlen. Für eine kurzzeitige Beschwichtigung der Lage taugt dieses Vorhaben jedenfalls mehr als stehende Ovationen im Bundestag.


Die Zeiten, die auf uns zukommen, werden sehr schwere sein. Schulen, Kitas und Geschäfte können nicht für immer geschlossen bleiben. Wir werden lernen müssen, eine ganze Zeit lang mit dem Virus zu leben. Bis ein wirksames Medikament gegen Corona entwickelt ist, kann viel Zeit verstreichen. Die wirtschaftlichen Folgen der Krise treffen bereits jetzt schon einige besonders hart. Das Bedürfnis in Zeiten des Social Distancing eng zusammenzustehen, ist daher nur allzu verständlich. Wir sollten Abstand halten, aber uns nicht von denen spalten lassen, die munter aus der Reihe tanzen.

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