Eine Frage der Möglichkeiten

Lesedauer: 9 Minuten

Der Mensch ist Meister darin, stets das beste aus seiner Situation zu machen. Herausragende Erfindungen und Fortschritte waren so möglich. Dabei findet der Mensch auch immer einen Weg, seine Neigungen und Gelüste auszuleben, zumindest soweit es ihm möglich ist. Neugier, die Lust auf Ungebundenheit und der Drang sich zu beweisen wohnen dem Menschen ganz natürlich inne. Es gibt aber Kanäle, die es kinderleicht machen, diesen Neigungen freien Lauf zu lassen. Viel zu leicht…

Motivation schafft Genies

Seit Jahrtausenden besiedelt der Mensch die Erde. Und er ist zu außergewöhnlichem fähig: er bildete Staaten, bändigte das Feuer, er baute Pyramiden, flog zum Mond und er rottete Krankheiten wie die Pest aus. Mit der richtigen Motivation ist jeder Mensch zu Bestleistungen fähig. Doch so gut wie die menschlichen Errungenschaften auch sind, der Mensch schafft es stets, aus den geschaffenen Möglichkeiten das negativste Potenzial herauszuholen.

„Krieg“ mögen die meisten jetzt denken. Und es stimmt. Ohne den Menschen gäbe es keinen Krieg auf diesem Planeten. Doch so weit muss man gar nicht gehen. Es reicht ein Blick in den Alltag, um zu erkennen, dass manche Muster die Zeiten überdauern.

Altes Problem in neuem Gewand

Man kennt es: Auf einer Autobahn ist ein schwerer Verkehrsunfall passiert. Die Rettungskräfte sind eiligst unterwegs. Beim Bilden der Rettungsgasse stoßen viele an ihr intellektuelles Limit. Feuerwehr und Polizei geraten ins Stocken. Klingt schlimm? Geht aber noch schlimmer.

Kaum ein Bericht über Verkehrsunfälle kommt heute ohne den Verweis auf Gaffer aus, die die Arbeit der Einsatzkräfte zusätzlich erschweren. Anstatt beiseitezutreten und die Profis ihre Arbeit machen zu lassen, denken sie nur an die höchstmögliche Zahl an Klicks, die sie für ihre private Live-Berichterstattung erhalten. In zahlreichen Talkrunden und Fernsehbeiträgen wurde dieses Phänomen aufgegriffen und heiß diskutiert. Das Problem ist also bekannt. Aber nicht neu.

In Sekunden zum Insta-Fame

Zugegeben, neu ist die Ausprägung des Phänomens. Viele werden sagen: „Solche Gaffer hat es früher nicht gegeben.“ Ein bisschen stimmt das auch. Aber woran liegt denn das? Sicher nicht daran, dass der Mensch erst in den letzten Jahren so widerwärtig neugierig und pietätlos geworden ist. Die meisten konnten schlicht und ergreifend nicht so gaffen, wie sie es heute tun.

Man versuche, sich einmal vorzustellen, wie grotesk eine solche Filmerei in den 1980er-Jahren gewirkt hätte. Da stehen sie zuhauf und filmen mit ihren VHS-Kameras jeden Handstreich der Sanitäter. Zu Hause konvertieren sie dann die Aufnahme in ein passendes Dateiformat, um sie per Internet möglichst vielen zugänglich zu machen. Vollkommener Quatsch. Selbst wenn es das Internet deutlich früher gegeben hätte: es wäre viel zu aufwändig gewesen, die Aufnahmen aus den alten Kameras hochzuladen.

Heute ist das natürlich völlig anders. Bereits wenige Sekunden nach Aufnahme können Fotos einem Millionenpublikum präsentiert werden. Das Internet vernetzt schließlich alle. Moderne Technologien wie das Smartphone leisten ihr übriges. Innerhalb weniger Momente kann die menschliche Neugierde sowie der Drang zur Selbstdarstellung befriedigt werden.

Die Macht der Vielen

Mit jedem hochgeladenen Selfie von der Unfallstelle wird der Fotograf gleichzeitig auch zum Herdentreiber. Jedes hochgeladene Bild und jeder veröffentlichte Clip treibt andere dazu, es den glorreichen Entertainern gleichzutun. Dieses Prinzip funktionierte schon immer. Es gibt die Möglichkeit, also wird sie genutzt. Beispiel Silvesterböller: Vollmundig verspricht man, in diesem Jahr weniger zu böllern. Doch was ist das?! Die Knaller gibt’s bei Kaufland im Sonderangebot? Schnell zugreifen, bevor der Nachbar einen besseren Fang macht! Es gibt die Möglichkeit, also wird sie genutzt.

Die Empörung über Silvesterböller steht dabei der Empörung über Gaffer bei Unfällen in nichts nach. Alle bekunden sie, wie abartig und widerwärtig sie das doch finden. Und trotzdem finden sich zahllose solcher Clips im Netz ein. Man kann es ja schließlich machen.

Der Star in dir

Die schier unendliche Reichweite des Internets triggert den Menschen. Jeder strebt ganz natürlich danach, in einem möglichst guten Licht dazustehen und den anderen zu überbieten. Moral und Anstand sind Grenzen, die für andere gelten. Heute kann jeder alles sein. Ob Reporter mit Low-Quality – Bildern vom Unglücksort, ob Politiker mit alternativen Fakten auf facebook oder als das was jeder sein will: Ein Star. Reality-TV á la RTL II macht’s möglich.

Hate Speech in der Kommentarspalte funktioniert übrigens ganz ähnlich wie das sinnfreie Gepose neben einem Autounfall. Viele machen es, also warum nicht auch ich? Es tut doch keinem weh. Und außerdem hat dieser Bastard eine andere Meinung als ich, also schnell mal raushauen, was ich davon halte. Bei der Hate Speech kommt allerdings noch die Anonymität erschwerend hinzu. In Foren mit Fantasienamen ist es schwierig, Autoren für ihre Kommentare haftbar zu machen.

Bei mir geht’s doch nicht

Doch genug von Autounfällen und obskuren Ergüssen im Kommentarfeld. Die Generation „Früher war alles besser“ beklagt nicht nur das grassierende Problem der Gaffer. Ihrer Meinung nach waren die Menschen früher nicht nur anständiger, sondern auch verlässlicher. Und jeder hat es doch schon mal erlebt: Man hat sich mühevoll mit einer anderen Person auf einen Termin geeinigt, um sich nach Monaten der Trennung endlich einmal wiederzusehen. Doch dann funkt die schicksalhafte Nachricht auf WhatsApp dazwischen und macht alle Hoffnungen zunichte: Mit wenigen Buchstaben wurde soeben die komplette Tagesplanung über den Haufen geworfen.

Und warum gab’s so was früher nicht? Ganz einfach, Absagen war früher schwerer. Heute reicht eine belanglose Nachricht über einen Messenger oder ein kleiner Mausklick bei Doodle, um Termine zu stornieren. Das ist nicht nur einfacher, sondern auch unpersönlicher. Früher musste man zumindest zum Telefonhörer greifen, um von dem Malheur mit der Milchflasche zu berichten oder die plötzliche Erkrankung der Hauskatze zu beichten. Die Reaktion über die Leitung erfolgte prompt. Dieser Reaktion kann man sich heute spielend leicht entziehen. Nachricht abgeschickt und schon liegt das Gerät im Eck.

Den meisten wird es aber auch erschreckend einfach gemacht. In einer so eng durchgetakteten Welt wie der heutigen ist ein jeder natürlich froh, wenn die Terminplanung von anderen übernommen wird. Diese externe Terminplanung via Doodle & Co. verkompliziert allerdings eine Sache, die früher wesentlich schneller von der Hand ging. Und wenn doch einmal was dazwischenkommt, dann ist es eben so. So einfach wie heute Absprachen erschüttert werden können, so leicht sollte man doch auch umplanen können. Glauben zumindest viele. Zum Absagen gehört also weiterhin eine gewisse Portion Taktlosigkeit. Doch die Hemmschwelle dazu liegt heute wesentlich niedriger.

Generation „Vielleicht“

„Vielleicht“ avanciert immer mehr zur Universalantwort auf Verabredungen. Vielleicht kann ich, vielleicht aber auch nicht. Schauen wir mal. Der Mensch legt sich eben nicht gerne fest. Früher musste er das. Heute nur noch selten. Bestes Zeugnis für diesen Vielleicht-Lifestyle ist der regelrechte Bestell-Wahnsinn mancher Online-Käufer. Sie bestellen Kleider in verschiedenen Größen, in der Hoffnung, dass eine Anfertigung schon passt. Was nicht passt oder sich doch eher als Fehlgriff erweist, wird kaltschnäuzig zurückgeschickt.

Weil sie es können. Ein Ausflug ins Kaufhaus inklusive mühsamer Anprobe und einer definitiven Entscheidung vor Ort ist eben zeitaufwändig. Vor allem, wenn die gleichen Strapazen für einen Umtausch erneut ins Haus stehen. Was für eine Verrenkung. Muss man allerdings nur einmal klicken, kurz auspacken, die Augen verdrehen und den Kladeradatsch zurückgehen lassen, sieht die Welt schon anders aus. Alles eine Frage der Möglichkeiten.

Eine Frage der Möglichkeiten

Viele glauben, die Gesellschaft hat sich verändert. Sie glauben, bestimmte Zeiten sind daran schuld, dass viele heute so unanständig geworden sind. Sie meinen, es seien die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Menschen mit ihren Smartphones zur Unfallstelle treiben oder zum unberechenbaren Gegenüber machen. Dass die Menschen früher besser waren. Ich muss widersprechen. Denn nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geben die Möglichkeiten vor. Es sind die Möglichkeiten, die gesellschaftliche Rahmenbedingungen befördern.


Ein kleiner Junge liegt am Ufer der Elbe. Er ist tot. Ermordet. Die Spurensicherung und die Polizei sind vor Ort. Die Kommissarin kann es nicht glauben: im Hintergrund drängen sich dutzende Schaulustige gegen die Polizeiabsperrung. Ihre Smartphones ragen empor, sie machen Fotos. Angewidert wendet sich die Kommissarin ab. Sie kann es nicht fassen. Ihre Kollegin beschwichtigt sie: „Die waren immer schon so. Früher gab’s nur keine Smartphones.“ Wie recht die Tatort-Kommissarin hatte.

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Weil Klimawandel

Lesedauer: 9 Minuten

Die Debatte um den Klimaschutz beherrscht die Medien und die öffentliche Wahrnehmung wie einst die Flüchtlingskrise. Egal worüber eigentlich diskutiert wird, eine Stellungnahme zur Klimarettung wird fast jedem abverlangt. Die Polarisierung in unserer Gesellschaft ist in vollem Gange. Die Gutmenschen von 2015 sind heute die Jünger der Greta. Wer vor Jahren für eine Schließung der Grenzen war, bezweifelt heute den menschengemachten Klimawandel. Die Gefahren einer solchen Polarisierung dürfen nicht unterschätzt werden.

Martin Schulz’s Last Stand

Am 12. September 2018 erhob sich der gescheiterte Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, von seinem Sitz im Plenum des Bundestags. Er nutzte eine Kurzintervention, um eine Bemerkung zu der vorausgegangenen Rede von Alexander Gauland zu machen. Er führte aus, „[d]ie Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte auf ein einziges Thema […] ist ein tradiertes Mittel des Faschismus.“ Unter dem Applaus seiner Parteifreunde und dem Protestieren von rechtsaußen schickte er hinterher, es sei höchste Zeit, dass „die Demokratie sich gegen diese Leute wehrt.“

Es folgte langanhaltender Applaus für Martin Schulz, teilweise gab es sogar stehende Ovationen. Natürlich bezog sich Schulz auf die Rhetorik der AfD und ihre beinahe pathologische Neigung, die Schuld für sämtliche Missstände im Land bei den Migranten und Asylanten zu suchen. Er traf mit seinen Äußerungen den Nagel auf den Kopf. Doch wenn man sich die Debattenführung der letzten Jahre anschaut, könnte man meinen, er kam mit dieser Einsicht etwas spät um die Ecke. Immerhin werden viele kleinere Debatten seit Jahren von viel größeren Themen überschattet und vereinnahmt.

Polarisierung spaltet

Nehmen wir beispielsweise die Flüchtlingskrise. Sie hat die deutsche Gesellschaft gespalten wie kaum ein Thema zuvor. Und natürlich war absehbar, dass die Ankunft zehntausender Asylsuchender das Land vor gewaltige Probleme stellen würde. Es war natürlich ebenso richtig, dass über die Lösung dieser Krise hart diskutiert wird.

Allerdings wurden über die Flüchtlingskrise ab 2015 andere wichtige Themen vernachlässigt oder sogar vergessen. Die Flüchtlinge waren dauerpräsent in den Medien. Man hatte das Gefühl, die Menschen in Deutschland würden sich um nichts anderes mehr scheren als ihren persönlichen Standpunkt zu einer neuen Asylunterkunft drei Straßen weiter.

Das polarisiert. Und die Folge von Polarisierungen sind immer zwei Lager, die sich schier unversöhnlich gegenüberstehen. Bist du für oder bist du gegen die Flüchtlinge? Ein Dazwischen wurde nicht akzeptiert. Die beiden Lager waren wie schwarze Löcher, die stetig wachsen und alles aufsaugen, was ihnen zu nahe kommt.

Zwischen Willkommenskultur und Schießbefehl

Dabei gibt es sehr wenige Menschen, die ernsthaft alle Flüchtlinge der Welt in Deutschland willkommenheißen möchten. Genau so wenige Menschen möchten am liebsten auf alles schießen, was der deutschen Grenze zu nahe kommt. Doch die Dauerpräsenz in den Medien, und auch die Debattenführung, gaukelte immer mehr Menschen vor, dass die beiden Lager immer größer würden. Und letztendlich wurden sie das dadurch auch.

Menschen, die sich differenziert und sachlich zu den Themen äußern wollten, wurden entweder nicht ernstgenommen oder zwischen den rivalisierenden Lagern zerrieben. Teilweise wurden sie eigenmächtig in eines der Lager zugeteilt. Die Saugwirkung ließ nicht zu wünschen übrig. So erging es beispielsweise Sahra Wagenknecht. Nach ihren kritischen Äußerungen zu den Ereignissen in Köln zur Jahreswende 2016 wurden selbst einer Frau, die jahrelang als eiserne Verfechterin des Kommunismus galt, rechte Tendenzen unterstellt.

Verdächtig ähnliche Argumentationsmuster

Den wirklich Rechten spielte die Omnipräsenz der Flüchtlinge natürlich in die Hände. Sie spannen beflissen die Legende von den raffgierigen Flüchtlingen, die sich in unseren Sozialsystemen einnisteten. Martin Schulz hat völlig recht: Das sind faschistische Rhetorikmuster.

Wie weit diese Muster unsere Debattenkultur inzwischen vergiftet haben, zeigt sich an einem aktuelleren Beispiel. Während man ab 2015 fast alles mit den Flüchtlingen begründete, kommt heute kaum noch eine Diskussion ohne den Klimawandel aus.

Zwischennotiz: Beides – sowohl die Flüchtlingskrise als auch die Rettung des globalen Klimas – sind Mammutaufgaben, denen man sich nicht verweigern darf. Sie bedürfen unglaublicher Kraftanstrengungen und haben daher einen berechtigten Platz in der öffentlichen Wahrnehmung. So, weiter im Text.

Das erstaunliche an der Klimakrise: Das Argumentationsmuster wurde auf links gedreht. Bei der Flüchtlingsdebatte mussten die Flüchtlinge als Sündenbock für verfehlte politische Entscheidungen der letzten Jahre herhalten. Bei der Debatte ums Klima ist der Schutz desselbigen immer die Lösung aller Probleme.

Eine vorgeschobene Debatte

Gerade dieser Tage wird ein Thema wieder routiniert aufgewärmt: das Böllern an Silvester. Verschiedene Einzelhandelsketten haben sich in diesem Jahr zu einem Verkaufsstopp der beliebten Knallkörper bekannt. Vorrangiges Argument: die Feinstaubbelastung durch die Böllerei ist Gift für’s Klima. Stimmt so. Aber klar wird es mal wieder vorrangig auf’s Klima geschoben. Andernfalls müsste man schließlich auch selbstreflektierend zugeben, dass es von Anfang an Schwachsinn war, Sprengstoff an Laien zu verhökern.

Beide Argumente, der Klimaschutz wie der Gesundheitsschutz, sind gute Gründe, die Knallerei an Silvester abzuschaffen. Aber wieso bedarf es erst einer Sensibilisierung der Gesellschaft für Klimafragen, wenn die Gesundheit der Menschen durch Böller seit Jahr und Tag bedroht war? Der Einzelhandel macht es sich wirklich leicht. Und er springt auf den Zug mit auf. Ein Böllerverbot, das vorrangig aufgrund der Klimadebatte zustandekommt, obwohl es schon lange gute Gründe für ein solches Verbot gibt, leistet einen Beitrag zu einer weiteren Polarisierung der Klimadebatte insgesamt.

Diesel ist Diesel. Und Klima ist Klima.

Es ist für den Zusammenhalt einer Gesellschaft niemals gut, wenn sämtliche Fragen auf einen einzigen Aspekt heruntergebrochen werden. Das lähmt nämlich das Vorankommen einer Gesellschaft oder ist sogar kontraproduktiv. Zum einen führt ein solches Herunterbrechen zwangsläufig zu einer Polarisierung mit gegensätzlichen Lagern. Vorschläge und Ideen aus dem einen Lager führen zuverlässig zu Widerstand aus dem anderen Lager. Böllerverbot? Jetzt erst recht böllern! Die wollen mir meinen Diesel wegnehmen?! Ich kauf‘ mir erst recht einen! Tempolimit auf der Autobahn? Die können gleich mal sehen, wie schnell ich rasen kann!

Wenn jedes Problem nur noch mit einer gängigen Antwort beantwortet wird, dann vermischen sich Themen, die im Prinzip nichts miteinander zu tun haben. Wer redet denn heute noch vom Dieselskandal? Kein Mensch. Es wird darüber diskutiert, wie man die Feinstaubbelastung des Straßenverkehrs in den Griff bekommt.

Der Dieselskandal hat dem Thema Feinstaub neuen Aufwind verschafft. Dass er das getan hat, ist eigentlich absurd. Hat ernsthaft jemand geglaubt, Dieselautos könnten jemals klimaneutral sein? Dass hier in gigantischem Ausmaß betrogen wurde, steht außer Frage. Doch anstatt dieses Problem ernsthaft aufzuarbeiten, versuchte man es mit der Klimafrage zu beschwichtigen. Wenn Dieselautos sowieso verboten werden, dann juckt es keinen, dass früher mal mit welchen betrogen wurde. Kein Wunder, dass sich viele Menschen da zweimal vor den Kopf gestoßen fühlen.

Wieso denn jetzt das Klima?!

Das große Handicap des Klimawandels: Er ist viel zu abstrakt. Natürlich bemerken wir, dass sich das Wetter im Sommer geändert hat. Und selbstverständlich sind weiße Weihnachten zur Rarität geworden. Aber gerade in Deutschland sind die Folgen des Klimawandels noch relativ moderat. Deswegen sperren sich so viele Menschen auch gegen ein Böllerverbot. Was hat das denn mit dem Klima zu tun? Die Folgen sind ja nicht unmittelbar spürbar. Anders verhält es sich, wenn einem die halbe Hand von einem Chinaböller weggesprengt wird.

Gleiches Prinzip beim gerade wieder heiß diskutierten Tempolimit auf der Autobahn: Die Argumente von wegen Verkehrssicherheit haben nicht gezogen. Warum soll der Klimawandel das Blatt jetzt wenden? Die Menschen wurden durch konkrete Bilder, wie Menschen durch Windschutzscheiben geschleudert wurden, nicht von einem Tempolimit überzeugt. Wenn konkrete Beispiele scheitern, dann werden abstrakte noch viel weniger fruchten.

Ein Nebendarsteller in der Hauptrolle

Dass ein generelles Tempolimit auf der Autobahn einen Beitrag zur Reduktion des CO2-Ausstoßes leistet, kann von niemandem ernsthaft bestritten werden, der einen gesunden Menschenverstand sein eigen nennt. Viel wichtiger und viel konkreter ist ein Tempolimit doch aber, um die Sicherheit des Straßenverkehrs zu erhöhen. Der Klimaschutz ist ein begrüßenswerter Nebeneffekt einer solchen Regelung. Wenn er nun aber zum Hauptargument mutiert, verwundert es kaum, wenn sich die Fronten verhärten.

Eigentlich ist die Diskussion um ein Tempolimit sowieso obsolet. Spätestens wenn sich das autonome Fahren durchgesetzt hat, wird kein Weg mehr an einer generellen Geschwindigkeitsregulierung vorbeiführen. Vielleicht wird dann das leidige Thema Zeitumstellung vom Klimawandel vereinnahmt.

“Die Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte auf ein einziges Thema […] ist ein tradiertes Mittel des Faschismus.“ Immer häufiger beherrschen einzelne Themen die Debatten über viel komplexere Sachverhalte. Was Martin Schulz bereits im letzten Jahr angeprangert hat, geht schon lange nicht mehr nur von der AfD aus. Eine solche Art der Debattenführung ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es ist tatsächlich an der Zeit, dass sich alle Demokraten dagegen wehren.

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!