Mehr Schein als Sein

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Kamala Harris will Präsidentin der USA werden. Die meisten Demokraten wollen, dass nicht Joe Biden Präsident wird. Auf nichts anderem gründet der seit Wochen anhaltende Hype um die plötzliche Nachrückerin. Sie ist ein frisches Gesicht, denn große Erfolge oder Skandale blieben von ihr bislang aus. Ob sie wirklich eine Chance gegen Donald Trump hat, ist dennoch äußerst fraglich.

Plötzlich Präsidentin

Eigentlich wollte Kamala Harris einfach nur ihre Ruhe haben. Nach vier Jahren Mike Pence als Vizepräsident wollte sie der USA und der Welt zeigen, wie sich eine echte Vizepräsidentin zu verhalten hat: ruhig und unauffällig. So kam es dann auch. Nach dem Sieg von Joe Biden 2020 konnte sie sich leise, still und heimlich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Vielleicht übertrieb es die Gute dabei ein wenig. Seit der Wahl von Joe Biden zum 46. US-Präsidentin ward sie nie mehr gesehen.

Das änderte sich, als im Vorgeplänkel zum Wahlkampf immer offensichtlicher wurde, was viele schon lange hinter vorgehaltener Hand wussten: Der Präsident ist zu alt. Als er vor einem Millionenpublikum auch noch Schwierigkeiten hatte, seinen zugewiesenen Platz zu finden, war es beschlossene Sache – Biden darf nicht noch einmal ins Rennen gehen. Die Suche nach einem geeigneten Ersatz war zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Weil die Zeit knapp wurde, nahm man die erstbeste Person, die greifbar war. In diesem Fall war das Vizepräsidentin Kamala Harris.

Riskanter Personenkult

Seitdem ist ein regelrechter Hype um die ausrangierte Zweitplatzierte ausgebrochen. Plötzlich kannte jeder ihren Namen – als wäre sie in den letzten Jahren auf irgendeine Weise nennenswert in Erscheinung getreten. Die Euphorie der Demokraten war kaum zu bremsen. Streckenweise hätte man meinen können, sie hätten die Wahl schon gewonnen – dabei dauerte es noch Wochen, bis Harris überhaupt offiziell zur Präsidentschaftskandidatin gewählt wurde.

Die extasenhafte Freude über die Kandidatur von Kamala Harris kam so plötzlich und mit einer solchen Wucht, dass da was faul sein muss. Und tatsächlich ist sie völlig austauschbar. Der Jubel und Applaus, mit dem sie gerade verwöhnt wird, gilt gar nicht ihr. Es ist die unbändige Freude darüber, dass ein völlig aussichtsloser Kandidat endlich die Zeichen der Zeit erkannt hat und abgetreten ist. Dazu kommt: Mit einer schwarzen Frau kann doch eigentlich nichts mehr schiefgehen, oder?

Dabei sollten doch selbst die Amis mittlerweile begriffen haben: Personenkulte sind selten erfolgreich, erst recht, wenn sie so plötzlich kommen. Sie bergen immer das Risiko des tiefen Falls nach unten. Kamala Harris kann sich auch sehr schnell als Luftnummer erweisen. Viele andere Hypes haben es ihr vorgemacht.

Auch die deutsche Politik hat schon ausreichend Erfahrung mit solchen Senkrechtstartern gemacht. Jüngstes Beispiel ist Martin Schulz (SPD), der zunächst mit 100 Prozent Zustimmung zum Kanzlerkandidaten seiner Partei gewählt wurde, die Titelseiten sämtlicher Zeitschriften schmückte und schließlich der SPD das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik bescherte. So etwas kann sich wiederholen.

Amtsvorgängerbonus

Kamala Harris mag sich als Generalstaatsanwältin einen Namen gemacht haben. Hier setzte sie sich vehement für eine stärkere Regulierung des Waffenrechts ein und setzte sich mehrfach gegen republikanische Kontrahenten bei der Wahl auf das Amt der Generalstaatsanwältin durch. Nichtsdestotrotz ist sie als Politikerin bislang erstaunlich blass geblieben. Keiner hatte sie so recht auf dem Zettel. Große politische Erfolge kann sie ebenso wenig für sich beanspruchen.

Ihre Beliebtheitswerte haben eben doch nichts mit ihr und ihren Leistungen zu tun. Sie profitiert einzig von der Schwäche ihres Vorgängers. Ohne die bemitleidenswerte Figur Joe Biden käme Harris nicht einmal in die Nähe des Präsidentinnenamts. Die Frage ist nur: Wie lange wird sie diesen Effekt noch aufrechterhalten können? Denn sind wir mal ehrlich – das Zeug zur Angela Merkel hat Kamala Harris mit Sicherheit nicht.

Trotzdem werden am 5. November viele Menschen Kamala Harris wählen. Ein Haushoch-Sieg von Donald Trump über seine neue Kontrahentin ist höchst unwahrscheinlich. Gewählt wird die 59-jährige sehr wahrscheinlich von Urdemokraten und radikalen Trump-Gegnern. Denn genau das ist ihre Klientel. Sie gehört zum Establishment. An den Zweifelnden und Unentschlossenen wird sie scheitern.

Mehr Schein als Sein

Kamala Harris ist bekannt für ihr Engagement gegen Rassismus und andere Formen der Diskriminierung. Als Verfechterin für soziale Gerechtigkeit und als Kümmerin der sogenannten kleinen Leute kennt sie jedoch niemand. Wie will sie da einem Meistermanipulator wie Donald Trump das Wasser abgraben? Auch die kürzlich bekanntgewordenen Spendengelder für ihren Wahlkampf arbeiten eher gegen sie. Man kann noch so viel Geld in Kampagnen investieren – Misstrauen verschwindet nicht so einfach. Viele derer, die sich jetzt noch nicht zwischen Demokraten und Republikanern entschieden haben, werden sich fragen, wo das Geld herkommt. Kann Harris diese Frage nicht zufriedenstellend beantworten, bleiben genau zwei Optionen: Entweder diese Kritiker wählen Trump oder gar nicht.

Kamala Harris kann Stimmen halten. Dass sie in großer Zahl neue hinzugewinnt ist unwahrscheinlich. Deswegen wird es eng für sie am 5. November- sehr eng. Auch 2016 hielten es viele für gesetzt, dass Hillary Clinton Präsidentin wird – und im Gegensatz zu Kamala Harris war damals ein noch größerer Name im Rennen. Hillary Clinton scheiterte, weil sie sich zu sehr auf ihren Erfolgen ausruhte und sich nicht ausreichend in die Lebensrealitäten potenzieller Trump-Wähler hineinversetzen konnte. Kamala Harris muss schwer aufpassen, nicht in die gleiche Falle zu treten.

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Abgeschrieben

Lesedauer: 8 Minuten

Joe Biden hat die US-Wahl gewonnen. An dieser Gewissheit führt kein Weg mehr vorbei. Auch nicht für Donald Trump, der ja schon immer ein ganz spezielles Verhältnis zur Wahrheit hatte. Wahr ist aber auch, dass fast die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner überhaupt kein Kreuzchen gemacht haben. Eine neoliberale Politik aus Privatisierung und Marktradikalismus hat sie immer weiter von der Demokratie weggetrieben. Sie fühlen sich nicht mehr vertreten und bleiben im schlimmsten Fall zu Hause. Urplötzlich gibt es zu der demokratischen Option eine extremistische Alternative…

Pest und Cholera

Die Wahlen in den USA waren eine knappe Kiste. Obwohl Biden seinen Vorsprung gegen Trump weiter ausbaut, haben beachtlich viele Menschen für den noch amtierenden Präsidenten gestimmt. Ähnlich wie vor vier Jahren zeigen sich viele entsetzt darüber, wie man einen Mann wie Donald Trump überhaupt wählen kann. Dabei liegt die Antwort doch auf der Hand. Wenn mir einer der beiden Präsidentschaftskandidaten nicht behagt, dann wähle ich den anderen. Oder ich bleibe der Wahl ganz fern, wenn mir auch der Gegenkandidat so gar nicht zusagt.

Denn seit Jahrzehnten ist die Wahlbeteiligung in den USA besorgniserregend niedrig. Das hat natürlich mehr als einen Grund. Aber ein ganz entscheidender ist die Alternativlosigkeit, die sich den Menschen in den USA auftut. In dem Land gibt es im wesentlichen zwei Parteien – die Demokraten und die Republikaner. Ein Wechsel zwischen diesen beiden Wahlentscheidungen ist nicht so leicht, wie man ihn sich vielleicht vorstellt. Denn die beiden Parteien, so ähnlich ihre Politik manchmal auch scheinen mag, folgen zwei völlig unterschiedlichen Wertekanons. Jemand, der sonst immer Demokraten gewählt hat, dann immer wieder enttäuscht wurde, wird trotzdem nicht so einfach Republikaner wählen. Da wird einem schon fast ein Charakterwechsel abverlangt. Stattdessen verkriechen sich viele in das Lager der Nichtwähler. Und das umfasst seit mehreren Dekaden fast die Hälfte der wahlberechtigten Amerikaner.

Ein schwerer Kompromiss

In anderen demokratisch verfassten Ländern ist ein Wechsel zu einer anderen Partei schon leichter. In vielen dieser Länder ist die Parteienlandschaft schließlich wesentlich differenzierter. Wem hierzulande die SPD nicht mehr links genug ist, der geht zur Linken. Wer im Handeln der CDU keine konservative Politik mehr erkennt, der wandert zur AfD ab. Wer in den USA allerdings mit übertriebenem Patriotismus, mit einem vollends entfesselten Marktradikalismus und mit der Parole „America first“ nichts anfangen kann, der hat schlicht und ergreifend keine andere Wahl als Joe Biden oder die eigenen vier Wände.

Im Prinzip wird vielen Amerikanern bei der Wahl ein besonders schwerer Kompromiss abverlangt. Nur zähneknirschend werden viele ihre Wahl getroffen haben. Dabei würde sich echter politischer Pluralismus gerade in einem so bevölkerungsreichen Land wie den USA lohnen. Zwei Parteien reichen in einem Land mit mehr als 300 Millionen Einwohnern einfach nicht aus.

Nun hat man in den USA zwei Parteien, die die Interessen aller abdecken sollen. Gut, die beiden Parteien trennen zwei völlig unterschiedliche Weltbilder. Ihre Politik ist sich aber in zu vielen Punkten zu ähnlich. Das haben nicht erst gestern auch viele US-Amerikaner erkannt. Sie haben es mit zwei großen Parteien zu tun, die beide am neoliberalen Kapitalismus festhalten und seit Anbeginn aller Zeiten davon ausgehen, dass der Markt alles regelt. Wohin das geführt hat, haben wir in den letzten vier Jahren zur Genüge gesehen: Donald Trump war Präsident.

motherlode

Die allermeisten Amerikaner leben heute in einem Land, in dem der vielgepriesene amerikanische Traum genau das ist: ein Traum. Kaum jemand steigt in den USA heute noch vom Tellerwäscher zum Millionär auf. Egal wie sehr sie sich abmühen, mit sozialem Aufstieg werden nur ganz, ganz wenige belohnt. Lange vorbei sind die Zeiten, wo man sich vom kleinen Paketezusteller zum Top-Manager eines Konzerns mausern konnte. Dieses Szenario gibt es heute nur noch bei den Sims. Und selbst dort nur mit Cheats.

Trotzdem werden amerikanische Politiker nicht müde, die USA als Land der unendlichen Möglichkeiten über den grünen Klee zu loben. Immer wieder heizen sie ihren Wählerinnen und Wählern ordentlich ein, denn mit ausreichend viel Fleiß und Ehrgeiz kann es doch jeder zu was bringen. Diese verfaulte Karotte binden sie ihrem Volk immer wieder vor das Gesicht und wundern sich, dass inzwischen fast niemand mehr zuschnappt.

Gute Preise, keine Besserung

An den Lebensrealitäten der Amerikaner gehen diese Versprechungen allerdings vorbei. Einer steilen Karriere inklusive Familienglück und dem nötigen Kleingeld werden viele nicht abgeneigt sein. Zu allererst wünschen sich sehr viele Amerikaner aber eine Krankenversicherung, die sie tatsächlich im Krankheitsfall auffängt. Stattdessen wird zu vielen eine angemessene Behandlung verweigert, weil angeblich ihre Leistungsfähigkeit dazu nicht ausreicht. Diese miserablen Zustände in der Gesundheitsversorgung der USA haben eine so katastrophale Ausbreitung des Coronavirus in dem Land erst möglich gemacht.

Und auch die Omnipräsenz von Waffengewalt dürfte vielen Menschen ein Dorn im Auge sein. Fast jeder darf in den USA ganz legal eine Waffe bei sich tragen. Die Waffengesetze variieren zwar von Bundesstaat zu Bundesstaat, doch trotzdem gibt es Bezirke in den USA, bei denen man froh sein muss, ohne Kugel im Kopf wieder rauszukommen. Kein einziger Präsident hat diesem wilden Treiben der Waffenlobby bisher Einhalt geboten. Warum sollten sie auch? Sie verdienen ja genug daran.

Die neue Egalité

Wenn fast die Hälfte der wahlberechtigten Amerikanerinnen und Amerikaner nicht zu einer solch bedeutenden Wahl wie vor zwei Wochen gehen, dann können sie sich in ihrem Land nicht allzu wohl fühlen. Schuld daran ist vor allem das neoliberale Vorbeiregieren am Volk, welches weite Teile immer weiter wegtreibt von der Demokratie. Viele gehen einfach nicht mehr wählen, sie haben sich längst von der Demokratie abgewendet. Das macht sie aber lange nicht zu Extremisten. Ihnen ist es einfach egal, was passiert und wer in den nächsten vier Jahren das Sagen hat.

Genau auf diese Menschen kommt es aber an. Was für ein Wahlergebnis wäre wohl zu erwarten gewesen, hätten doppelt so viele Menschen abgestimmt als es tatsächlich der Fall war? Und in welch katastrophalem Zustand muss eine Demokratie sein, wenn es fast der Hälfte der Wahlberechtigten egal ist, dass ein narzisstisches, frauenverachtendes Trumpeltier noch vier Jahre Präsident sein kann?

Abgeschrieben

In Deutschland liegt die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen zwar deutlich höher, aber gut ein Viertel der Wählerinnen und Wähler haben bei den letzten Wahlen trotzdem auf ihr Votum verzichtet. Das kann unmöglich der Anspruch einer standhaften Demokratie sein. Und auch bei uns in Deutschland wählen die meisten Menschen nicht AfD, weil sie Rechtsextremismus, Diskriminierung und Nationalismus so geil finden, sondern weil ihnen dieser Aspekt der AfD schlicht und ergreifend egal ist. Die AfD ist für viele der letzte Strohhalm, der sie vor dem Nichtwählerlager bewahrt. Ihre fragwürdige Wahl muss doch alle demokratischen Parteien erschüttern: Nehmt uns endlich wieder mit, sonst wählen wir beim nächsten Mal gar nicht mehr.

Und jede verschenkte Stimme stärkt auch das Stimmgewicht für extremistische Parteien. Wenn sich zu viele Menschen von der Demokratie abwenden, dann haben gerade die Extremisten leichtes Spiel. Sie ködern die Leute, die abgehängt wurden und geben ihnen gleichzeitig das Gefühl, ganz besonders gute Demokraten zu sein. Und ganz plötzlich, und für alle völlig unerwartet, sind Szenarien wie Macron gegen Le Pen oder Trump gegen Biden möglich.

Besonders fatal an dem ganzen Schlamassel: Die Nichtwähler werden viel zu häufig ausgeblendet. Der Erfolg Bidens wird zu einem Sieg der echten Demokratie stilisiert, obwohl nur die Hälfte des Volks abgestimmt hat. Seit Jahren gibt es nur noch die einzig wahren Verfechter der Demokratie auf der einen Seite und das extremistische Gesocks auf der anderen. Unpolitisch zu sein, wird nicht mehr geduldet. Zu allem wird eine politische Haltung abverlangt. Ständig muss man aufpassen, nicht etwas zu sagen, mit dem man anderen auf die Füße tritt oder mit dem man ein politisches Statement abgibt. Auch das treibt viele weg von der Demokratie. Da hilft es auch nicht, das Stimmpotenzial dieser Menschen zu ignorieren. Gebt euch keine Mühe, sie abzuschreiben – sie sind es längst.


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