Ernstfall Demokratie

Lesedauer: 7 Minuten

Es ist seit Wochen in Stein gemeißelt: Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Kanzler, Oppositionsführung und ein Ex-Koalitionär haben so entschieden. Der Zeitplan ist zwar weiterhin knapp, aber für jeden bleibt gerade so genug Zeit, um sich auf den vorgezogenen Wahlkampf vorzubereiten. In Zeiten politischer Umbrüche und großer Unzufriedenheit genießt man lieber weiter die liebgewonnene Wärme im Elfenbeinturm. Dass Demokratie unbequem sein muss, um zu funktionieren, findet bei der gut durchorchestrierten Bundestagswahl kaum Beachtung.

Vertuschter Formfehler

Deutschland bekommt einen neuen Bundestag. Der Wahltermin am 23. Februar ist schon heute in aller Munde. Das Problem dabei: Es gibt überhaupt keine Rechtsgrundlage für diesen Termin. Denn ausgerufen werden kann die Neuwahl erst dann, wenn der Bundespräsident den Bundestag aufgelöst hat. Das wird erst dann der Fall sein, wenn der Bundeskanzler die Vertrauensfrage verliert. Diese Möglichkeit hat er aber erst, nachdem er sie überhaupt gestellt hat. Außer einer Ankündigung dieses gewagten Schritts liegt bislang nichts vor.

Der 23. Februar ist also kein zwangsläufiger Termin. Er ist das Produkt eines Kompromisses, welches die Opposition dem scheidenden Kanzler abrang, nachdem dieser die Vertrauensfrage am liebsten bis in den Januar hinausgezögert hätte. Diese anfängliche Empörung über die Hinhaltetaktik von Olaf Scholz (SPD) wich auch bei der Opposition schnell einem Konsens über den anvisierten Wahltermin.

Demokratisches Planspiel?

Die Damen und Herren in den blauen Sesseln scheinen dabei zu vergessen, dass sie ihre herausgehobene Position nicht der gönnerhaften Haltung eines wackeligen Regierungschefs zu verdanken haben, sondern dem Willen der Bürgerinnen und Bürger. Es waren die Wählerinnen und Wähler, welche in einem demokratischen Akt über die Zusammensetzung des Bundestags und damit mittelbar der Bundesregierung entschieden haben.

Nun ist die Bundesregierung zerbrochen und kann sich nicht mehr auf eine Mehrheit im Parlament stützen. Die logische Konsequenz daraus wäre die unverzügliche Anberaumung der Vertrauensfrage gewesen und keine strategischen Spielchen, welche die Bürgerinnen und Bürger über Wochen der demokratischen Teilhabe berauben.

Denn bei der Festsetzung des provisorischen Wahltermins fand der Wählerwille keine Berücksichtigung. Es ging in erster Linie darum, den anstehenden Wahlkampf so günstig wie möglich zu platzieren. Der aufbrandende Wahlkampf ist schon mehr als zwei Monate vor der Wahl genau getaktet, die Umfragewerte werden immer ernsthafter als Richtwert eines Wahlergebnisses interpretiert. So entsteht der Eindruck eines demokratischen Planspiels, bei dem die Wähler kaum eine Rolle spielen. Das ist nicht nur riskant, sondern auch konträr zum Sinn und Zweck einer Demokratie: Sie lässt sich nicht planen.

Oppositionsversagen

Insgeheim würde wahrscheinlich jede Regierung ihre Vorhaben am liebsten völlig ungestört in die Tat umsetzen – wäre da nicht das Parlament mitsamt der Opposition, die ihr immer wieder auf die Finger klopft und die stressfreie Verwirklichung ihrer Pläne vereitelt. In den letzten Wochen jedoch hat diese Opposition kläglich versagt. Nach einer kurz aufflammenden Empörung über die verschleppte Vertrauensfrage, ist heute selbst Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) d’accord damit, sich an das Drehbuch des Kanzlers zu halten.

Die anfängliche Fundamentalblockade der Union wich einem allgemeinen Kanzlerkonsens. Zwar verhindert sie die Realisierung rot-grüner Minderheitsfantastereien, sie unterdrückt aber auch die Bildung möglicher anderer Mehrheiten, um neue Projekte an den Start zu bringen. Ein Teil des Plenums wird dabei völlig außen vor gelassen: Nach neuer Lesart gehören AfD, Linke und BSW dem Bundestag bis auf Weiteres nicht mehr an.

Taktische Verschleppung

Die Union hat ihren Kontrollauftrag verraten und gibs sich der hemmungslosen Hinhaltetaktik der Resteregierung hin. Sie spielt dabei eine unrühmliche Doppelrolle: Einerseits lässt sie sich als die Retterin vor Rot-Grün abfeiern, andererseits vermeidet sie es tunlichst, selbst Farbe zu bekennen. In einem intakt laufenden Parlamentsbetrieb müsste sich die Union ständig dafür rechtfertigen, warum sie bestimmte potenzielle Mehrheiten nutzt – oder eben nicht. Das passt der künftigen Kanzlerpartei so gar nicht ins Konzept.

Da ist es doch wesentlich bequemer, die Pause zwischen Auflösung des Bundestags und Neuwahlen ein wenig zu verlängern, damit dem Wahlkampf nicht die Realität in die Quere kommt. In exklusiver Runde hat man die Termine für Vertrauensfrage und Neuwahl so ausgekungelt, dass sie für manche Beteiligten ganz besonders günstig liegen. Die Vertrauensfrage galt schon vor ihrer Anberaumung als verloren. Dieses Szenario ist zwar sehr wahrscheinlich, seine unwidersprochene Voraussetzung jedoch zutiefst undemokratisch.

Auf Demokratie schlecht vorbereitet

Noch müssen sich alle Wählerinnen und Wähler bei der offiziellen Ausrufung von Neuwahlen gedulden. Diese Verzögerung wird mit teilweise fadenscheinigen Ausflüchten unterfüttert. So warnte die Bundeswahlleiterin vor dem enormen Verwaltungsaufwand, der mit vorgezogenen Neuwahlen einherginge. Sie gab sogar zu bedenken, dass bei einer unverzüglichen Vertrauensfrage gegebenenfalls nicht ausreichend Papier für Wahlzettel zur Verfügung stünde. Die Demokratie scheint in Deutschland schon an den einfachsten Bedingungen zu scheitern.

Auch kleine Parteien verweisen immer wieder auf den kaum zu bewältigenden Aufwand, vor dem sie bei einem knapp angesetzten Wahltermin stehen. Immerhin können sie die fristgerechte Aufstellung geeigneter Listen, die Bestellung von Wahlkampfmaterial und die Organisation publikumsstarker Wahlkampfauftritte nicht so locker aus dem Handgelenk schütteln wie Parteien, die schon seit Jahrzehnten im Bundestag sitzen. Dieser Einwand ist durchaus berechtigt. Das Recht der Bürgerinnen und Bürger, über die Zusammensetzung des Bundestags zu bestimmen, wiegt im Zweifelsfall aber schwerer.

Ein demokratisches Lehrstück

Trotzdem stellen rasche Neuwahlen alle Beteiligten vor enorme Härten. Um diese möglichst geringzuhalten, gibt es die Fristen, die gerade bis zur Unkenntlichkeit ausgeleiert werden. Zwischen der Vertrauensfrage und den Neuwahlen liegen nicht mehr als 81 Tage. Auch wenn vorgezogene Bundestagswahlen nicht die Regel werden sollten: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben die Möglichkeit von Neuwahlen ganz bewusst vorgesehen, man muss sich dieser Möglichkeit also jederzeit bewusst sein.

Aus heiterem Himmel kam das Ampel-Aus schließlich auch nicht. Es ist daher ein Unding, dass die Organisation von Neuwahlen plötzlich alle Beteiligten derart überrumpelt. Überraschend kommt diese Entwicklung jedoch auch nicht. Sie reiht sich ein in einen wohlfeilen Politikstil, der aktive Basisdemokratie bislang nur gestreift hat und turnusmäßige Wahlen eher als notwendiges Übel erachtet.

Es ist daher gut, dass die nun anstehenden Neuwahlen den Politikbetrieb gehörig durcheinanderwirbeln und sowohl den Abgeordneten als auch den Wählerinnen und Wählern ganz genau vor Augen führen, wer im Staat die Hosen anhat. Die Wahlen am 23. Februar können durchaus als Lehrstück dienen, um künftig auf den Ernstfall Demokratie vorbereitet zu sein.


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Die Krisenmacher

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Die Krisenmacher

Lesedauer: 6 Minuten

Die unbeliebteste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik tritt ab. Doch wer glaubt, die unsägliche Hängepartie hätte mit dem Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner (FDP) ein Ende, irrt gewaltig. Die Vertrauensfrage wird erst kurz vor Weihnachten gestellt, der Kanzler hätte sie gerne noch weiter hinausgezögert. Selbst in der Niederlage zeigt sich die Reste-Ampel von ihrer wählerfeindlichsten Seite. Ohne Rücksicht auf Verluste setzt sie das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie auf’s Spiel.

Ein Ende mit Schrecken?

Worauf sehr viele Menschen im Land gewartet haben, ist nun eingetreten: Die Ampelregierung ist Geschichte. Mit der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) durch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) endet ein knapp dreijähriges Trauerspiel. Auch bei ihrem letzten Akt zeigt sich die scheidende Bundesregierung gewohnt taktlos: Keine 24 Stunden war es her, dass Donald Trump erneut Präsident der USA wurde, da trat Kanzler Scholz vor die Kameras und erklärte in seltener Entschlossenheit das Aus für sein Bundeskabinett.

Auch die Art und Weise, wie das Ende dieser trostlosen Verbindung vonstattenging, überraschte selbst Polit-Experten. Seit Wochen und Monaten hauten die Liberalen auf den Putz und forderten eine Einigung beim quälenden Streit um den nächsten Bundeshaushalt. Es war aber nicht Finanzminister Lindner, der in charakteristischer Bockigkeit die Reißleine zog. Ihm zuvor kam der stets sedierte Bundeskanzler, der ihm sprichwörtlich die Tür wies.

Vertrauensfrage irgendwann

Wer nun aber glaubte, die Bundesregierung hätte eine Erleuchtung erlebt, der wurde bald eines Besseren belehrt. Nachdem der Bundeskanzler vor laufenden Kameras einen regelrechten Rosenkrieg vom Zaun gebrochen hatte – schuld war natürlich Herr Lindner allein – kam er endlich auf das zu sprechen, weswegen die meisten so geduldig vor den Bildschirmen ausgeharrt hatten. Doch auch hier wusste der Noch-Kanzler gehörig zu enttäuschen.

Die logische Folge des Auseinanderbrechens seiner Regierung ist für ihn nämlich nicht eine rasche Rückkehr zu geordneten Verhältnissen. Er will den Rest des Jahres lieber damit verbringen, mit seiner selbstverschuldeten Minderheitsregierung zu retten, was zu retten ist. Für ihn haben die „drängendsten“ Themen nun oberste Priorität. Wie er diese ohne eigene Mehrheit und eine zu erwartende Blockadehaltung von Union und FDP durchsetzen will, weiß vermutlich nicht mal er selbst.

Indem er die Vertrauensfrage am liebsten auf den Sankt-Nimmerleins – Tag verschieben würde, verhöhnt Olaf Scholz ein weiteres Mal Parlament und Wähler. In selbstherrlicher Manier inszeniert er sich als der Macher, dem jetzt gelingen soll, woran ihn die FDP immer gehindert hat. Dabei zeigen die Umfragewerte seit Langem, dass die Bevölkerung die von Olaf Scholz angeführte Regierung satthat. Mittlerweile wird der Kanzler sogar von Parteigenosse Pistorius in der Beliebtheitsskala in den Schatten gestellt. Selbst an der Parteibasis rumort es angesichts der K-Frage. Wie kann diese glücklose Figur es wagen, der Bevölkerung ihren Anspruch auf eine stabile Regierung vorzuenthalten?

Opportunist mit Format

Den Preis für fortgeschrittene Arroganz und Überheblichkeit wird Olaf Scholz trotzdem nicht gewinnen. Dieser ist schon fest für Verkehrs- und neuerdings auch Justizminister Volker Wissing reserviert. Anstatt in der Niederlage Rückgrat zu beweisen und es seinen Parteifreunden gleichzutun und sein Ministeramt niederzulegen, klebt er so fest an seinem Stuhl wie sonst nur Klimakleber auf der Straße es tun.

Er opfert dafür sogar sein Parteibuch und wirft damit einen üblen Schatten auf alle anderen Politiker in Spitzenpositionen. Mit seinem Verbleib in der Bundesregierung untergräbt er die Glaubwürdigkeit der Politik und der Demokratie als Ganzes. Man muss ihm nicht unterstellen, dass ihm Posten und Macht wichtiger sind als die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Mit jedem weiteren Tag im Amt beweist er das selbst.

Wissing möchte sich laut eigener Aussage treu bleiben. Das ist ihm gehörig gelungen. Dass er dabei Schützenhilfe vom Kanzler erhält, vergrößert den Schaden an der Demokratie nur. Diese beiden Männer tun wirklich alles, um den Eindruck zu verstärken, bei Politikern handelt es sich grundsätzlich um einen korrupten Haufen. Man ist beinahe bewegt dazu, Verständnis fürs Nichtwählen zu empfinden.

Neuwahlen jetzt!

Der Bruch der Ampelkoalition hat wenig mit Inhalten zu tun. Viel mehr geht es um persönliches Prestige. Daher ist die Aufkündigung dieser ungeliebten Zusammenarbeit auch nicht Zeugnis eines Lerneffekts. Denn ginge es nach den Verursachern der Regierungskrise, soll alles so bleiben, wie es ist. Olaf Scholz stellt sich wieder als angeblicher Wunschkanzler der SPD zur Wahl, Christian Lindner soll auch in den nächsten Wochen die Wahlplakate der FDP schmücken und selbst Robert Habeck von den Grünen möchte wieder ganz oben mitmischen und lässt sich neuerdings mit „Herr Kanzlerkandidat“ ansprechen.

Keinen aus dieser abgehobenen Truppe scheint es im Entferntesten zu bekümmern, dass die gerade gescheiterte Regierung von 100 Prozent der Bürgerinnen und Bürger abgelehnt wird. Trotz dieses vernichtenden Urteils hätte Herr Scholz das Elend gerne noch bis ins nächste Jahr verlängert – und bekam dabei Zuspruch von der Bundeswahlleiterin. Diese merkte an, es könne zu Engpässen kommen, wenn ausgerechnet jetzt eine große Menge an Papier für Wahlzettel benötigt werden würde. Oder anders ausgedrückt: Auf Demokratie ist dieses Land schlecht vorbereitet.

Obwohl auch die Union scharfe Kritik am Noch-Kanzler und dessen Verschleppungstaktik übte, tuen die beiden konservativen Schwesterparteien ihr Möglichstes, um einen funktionierenden Parlamentsbetrieb bis zu den Neuwahlen zu blockieren. Die Tagesordnung des Bundestags bestimmen bis zum Wahltermin nur noch die ehemaligen Ampelparteien und die Union. Die übrigen Oppositionsparteien werden nicht mehr gefragt. Offenbar soll hier einer politischen Profilierung vorgebeugt werden.


Die Vertrauensfrage so schnell wie möglich zu stellen, ist eine Frage des Anstands. Olaf Scholz besitzt diesen nicht. Er hat allen Grund, die Neuwahlen zu fürchten: Seine Partei würde nach aktuellen Umfragen zur drittstärksten Kraft abschmieren. Jetzt ist aber nicht die Zeit für persönliche Befindlichkeiten. Deutschland braucht so schnell wie möglich stabile politische Verhältnisse. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf.


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