(K)eine Zeit für Schubladen

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Querdenker, Solidarität, Pazifismus – Begriffe, die früher hauptsächlich positiv besetzt waren, werden heute immer häufiger als politische Kampfbegriffe verwendet. Das Ziel ist klar: die Schwächung gegensätzlicher Positionen und die eigene moralische Aufwertung. Der Trend ist simpel, scheint aber unaufhaltsam. Unaufhaltsam ist leider auch der Schaden, den Demokratie und Meinungsvielfalt von dieser antipluralistischen und pauschalisierenden Weltsicht davontragen.

Gestern hui, heute pfui

Es gab eine Zeit, da war man als Querdenker ein gern gesehener Gast. Man galt als geistreiche Persönlichkeit mit teilweise unkonventionellen, aber in jedem Fall erfrischenden Ideen. Nichts war verkehrt daran, manche Dinge anders zu sehen und Eingefahrenes zu hinterfragen. Manche belächelten die Querdenker zwar, aber die meisten schätzten ihre eigenwillige Art, mit der sie stets für frischen Wind sorgten.

In den ersten Jahren des Jahrtausends entwickelte sich sogar eine Kultur, die das Querdenkertum aktiv förderte. Besonders im kreativen Bereich war in dutzenden Stellenausschreibungen zu lesen, man wünsche sich einen Querdenker für die offene Stelle. Kein seriöses Unternehmen würde sich heute trauen, mit dieser Wortwahl auf Kandidatensuche zu gehen.

Seit dem ersten Lockdown im Land sind Querdenker Menschen, die auf die Straße gehen, um obskure Theorien zu verbreiten. Sie glauben nicht, dass es sich bei Corona um eine gefährliche und hochinfektiöse Krankheit handelt, die verordneten Einschränkungen sehen sie als nicht gerechtfertigte staatliche Schikane. Sie sehen eine Diktatur, wo keine ist und vermuten hinter der Impfkampagne eine groß angelegte Verschwörung.

Waffen für den Frieden

Auch anderen Wörtern und deren Bedeutung ging es in der Pandemie und danach an den Kragen. Der Begriff „Solidarität“ hat in den letzten Jahren einiges seines Bedeutungsspielraums eingebüßt und wurde eine Zeit lang fast ausschließlich in einem bestimmten Kontext verwendet. Solidarisch war plötzlich nicht mehr, wer auf einen eigenen Vorteil oder Rechte verzichtete, um die Gesellschaft voranzubringen. Solidarisch war der, der bereit war, sich seine eigenen Rechte durch eine Impfung zurückzuerkaufen. Garniert wurde das ganze mit der Legende, man trüge zur Herdenimmunität bei.

Die bemerkenswerteste Wandlung macht aber derzeit eine uralte politische Begrifflichkeit durch. Der Pazifist von heute entspricht nicht mehr dem Pazifisten von gestern. Der neue Mainstream-Pazifist befürwortet den Einsatz von Krieg und Waffen ausdrücklich, um wieder Frieden herzustellen. Gemäß dem Motto „You can’t have peace without a war“ sieht man das brutale Töten von Menschen als Vorstufe einer besseren Welt.

Eine klare Grenze

Schaut man sich die Gruppierung der Querdenker genauer an, stellt man schnell fest, dass sie im Grunde all das erfüllen, was man bereits vor 2020 von einem waschechten Querdenker erwarten durfte. Sie stellen sich gegen den Mainstream, hinterfragen Political Correctness und haben zu vielen Themen eine andere Meinung als die Mehrheitsgesellschaft. Die Nachwuchsquerdenker haben aber noch eine weitere nervige Eigenschaft entwickelt: Sie sind unüberhörbar laut und quatschen zu fast allen Themen unqualifiziert dazwischen.

Sie mussten sich dieses nervtötende Verhalten angewöhnen, um ein Alleinstellungsmerkmal zu haben, denn mit den Querdenkern von einst können sie sich intellektuell nicht messen. Sie profitieren aber auch auf andere Weise von der Umdeutung des Begriffs „Querdenker“.

Wer sich ausdrücklich nicht als Querdenker definiert, für den sind diese Aufmärsche grundsätzlich etwas schlechtes. Mit diesen Menschen will man lieber nicht in Verbindung gebracht werden, denn sie stehen auf der anderen, auf der falschen Seite. Die Querdenker sehen das umgekehrt genau so und deswegen ist es in ihrem Interesse, die Bezeichnung als Querdenker für sich zu reservieren und damit eine klare Linie zwischen sich und den anderen zu ziehen.

Sie suhlen sich geradezu in ihrem fragwürdigen Erfolg, von der Mehrheit als komplette Vollidioten wahrgenommen zu werden, die keinen Bezug mehr zur Realität haben. Andererseits macht es ihnen der Mainstream erschreckend einfach, eine Sonderrolle zu spielen. Das Wort „Querdenker“ ist heute ein Totschlagargument, mit dem jede sachliche Diskussion sofort beendet ist. Lange vorbei sind die Zeiten, als es chic war, ein Querdenker zu sein. Heute ist dieser Begriff eine schlichte Rollenzuweisung, mit der bestimmte Menschen gezielt diffamiert werden, wenn sie eine abweichende Meinung haben.

Moralische Überlegenheit

Auch die abgewandelte Bedeutung des Worts „Solidarität“ dient definitiv der Ausgrenzung. Wer sich, aus welchen Gründen auch immer, gegen eine Impfung entscheidet, bekommt sogleich die Solidaritätskeule übergebraten – zumindest war das Ende 2021 so. Das Wort eignet sich hervorragend zur persönlichen Auf- und Abwertung. Wer sich impfen lässt, kann sich damit profilieren, weil er als besonders solidarisch gilt. Wer die Impfung ablehnt, ist unsolidarisch und damit ein schlechter Mensch.

Der Pazifismus eignet sich heute fast noch besser dafür, Menschen mit unliebsamen Meinungen mundtot zu machen. Wer sich auf die traditionell pazifistischen Werte beruft, hat schnell einen Ruf als verträumter Naivling weg. Persönlichkeiten wie Anton Hofreiter (Grüne) reden uns ein, ein durch und durch pazifistisches Weltbild sei nicht mehr zeitgemäß. Die Ablehnung von Waffenlieferungen und Kriegsbeteiligungen habe die Welt nicht sicherer gemacht, sondern Putin enormen Vorschub geleistet. Einem wahren Pazifisten müssen solche Äußerungen geisteskrank vorkommen. Es ist doch genau die endlose Aufrüstung, die Tyrannen wie Putin auf den Plan ruft.

Schubladendenken

Immer weiter entfernen wir uns angesichts globaler Krisen von sachlichen Diskussionen mit rationalen Argumenten. Die Welt wird immer komplexer, da flüchten sich viele in ein Weltbild, das mit Chiffren und Rollenzuweisungen funktioniert. Die Rollenzuweisungen wie Querdenker und naive Pazifisten befördern aber ein Schubladendenken, das ganz sicher nicht in unserem Sinne ist. Es ist extrem klischeebeladen und vereinfachend, weil es sämtliche Nuancen ausblendet und nur maximale Meinungen zulässt. Die Übergänge zwischen den Sichtweisen blendet ein solcher Ansatz aus, ein Dazwischen wird nicht mehr geduldet.

Letztendlich geht das auf Kosten von Demokratie und Meinungsvielfalt, weil Diskussionen eher verhindert als angeregt werden. Wenn Menschen einen Teil ihrer Meinung unterdrücken müssen, um nicht als die Monster von der anderen Seite zu gelten, dann belastet das die Demokratie auf Dauer schwer. Die Diskussionskultur im Land hat sich in eine Richtung entwickelt, die immer weniger darauf abzielt, Andersdenkende mitzunehmen. Stattdessen steht der Triumph der eigenen Position im Mittelpunkt. Die meisten Menschen haben auf dieses Spielchen keine Lust und halten den Mund. Wir sollten das Feld trotzdem nicht denen überlassen, die sich als besonders kompetente Querdenker oder friedensstiftende Neupazifisten verstehen.


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Vorteile mit vielen Nachteilen

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Die Maske ist das offensichtlichste Symbol der Corona-Pandemie. Und sie ist eine der Hauptakteurinnen in der kontroversen Debatte um die Schutzmaßnahmen. Richtig angewendet, bietet sie einen guten Schutz vor einer Infektion mit dem Virus. Aber nicht jeder hält sich an die Maskenpflicht. Die Vorteile der Alltagsmaske sind viel zu wenig greifbar und treten hinter den unmittelbaren Nachteilen der Maßnahme zurück. Immer weniger Menschen scheinen in der Zwischenzeit dazu bereit zu sein, sich ernsthaft an dieser solidarischen Schutzmaßnahme zu beteiligen.

Nachteile auf hohem Niveau

Sie ist störend. Sie fühlt sich blöd an. Man bekommt schlechter Luft. Unter ihr wird es gerade im Sommer schnell stickig. Die Brille beschlägt. All diese Eigenschaften tragen mit Sicherheit nicht zur Beliebtheit der Alltagsmaske bei. Denn von Tag 1 an hat jeder diese Erfahrungen mit ihr gemacht. Und jeder, der etwas längere Haare hat, weiß auch: Sie ist nicht mit jeder Frisur kompatibel. Und beim Friseur ist sie gleich dreimal ungünstig. Trotz dieser Nachteile mit erstweltlichem Ausmaß ist sie DER Hit auf Plattformen wie Instagram & Co. Würde man die geteilten Bilder nach dem Kriterium „Maske“ filtern, man würde schier ertrinken in der Flut an Bildern, die einem inzwischen entgegenschwemmt.

Die Influencer in den sozialen Medien versuchen das beste aus der Krise herauszuholen. Sie funktionieren die Maske zu modischen Accessoires um, versehen sie mit glitzerndem Strass wie man es eigentlich nur von Lady Gaga erwarten würde. Wer sagt eigentlich, dass eine Schutzmaßnahme nicht auch gut aussehen darf? Doof anfühlen tut sie sich ja bereits.

Trotzdem sträuben sich immer mehr Menschen gegen die Maskenpflicht. Sie ziehen sie aus den oben genannten „Gründen“ entweder falsch auf oder verzichten ganz auf sie – als ob die Einschätzung der Infektiosität in ihren Händen läge. Viele Brillenträger unter ihnen machen sich dabei eine Art Behindertenbonus zunutze. Bei korrekt anliegender Maske könnten sie ja gar nichts sehen, die Brille würde ja aufgrund der warmen Atemluft sofort und dauerhaft beschlagen. Als Brillenträger kann ich euch nur sagen: ein Ammenmärchen. Aber gut, überlassen wir diesen Unbelehrbaren selbst die Entscheidung darüber, ob sie wegen eines angeblich übersehenen Laternenpfahls oder wegen einer Corona-Infektion auf der Intensivstation landen wollen.

Maskenmanko

Eine Brille ist übrigens keine legitime Befreiung von der allgemein gültigen Maskenpflicht. Aber nicht nur Brillenträger sehen die Maske inzwischen als nichts anderes als eine lästige Pflicht, die kaum Tragekomfort bietet und selbst mit Strasssteinen behämmert aussieht. Als solche kann sie praktisch nur Minuspunkte sammeln. Weil sie angeblich nur Nachteile mit sich bringt, lädt sie geradezu zur Umgehung ein. So rutscht die Maske gerne einmal unbemerkt unter die Nase und bedeckt mit viel Glück vielleicht noch die Unterlippe. Jeder Mensch weiß schließlich, wie hochinfektiös das menschliche Kinn ist.

Das große Manko der Maske: Man kann ihren Erfolg kaum sehen, geschweige denn mit Händen greifen. Denn die Maske ist eine Schutzmaßnahme. Sie soll also etwas abwehren. Gelingt ihr das, so gibt es kein positives Ergebnis. Immer wieder wird die Fallschirm-Metapher bemüht. Wir haben durch die Maske und andere Maßnahmen bereits so viel erreicht, lasst uns den Fallschirm jetzt nicht mitten im Fall abschnallen! Das ist ein zutiefst logisches Bild, das hier gezeichnet wird. Es ist aber leider keines, das die Masse überzeugt.

Denn der Mensch glaubt nur das, was er sieht. Verhinderte Infektionen lassen sich zwar aus sinkenden Infektionszahlen herausinterpretieren, es gibt aber keinen Counter, der die genaue Zahl abgewehrter Krankheitsfälle mitzählt. Und selbst die Anzahl an Neuinfektionen steigt seit Wochen wieder an. Wir haben es einer Minderheit von Verweigerern zu verdanken, dass sich auch in Deutschland wieder deutlich mehr Menschen mit dem Virus infizieren. Und das kann man anhand der Zahlen sehen. Bei vielen kommt dann an: Wir haben steigende Fallzahlen trotz Maskenpflicht. Das ist so aber nur die halbe Wahrheit. Wir haben steigende Zahlen wegen rücksichtsloser Menschen.

Schutz für sich selbst, Arbeit für andere

Auch einen weiteren Faktor sollte man nicht übersehen: Bei korrekter Anwendung schützt die Alltagsmaske vor allem andere vor einer Infektion, nicht den Träger selbst. Wir sind also darauf angewiesen, dass andere sich ebenso an die Maskenpflicht halten. Der mittelbare Erfolg der Maske kommt also gar nicht dem Träger zugute, sondern der Allgemeinheit. Das ist vielen zu wenig. Und es bleiben zu viele übrig, auf die man die Verantwortung abwälzen kann. Wenn ich mich hier nicht an die Maskenpflicht halte, aber anscheinend alle anderen doch, dann ist das Risiko auch weiterhin minimal. Diese Milchmädchenrechnung machen viele. Viel zu viele.

Sie sind nicht bereit, den geringen Tragekomfort und alle anderen Widrigkeiten der Maske auf sich zu nehmen, um die Gemeinschaft zu schützen. Dass sie sich damit selbst in Gefahr bringen, begreifen diese Leute nicht. Sie sehen nur die anderen, die sie gefälligst vor einer Infektion mit dem Virus zu schützen haben – notfalls mit dem Leben. Sie nehmen den Schutz der anderen gerne in Anspruch, ohne selbst etwas dazu beizutragen. Der Duden kennt dafür ein eindeutiges Wort: unsolidarisch.

Die Größe macht’s

Solidarität hängt nämlich häufig mit der Größe der Gemeinschaft zusammen. Je größer eine Gruppe oder Gemeinschaft, desto geringer ist die Bereitschaft von einzelnen, sich solidarisch daran zu beteiligen. Im Gegensatz zu Steuerzahlungen kann der Staat die Maskenpflicht zwar verordnen, aber nur sehr viel schwerer effektiv überwachen. Im Gegensatz zu Steuern hat bei der Maske letztendlich jeder die freie Wahl, ob er sie aufsetzt oder nicht.

Je größer die Gruppe ist, desto geringer ist auch die allgemeine Überzeugung von solidarischen Maßnahmen wie der Maskenpflicht. Im Mittel wird sie auf Dauer weniger ernsthaft praktiziert, wenn sich der einzelne der Zugehörigkeit zu einer weitaus größeren Gruppe versichert weiß. Ob die Maske getragen wird oder nicht, macht für den Moment selten einen Unterschied. Es sind die längerfristigen, kaum zuordbaren Folgen, von denen der Erfolg oder der Misserfolg der Schutzmaßnahme abhängt. Verweigerer sind also genau jene Schlupflöcher, die das Virus braucht, um sich weiter auszubreiten.


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