Moderner Kulturraub

Lesedauer: 5 Minuten

Quidditch heißt jetzt Quadball und die Uni Tübingen will sich von ihrem Namensgeber trennen. Das alles, weil sich die Urheber nicht so verhalten haben, wie es heute politisch korrekt wäre. Seit Jahren machen die Verfechter*innen der Cancel Culture Jagd auf jeden noch so absurd kleinen dunklen Fleck in Kultur und Geschichte. Mit der Umbenennung des Zaubersports hat dieser Trend eine neue Stufe der Absurdität erreicht. Einige besonders obsessive Kulturtilger*innen wagen es tatsächlich, sich das geistige Eigentum einer Autorin anzueignen und nach ihren Vorstellungen umzuformen. Sie verfolgen ein edles Ziel, lösen jedoch kein einziges Problem, sondern schaffen höchstens neue. Der Kulturraub des 21. Jahrhunderts weist dabei eindeutig faschistoide Tendenzen auf.

Tod einer Autorin

Die Geschichte des Zauberlehrlings Harry Potter fasziniert seit vielen Jahren Jung und Alt. Die Abenteuer des jungen Magiers sind viel mehr als der Kampf gegen ausgebüxte Trolle, wildgewordene Drachen und psychopathische Gegenspieler. Autorin J. K. Rowling hat in ihren Büchern eine völlig andersartige Welt geschaffen, mit eigenen Gesetzen, sozialen Codes und einer Sportart, die über die Fanbase hinaus große Bekanntheit erlangt hat: Quidditch. Einige besonders faszinierte Anhänger der Serie haben das magische Großereignis inzwischen von seiner Fiktionalität befreit. Begeistert machen sie Jagd auf den Schnatz und werfen sich den Quaffel zu – das alles wohlgemerkt am Boden, denn die Naturgesetze können auch sie nicht außer Kraft setzen.

Manche dieser Quidditchspieler argwöhnten allerdings die Äußerungen, die Erschafferin Rowling zu Transmenschen machte. Mit ihren Ansichten stieß sie auf viel Kritik und wurde in Folge dessen nicht einmal zum zwanzigjährigen Jubiläum des ersten Films der Reihe eingeladen. Nach dem Willen mancher Quidditchbegeisterter soll die Sportart nun einen neuen Namen bekommen, um sich von Rowling und ihren Positionierungen zu distanzieren.

Ein Zeugnis der Gegenwart

Die Initiatoren dieser Kampagne wurden wohl einmal zu oft vom Klatscher getroffen, denn sie sind gerade drauf und dran, ein Werk zu zerstören, das keinerlei homophoben oder rassistischen Tendenzen aufweist. Die Umbenennung von Quiddich zu Quadball ist eine ungeheuerliche Respektlosigkeit gegenüber der Leistung von J. K. Rowling. Es ist IHRE Geschichte und IHR Sport.

Mit der Geschichte um Harry, Ron und Hermine hat Rowling Millionen von Kindern zum Lesen gebracht. Kaum auszuhalten war die Neugier und die Vorfreude auf den nächsten Teil. Immer wieder reicherte Rowling ihre Geschichte um neue Aspekte und neue Details an, es zeichnete sich ein immer klareres Bild einer gut durchdachten fiktiven Gesellschaft.

Wie jedes Kunstwerk ist auch die Harry-Potter – Reihe ein Zeugnis der Gegenwart, in der die Geschichte geschrieben wurde. In den Passagen in der Muggelwelt spielen Autos zwar eine Rolle, das Internet hingegen nicht. Es war erst im Kommen, als Rowling die Bücher schrieb und zur Zeit der Geschehnisse in den Büchern noch nicht erfunden. Und wie bei jedem anderen Kunsterzeugnis klingen darin immer wieder kulturelle Aspekte an, die für die Künstlerin oder den Künstler und das Publikum selbstverständlich sind, im Laufe der Jahre aber gegebenenfalls an Selbstverständlichkeit verlieren.

Das rechtfertigt aber noch lange keine regelmäßige kulturelle Anpassung oder Aneignung. Dieses übergriffige Vorgehen beschädigt den geschichtlichen Wert eines Kunstwerks empfindlich und zerstört das Gegenwartszeugnis, das es darstellt. Auch die Geschichten von Enid Blyton mussten kürzlich diesen unsäglichen Kulturrevisionismus über sich ergehen lassen. Autorin Cornelia Funke erklärte, dass nicht alle ihre wilden Hühner weiß wären, würde sie die Geschichte heute noch einmal schreiben. Was gestern völlig normal war, ist es heute nicht mehr. Das ist der Lauf der Dinge, das ist nicht außergewöhnlich. Der obsessive Drang alles von gestern auf links zu drehen, ist es schon.

Naive Blender

Es geht bei diesen Fantastereien einer diskriminierungsfreien Welt mitnichten darum, Diskriminierung nachhaltig abzuschaffen. Es geht einzig darum, rechtzuhaben und seinen Willen durchzusetzen. Denn kein einziges Unrecht an Frauen, an Schwulen oder an Juden wird gesühnt oder gar ungeschehen gemacht, wenn man sich heute an kulturellen Erzeugnissen von damals vergreift. Der ständige Hinweis auf angeblich offensichtliches Diskriminierungspotenzial heizt dieses eher an, anstatt es abzubauen. Erst seitdem einige Verkehrsbetriebe das Wort „Schwarzfahren“ aus ihrem Vokabular gestrichen haben oder sich einige Oberschlaue am offiziellen Namen der Universität Tübingen stören, sind diese Themen rassistisch und antisemitisch aufgeladen. Davor waren sie das nicht.

Ob die Uni zu Tübingen nun Eberhard-Karls – Universität, ganz schlicht „Universität Tübingen“ oder ganz anders heißt, wird keinen antisemitischen Übergriff verhindern. Der Antisemitismus ist mitten in unserer Gesellschaft. Der Name einer Uni hat darauf keinen Einfluss. Eine Umbenennung wischt das Problem naiv vom Tisch, anstatt es zu lösen.

Ähnliches gilt für das Gendern. Nur weil bestimmte Wortendungen plötzlich tabu oder absolut in Mode sind, wird sich am geschlechterspezifischen Lohngefälle im Lande nichts ändern. Die finanzielle Diskriminierung von Frauen in vielen Berufen wird auch dann noch ein Problem sein, wenn sich das Gendersternchen endgültig durchgesetzt hat. Die All-Inclusive – Schreibweise wird nichts daran ändern, dass homo- und transfeindliche Übergriffe vielerorts an der Tagesordnung stehen.

Für kulturellen Fortschritt

So edel und erstrebenswert die Ziele der Kulturkritischen auch sein mögen: Das Umschreiben von Geschichten, die Umbenennung ehrwürdiger Bildungseinrichtungen und die Verhüllung von Statuen ist der völlig falsche Weg. Diese Herangehensweise opfert die Entwicklung, welche die Gesellschaft durchgemacht hat, seitdem Graf Eberhard im Barte Namensgeber der Uni Tübingen wurde oder seitdem J. K. Rowling ihre Geschichte aufschrieb.

Wir sind heute keine durch und durch antisemitische Gesellschaft mehr und wir haben besonders in den letzten Jahrzehnten vieles gelernt über Diversität und Geschlechtervielfalt. Antisemitische und rassistische Ressentiments sind seit Jahren wieder auf dem Vormarsch. Eine Cancel Culture wird dem nichts entgegensetzen. Kunst zu verbieten oder mutwillig zu verändern, weil sie nicht ins Weltbild passt, trägt eindeutig faschistoide Tendenzen in sich.

Es ist völlig normal, dass wir uns im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte immer weniger mit den Urhebern von Kunstwerken identifizieren können. Die logische Konsequenz daraus darf nicht sein, ihre Werke für alle Zeiten zu verdammen. Kunst prägt die Gesellschaft und treibt sie voran. Wer sie pauschal verbietet oder zu seinen Zwecken umdeuten will, bewirkt das Gegenteil. Solche Methoden führen zu einer nicht-egalitären und ungleichen Gesellschaft, die vor allem für eines steht: kulturellen Stillstand.

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(K)eine Zeit für Schubladen

Lesedauer: 7 Minuten

Querdenker, Solidarität, Pazifismus – Begriffe, die früher hauptsächlich positiv besetzt waren, werden heute immer häufiger als politische Kampfbegriffe verwendet. Das Ziel ist klar: die Schwächung gegensätzlicher Positionen und die eigene moralische Aufwertung. Der Trend ist simpel, scheint aber unaufhaltsam. Unaufhaltsam ist leider auch der Schaden, den Demokratie und Meinungsvielfalt von dieser antipluralistischen und pauschalisierenden Weltsicht davontragen.

Gestern hui, heute pfui

Es gab eine Zeit, da war man als Querdenker ein gern gesehener Gast. Man galt als geistreiche Persönlichkeit mit teilweise unkonventionellen, aber in jedem Fall erfrischenden Ideen. Nichts war verkehrt daran, manche Dinge anders zu sehen und Eingefahrenes zu hinterfragen. Manche belächelten die Querdenker zwar, aber die meisten schätzten ihre eigenwillige Art, mit der sie stets für frischen Wind sorgten.

In den ersten Jahren des Jahrtausends entwickelte sich sogar eine Kultur, die das Querdenkertum aktiv förderte. Besonders im kreativen Bereich war in dutzenden Stellenausschreibungen zu lesen, man wünsche sich einen Querdenker für die offene Stelle. Kein seriöses Unternehmen würde sich heute trauen, mit dieser Wortwahl auf Kandidatensuche zu gehen.

Seit dem ersten Lockdown im Land sind Querdenker Menschen, die auf die Straße gehen, um obskure Theorien zu verbreiten. Sie glauben nicht, dass es sich bei Corona um eine gefährliche und hochinfektiöse Krankheit handelt, die verordneten Einschränkungen sehen sie als nicht gerechtfertigte staatliche Schikane. Sie sehen eine Diktatur, wo keine ist und vermuten hinter der Impfkampagne eine groß angelegte Verschwörung.

Waffen für den Frieden

Auch anderen Wörtern und deren Bedeutung ging es in der Pandemie und danach an den Kragen. Der Begriff „Solidarität“ hat in den letzten Jahren einiges seines Bedeutungsspielraums eingebüßt und wurde eine Zeit lang fast ausschließlich in einem bestimmten Kontext verwendet. Solidarisch war plötzlich nicht mehr, wer auf einen eigenen Vorteil oder Rechte verzichtete, um die Gesellschaft voranzubringen. Solidarisch war der, der bereit war, sich seine eigenen Rechte durch eine Impfung zurückzuerkaufen. Garniert wurde das ganze mit der Legende, man trüge zur Herdenimmunität bei.

Die bemerkenswerteste Wandlung macht aber derzeit eine uralte politische Begrifflichkeit durch. Der Pazifist von heute entspricht nicht mehr dem Pazifisten von gestern. Der neue Mainstream-Pazifist befürwortet den Einsatz von Krieg und Waffen ausdrücklich, um wieder Frieden herzustellen. Gemäß dem Motto „You can’t have peace without a war“ sieht man das brutale Töten von Menschen als Vorstufe einer besseren Welt.

Eine klare Grenze

Schaut man sich die Gruppierung der Querdenker genauer an, stellt man schnell fest, dass sie im Grunde all das erfüllen, was man bereits vor 2020 von einem waschechten Querdenker erwarten durfte. Sie stellen sich gegen den Mainstream, hinterfragen Political Correctness und haben zu vielen Themen eine andere Meinung als die Mehrheitsgesellschaft. Die Nachwuchsquerdenker haben aber noch eine weitere nervige Eigenschaft entwickelt: Sie sind unüberhörbar laut und quatschen zu fast allen Themen unqualifiziert dazwischen.

Sie mussten sich dieses nervtötende Verhalten angewöhnen, um ein Alleinstellungsmerkmal zu haben, denn mit den Querdenkern von einst können sie sich intellektuell nicht messen. Sie profitieren aber auch auf andere Weise von der Umdeutung des Begriffs „Querdenker“.

Wer sich ausdrücklich nicht als Querdenker definiert, für den sind diese Aufmärsche grundsätzlich etwas schlechtes. Mit diesen Menschen will man lieber nicht in Verbindung gebracht werden, denn sie stehen auf der anderen, auf der falschen Seite. Die Querdenker sehen das umgekehrt genau so und deswegen ist es in ihrem Interesse, die Bezeichnung als Querdenker für sich zu reservieren und damit eine klare Linie zwischen sich und den anderen zu ziehen.

Sie suhlen sich geradezu in ihrem fragwürdigen Erfolg, von der Mehrheit als komplette Vollidioten wahrgenommen zu werden, die keinen Bezug mehr zur Realität haben. Andererseits macht es ihnen der Mainstream erschreckend einfach, eine Sonderrolle zu spielen. Das Wort „Querdenker“ ist heute ein Totschlagargument, mit dem jede sachliche Diskussion sofort beendet ist. Lange vorbei sind die Zeiten, als es chic war, ein Querdenker zu sein. Heute ist dieser Begriff eine schlichte Rollenzuweisung, mit der bestimmte Menschen gezielt diffamiert werden, wenn sie eine abweichende Meinung haben.

Moralische Überlegenheit

Auch die abgewandelte Bedeutung des Worts „Solidarität“ dient definitiv der Ausgrenzung. Wer sich, aus welchen Gründen auch immer, gegen eine Impfung entscheidet, bekommt sogleich die Solidaritätskeule übergebraten – zumindest war das Ende 2021 so. Das Wort eignet sich hervorragend zur persönlichen Auf- und Abwertung. Wer sich impfen lässt, kann sich damit profilieren, weil er als besonders solidarisch gilt. Wer die Impfung ablehnt, ist unsolidarisch und damit ein schlechter Mensch.

Der Pazifismus eignet sich heute fast noch besser dafür, Menschen mit unliebsamen Meinungen mundtot zu machen. Wer sich auf die traditionell pazifistischen Werte beruft, hat schnell einen Ruf als verträumter Naivling weg. Persönlichkeiten wie Anton Hofreiter (Grüne) reden uns ein, ein durch und durch pazifistisches Weltbild sei nicht mehr zeitgemäß. Die Ablehnung von Waffenlieferungen und Kriegsbeteiligungen habe die Welt nicht sicherer gemacht, sondern Putin enormen Vorschub geleistet. Einem wahren Pazifisten müssen solche Äußerungen geisteskrank vorkommen. Es ist doch genau die endlose Aufrüstung, die Tyrannen wie Putin auf den Plan ruft.

Schubladendenken

Immer weiter entfernen wir uns angesichts globaler Krisen von sachlichen Diskussionen mit rationalen Argumenten. Die Welt wird immer komplexer, da flüchten sich viele in ein Weltbild, das mit Chiffren und Rollenzuweisungen funktioniert. Die Rollenzuweisungen wie Querdenker und naive Pazifisten befördern aber ein Schubladendenken, das ganz sicher nicht in unserem Sinne ist. Es ist extrem klischeebeladen und vereinfachend, weil es sämtliche Nuancen ausblendet und nur maximale Meinungen zulässt. Die Übergänge zwischen den Sichtweisen blendet ein solcher Ansatz aus, ein Dazwischen wird nicht mehr geduldet.

Letztendlich geht das auf Kosten von Demokratie und Meinungsvielfalt, weil Diskussionen eher verhindert als angeregt werden. Wenn Menschen einen Teil ihrer Meinung unterdrücken müssen, um nicht als die Monster von der anderen Seite zu gelten, dann belastet das die Demokratie auf Dauer schwer. Die Diskussionskultur im Land hat sich in eine Richtung entwickelt, die immer weniger darauf abzielt, Andersdenkende mitzunehmen. Stattdessen steht der Triumph der eigenen Position im Mittelpunkt. Die meisten Menschen haben auf dieses Spielchen keine Lust und halten den Mund. Wir sollten das Feld trotzdem nicht denen überlassen, die sich als besonders kompetente Querdenker oder friedensstiftende Neupazifisten verstehen.


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