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Fast kein Polit-Talk kommt heute mehr ohne den Faktencheck aus. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Bei der Vielzahl kursierender „Fakten“ ist es selbst dem seriösesten Politiker manchmal nicht möglich, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. Manche Politiker lügen sogar bewusst, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. Eine faktenbasierte Überprüfung solcher Behauptungen kann dabei helfen, Unwahrheiten schnell aufzudecken. Doch so hilfreich der sogenannte Faktenchecker im Einzelfall sein mag – seine Notwendigkeit ist Teil des Problems. Eine interessensgesteuerte Politik hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich viele Menschen von wissenschaftlichen Fakten entfernt haben und sich lieber die eigene Wahrheit zurechtbiegen. Es ist äußerst kurzsichtig zu glauben, der Faktenchecker allein könnte dieses Problem lösen.
2017 kürte die sechsköpfige Sprachjury die “alternativen Fakten“ zum Unwort des Jahres 2017. Lange im Rennen war auch der Begriff „Fake News“. Beide Schlagwörter greifen einen besorgniserregenden Trend der letzten Jahre auf. Über die sozialen Medien, private und öffentliche Chatgruppen und Foren im Internet kann heute praktisch jeder seine eigene Wahrheit verbreiten. Es handelt sich dabei aber oft schlicht um Meinungen, die mit klug gewählten Zahlen und Statistiken zum unumstößlichen Fakt umfrisiert wurden. Wer diesen gezielten Falschmeldungen mit seriösen wissenschaftlichen Erkenntnissen begegnet, wird häufig niedergebrüllt und zum gutgläubigen Mainstreamer herabgewürdigt.
Fake News per Mausklick
Es ist beinahe erstaunlich, dass sich das Phänomen „Fake News“ so lange Zeit gelassen hat, bevor es in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Sein wichtigstes Medium, das Internet, gab es schon Jahre bevor sich die Menschen über Donald Trump, Querdenker und Attila Hildmann geärgert haben. Es ist etwas passiert mit unserer Gesellschaft. Ob dafür nur die unbegrenzten Möglichkeiten des Internets verantwortlich sind, sei dahingestellt. Fakt ist, dass es nie so einfach war wie heute, der Welt seine Sicht auf die Dinge aufzuzwängen.
Wer sich früher die Mühe machen musste, ein kleines Podest auf dem örtlichen Marktplatz aufzubauen und die Elektrik in den Griff zu bekommen, bevor möglichst viele Menschen den weisen Worten lauschen konnten, der wird heute mit wenigen Mausklicks zur gefeierten Persönlichkeit in der virtuellen Welt. Auch den potenziellen Zuhörerinnen und Zuhörern wird es heute spielend leicht gemacht, sich den Ergüssen mancher Meinungsmacher auszusetzen und den eigenen IQ dadurch künstlich zu verringern. Das Internet bietet nicht nur unendliche Möglichkeiten, sondern auch ein fast unendliches Publikum.
Fakten gecheckt?
Die Politik und die herkömmlichen Medien bieten dieser Verbreitung von Falschinformationen mit Faktencheckern die Stirn. Sie möchten den arglosen Lesern, Zuhörern und an der Wahrheit interessierten dadurch die Möglichkeit geben, Fake New und unhaltbare Behauptungen schnell und sicher zu identifizieren. Besonders in Polit-Talks taucht in regelmäßigen Abständen ein Info-Banner zum Faktencheck ein. Wenn die Damen und Herren Politiker mal wieder wagemutig mit Prozentsätzen und Geldsummen jonglieren, sollen die eingeblendeten Informationen ihre Worte untermauern oder richtigstellen.
Auch in den sozialen Medien sind solche Faktenchecks mittlerweile Gang und Gäbe. Hin und wieder stolpert man über Kommentare, die als wenig vertrauenswürdig markiert wurden, weil sie einer faktenbasierten Überprüfung nicht standhalten können. Manche Beiträge verschwinden als Konsequenz daraus sogar ganz. Die Faktenchecker sind ein sinnvolles Werkzeug, um Lügen frühzeitig aufzudecken und der Verbreitung von Falschmeldungen einen Riegel vorzuschieben.
Computerbasierte Fakten
Trotzdem ist es nicht verantwortungsvoll, sich einzig auf den Output dieser häufig von Computern generierten Faktenprüfung zu verlassen. Denn jeder Sender ist eine eigene Instanz. Wenn sich ein zufällig ausgewählter Wutbürger dazu entschließt, seinem Unmut im Internet luftzumachen, dann ist das seine bewusste Entscheidung. Der Grat zwischen Meinung, Interpretation und Lüge ist oft ein sehr schmaler. Es müssen gute Gründe vorliegen, um das Gesagte durch eine weitere Instanz, einem Faktenchecker, als wahr oder unwahr deklarieren zu lassen. Denn auch solche Faktenchecker sind vor irreführenden Interpretationen nicht gefeit.
Bei der Vielzahl an veröffentlichten „Wahrheiten“ im Internet ist es natürlich nicht möglich, dass sich tatsächliche Personen mit jedem Kommentar und jedem Beitrag kritisch auseinandersetzen. Computer haben diese Aufgabe übernommen, bevor der Mensch hier überhaupt fußfassen konnte. Wir sollten uns sehr genau überlegen, wie weit wir dieser maschinell erzeugten Realität vertrauen möchten. So einfach es heute ist, Unwahrheiten zu verbreiten, so leicht ist es inzwischen auch, unliebsame Meinungen mit vermeintlichen Fakten in Misskredit zu bringen.
Kritisches Denken outgesourt
Besonders die Politik bot in den vergangenen Jahren oft Anlass dazu, Entscheidungen und Beschlüsse kritisch zu hinterfragen. Großspurige Wahlversprechen wurden kurz nach der Wahl wieder einkassiert, viele Weichenstellungen kamen gerade der Mittelschicht und Geringverdienern teuer zu stehen. Trotzdem hat sich zwischenzeitlich der Trend etabliert, Behauptungen und Meldungen nicht mehr kritisch zu hinterfragen. Die enttäuschenden Erfahrungen haben eher dazu geführt, dass vieles, was „von oben“ kommt pauschal als schlecht und schädlich abgestempelt wird.
Die Politik der großen Enttäuschungen – angefangen beim Ausbleiben der blühenden Landschaften im Osten über die Hartz-Gesetze bis hin zur nun doch kommenden Impfpflicht – hat viele Menschen fassungslos zurückgelassen und bei ihnen jede Glaubwürdigkeit verspielt. Umso empfänglicher sind sie für Fake News, die an und für sich durch wissenschaftlich fundierte Fakten widerlegbar wären. Die vorgeblichen „Fakten“ mit denen AfD, Querdenker und besorgte Bürger um die Ecke kommen, sind ebenfalls mit Zahlen unterlegt, die für ein Gefühl von Sicherheit und Korrektheit sorgen.
Auf der anderen Seite vertrauen viele Menschen zu sehr den verheißungsvollen Faktencheckern. Sie wissen genau, dass Fake News inzwischen eine ernstzunehmende Waffe in der politischen Auseinandersetzung geworden sind und möchten sich entsprechend dagegen schützen. Auch sie setzen sich mit der Materie nicht kritisch auseinander, wenn sie die Informationen aus den Faktencheckern zur obersten Wahrheit erheben. Sie verkennen dadurch den Stellenwert einer solchen Faktenüberprüfung, die auf der Suche nach der Wahrheit durchaus hilfreich sein kann, die Realität aber nicht immer 1:1 wiedergibt. Eine solche Handhabung gewöhnt kritisches Fragen eher ab als an.
Katalysator für Fehlentwicklungen
Viele Expertinnen und Experten sind sich einig, dass das Internet beim Phänomen Fake News nur eine Nebenrolle spielt. Das Medium der Neuzeit wäre zwar ideal zur schnellen Verbreitung von Falschmeldungen, aber nicht deren Ursache. Das stimmt soweit. Andere Faktoren müssen erfüllt sein, damit Menschen überhaupt ein Interesse daran haben, fehlleitende Halbwahrheiten zu verbreiten oder dafür empfänglich zu sein. Erwecken Politik und Wissenschaft über längere Zeit den Eindruck, unglaubwürdig und interessengesteuert zu sein, wenden sich viele Menschen solchen alternativen Fakten zu. Doch selbst wenn sich Politik und Forschung um das letzte bisschen Glaubwürdigkeit brächten, würden sich Falschmeldungen ohne Internet nicht so schnell verbreiten.
Das Internet spielt also sehr wohl eine wichtige Rolle bei diesem besorgniserregenden Trend. Es ist nicht Ursache aber Katalysator einer gesellschaftlichen Stimmung, die der Demokratie mehr und mehr schadet. In der virtuellen Welt kann sich jeder ein Forum für seinen Frust und seine Ablehnung erschaffen. Leidensgenossen können sich unheimlich schnell vernetzen und ihre Reichweite dadurch vergrößern. Ausgesprochen gut funktioniert das, wenn falsche politische Entscheidungen dafür gesorgt haben, dass sich möglichst viele Menschen angesprochen fühlen. In Zeiten des Internets rächt es sich besonders schnell, wenn sich Politiker eher Lobbyisten statt den Wählerinnen und Wählern verpflichtet fühlen.
Keine nachhaltige Lösung
Nicht immer ist diese Empörung und Resignation gerechtfertigt. Raffinierte Algorithmen sorgen aber dafür, das Frustrationslevel hoch zu halten und die Blase nicht zum Platzen zu bringen. Den mitunter unsachlichen und beleidigenden politischen Ergüssen im Internet versucht die Politik seit ein paar Jahren über strengere Kontrollen und Richtlinien beizukommen. Doch immer klarer wird: Werte wie Anstand und Moral oder ein Gespür für gewisse Gesprächskonventionen sind in der Anonymität des Internets kaum haltbar. Das Sperren bestimmter Inhalte und der fleißige Einsatz von Faktencheckern sind keine nachhaltigen Lösungen, weil sie zwangsläufige Folgen des Problems sind und die Gräben eher vertiefen.
Die Politik sollte lieber daran arbeiten, Fake News und Fehlinformationen die Grundlage zu entziehen. Gerade in Zeiten der Krise ist es wichtig, die Bedenken der Menschen ernstzunehmen und sie nicht pauschal zu Spinnern und Verschwörungstheoretikern zu degradieren. Das Ziel darf nicht sein, die Menschen zu belehren und ihnen die eigene Sicht der Dinge aufzuzwingen, sondern ihnen zuzuhören und einen Kompromiss zu finden, der für beide Seiten zufriedenstellend ist. Das Internet wird auch in Zukunft ein beliebtes Forum für Selbstdarstellungen und Inszenierungen sein. Entscheidend ist aber, wer das überzeugendere Bühnenprogramm auf die Beine stellt.