Lesedauer: 6 Minuten
Erneuerung kann die SPD. Zumindest auf den ersten Blick. Mit der Wahl von Bärbel Bas und Lars Klingbeil zu den beiden Parteivorsitzenden hat es die Partei mal wieder erfolgreich geschafft, die Realität zu verdrängen und eine Runde länger auf dem sinkenden Schiff zu drehen. Denn der Beschluss zum AfD-Verbot und die erschreckende Reaktion auf das Friedensmanifest haben deutlich gezeigt, welchem Kurs die einst stolze Volkspartei treubleibt.
Gewinner und Verlierer
Die SPD hat sich mal wieder eine neue Parteichefin zugelegt. Mit überwältigender Mehrheit von 95 Prozent haben die Genossinnen und Genossen am 27. Juni die ehemalige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu einer ihrer Vorsitzenden gewählt (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/spd-doppelspitze-bas-klingbeil-100.html). Dass die Duisburgerin nach höherem strebt als ein stinknormales Bundestagsmandat, zeichnete sich schon während der Koalitionsverhandlungen ab. Ihr Name war für verschiedene Ministerien im Gespräch. Letztendlich wurde sie Arbeitsministerin. On top gab es jetzt noch das Krönchen der Obergenossin.
Viel interessanter als Frau Bas erschien den Medien aber wer anders: Im Zentrum der Berichterstattung stand nicht die strahlende Siegerin, sondern Vizekanzler Lars Klingbeil, dem die Delegierten mit weniger als zwei Dritteln der Stimmen eine böse Schlappe bescherten. Vom einstigen frischen Wind ist bei Klingbeil nicht mehr viel zu spüren. Das mag zum Teil an seiner politischen Bilanz liegen. Entscheidend ist aber, wer neben ihm steht.
Neustart, der wievielte?
Denn die SPD hat ein ausgesprochen großes Talent dafür, die größten Hoffnungsträger oder die größten Nieten zu ihren Vorsitzenden zu machen. Manchmal schaffen sie auch beides gleichzeitig, seinerzeit bei Martin Schulz sogar mit nur einer Person. Beim letzten Parteitag wählten die Delegierten wieder die Methode „Guter Soze, schlechter Soze“. Jedenfalls hat Lars Klingbeil die Vorgängerin von Bärbel Bas als glücklose Pappfigur würdig beerbt.
Doch die Strategie geht auf: Auch mit dem neuen Duo ist es der SPD gelungen, einen parteipolitischen Neubeginn herbeizuzaubern. Und so verkündet die neue Parteichefin mit viel Getöse, dass das deutsche Rentensystem chronisch ungerecht sei und Beamte doch bitte ihren fairen Anteil am Rententopf leisten sollen. Ein Glück ist die SPD wieder in einer Koalition mit der Union, welche den aufrührerischen Juniorpartner sogleich auf den Boden der Tatsachen zurückholt.
Die große Rentenreform ist einkassiert, aber wenigstens haben die Sozen es versucht. Auf ihren Koalitionspartner können sie sich eben verlassen: Immer wenn sie in der Regierung etwas bewegen wollen, funkt die böse CDU dazwischen. Klingt langweilig und ausgelutscht, funktioniert aber immer wieder. So stolpert die SPD von Neustart zu Neustart und hältst wenigstens ihre treue Stammwählerschaft bei der Stange.
Eine historische Aufgabe
Das Zeug zur Volkspartei hat sie indes nicht mehr. An der ein oder anderen Stelle wurde auf ihrem Parteitag sicher auch über soziale Gerechtigkeit gesprochen, ein anderes Thema hatte für die SPD aber Priorität: das langersehnte AfD-Verbot. Immer wieder hatte sich die Partei vor einer eindeutigen Positionierung zu den Plänen gedrückt. Am letzten Tag des Parteitags gab es aber keine Ausrede mehr. Schließlich geht es um die Verteidigung der Demokratie.
Oberste Parteiräson ist es nun, den juristischen Weg gegen die AfD zu beschreiten. Die SPD hat begriffen, dass sie mit durchschaubaren Schaufensteranträge und billigen Taschenspielertricks zwar der Einstelligkeit entfliehen kann, Traumwerte von 20 Prozent und mehr mit einer so starken AfD aber nicht drin sind.
Ein Manifest als Feigenblatt
Wieder einmal beschäftigt sich die SPD lieber mit sich selbst als mit der Lebenswirklichkeit der Menschen im Land. Statt zu hinterfragen, wie eine rechtsextreme Partei so stark werden konnte und ob eine Partei, die seit 1998 fast ununterbrochen an der Regierung beteiligt war, möglicherweise eine Mitschuld daran trägt, erklärt die SPD die AfD und alle ihre Wähler lieber pauschal zu Nazis, die es mit aller Härte zu bekämpfen gilt. Wie sehr sie damit 10 Millionen Wählerinnen und Wähler vor den Kopf stößt, ist der SPD egal. Die Genossinnen und Genossen vermarkten einen derart bürgerfernen und abgehobenen Beschluss sogar als das Beste, was sie auf ihrem Parteitag zustandegebracht haben.
Dabei hat das Friedensmanifest von Rolf Mützenich, Ralf Stegner und Konsorten doch eindrücklich gezeigt, dass in der ältesten Partei Deutschlands noch ein bisschen Sozialdemokratie drinsteckt. Dass dieser kurze Anflug vernunftorientierter Politik von der Konkurrenz sogleich zerrissen wird, war zu erwarten. Erschreckend war, mit welcher Leichtfertigkeit hochrangige Mitglieder der SPD das Manifest in Grund und Boden schmähten.
Ein Parteiausschlussverfahren blieb den Friedensbegeisterten nur deshalb erspart, weil sie sich hervorragend als linkes Aushängeschild für eine Partei eignen, deren Rückgrat nach Jahren der Regierungsbeteiligung völlig ausgeleiert ist. Die Bosse in der SPD wissen: Nur die Duldung von Mützenich, Stegner und Co. verhindert, dass noch mehr Wähler zum BSW oder gar zur AfD abwandern. Die Unterzeichner des Manifests sollten sich dringend überlegen, ob sie sich dazu missbrauchen lassen.
Der SPD droht ein trostloses Schicksal: Bis zur Einstelligkeit ist es noch ein langer Weg, aber bedeutend mehr als die mageren 16 Prozent bei der letzten Bundestagswahl werden sie lange Zeit nicht mehr holen. Beim Parteitag Ende Juni wurden die Weichen für diese Stagnation gestellt. Der Job von Bärbel Bas und Lars Klingbeil wird sein, die SPD im Gespräch zu halten, um sie vor einem weiteren Absacken zu bewahren. Auch sie werden auf dem politischen Friedhof gescheiterter Parteivorsitzender landen. Der nächste Neustart der SPD steht schon ins Haus.