(K)eine bessere Idee

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Seit fast fünf Monaten herrscht wieder Krieg in Europa. Russland hat die Ukraine angegriffen. Weite Teile des Landes stehen bereits unter russischer Kontrolle, jeden Tag verüben Putins Truppen dort unmenschliche Verbrechen. Eigentlich müsste nun die Stunde des Pazifismus schlagen, doch Putins Invasion hat bei vielen das Gegenteil bewirkt. Wer sich für Verhandlungen und Diplomatie einsetzt, wird verlacht und mit Diffamierungen überzogen. Der Pazifismus ist und bleibt eine Bewegung für kriegsferne Zeiten. Im Krieg entscheidet die Macht des Stärkeren. Ein Gesichtsverlust wird nicht in Kauf genommen.

Ich bin Pazifist. Das ist einfach so. Und ich schäme mich dafür nicht. Leider ist das heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Nach vielen Jahren ohne Krieg in Europa waren wir alle schwer erschüttert, als wir am 24. Februar 2022 aufwachten und plötzlich in einem anderen Europa lebten. Russland hatte die Ukraine angegriffen und zielt darauf ab, sich das Land einzuverleiben. Teilweise ist das schon gelungen, doch die Ukraine erweist sich als zäher als wohl von Putin erhofft. Einen Blitzsieg gab es für ihn nicht.

Der neue Pazifismus

Ihre Widerstandskraft verdankt die Ukraine auch den Lieferungen von Ausrüstung und Kriegsgerät aus anderen Ländern. Deutschland beschloss erst vor kurzem, 100 Milliarden Euro in seine Verteidigung zu investieren und den Etat dieses Ressorts auch in Zukunft deutlich zu steigern. Vielen erscheint diese reaktionäre Herangehensweise als die angemessene Antwort auf die Verbrechen Russlands. Sie legen Jahrzehnte der Diplomatie und friedlichen Gesprächen leichtfertig ad acta und verkennen dabei, dass die Lieferungen von Panzern und Haubitzen den Krieg nicht nur ermöglichen, sondern leider auch verlängern.

Sie tun es in einer abstrusen Interpretation von Pazifismus. Sie befördern den Krieg, um möglichst bald wieder Frieden herzustellen. Wer den Krieg nicht als die Vorstufe zum Frieden sieht, wird verlacht und diffamiert. Es gibt zwischenzeitlich einen bedeutsamen Unterschied zwischen den alten und den neuen Pazifisten. Die einen leben auf ewig im Gestern, als Putin mit uns machen konnte, was er wollte. Die anderen bieten ihm mutig die Stirn und bilden sich angestrengt ein, dabei im Namen des Friedens zu handeln. Querdenker und Solidarität haben ausgedient – der Pazifismus ist das neueste Opfer querulanter Wortumdeuter.

Ex-Präsident auf Irrwegen

Die selbsternannten Neupazifisten distanzieren sich von der bedingungslosen Friedensliebe und möchten gleichzeitig den Völkerbruch Russlands verurteilen. Beides gleichzeitig geht aber nicht. Man kann nicht im einen Moment von den Grundsätzen des Pazifismus abweichen und im nächsten Moment Putin für sein Vorgehen schelten. Entweder man ist für den Frieden oder dagegen. Entweder man führt Krieg oder man lässt es bleiben.

Hält nicht viel von Rücksichtnahme: Ex-Bundespräsident Joachim Gauck (l.) am 27.02.2022 im Bundestag (Bild: bundestag.de)

Großer Verfechter dieser neuen Kriegsrhetorik ist ausgerechnet unser ehemaliger Bundespräsident Joachim Gauck. Er würde der Stimme des Friedens und der Diplomatie am liebsten den Mund verbieten und kündigte jüngst sogar an, er würde im schlimmsten Falle sogar selbst zur Waffe greifen. Dass sich dieser alte weiße Mann erdreistet, Andersdenkende als verträumte Vollidioten hinzustellen, ist der Gipfel der Unverschämtheit. Wer saß denn während der Regierungserklärung des Bundeskanzlers am 27. Februar auf der Tribüne des Deutschen Bundestags und demonstrierte mit seiner falschsitzenden Maske, wie wenig Solidarität und Intellekt in ihm stecken?

Blinder Aktionismus

„Hast du denn eine bessere Idee?“ – Diese entwaffnende Frage ist das Kampfmittel Nr. 1, um den Verfechtern der Verhandlungslösung über den Mund zu fahren.  Dabei ist die Herausforderung gar nicht, eine bessere Lösung als Militärbeteiligung und Wirtschaftssanktionen zu finden, denn besonders viele schlechtere Lösungen gibt es nicht. Mit Waffenlieferungen beschert man den Ukrainern Munition, um sich gegen Russland zur Wehr zu setzen und mit den Wirtschaftssanktionen lässt man Putin finanziell ausbluten. So ist zumindest der Plan. Beides wird am Ende des Tages nicht aufgehen.

Trotzdem vermitteln die Waffenlieferungen und Wirtschaftssanktionen das Gefühl, wenigstens etwas zu tun. Die Waffen niederzulegen und zu Verhandlungen aufzurufen, bedeutet für viele jedoch, vor Putin einzuknicken und sein verbrecherisches Handeln zu billigen. Schaut man sich aber den Effekt der bislang verhängten Sanktionen an, wird schnell klar, wer hier vor wem einknickt: Der Rubel ist heute mehr wert als vor dem Angriff auf die Ukraine. Putin verkauft seine Rohstoffe an andere Länder und hat überhaupt keine finanziellen Probleme. In Deutschland hingegen bereitet man sich auf einen sehr kalten Winter ohne ausreichend Heizöl und Gas ein. Putin lacht und Deutschland friert.

Schluss mit dem Töten

Die meisten Sanktionen gegen Russland bewirkten bisher das Gegenteil dessen, was man sich von ihnen erhofft hatte. Wer etwas anderes behauptet, der lügt aktiv. Sie haben sich also als unwirksames Mittel herausgestellt. Im Frühjahr gab es erste Verhandlungsgespräche. Diese liefen durchaus zufriedenstellend und vielleicht hätte man einen schnellen Waffenstillstand herbeiführen können, wenn der glücklose Boris Johnson und der greise Joe Biden nicht dazwischengefunkt hätten. Diese erfolgsversprechende diplomatische Lösung für immer vom Tisch zu wischen, grenzt schon stark an Realitätsverweigerung.

Es geht vielen gegen den Strich, mit Putin zu verhandeln und das ist auch gut so. Putins Vorgehen ist unmenschlich und ein Bruch des Völkerrechts. Mittlerweile hat er tausende von Menschenleben auf dem Gewissen, damit muss endlich Schluss sein. Eine Fortsetzung des Kriegs ist gleichbedeutend mit massenweise weiteren Todesopfern. Gerade weil es um Leben und Tod geht, steht für viele völlig außer Frage, den Kurs zu ändern.

Kurswechsel mit Rückgrat

Ein Kurswechsel in dieser Frage wird jedoch immer schwieriger. Man müsste sich eingestehen, sich geirrt zu haben. Man müsste der eigenen Bevölkerung erklären, dass die vielgelobten Sanktionen keine der erhofften Wirkung erzielt haben und wir alle einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Das erfordert viel Mut und Rückgrat.  Und selbstverständlich würde eine solche Abkehr auch Widerstand erzeugen.

Die kriegstreiberischen Kräfte in diesem Land würden es einer Regierung nicht so einfach durchgehen lassen, dass sie sich von Militarisierung und Kriegsromantik verabschiedeten. Sie würden die Legende spinnen, dass Putin gesiegt hätte und dass wir bereitwillig beiseitetraten, um ihm diesen Triumph zu gönnen. Auch darauf muss man vorbereitet sein, wenn man auf den Weg der Vernunft zurückkehrt. Eine gute Regierung muss das Engagement der Kriegslobby aber nicht fürchten, weil sie die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hinter sich wüsste.

Die Kriegsbeteiligung des Westens ist in erster Linie eine moralgeladene Angelegenheit. Die von Putin vertretenen Werte sind unseren eigenen so diametral entgegengesetzt, dass es früher oder später zu Auseinandersetzungen kommen muss. Ein hartes Vorgehen gegen diesen Aggressor erscheint vielen als die logische Antwort auf den Einfall in die Ukraine. Die meisten Politiker sehen zwar, dass der bisherige Kurs keinen Erfolg verspricht, sie fürchten sich aber vor dem Gesichtsverlust, wenn sie eine 180-Grad – Wendung hinlegten. Immer mehr tritt in den Hintergrund, um was es in diesem Krieg wirklich geht. Es geht nicht darum, wer stärker ist oder wer im Recht ist. Es geht darum, Menschenleben zu retten und das grausame Töten zu beenden. Dafür kann man auch sein Gesicht opfern.


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