Die totale Entmündigung

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Fast zu populistisch, um wahr zu sein: Der Bundestag soll in den nächsten Wochen über ein AfD-Verbot entscheiden. Zumindest soll das Parlament dem Bundesverfassungsgericht den Auftrag erteilen, ein solches Verfahren zu prüfen.  In seltener Einigkeit hat dazu ein Gespann von Abgeordneten aus SPD, Union, Grünen, Linken und SSW einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Sie geben vor, die ärgsten Verfechter der Demokratie zu sein, indem sie eine beträchtliche Zahl von Wählern vor den Kopf stoßen. Die Debatte um das Verbot ist ein erneutes Konjunkturprogramm für Rechtsaußen und ein Sargnagel für die Demokratie.

Lange überfällig?

Rund 50 Abgeordnete haben sich zusammengetan und dem Bundestag einen Antrag von außerordentlicher Tragweite vorgelegt: Per Mehrheitsbeschluss soll das hohe Haus ein Verbotsverfahren gegen die AfD anstoßen. Die Parlamentarier reagieren damit auf den erstarkenden Rechtsextremismus, der sich vor einigen Wochen in den Wahlergebnissen der AfD in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ein weiteres Mal manifestiert hat.

Die Idee ist nicht neu. Forderungen nach einem Verbot der AfD sind so alt wie die Partei selbst. Die jüngsten Wahlergebnisse geben der Debatte lediglich neuen Schwung. Der Zeitpunkt erstaunt dennoch: Einerseits liegt die AfD seit vielen Monaten im Umfragehoch und auch die endgültigen Ergebnisse der Wahlen im Osten kamen nicht aus heiterem Himmel. Andererseits hätte es in den vergangenen Jahren ausreichend Gelegenheit gegeben, das Thema AfD-Verbot parlamentarisch aufzugreifen.

Mit Belegen für ihre verfassungsfeindliche Gesinnung hat die Partei nun wirklich nicht gegeizt. Der Rechtsextremismus der Partei ist durch mehrere Verfassungsschutzämter offiziell anerkannt, Björn Höcke darf höchstrichterlich als Faschist angesprochen werden, eine Reichsbürgerin sitzt in U-Haft. Die Zeichen sind seit langem so deutlich zu erkennen, dass sogar schon hochrangige Vertreter der AfD selbst die Flucht ergriffen haben.

Eine Frage der Prioritäten

Geht es also wirklich darum, eine rechtsextreme Partei zu verbieten? Oder ist es die Stärke der AfD, welche den letzten Anstoß gab, einen solchen Antrag einzubringen? Denn herbeigezaubert hat die AfD die knapp 33 Prozent ihrer Wähler in Thüringen bestimmt nicht. Noch vor fünf Jahren ließ sich etwa ein Drittel von ihnen mit den populistischen und menschenverachtenden Parolen nicht ködern. Und auch dass die AfD immer heftiger auf den Putz haut, ist nicht zwangsläufig ein Erfolgsrezept. Ihre hohen Zustimmungswerte sind das Produkt einer Politik, die sich immer weiter von den Bürgerinnen und Bürgern entfernt. Dagegen helfen keine Verbotsdebatten, sondern ein ehrlicher und grundlegender Politikwechsel.

Doch die regierenden Parteien – und solche, die es wieder werden möchten – haben ganz offensichtlich andere Prioritäten. Die Kindergrundsicherung gibt es bis heute nicht, bei der Reform des Bürgergelds wurde ein Affentanz sondersgleichen aufgeführt, aber über das neueste Prestigeprojekt eines Verbotsantrags gegen die AfD soll das Plenum innerhalb weniger Wochen entscheiden.

Für den Parlamentsbetrieb ist das tatsächlich Rekordtempo. Andere Initiativen brauchen deutlich länger, um im Bundestag zur Abstimmung gestellt zu werden. Gesetze müssen beispielsweise mehrere Verfahren durchlaufen, um letztendlich verkündet zu werden. In dieser Zeit wird viel über die Pläne diskutiert, verschiedene Sichtweisen werden berücksichtigt und fast immer werden Änderungen vorgenommen. Diese seriöse Befassung fehlt beim AfD-Verbotsantrag komplett. Das Vorhaben bedient lediglich die Interessen derer, die sich solche Haltungen leisten können und für AfD-Wähler nur ein Naserümpfen übrighaben.

Wahlbetrug mit Ansage?

Dass die AfD rechtsextrem ist, daran besteht kein Zweifel. Die meisten ihrer Wähler sind es aber mit Sicherheit nicht. Die Gründe für ihre Wahlentscheidung kommen in dem Verbotsantrag nicht vor. Obwohl sie einer rechtsextremen Partei zu ungeahnten Gestaltungsmöglichkeiten verhelfen, werden ihre Bedürfnisse ein weiteres Mal konsequent ignoriert. Es ist genau diese belehrende und abgehobene Art, Politik zu machen, welche die Menschen in die Arme der AfD treibt.

Zu Ende gedacht ist der Antrag ebenso wenig. „AfD-Verbot“ klingt schön, aber ganz offensichtlich sind sich die Unterstützer dieser ideologiegetriebenen Fantasterei nicht über die Folgen ihres Unterfangens bewusst. Was passiert denn mit dem Drittel der Stimmen, die an die AfD gingen? Sollen alle diese Wählerinnen und Wählern in den nächsten fünf Jahren keine parlamentarische Vertretung mehr haben? Ohne Neuwahlen wäre das Parteiverbot der größte Wahlbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik.

Konjunkturprogramm für Rechtsaußen

Selbst wenn sich die knapp 50 Abgeordneten mit ihrem Anliegen durchsetzten: Ein Gewinn für die Demokratie wäre das nicht. Dem Parteiverbot würde immer der Verdacht anhaften, man wollte eine unliebsame Partei schlicht mundtot machen, um weiter seiner selbstherrlichen Politik zu frönen. Der AfD-Verbotsantrag ist der bislang gelungenste PR-Gag für Rechtsaußen.

Aber anscheinend glauben die Unterstützer des Antrags ernsthaft, die Wähler der AfD ließen sich durch ein Parteiverbot zurückgewinnen. Als würden sie in den Nachrichten vom Verbot erfahren, ob ihrer Wahlentscheidung das kalte Grauen bekommen und fortan nur noch Parteien der selbsternannten demokratischen Mitte wählen.

Angesichts dieser maximalen Entmündigung würden sie natürlich völlig anders reagieren. Entweder radikalisieren sie sich dann umso mehr oder sie resignieren endgültig und sind für die Demokratie ebenso verloren. Mit der großen Wahlbeteiligung bei den zurückliegenden Landtagswahlen haben die Wählerinnen und Wähler deutlich gezeigt, dass sie mitreden und gehört werden wollen. Das Verbot einer mittlerweile so starken Partei würde dieses eindeutige Bekenntnis zur Demokratie hart vergewaltigen und genau das Gegenteil dessen erreichen, was es als Ziel proklamiert. Denn gegen Extremismus helfen selten Verbote. Rechtsaußen ist der Grund zu entziehen, sie zu wählen. Ein Parteiverbot wäre für viele ein Grund mehr, diesen Rattenfängern zu folgen.

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