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Die Corona-Krise dauert weiter an. Die Zahl der Infizierten in Deutschland scheint unaufhaltsam zu wachsen. Immer mehr Menschen sterben an der tückischen Lungenkrankheit. In Italien starben inzwischen mehr Menschen an dem Virus als in China. Regierung und Forscher rufen die Menschen zum Abstand auf. Viele wurden ins Home Office verbannt. Andere dürfen schon gar nicht mehr arbeiten, weil sie zum Beispiel in der Gastronomie tätig sind. Manche vertreiben sich die neugewonnene Freizeit mit Netflix oder dem schier unendlichen Angebot auf YouTube. Und dann gibt es noch solche, die die Supermärkte der Republik stürmen und alles in den Wagen packen, was nicht niet- und nagelfest ist. Längst herrschen im deutschen Einzelhandel italienische Zustände. Wie unsozial und gefährlich dieser Trend ist, übersehen viel zu viele.
Gute Seiten, schlechte Seiten
Manchmal ist es ein Rätsel, wie die Menschheit als Gemeinschaft überlebt hat. Kriege, Anschläge und Völkermorde zeigen, wozu der Mensch fähig ist. Bei all diesen Grausamkeiten geht es darum, möglichst viele Artgenossen auszurotten. Auge um Auge. Doch dann kann der Mensch auch wieder ganz anders. Menschen gehen gemeinsam auf die Straße, sie protestieren gegen unsoziale Gesetze oder sie demonstrieren für den Weltfrieden. Im Sommer gehen jährlich zehntausende auf die Straße, um beim Christopher Street Day für die Liebe einzustehen.
In den letzten Tagen und Wochen zeigte sich die Menschheit wieder eher von ihrer schlechteren Seite. Das Corona-Virus erfüllt viele mit Angst. Dass Angst ein ganz schlechter Ratgeber ist, davon zeugen in jüngster Zeit die Bilder, die sich in den deutschen Einzelhandelsgeschäften bieten. Leergeputzte Regale und ganze Heerscharen an Menschen, die sich anscheinend am liebsten das Wohnzimmer mit Toilettenpapier volltapezieren wollen. Der Hamster ist in Mode. Doch der Hamster ist schlecht für das Gemeinwesen.
Kuchen gegen Corona
Denn Hamsterkäufe haben im wesentlichen drei Eigenschaften: sie sind grob unsozial, sie sind zutiefst unlogisch und sie sind gefährlich. Unsozial sind die Masseneinkäufe, weil sie den einzelnen weit, sehr weit, über die Gemeinschaft stellen. Sie folgen rein egoistischen Motiven. Den typischen Hamsterkäufer leitet die Frage: Was interessieren mich die anderen? Solange der eigene Vorratskeller voll ist, wird jegliches Mitgefühl und jegliche Empathie für den Nachbarn, den Kollegen und die schwächeren in der Gesellschaft ausgeblendet.
Ganz krass zeigte sich das kürzlich in einem Geschäft in Osnabrück. Ein Kunde wollte partout nicht einsehen, dass 50 Packungen Mehl für ihn nicht drin sind. Letztendlich reagierte er mit körperlicher Gewalt. Der Reutlinger General-Anzeiger mag diesen Vorfall als „Rauferei“ abgetan haben, doch in Wirklichkeit outete sich der Aggressor mehr oder weniger freiwillig als abgrundtiefer Egoist.
Natürlich stellt sich bei solchen Extremkäufen die Frage, was die Menschen mit solch gigantischen Mengen an Mehl und Klopapier eigentlich wollen. Als wäre Kuchenbacken ein besonders hilfreiches Mittel gegen das gefährliche Corona-Virus. Solchen Hitzköpfen wie dem Osnabrücker Kunden sei gesagt, dass Backen mitunter auch eine gute Portion Geduld erfordern kann. Wenn er mit seinem Temperament allerdings wirklich 50 Kilogramm Mehl verbacken will, dann kann die Polizei bald zur nächsten „Rauferei“ anrücken.
Nicht hamstern, sondern helfen
All die Kräfte, die beim Beladen von Einkaufswägen, beim Stemmen ganzer Türme an Toilettenpapier oder beim Frontalangriff gegen Mitarbeiter zum Einsatz kommen, sollten lieber dafür verwendet werden, in dieser schwierigen Zeit zusammenzustehen. Natürlich nur bildlich gesprochen, denn Social Distancing ist ja das Gebot der Stunde. Denn selbst bei einer drohenden Ausgangssperre ist die Versorgung mit Lebensmitteln weiterhin gewährleistet.
Die Supermärkte bleiben auch in diesem Fall geöffnet. Die Hamsterkäufe, die derzeit den deutschen Einzelhandel heimsuchen, setzten allerdings ein, bevor Ausgangssperren hierzulande ernsthaft im Gespräch waren. Solch drastische Maßnahmen wären unter Umständen aber gar nicht nötig, wenn die Menschen darauf verzichtet hätten, in Scharen einkaufen zu gehen und sich um die letzte Packung Klopapier zu keilen. Just saying…
Der Hamster in dir
Inzwischen sind wir nur noch eine Fernsehansprache von der Ausgangssperre entfernt. Das bedeutet nicht nur Hardcore-Hausarrest für jeden einzelnen. Es bedeutet auch, dass es noch schwerer wird, füreinander einzustehen und sich gegenseitig zu unterstützen. Danke, Hamsterkäufer. Denn wenn Supermarktketten zwischenzeitlich nur noch eine Packung Toilettenpapier pro Kunde dulden, wie soll man dann noch diejenigen mit lebensnotwendigem versorgen, die besonders vom Corona-Virus gefährdet sind? Ältere Menschen zum Beispiel, für die der Gang zum nächsten Supermarkt auch ohne Pandemie schon eine besondere Herausforderung war. Sollten sich diese Menschen jetzt erst recht dem Risiko einer Ansteckung aussetzen, nur um dann festzustellen, dass irgendwelche Klopapierfanatiker vor ihnen einfach schneller waren? Es ist zum Heulen.
Die Politiker und die Wissenschaftler sind sich einig: Es besteht kein Grund für Hamsterkäufe. Trotzdem sind viele Regale leer. Hört man sich um, dann schimpfen alle auf die bösen Hamsterkäufer. Das passt nicht so recht zusammen. Echte Hamsterkäufer sind nämlich die Ausnahme und nicht die Regel. Diese wenigen Ausnahmen sorgen durch die Spontanentleerung ihres Kontos und ihres Gehirns allerdings dafür, dass der kleine Hamster in uns allen erwacht. Er positioniert sich in seinem Hamsterrad und -schwupps- liegt auch in unserem Einkaufswagen eine Packung Toilettenpapier.
Auffällig ist nämlich schon, dass dieser Tage fast jeder Kunde eines Supermarkts Toilettenpapier kauft. Dabei ist es beinahe unerheblich geworden, ob nun nur eine einzelne Packung des gerollten Goldes über den Tresen wandern oder mehrere Dutzend. Es braucht keine Armee an wildgewordenen Hamsterkäufern. Einige wenige Möchtegern-Nager reichen aus, um die Mehrheit zu manipulieren. Das ganze nennt sich dann Herdentrieb.
Ein einzelner Angriff der Hamsterkäufer ist genug, um die Regale zumindest zeitweise zu leeren. Die anderen Kunden sehen dann die leeren Regale. Offensichtlich besteht also doch ein Notstand. Weil man es aber nicht gleich übertreiben will, oder gar mit den Hamsterkäufern auf eine Stufe gestellt werden möchte, kauft man eben nur zwei oder drei Packungen Toilettenpapier. Entsprechendes gilt für Konserven, Milch und Nudeln. Eine Handvoll Hamsterkäufer setzen mit ihrem grotesk asozialen Verhalten also eine gefährliche Dynamik in Gang, weil sie einen Notstand suggerieren, der in Wahrheit gar nicht existiert. Ob die Menschen es wollen oder nicht: die leeren Regale beeinflussen auch ihr Einkaufsverhalten.
Ausgangssperren deutschlandweit?
Deswegen ist es vielleicht an der Zeit, den Begriff des Hamsterkaufs zu überdenken. Im Prinzip ist nämlich fast jeder Einkauf inzwischen ein kleiner Hamsterkauf, wenn er die genannten Produkte enthält. Als hätten die wahren Hamsterkäufer eine neue Leidenschaft für einen neuen Volkssport entfesselt. Die wenigen echten Hamsterkäufe setzen nämlich eine psychosoziale Dynamik in Gang, die nur schwer wieder zu durchbrechen ist.
Viele haben zunächst verwundert den Kopf geschüttelt oder lächelnd abgewunken, als die ersten Meldungen aus Italien von leergekauften Supermärkten kamen. In der Zwischenzeit hat man sich auch in Deutschland fast an solche Anblicke gewöhnt. Was viele allerdings vergessen: in Zeiten wie diesen ist es besonders wichtig, Maß zu halten. Viele Lebensmittelzulieferer stehen in den ewig langen Staus, die aus den Grenzschließungen zum EU-Ausland resultieren. Es ist eben nicht so, wie Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) kürzlich lapidar sagte. Ein Regal, das heute wie leergefegt aussieht, ist unter Umständen morgen noch nicht wieder aufgefüllt.
Trotzdem gehen viele Menschen unbeirrt weiter einkaufen. Klar, der Kühlschrank muss gefüllt sein, aber trotzdem sind Menschenmengen derzeit unter allen Umständen zu vermeiden. Dabei ist der Supermarkt beinahe noch ein keimfreier Raum im Gegensatz zu den Szenen, die sich an vielen öffentlichen Plätzen abspielen. Trotz der gravierenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens, tummelten sich erst kürzlich dicht an dicht viel zu viele Menschen auf dem Stuttgarter Marienplatz. Eine kleine Gruppe begab sich in ein namhaftes Warenhaus, um einen Kühlschrank zu kaufen. Der Grund: Man braucht Platz, um den Alk für die Party am Wochenende zu lagern. Ernsthaft?!
Nach den drastischen Maßnahmen in China zeichnet sich dort erstmals eine Entspannung der Lage ab. Manche vermuten gar, dass das Virus dort in einigen Wochen unter Kontrolle sein könnte. Ob das blauäugige Optimisten sind oder nicht, ist eine andere Frage. Fakt ist, dass Maßnahmen wie Ausgangssperren soziale Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Und solche Kontakte sind nach wie vor das größte Infektionsrisiko. Aber angesichts von Corona-Partys und Hamsterkäufen ist das Gefahrenpotenzial wohl noch nicht bei jedem angekommen. Viele lasen aus Angela Merkels Fernsehansprache zwischen den Zeilen heraus, dass der nächste Schritt auch Ausgangssperren für Deutschland sind. Kommen wir Verboten zuvor. Gehen wir mit gutem Beispiel voran!