Endemische Idiotie

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Menschen sind unglaublich kreativ, wenn es darum geht, ihre Ziele zu erreichen oder ihr Gesicht zu wahren. Auch die selbsternannten Querdenker nutzen jedes Schlupfloch, um ihre abstrusen Theorien am Leben zu erhalten. Wir sollten Nachsicht mit ihnen haben: Die Querdenkenbewegung setzte der Unterdrückung der Idiotie das lange ersehnte Ende. Seit ungefähr zwei Jahren ist es keine Schande mehr, egozentrisch, unsolidarisch und rücksichtslos zu sein. Die geschrumpfte Maskenpflicht ist daher eher ein Mittel, den nun arbeitslosen Querdenkern den Sinn ihres Lebens zu erhalten.

Starrsinn vs. Einsicht

Irren ist menschlich. Es einzusehen leider nicht. Kein Mensch gibt gerne zu, einen Fehler gemacht zu haben oder lange Zeit einem Irrglauben aufgesessen zu sein. Auch wenn viele von sich behaupten, sie schätzten es an Menschen, wenn diese zu ihren Fehlern stünden – die Reaktionen auf die revidierte Impfentscheidung von Joshua Kimmich waren entlarvend. Der ungeimpfte Nationalspieler erklärte nach seiner überstandenen Corona-Erkrankung, sich nun doch impfen zu lassen. Das Wort „Häme“ hat seitdem eine ganz neue Dimension entwickelt.

Die Menschen mögen es nicht, eigene Fehler als solche zu benennen. Denn wer das tut, macht sich auch angreifbar. Man müsste zugeben, dass die andere Seite doch rechthatte. Das ist unbequem und das kann schmerzhaft sein. Deswegen konstruieren Menschen Gründe, weswegen ihre Überzeugungen nicht eingetreten sind. Nachdem sich im Sommer 2021 ein Großteil der Deutschen hat impfen lassen, die Fallzahlen im Herbst und Winter aber erneut in die Höhe schnellten, da waren die Schuldigen schnell ausgemacht: Die Ungeimpften leisteten dem Virus enormen Vorschub. Dieses Argument war angesichts 2G natürlich völlig realitätsfremd, aber eine Zeit lang salonfähig. Mit der rasanten Ausbreitung der Omikronvariante hat sich aber letztendlich doch die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Wirksamkeit der Impfstoffe ernsthaft in Zweifel zu ziehen ist.

Nachdem auch ein Großteil der dreifach Geimpften erkrankt war, sanken Impfeuphorie und Befürwortung einer allgemeinen Impfpflicht im Land deutlich. Die Impfung schützt zwar weiterhin vor schweren Verläufen, die Legende der Herdenimmunität ist aber hinfällig.

Gefühlte Wahrheit

Die jüngsten Entwicklungen der Coronapolitik stoßen auch einer weiteren Bevölkerungsgruppe hart auf. Seit den umfangreichen Lockerungen der letzten Wochen und seitdem die Impfpflicht vorerst vom Tisch ist, haben die selbsternannten Querdenker wieder einen schweren Stand. Nachdem sie zu Beginn des Jahres tausende braver Bürger mobilisiert hatten, verläuft sich die Bewegung wieder. Zurück bleibt der harte Kern aus Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremen und einigen Bequemen, die sich nicht eingestehen können, dass sie sich von den falschen Leuten vor den Karren spannen ließen.

Woche für Woche gingen sie mit ihren Mitstreitern auf die Straße. Sie stellten sich quer zur Impfpflicht und waren empört darüber, dass die Politik ernsthaft eine solche Maßnahme in Erwägung zog. Immer wieder mussten bei den Demonstrationszügen auch die Kinder der Teilnehmer als Grund für den Protest herhalten. Viele von ihnen trieb die Sorge auf die Straße, es könnte bald Schluss sein mit elementaren Grundrechten. Der Verweis auf das bestehende Demonstrationsrecht half dabei wenig. Den Menschen ging es um eine gefühlte Wahrheit, die man ihnen nach zig Wortbrüchen der Politik nicht mal verübeln konnte.

In der Zwickmühle

Nun sind die Befürworter einer Impfpflicht mittlerweile im Bundestag krachend gescheitert. Sie haben es nicht geschafft, die zahlreichen Anträge zu dem Thema in ein stimmiges Gesetz zu gießen, hinter dem sich eine stabile Mehrheit vereint. Damit fiel der wichtigste Demonstrationsgrund der Querdenker weg. Auch der Wegfall der Maskenpflicht in vielen Bereichen und die Aussetzung von 3G kommt den Demonstranten nicht zupass. Solange diese Maßnahmen galten, konnten sie auf den wöchentlichen Demonstrationen und im Alltag durch konsequentes Verstoßen gegen die Regelungen effektiv auf sich aufmerksam machen. Einige von ihnen schmückten ihre Masken auch mit Aufschriften, die auf die angebliche Diktatur hinwiesen. Sie alle würden sich durch das Tragen dieser Demonstrationswerkzeuge nun vollends lächerlich machen, weil ihr innigster Wunsch bereits in Erfüllung gegangen ist.

Viele der Querdenker von gestern stehen vor einer schwierigen Richtungsentscheidung: Möchten sie den liebgewonnenen Gepflogenheiten der letzten Monate abschwören und fortan wieder ein bedeutungsloses Dasein als stimmlose Alltagsidioten fristen oder bevorzugen sie ein Weiterleben als hartgesottene Dauernazis? Manche von ihnen haben sich an die Aufmerksamkeit gewöhnt, die ihnen in den letzten Monaten zuteilwurde. Der neue Kurs der Coronapolitik bedeutet für sie eine echte Zwickmühle.

Alle im Blick

Doch die Bundesregierung ist die Regierung aller Deutschen, auch wenn viele das anders sehen. Der Kanzler und seine Minister haben einen Eid geleistet, mit dem sie sich verpflichten, Schaden vom Volk abzuwenden. Im Kern besteht eine Hauptaufgabe der Bundesregierung darin, den Menschen im Land das Leben möglichst angenehm zu gestalten.

Dabei haben Scholz, Lauterbach und Co. natürlich auch die Querdenker im Blick. Der Trend durch Omikron war eindeutig: Die Krankheitsverläufe werden milder; viele Maßnahmen werden bald obsolet. Aus medizinischer Sicht ist das eine gute Nachricht. Gesellschaftlich ist es allerdings eine Herausforderung.

Endstation Endemie

Die harten Maßnahmen inklusive Ausgangssperren und Lockdowns waren das Lebenselixier der Querdenker. Mit dem Wegfall dieser einschneidenden Maßnahmen geht ihnen ihre Lebensgrundlage flöten. Sie haben keinen Raum mehr, um ihre Beschränktheit öffentlich darzustellen und ihr verkümmertes Ego aufzuwerten. Aus diesem Grund hat das Bundeskabinett ihnen mit der weiterhin geltenden Maskenpflicht in Bus und Bahn eine goldene Brücke gebaut.

Die öffentlichen Transportmittel bieten den Langzeitidioten einen geschützten Raum, in dem sie weiterhin ihre abstrusen Theorien verbreiten und ihre grenzenlose Dummheit zur Schau stellen können. Indem sie in den Verkehrsmitteln munter gegen die Auflagen verstoßen, zeigen sie, wie sehr ihnen der Schutz ihrer Mitmenschen am Allerwertesten vorbeigeht. Außerdem gibt ihnen der gezielte Verstoß gegen die Maßnahmen für einen Augenblick das Gefühl, wichtig zu sein.

Sie sind es nicht. Ein solches egoistisches Verhalten steht den Anstrengungen zur Eindämmung des Virus fundamental entgegen. Wenn die Infektionszahlen sinken, stecken sich auch weniger vulnerable Personen an. Das ist solchen Menschen aber schon eine Stufe zu hoch. Die Maske ist eines der letzten effektiven Mittel, das wir haben, um der Ausbreitung des Virus entschlossen entgegenzutreten. Die Querdenker haben sich dieser Basismaßnahme im Frühjahr 2020 entzogen und sie tun es auch zwei Jahre später. Die Aussicht auf einen kleinen Moment Aufmerksamkeit ködert sie eher als die Aussicht darauf, gegen eine weiterhin gefährliche Krankheit anzukommen. Corona hat ihr neurotisches Verhalten weiter getriggert. Mit dem Virus haben sie eines gemeinsam: Sie gehen nicht mehr weg.

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Mit harter Hand

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In der südwestdeutschen Landeshauptstadt Stuttgart ist es am vergangenen Wochenende erneut zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Die hauptsächlich jungen Unruhestifter setzten sich über die geltenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hinweg und griffen Polizisten tätlich an. Die baden-württembergische Landesregierung möchte diesen Krawallen nun ein Ende setzen und stellt daher ein ungewöhnliches wie konsequentes Maßnahmenkonzept vor.

Stuttgarter Verhältnisse

Nach den wiederholt gewaltvollen Krawallen in Stuttgart greift die Landesregierung nun mit Härte durch. Am vergangenen Wochenende hatten sich mehrere hundert Menschen trotz polizeilicher Maßnahmen nicht an die Verordnungen zur Eindämmung der Covid-19 – Pandemie gehalten. In zahlreichen Fällen verstießen die hauptsächlich jungen Menschen gegen das allgemein gültige Abstandsgebot. Die Freitreppe am Stuttgarter Schlossplatz war dermaßen mit Leuten besetzt, dass sich die Polizei gezwungen sah, gegen die nicht genehmigte Versammlung vorzugehen.

Daraufhin kam es zu einzelnen gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten, die innerhalb kurzer Zeit in massive Ausschreitungen ausarteten. Vereinzelt bewarfen die Regelbrecher die Polizeikräfte mit Glasflaschen und anderen Wurfgeschossen. Insgesamt fünf Beamte wurden verletzt, es kam zu einer Vielzahl von Festnahmen.

Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobel (CDU) reagierte mit Entsetzen auf die Vorfälle vom letzten Wochenende: „Es ist mir absolut schleierhaft, warum sich immer wieder so viele Menschen an solchen Gewalttaten beteiligen. Zum Glück haben wir nun Maßnahmen beschlossen, die solche Eskalationen in Zukunft verhindern werden.“ Der Politiker bezieht sich dabei auf ein kürzlich vorgelegtes Maßnahmenpaket, das noch diesen Monat für Baden-Württemberg in Kraft treten wird.

Eiserner Besen gegen Krawall

Demnach behält sich die Landesregierung vor, in einzelnen Landkreisen strikte Ausgangssperren zu verhängen, wenn es zu häufig oder zu heftig zu derartigen Ausschreitungen kommt. Richtwert für diese Beschränkungen ist die Krawall-Inzidenz, die sich stark an den Inzidenzwerten zur Eindämmung der Coronapandemie anlehnt.

Ein Landkreis hat fortan mit Einschränkungen zu rechnen, wenn es innerhalb von sieben Tagen unter 100.000 Einwohnern zu einer bestimmten Zahl an Gewalteskalationen kommt. Kommen bei solchen Ausschreitungen Polizeibeamte zu Schaden, steigert das die Inzidenz zusätzlich, und zwar in Abhängigkeit von der Schwere der Verletzung.

Mehr Ordnung in drei Stufen

Die Landesregierung stuft hier zwischen unterschiedlichen Beschränkungsgraden ab. Ab einer Krawall-Inzidenz von 35 soll im gesamten Landkreis der Ausschank alkoholischer Getränke ausgesetzt werden. Weder gastronomische Betriebe noch der Einzelhandel dürfen dann alkoholhaltige Getränke verkaufen, bevor die Inzidenz nicht mindestens fünf Tage unter dem kritischen Wert liegt.

Steigt die Anzahl von Krawallen trotzdem, tritt die nächste Beschränkungsstufe in Kraft. Vorsorglich sollen dann alle Geschäfte schließen, die im Eingangsbereich mit großen Glasscheiben ausgestattet sind. Zu groß ist die Gefahr, dass diese durch Randalierer eingeschlagen werden. Hilft auch das nicht, kommt die dritte Beschränkungsstufe zum Einsatz. Sie sieht ein komplettes Einfrieren des öffentlichen Lebens vor. Außer Supermärkten und Discountern haben dann nur noch Arztpraxen und Einrichtungen geöffnet, die für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur vonnöten sind. Den Menschen im Landkreis bleibt es untersagt, das Haus ohne triftigen Grund zu verlassen. Darunter fallen medizinische Notfälle, die Lebensmittelversorgung, die Ausführung von Haustieren und der Weg zur Arbeit, sofern man in einem systemrelevanten Beruf arbeitet. Passierscheine sollen einem Missbrauch vorbeugen.

Ein wandelbares Konzept

Viele Gastronominnen und Gastronomen befürchten, dass sie die neuen Regelungen endgültig ihre Existenz kosten könnten. Corinna L. betreibt seit einigen Jahren ein kleines Lokal in der Stuttgarter Innenstadt. Der Corona-Lockdown trieb sie an den Rand des wirtschaftlichen Ruins. Durch die gerade in Kraft getretenen Lockerungen schöpfte sie neuen Mut für ihre finanzielle Zukunft. „Die nun beschlossenen Anti-Krawall – Regeln machen all meine Hoffnungen zunichte. Ich kann nur hoffen, dass sich die Menschen ab sofort benehmen“, beklagt die 41-jährige.

Währenddessen überlegen führende Politiker von Baden-Württemberg bereits, die neuen Maßnahmen auf weitere Bereiche auszudehnen. So sollen sämtliche Demonstrationen der selbsternannten Querdenker ab sofort aufgelöst werden, wenn eine bestimmte Zahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern gegen die Maskenpflicht verstoßen (Maskeninzidenz). Im Wiederholungsfall könnten derartige Demonstrationen und Kundgebungen für einzelne Landkreise für einen festgelegten Zeitraum komplett untersagt werden.

Geordnete Bahnen

Auch im Einzelhandel möchte man mit den neuen Regeln scheinbar hart durchgreifen. Wie aus bislang unveröffentlichten Gesprächsprotokollen hervorgeht, denkt man darüber nach, Kundinnen und Kunden zu sanktionieren, wenn es zu häufig zur Missachtung des Abstandsgebots an den Kassen kommt. In einem solchen Fall sollen die Geschäfte augenblicklich evakuiert werden und ihre Pforten erst am nächsten Geschäftstag wieder öffnen.

Möglich ist außerdem eine Übertragung der Maßnahmen auf den öffentlichen Personenverkehr. Mehrere Schienenunternehmen haben bereits ihre Bereitschaft signalisiert, sich an den Vorhaben der Landesregierung zu beteiligen. Man erhofft sich dadurch, dass das Ein- und Aussteigen auf baden-württembergischen Bahnsteigen wieder geordnet vonstattengehen kann. Steigen einzelne Fahrgäste zu häufig zu vorschnell in die Züge, fahren die Unternehmen den Bahnhof bis auf weiteres nicht mehr an (Rein-Raus – Inzidenz).

Ausnahmen für Geimpfte

Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) ist von den Vorhaben ebenfalls überzeugt. Allerdings kündigte sie bereits Ausnahmeregelungen für bereits Geimpfte an: „Alle beschlossenen Maßnahmen eignen sich wunderbar dazu, auch die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Es wäre nicht verhältnismäßig, Geimpfte in diesen Kampf miteinzubeziehen. Durch ihre Impfung haben sie sich ihre Freiheitsrechte bereits hart zurückerkämpft.“ Geimpften müssen alle bürgerlichen Rechte zuerkannt bleiben. Dazu gehören laut Justizministerium auch die Rechte auf Drängeln, Quetschen und Krawall.

Besonders im heiß diskutierten Fall um die Stuttgarter Freitreppe sollen weitere Personengruppen nicht in die Krawall-Inzidenz miteinfließen. Beispielsweise sollen Vorbestrafte ebenfalls von den neuen Regelungen ausgenommen sein. Da sie bereits im Vorfeld eine Strafe verbüßt hätten, könne man davon ausgehen, dass von ihnen eine geringere Krawallgefahr ausgehe. Sie seien in gewisser Weise gegen Krawall jeglicher Art immunisiert und müssten sich folglich auch an keine Beschränkungen halten. Die Landesregierung ist zuversichtlich, das Problem mit Ausschreitungen im Ländle zügig in den Griff zu bekommen.

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Ein schmaler Grat

Lesedauer: 8 Minuten

Die beschlossenen Lockerungen der Sicherheitsmaßnahmen gegen die weitere Ausbreitung von Covid-19 lösten eine Welle der Erleichterung aus. Nach Wochen der Isolation und der Einschränkung nehmen viele Menschen die wiedergewonnenen Freiheiten nur all zu gerne an. Konkret sollen ab Anfang Mai kleinere Geschäfte wieder öffnen, dazu zählen offiziell auch Autohäuser. Das Aufatmen der Menschen ist verständlich, die Hintergründe der Lockerungen allerdings nicht zu unterschätzen. Wer glaubt, nun läuft wieder alles wie gehabt, sitzt einem gewaltigen Irrtum auf.

Anfang mit Ende

Nach dem allgemeinen Entsetzen über die rasche Ausbreitung des Corona-Virus und den strengen Sicherheitsmaßnahmen hat die öffentliche Debatte ein neues Lieblingsthema gefunden. Es sind die Lockerungen von Kontaktverboten und Ladenschließungen, die derzeit heiß diskutiert und vereinzelt bereits umgesetzt werden. Noch vor einigen Tagen wiesen vor allem Politiker diese Debatten als zu früh ab. Sie zeigten Verständnis für die Belastung der Bevölkerung, riefen aber gleichzeitig zu Zuversicht und Geduld auf. Heute hat sich der Wind gedreht und das Thema Lockerungen scheint in aller Munde zu sein.

Die Diskussion über etwaige Lockerungen wurde über Wochen unterdrückt. Es ist also überhaupt kein Wunder, dass nun so leidenschaftlich darüber debattiert wird. Ausgangssperren wie in Italien gab es kaum in Deutschland. Die getroffenen Maßnahmen waren allerdings einschneidend genug, um die Menschen mürbe zu machen. Dass in diesem Zuge keine Aussicht auf Lockerung oder gar Rücknahme der Verordnungen gegeben wurde, belastete viele zusätzlich. Dabei wäre es dringend geboten gewesen, nicht nur über Einschränkungen und Verbote, sondern auch über deren Ende zu sprechen. Und zwar von Anfang an.

Ein Leben mit dem Virus

Die aktuelle Krise legitimiert die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen. Es ist richtig, dass in Geschäften großer Wert auf einen Mindestabstand von zwei Metern gelegt wird. Es ist genau so richtig, dass öffentliche Großveranstaltungen auf Monate abgesagt sind. Es ist richtig, dass Gottesdienste nicht mehr dicht an dicht in Kirchen stattfinden.

Fast noch richtiger wäre es allerdings gewesen, man hätte von Anfang an auch darüber geredet, wie sich solche Maßnahmen zurücknehmen lassen, ohne ein deutlich erhöhtes gesundheitliches Risiko für die Bevölkerung einzugehen. Das Virus hat Zeit, das haben wir in den letzten Wochen gesehen. Die Infektionszahlen in Deutschland steigen zwar langsamer an, allgemeine Entwarnung kann aber noch lange nicht gegeben werden. Wir müssen uns darauf einstellen, eine ganze Zeit lang MIT dem Virus, aber OHNE Medikamente zu leben.

Ein solches kann nur gelingen, wenn die viel beschworenen Lockerungen nicht postwendend zu einem sprunghaften Anstieg der Infektionen führen. Das gilt es allerdings zu befürchten, wenn kleine Geschäfte wieder öffnen dürfen, die Versorgung der Bevölkerung mit Schutzmasken allerdings nicht gewährleistet werden kann. Stattdessen gibt es eine dringende Mahnung, die Masken in geschlossenen Räumen zu verwenden. Im Notfall können auch Schals als viraler Schutzschild herhalten. In diesem Punkt bietet unsere Regierung ein blamables Bild.

Maskenpflicht nur so halb

In der Krise lernen wir immer wieder dazu. Wir lernen beispielsweise dieser Tage, wie wichtig es ist, gewisse Sicherungsmaßnahmen frühzeitig einzuleiten und nicht erst dann darüber zu diskutieren, wenn der Unmut in der Bevölkerung wächst. Es muss außerdem regelmäßig geprüft werden, ob die getroffenen Maßnahmen überhaupt noch verhältnismäßig sind. Es heißt nicht umsonst, dass sich ein funktionierender Rechtsstaat am ehesten in seinen dunkelsten Stunden bewährt.

Deswegen verstehe ich die Skepsis und die Empörung mancher Menschen angesichts der Einschränkungen der letzten Wochen. Es ist für die meisten einfach nicht verständlich, warum die Krise in Bayern anders gemanaged wird als in NRW. Warum gibt es in Sachsen eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, bundesweit aber lediglich einen Appell an die Bevölkerung? Wieso tritt der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz regelmäßig mit einer Schutzmaske vor die Presse, während sich Angela Merkel noch nie mit einem solchen Teil hat sehen lassen?

All diese Widersprüche verunsichern die Menschen. Sie kosten Vertrauen und sie erinnern an Willkür. Vor allem lassen sie aber die Unkoordiniertheit in dieser Krise offen zu Tage treten. Viele sorgen sich um die Grundrechte. Es geht bei manchen sogar die Angst um, die Krise könne dazu genutzt werden, ihnen diese Rechte dauerhaft zu entziehen. Eine Corona-App stößt bei vielen auf Ablehnung, weil datenschutzrechtliche Bedenken nicht von der Hand gewiesen werden können. Die Datenskandale und Leaks jüngerer Zeit sind dabei nicht gerade vertrauensbildende Maßnahmen gewesen.

Lockerungen einfach so?!

Völlig zurecht werden die harten Einschnitte in das persönliche Leben eines jeden einzelnen kritisch hinterfragt. Deswegen verwundert es auch besonders, dass die gleiche Skepsis nicht bei den aktuellen Lockerungen an den Tag gelegt wird. Klar, man will kein Spielverderber sein und es wäre so viel bequemer, wenn der Biergarten um die Ecke wieder aufhätte. Während sich ein Großteil der Bevölkerung allerdings fragt, wer von den Beschränkungen eventuell profitieren könnte, bleibt eine ähnliche Weitsichtigkeit beim Thema Lockerungen bisher auf der Strecke.

Dabei ist doch völlig offensichtlich, weswegen die ersten Lockerungen nun doch so rasch kommen. Der wirtschaftliche Druck ist einfach zu groß geworden. Wirtschaftsnahe Gesellschaften wie die Leopoldina dominieren die Debatte. Wie eine viel zu laute konstante Begleitmusik mischten sie sich immer wieder in das Management der Krise ein.

Selbstverständlich ist es richtig und wichtig, auch wirtschaftliche Interessen im Blick zu haben. Es kann nicht sein, dass zigtausende von Menschen die nächsten Monate in Kurzarbeit oder im Zwangsurlaub fristen müssen und die Produktion stillsteht. Dass sich aber kaum jemand ernsthaft fragt, warum der Ausstieg aus der Quarantäne nun doch so zügig vonstattengeht, verwundert doch sehr. Um demokratieschonende Maßnahmen geht es zumindest nicht. Das tut sich nur gut als Legende, um andere Interessen zu kaschieren.

Wenn der Lieferant zehnmal klingelt

Wenn man dennoch einmal aus dem Haus geht und die Leute genau beobachtet, dann wird man schnell feststellen, dass die angekündigten Lockerungen bereits jetzt für viele zu gelten scheinen. Masken werden immer mehr zum Mainstream, also warum nicht selbst eine aufsetzen? Viele scheinen dabei aber leider zu vergessen, dass eine solche Atemschutzmaske keinen Universalschutz bietet. Sie schützt eigentlich sogar nur sehr unzureichend vor einer eigenen Infektion mit was auch immer. Ihr Zweck ist viel mehr, andere zu schützen. Das Robert-Koch – Institut wird nicht müde, diesen Fakt zu kommunizieren und trotzdem legen viele ihre Achtsamkeit und Rücksicht in dem Moment ab, wenn sie die Schutzmasken anlegen. Als würde ein Sicherheitsgurt rücksichtsloses Fahren provozieren…

So sind immer wieder kleine Gruppen zu beobachten, die nach erledigtem Großeinkauf nicht etwa vor den Supermarktpforten oder auf dem Parkplatz ein Schwätzchen halten. Ihr ununterdrückbarer Drang, den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen überkommt sie, sobald die Kassiererin die Kasse zugeklappt hat. Wer niemanden zum Quatschen hat, der verweilt auch schon einmal eine knappe Stunde in der Textilabteilung von Warenhäusern. Die anderen Läden haben ja schließlich alle dicht. Und immerhin schützen Handschuhe und Maske zuverlässig vor Corona, Filzläusen und braunem Gedankengut.

Hochkonjunktur feiert derzeit auch der Online-Versand. Das Online-Einkaufsverhalten mancher Mitbürgerinnen und Mitbürger erreicht zur Zeit obsessive Ausmaße. Wenn der digitale Kaufrausch einmal so richtig zuschlägt, bleibt kein Wunsch unerfüllt, kein Sparstrumpf voll – und kein Lieferant gesund. Es ist schlichtweg unsolidarisch, seine Einkäufe nun über Gebühr in den digitalen Raum zu verlagern. Von A nach B kommen diese Waren nämlich nur durch die Mitarbeiter eines Subsubsubunternehmens. Und die kratzen auch ohne Corona schon ordentlich am Burn-Out. Und von dem verprassten Geld sehen die … nichts.


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