Mit harter Hand

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In der südwestdeutschen Landeshauptstadt Stuttgart ist es am vergangenen Wochenende erneut zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Die hauptsächlich jungen Unruhestifter setzten sich über die geltenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hinweg und griffen Polizisten tätlich an. Die baden-württembergische Landesregierung möchte diesen Krawallen nun ein Ende setzen und stellt daher ein ungewöhnliches wie konsequentes Maßnahmenkonzept vor.

Stuttgarter Verhältnisse

Nach den wiederholt gewaltvollen Krawallen in Stuttgart greift die Landesregierung nun mit Härte durch. Am vergangenen Wochenende hatten sich mehrere hundert Menschen trotz polizeilicher Maßnahmen nicht an die Verordnungen zur Eindämmung der Covid-19 – Pandemie gehalten. In zahlreichen Fällen verstießen die hauptsächlich jungen Menschen gegen das allgemein gültige Abstandsgebot. Die Freitreppe am Stuttgarter Schlossplatz war dermaßen mit Leuten besetzt, dass sich die Polizei gezwungen sah, gegen die nicht genehmigte Versammlung vorzugehen.

Daraufhin kam es zu einzelnen gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten, die innerhalb kurzer Zeit in massive Ausschreitungen ausarteten. Vereinzelt bewarfen die Regelbrecher die Polizeikräfte mit Glasflaschen und anderen Wurfgeschossen. Insgesamt fünf Beamte wurden verletzt, es kam zu einer Vielzahl von Festnahmen.

Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobel (CDU) reagierte mit Entsetzen auf die Vorfälle vom letzten Wochenende: „Es ist mir absolut schleierhaft, warum sich immer wieder so viele Menschen an solchen Gewalttaten beteiligen. Zum Glück haben wir nun Maßnahmen beschlossen, die solche Eskalationen in Zukunft verhindern werden.“ Der Politiker bezieht sich dabei auf ein kürzlich vorgelegtes Maßnahmenpaket, das noch diesen Monat für Baden-Württemberg in Kraft treten wird.

Eiserner Besen gegen Krawall

Demnach behält sich die Landesregierung vor, in einzelnen Landkreisen strikte Ausgangssperren zu verhängen, wenn es zu häufig oder zu heftig zu derartigen Ausschreitungen kommt. Richtwert für diese Beschränkungen ist die Krawall-Inzidenz, die sich stark an den Inzidenzwerten zur Eindämmung der Coronapandemie anlehnt.

Ein Landkreis hat fortan mit Einschränkungen zu rechnen, wenn es innerhalb von sieben Tagen unter 100.000 Einwohnern zu einer bestimmten Zahl an Gewalteskalationen kommt. Kommen bei solchen Ausschreitungen Polizeibeamte zu Schaden, steigert das die Inzidenz zusätzlich, und zwar in Abhängigkeit von der Schwere der Verletzung.

Mehr Ordnung in drei Stufen

Die Landesregierung stuft hier zwischen unterschiedlichen Beschränkungsgraden ab. Ab einer Krawall-Inzidenz von 35 soll im gesamten Landkreis der Ausschank alkoholischer Getränke ausgesetzt werden. Weder gastronomische Betriebe noch der Einzelhandel dürfen dann alkoholhaltige Getränke verkaufen, bevor die Inzidenz nicht mindestens fünf Tage unter dem kritischen Wert liegt.

Steigt die Anzahl von Krawallen trotzdem, tritt die nächste Beschränkungsstufe in Kraft. Vorsorglich sollen dann alle Geschäfte schließen, die im Eingangsbereich mit großen Glasscheiben ausgestattet sind. Zu groß ist die Gefahr, dass diese durch Randalierer eingeschlagen werden. Hilft auch das nicht, kommt die dritte Beschränkungsstufe zum Einsatz. Sie sieht ein komplettes Einfrieren des öffentlichen Lebens vor. Außer Supermärkten und Discountern haben dann nur noch Arztpraxen und Einrichtungen geöffnet, die für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur vonnöten sind. Den Menschen im Landkreis bleibt es untersagt, das Haus ohne triftigen Grund zu verlassen. Darunter fallen medizinische Notfälle, die Lebensmittelversorgung, die Ausführung von Haustieren und der Weg zur Arbeit, sofern man in einem systemrelevanten Beruf arbeitet. Passierscheine sollen einem Missbrauch vorbeugen.

Ein wandelbares Konzept

Viele Gastronominnen und Gastronomen befürchten, dass sie die neuen Regelungen endgültig ihre Existenz kosten könnten. Corinna L. betreibt seit einigen Jahren ein kleines Lokal in der Stuttgarter Innenstadt. Der Corona-Lockdown trieb sie an den Rand des wirtschaftlichen Ruins. Durch die gerade in Kraft getretenen Lockerungen schöpfte sie neuen Mut für ihre finanzielle Zukunft. „Die nun beschlossenen Anti-Krawall – Regeln machen all meine Hoffnungen zunichte. Ich kann nur hoffen, dass sich die Menschen ab sofort benehmen“, beklagt die 41-jährige.

Währenddessen überlegen führende Politiker von Baden-Württemberg bereits, die neuen Maßnahmen auf weitere Bereiche auszudehnen. So sollen sämtliche Demonstrationen der selbsternannten Querdenker ab sofort aufgelöst werden, wenn eine bestimmte Zahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern gegen die Maskenpflicht verstoßen (Maskeninzidenz). Im Wiederholungsfall könnten derartige Demonstrationen und Kundgebungen für einzelne Landkreise für einen festgelegten Zeitraum komplett untersagt werden.

Geordnete Bahnen

Auch im Einzelhandel möchte man mit den neuen Regeln scheinbar hart durchgreifen. Wie aus bislang unveröffentlichten Gesprächsprotokollen hervorgeht, denkt man darüber nach, Kundinnen und Kunden zu sanktionieren, wenn es zu häufig zur Missachtung des Abstandsgebots an den Kassen kommt. In einem solchen Fall sollen die Geschäfte augenblicklich evakuiert werden und ihre Pforten erst am nächsten Geschäftstag wieder öffnen.

Möglich ist außerdem eine Übertragung der Maßnahmen auf den öffentlichen Personenverkehr. Mehrere Schienenunternehmen haben bereits ihre Bereitschaft signalisiert, sich an den Vorhaben der Landesregierung zu beteiligen. Man erhofft sich dadurch, dass das Ein- und Aussteigen auf baden-württembergischen Bahnsteigen wieder geordnet vonstattengehen kann. Steigen einzelne Fahrgäste zu häufig zu vorschnell in die Züge, fahren die Unternehmen den Bahnhof bis auf weiteres nicht mehr an (Rein-Raus – Inzidenz).

Ausnahmen für Geimpfte

Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) ist von den Vorhaben ebenfalls überzeugt. Allerdings kündigte sie bereits Ausnahmeregelungen für bereits Geimpfte an: „Alle beschlossenen Maßnahmen eignen sich wunderbar dazu, auch die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Es wäre nicht verhältnismäßig, Geimpfte in diesen Kampf miteinzubeziehen. Durch ihre Impfung haben sie sich ihre Freiheitsrechte bereits hart zurückerkämpft.“ Geimpften müssen alle bürgerlichen Rechte zuerkannt bleiben. Dazu gehören laut Justizministerium auch die Rechte auf Drängeln, Quetschen und Krawall.

Besonders im heiß diskutierten Fall um die Stuttgarter Freitreppe sollen weitere Personengruppen nicht in die Krawall-Inzidenz miteinfließen. Beispielsweise sollen Vorbestrafte ebenfalls von den neuen Regelungen ausgenommen sein. Da sie bereits im Vorfeld eine Strafe verbüßt hätten, könne man davon ausgehen, dass von ihnen eine geringere Krawallgefahr ausgehe. Sie seien in gewisser Weise gegen Krawall jeglicher Art immunisiert und müssten sich folglich auch an keine Beschränkungen halten. Die Landesregierung ist zuversichtlich, das Problem mit Ausschreitungen im Ländle zügig in den Griff zu bekommen.

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Ein schmaler Grat

Lesedauer: 8 Minuten

Die beschlossenen Lockerungen der Sicherheitsmaßnahmen gegen die weitere Ausbreitung von Covid-19 lösten eine Welle der Erleichterung aus. Nach Wochen der Isolation und der Einschränkung nehmen viele Menschen die wiedergewonnenen Freiheiten nur all zu gerne an. Konkret sollen ab Anfang Mai kleinere Geschäfte wieder öffnen, dazu zählen offiziell auch Autohäuser. Das Aufatmen der Menschen ist verständlich, die Hintergründe der Lockerungen allerdings nicht zu unterschätzen. Wer glaubt, nun läuft wieder alles wie gehabt, sitzt einem gewaltigen Irrtum auf.

Anfang mit Ende

Nach dem allgemeinen Entsetzen über die rasche Ausbreitung des Corona-Virus und den strengen Sicherheitsmaßnahmen hat die öffentliche Debatte ein neues Lieblingsthema gefunden. Es sind die Lockerungen von Kontaktverboten und Ladenschließungen, die derzeit heiß diskutiert und vereinzelt bereits umgesetzt werden. Noch vor einigen Tagen wiesen vor allem Politiker diese Debatten als zu früh ab. Sie zeigten Verständnis für die Belastung der Bevölkerung, riefen aber gleichzeitig zu Zuversicht und Geduld auf. Heute hat sich der Wind gedreht und das Thema Lockerungen scheint in aller Munde zu sein.

Die Diskussion über etwaige Lockerungen wurde über Wochen unterdrückt. Es ist also überhaupt kein Wunder, dass nun so leidenschaftlich darüber debattiert wird. Ausgangssperren wie in Italien gab es kaum in Deutschland. Die getroffenen Maßnahmen waren allerdings einschneidend genug, um die Menschen mürbe zu machen. Dass in diesem Zuge keine Aussicht auf Lockerung oder gar Rücknahme der Verordnungen gegeben wurde, belastete viele zusätzlich. Dabei wäre es dringend geboten gewesen, nicht nur über Einschränkungen und Verbote, sondern auch über deren Ende zu sprechen. Und zwar von Anfang an.

Ein Leben mit dem Virus

Die aktuelle Krise legitimiert die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen. Es ist richtig, dass in Geschäften großer Wert auf einen Mindestabstand von zwei Metern gelegt wird. Es ist genau so richtig, dass öffentliche Großveranstaltungen auf Monate abgesagt sind. Es ist richtig, dass Gottesdienste nicht mehr dicht an dicht in Kirchen stattfinden.

Fast noch richtiger wäre es allerdings gewesen, man hätte von Anfang an auch darüber geredet, wie sich solche Maßnahmen zurücknehmen lassen, ohne ein deutlich erhöhtes gesundheitliches Risiko für die Bevölkerung einzugehen. Das Virus hat Zeit, das haben wir in den letzten Wochen gesehen. Die Infektionszahlen in Deutschland steigen zwar langsamer an, allgemeine Entwarnung kann aber noch lange nicht gegeben werden. Wir müssen uns darauf einstellen, eine ganze Zeit lang MIT dem Virus, aber OHNE Medikamente zu leben.

Ein solches kann nur gelingen, wenn die viel beschworenen Lockerungen nicht postwendend zu einem sprunghaften Anstieg der Infektionen führen. Das gilt es allerdings zu befürchten, wenn kleine Geschäfte wieder öffnen dürfen, die Versorgung der Bevölkerung mit Schutzmasken allerdings nicht gewährleistet werden kann. Stattdessen gibt es eine dringende Mahnung, die Masken in geschlossenen Räumen zu verwenden. Im Notfall können auch Schals als viraler Schutzschild herhalten. In diesem Punkt bietet unsere Regierung ein blamables Bild.

Maskenpflicht nur so halb

In der Krise lernen wir immer wieder dazu. Wir lernen beispielsweise dieser Tage, wie wichtig es ist, gewisse Sicherungsmaßnahmen frühzeitig einzuleiten und nicht erst dann darüber zu diskutieren, wenn der Unmut in der Bevölkerung wächst. Es muss außerdem regelmäßig geprüft werden, ob die getroffenen Maßnahmen überhaupt noch verhältnismäßig sind. Es heißt nicht umsonst, dass sich ein funktionierender Rechtsstaat am ehesten in seinen dunkelsten Stunden bewährt.

Deswegen verstehe ich die Skepsis und die Empörung mancher Menschen angesichts der Einschränkungen der letzten Wochen. Es ist für die meisten einfach nicht verständlich, warum die Krise in Bayern anders gemanaged wird als in NRW. Warum gibt es in Sachsen eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, bundesweit aber lediglich einen Appell an die Bevölkerung? Wieso tritt der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz regelmäßig mit einer Schutzmaske vor die Presse, während sich Angela Merkel noch nie mit einem solchen Teil hat sehen lassen?

All diese Widersprüche verunsichern die Menschen. Sie kosten Vertrauen und sie erinnern an Willkür. Vor allem lassen sie aber die Unkoordiniertheit in dieser Krise offen zu Tage treten. Viele sorgen sich um die Grundrechte. Es geht bei manchen sogar die Angst um, die Krise könne dazu genutzt werden, ihnen diese Rechte dauerhaft zu entziehen. Eine Corona-App stößt bei vielen auf Ablehnung, weil datenschutzrechtliche Bedenken nicht von der Hand gewiesen werden können. Die Datenskandale und Leaks jüngerer Zeit sind dabei nicht gerade vertrauensbildende Maßnahmen gewesen.

Lockerungen einfach so?!

Völlig zurecht werden die harten Einschnitte in das persönliche Leben eines jeden einzelnen kritisch hinterfragt. Deswegen verwundert es auch besonders, dass die gleiche Skepsis nicht bei den aktuellen Lockerungen an den Tag gelegt wird. Klar, man will kein Spielverderber sein und es wäre so viel bequemer, wenn der Biergarten um die Ecke wieder aufhätte. Während sich ein Großteil der Bevölkerung allerdings fragt, wer von den Beschränkungen eventuell profitieren könnte, bleibt eine ähnliche Weitsichtigkeit beim Thema Lockerungen bisher auf der Strecke.

Dabei ist doch völlig offensichtlich, weswegen die ersten Lockerungen nun doch so rasch kommen. Der wirtschaftliche Druck ist einfach zu groß geworden. Wirtschaftsnahe Gesellschaften wie die Leopoldina dominieren die Debatte. Wie eine viel zu laute konstante Begleitmusik mischten sie sich immer wieder in das Management der Krise ein.

Selbstverständlich ist es richtig und wichtig, auch wirtschaftliche Interessen im Blick zu haben. Es kann nicht sein, dass zigtausende von Menschen die nächsten Monate in Kurzarbeit oder im Zwangsurlaub fristen müssen und die Produktion stillsteht. Dass sich aber kaum jemand ernsthaft fragt, warum der Ausstieg aus der Quarantäne nun doch so zügig vonstattengeht, verwundert doch sehr. Um demokratieschonende Maßnahmen geht es zumindest nicht. Das tut sich nur gut als Legende, um andere Interessen zu kaschieren.

Wenn der Lieferant zehnmal klingelt

Wenn man dennoch einmal aus dem Haus geht und die Leute genau beobachtet, dann wird man schnell feststellen, dass die angekündigten Lockerungen bereits jetzt für viele zu gelten scheinen. Masken werden immer mehr zum Mainstream, also warum nicht selbst eine aufsetzen? Viele scheinen dabei aber leider zu vergessen, dass eine solche Atemschutzmaske keinen Universalschutz bietet. Sie schützt eigentlich sogar nur sehr unzureichend vor einer eigenen Infektion mit was auch immer. Ihr Zweck ist viel mehr, andere zu schützen. Das Robert-Koch – Institut wird nicht müde, diesen Fakt zu kommunizieren und trotzdem legen viele ihre Achtsamkeit und Rücksicht in dem Moment ab, wenn sie die Schutzmasken anlegen. Als würde ein Sicherheitsgurt rücksichtsloses Fahren provozieren…

So sind immer wieder kleine Gruppen zu beobachten, die nach erledigtem Großeinkauf nicht etwa vor den Supermarktpforten oder auf dem Parkplatz ein Schwätzchen halten. Ihr ununterdrückbarer Drang, den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen überkommt sie, sobald die Kassiererin die Kasse zugeklappt hat. Wer niemanden zum Quatschen hat, der verweilt auch schon einmal eine knappe Stunde in der Textilabteilung von Warenhäusern. Die anderen Läden haben ja schließlich alle dicht. Und immerhin schützen Handschuhe und Maske zuverlässig vor Corona, Filzläusen und braunem Gedankengut.

Hochkonjunktur feiert derzeit auch der Online-Versand. Das Online-Einkaufsverhalten mancher Mitbürgerinnen und Mitbürger erreicht zur Zeit obsessive Ausmaße. Wenn der digitale Kaufrausch einmal so richtig zuschlägt, bleibt kein Wunsch unerfüllt, kein Sparstrumpf voll – und kein Lieferant gesund. Es ist schlichtweg unsolidarisch, seine Einkäufe nun über Gebühr in den digitalen Raum zu verlagern. Von A nach B kommen diese Waren nämlich nur durch die Mitarbeiter eines Subsubsubunternehmens. Und die kratzen auch ohne Corona schon ordentlich am Burn-Out. Und von dem verprassten Geld sehen die … nichts.


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Hamsterkäufe und anderer Volkssport

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Hamsterkäufe und anderer Volkssport

Lesedauer: 9 Minuten

Die Corona-Krise dauert weiter an. Die Zahl der Infizierten in Deutschland scheint unaufhaltsam zu wachsen. Immer mehr Menschen sterben an der tückischen Lungenkrankheit. In Italien starben inzwischen mehr Menschen an dem Virus als in China. Regierung und Forscher rufen die Menschen zum Abstand auf. Viele wurden ins Home Office verbannt. Andere dürfen schon gar nicht mehr arbeiten, weil sie zum Beispiel in der Gastronomie tätig sind. Manche vertreiben sich die neugewonnene Freizeit mit Netflix oder dem schier unendlichen Angebot auf YouTube. Und dann gibt es noch solche, die die Supermärkte der Republik stürmen und alles in den Wagen packen, was nicht niet- und nagelfest ist. Längst herrschen im deutschen Einzelhandel italienische Zustände. Wie unsozial und gefährlich dieser Trend ist, übersehen viel zu viele.

Gute Seiten, schlechte Seiten

Manchmal ist es ein Rätsel, wie die Menschheit als Gemeinschaft überlebt hat. Kriege, Anschläge und Völkermorde zeigen, wozu der Mensch fähig ist. Bei all diesen Grausamkeiten geht es darum, möglichst viele Artgenossen auszurotten. Auge um Auge. Doch dann kann der Mensch auch wieder ganz anders. Menschen gehen gemeinsam auf die Straße, sie protestieren gegen unsoziale Gesetze oder sie demonstrieren für den Weltfrieden. Im Sommer gehen jährlich zehntausende auf die Straße, um beim Christopher Street Day für die Liebe einzustehen.

In den letzten Tagen und Wochen zeigte sich die Menschheit wieder eher von ihrer schlechteren Seite. Das Corona-Virus erfüllt viele mit Angst. Dass Angst ein ganz schlechter Ratgeber ist, davon zeugen in jüngster Zeit die Bilder, die sich in den deutschen Einzelhandelsgeschäften bieten. Leergeputzte Regale und ganze Heerscharen an Menschen, die sich anscheinend am liebsten das Wohnzimmer mit Toilettenpapier volltapezieren wollen. Der Hamster ist in Mode. Doch der Hamster ist schlecht für das Gemeinwesen.

Kuchen gegen Corona

Denn Hamsterkäufe haben im wesentlichen drei Eigenschaften: sie sind grob unsozial, sie sind zutiefst unlogisch und sie sind gefährlich. Unsozial sind die Masseneinkäufe, weil sie den einzelnen weit, sehr weit, über die Gemeinschaft stellen. Sie folgen rein egoistischen Motiven. Den typischen Hamsterkäufer leitet die Frage: Was interessieren mich die anderen? Solange der eigene Vorratskeller voll ist, wird jegliches Mitgefühl und jegliche Empathie für den Nachbarn, den Kollegen und die schwächeren in der Gesellschaft ausgeblendet.

Ganz krass zeigte sich das kürzlich in einem Geschäft in Osnabrück. Ein Kunde wollte partout nicht einsehen, dass 50 Packungen Mehl für ihn nicht drin sind. Letztendlich reagierte er mit körperlicher Gewalt. Der Reutlinger General-Anzeiger mag diesen Vorfall als „Rauferei“ abgetan haben, doch in Wirklichkeit outete sich der Aggressor mehr oder weniger freiwillig als abgrundtiefer Egoist.

Dickmanns gegen Corona? Manche Menschen haben einen seltsamen Humor.

Natürlich stellt sich bei solchen Extremkäufen die Frage, was die Menschen mit solch gigantischen Mengen an Mehl und Klopapier eigentlich wollen. Als wäre Kuchenbacken ein besonders hilfreiches Mittel gegen das gefährliche Corona-Virus. Solchen Hitzköpfen wie dem Osnabrücker Kunden sei gesagt, dass Backen mitunter auch eine gute Portion Geduld erfordern kann. Wenn er mit seinem Temperament allerdings wirklich 50 Kilogramm Mehl verbacken will, dann kann die Polizei bald zur nächsten „Rauferei“ anrücken.

Nicht hamstern, sondern helfen

All die Kräfte, die beim Beladen von Einkaufswägen, beim Stemmen ganzer Türme an Toilettenpapier oder beim Frontalangriff gegen Mitarbeiter zum Einsatz kommen, sollten lieber dafür verwendet werden, in dieser schwierigen Zeit zusammenzustehen. Natürlich nur bildlich gesprochen, denn Social Distancing ist ja das Gebot der Stunde. Denn selbst bei einer drohenden Ausgangssperre ist die Versorgung mit Lebensmitteln weiterhin gewährleistet.

Die Supermärkte bleiben auch in diesem Fall geöffnet. Die Hamsterkäufe, die derzeit den deutschen Einzelhandel heimsuchen, setzten allerdings ein, bevor Ausgangssperren hierzulande ernsthaft im Gespräch waren. Solch drastische Maßnahmen wären unter Umständen aber gar nicht nötig, wenn die Menschen darauf verzichtet hätten, in Scharen einkaufen zu gehen und sich um die letzte Packung Klopapier zu keilen. Just saying…

Der Hamster in dir

Inzwischen sind wir nur noch eine Fernsehansprache von der Ausgangssperre entfernt. Das bedeutet nicht nur Hardcore-Hausarrest für jeden einzelnen. Es bedeutet auch, dass es noch schwerer wird, füreinander einzustehen und sich gegenseitig zu unterstützen. Danke, Hamsterkäufer. Denn wenn Supermarktketten zwischenzeitlich nur noch eine Packung Toilettenpapier pro Kunde dulden, wie soll man dann noch diejenigen mit lebensnotwendigem versorgen, die besonders vom Corona-Virus gefährdet sind? Ältere Menschen zum Beispiel, für die der Gang zum nächsten Supermarkt auch ohne Pandemie schon eine besondere Herausforderung war. Sollten sich diese Menschen jetzt erst recht dem Risiko einer Ansteckung aussetzen, nur um dann festzustellen, dass irgendwelche Klopapierfanatiker vor ihnen einfach schneller waren? Es ist zum Heulen.

Die Politiker und die Wissenschaftler sind sich einig: Es besteht kein Grund für Hamsterkäufe. Trotzdem sind viele Regale leer. Hört man sich um, dann schimpfen alle auf die bösen Hamsterkäufer. Das passt nicht so recht zusammen. Echte Hamsterkäufer sind nämlich die Ausnahme und nicht die Regel. Diese wenigen Ausnahmen sorgen durch die Spontanentleerung ihres Kontos und ihres Gehirns allerdings dafür, dass der kleine Hamster in uns allen erwacht. Er positioniert sich in seinem Hamsterrad und -schwupps- liegt auch in unserem Einkaufswagen eine Packung Toilettenpapier.

Wer zuerst kommt, wischt zuerst. Ein solches Bild ist inzwischen Alltag.

Auffällig ist nämlich schon, dass dieser Tage fast jeder Kunde eines Supermarkts Toilettenpapier kauft. Dabei ist es beinahe unerheblich geworden, ob nun nur eine einzelne Packung des gerollten Goldes über den Tresen wandern oder mehrere Dutzend. Es braucht keine Armee an wildgewordenen Hamsterkäufern. Einige wenige Möchtegern-Nager reichen aus, um die Mehrheit zu manipulieren. Das ganze nennt sich dann Herdentrieb.

Ein einzelner Angriff der Hamsterkäufer ist genug, um die Regale zumindest zeitweise zu leeren. Die anderen Kunden sehen dann die leeren Regale. Offensichtlich besteht also doch ein Notstand. Weil man es aber nicht gleich übertreiben will, oder gar mit den Hamsterkäufern auf eine Stufe gestellt werden möchte, kauft man eben nur zwei oder drei Packungen Toilettenpapier. Entsprechendes gilt für Konserven, Milch und Nudeln. Eine Handvoll Hamsterkäufer setzen mit ihrem grotesk asozialen Verhalten also eine gefährliche Dynamik in Gang, weil sie einen Notstand suggerieren, der in Wahrheit gar nicht existiert. Ob die Menschen es wollen oder nicht: die leeren Regale beeinflussen auch ihr Einkaufsverhalten.

Ausgangssperren deutschlandweit?

Deswegen ist es vielleicht an der Zeit, den Begriff des Hamsterkaufs zu überdenken. Im Prinzip ist nämlich fast jeder Einkauf inzwischen ein kleiner Hamsterkauf, wenn er die genannten Produkte enthält. Als hätten die wahren Hamsterkäufer eine neue Leidenschaft für einen neuen Volkssport entfesselt. Die wenigen echten Hamsterkäufe setzen nämlich eine psychosoziale Dynamik in Gang, die nur schwer wieder zu durchbrechen ist.

Viele haben zunächst verwundert den Kopf geschüttelt oder lächelnd abgewunken, als die ersten Meldungen aus Italien von leergekauften Supermärkten kamen. In der Zwischenzeit hat man sich auch in Deutschland fast an solche Anblicke gewöhnt. Was viele allerdings vergessen: in Zeiten wie diesen ist es besonders wichtig, Maß zu halten. Viele Lebensmittelzulieferer stehen in den ewig langen Staus, die aus den Grenzschließungen zum EU-Ausland resultieren. Es ist eben nicht so, wie Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) kürzlich lapidar sagte. Ein Regal, das heute wie leergefegt aussieht, ist unter Umständen morgen noch nicht wieder aufgefüllt.

Trotzdem gehen viele Menschen unbeirrt weiter einkaufen. Klar, der Kühlschrank muss gefüllt sein, aber trotzdem sind Menschenmengen derzeit unter allen Umständen zu vermeiden. Dabei ist der Supermarkt beinahe noch ein keimfreier Raum im Gegensatz zu den Szenen, die sich an vielen öffentlichen Plätzen abspielen. Trotz der gravierenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens, tummelten sich erst kürzlich dicht an dicht viel zu viele Menschen auf dem Stuttgarter Marienplatz. Eine kleine Gruppe begab sich in ein namhaftes Warenhaus, um einen Kühlschrank zu kaufen. Der Grund: Man braucht Platz, um den Alk für die Party am Wochenende zu lagern. Ernsthaft?!

Nach den drastischen Maßnahmen in China zeichnet sich dort erstmals eine Entspannung der Lage ab. Manche vermuten gar, dass das Virus dort in einigen Wochen unter Kontrolle sein könnte. Ob das blauäugige Optimisten sind oder nicht, ist eine andere Frage. Fakt ist, dass Maßnahmen wie Ausgangssperren soziale Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Und solche Kontakte sind nach wie vor das größte Infektionsrisiko. Aber angesichts von Corona-Partys und Hamsterkäufen ist das Gefahrenpotenzial wohl noch nicht bei jedem angekommen. Viele lasen aus Angela Merkels Fernsehansprache zwischen den Zeilen heraus, dass der nächste Schritt auch Ausgangssperren für Deutschland sind. Kommen wir Verboten zuvor. Gehen wir mit gutem Beispiel voran!

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