Lockdown mal anders

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Seit Tagen sind sie wieder voll im Gespräch: Verschärfungen der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. Bei täglich neugemeldeten Fallzahlen, die schnurstracks auf die 10.000er-Marke zusteuern ist auch ein zweiter Lockdown nicht mehr ausgeschlossen. Viele Menschen haben nun damit begonnen, sich für dieses Szenario zu rüsten.

Lange erwartet, nun ist sie da: die zweite Welle des Corona-Virus. Manche sprechen gar von der dritten Welle – als ob sich die kurzzeitige Erhebung im Infektionsgeschehen von vor ein paar Wochen mit den derzeitigen Entwicklungen messen könnte. Aktuell gibt es in Deutschland rund 8.000 Neuinfektionen an einem Tag. Das ist so viel wie noch nie zuvor. Nicht einmal auf dem Höhepunkt der ersten Welle im Frühjahr waren die Zahlen so hoch wie jetzt. Das Muster ist allerdings das gleiche wie damals: Wieder preschten einige Länder mutig voran und wiesen bereits vor Wochen deutlich gestiegene Infektionszahlen vor. Und wieder haben die anderen Länder nicht begriffen, dass ihnen ein sehr ähnliches Schicksal winkt, wenn sie nicht rechtzeitig gegensteuern.

Lockdown ohne Hamstern

Es ist schon erstaunlich, wie schnell man sich wieder an die reichlich gefüllten Supermarktregale gewöhnt hat, nachdem vor wenigen Monaten ganze Heerscharen an latenten Hamsterkäufern den deutschen Einzelhandel leergefegt haben wie zuletzt vor dem Krieg. Ein Lockdown stand damals kurz bevor oder war zumindest schon teilweise eingeleitet. Über einen Lockdown wird auch jetzt wieder diskutiert. Und auch heute ist das Muster ähnlich wie vor einem halben Jahr. Die Menschen schauen, dass sie alles nötige beisammen haben, um notfalls mehrere Monate in ihren Luftschutzbunkern überleben zu können. Die Jagd auf das mehrlagige Gold ist jedenfalls seit einigen Tagen eröffnet.

Bereits heute wieder Mangelware: Erste Regale mit Toilettenpapier wie leergefegt

Der Einzelhandel hat berechtigterweise überhaupt keinen Bock darauf, dass die Regale wieder über Wochen leerstehen. Damit es ihrem Klopapier, den Konserven, Nudeln, Mehl, Zucker und Salz nicht wieder an den Kragen geht, steuern erste Geschäfte bereits jetzt dem fatalen Hamstertrend entgegen. So erheben einzelne Filialen der Kette REWE in Baden-Württemberg seit Donnerstag Einlassgebühren in ihre Läden. Die Preise variieren pro Kunde zwischen 5 und 9 Euro.

Transparent und kinderleicht

Der Einzelhandelsriese ist sich sicher, dass Hamsterkäufer es sich aufgrund der Eintrittspreise zweimal überlegen werden, ob sie die Filialen auf ihren Plünderzügen heimsuchen werden. In den vergangenen Tagen musste sich REWE mehrfach den Vorwurf gefallen lassen, auf diese Weise erst recht Hamsterkäufer anzuziehen. Es sei schwer nachvollziehbar, warum Menschen ihren Monatseinkauf nicht auf einen Termin legen sollten, wenn sie dadurch Geld sparten. Hierauf hatte die Kette allerdings auch eine Antwort parat. Das ausgestellte Eintrittsticket am Eingang sei nur für einen zeitlich eng begrenzten Rahmen gültig. Wer beim Verlassen des Geschäfts die vorgesehene Zeit überschritten hat, der muss draufzahlen. Entsprechendes gilt auch bei überfüllten Einkaufswägen durch Hamsterkäufe.

Die Chefetage von REWE verwies des weiteren darauf, dass die Berechnung des Zusatzentgelts kinderleicht sei. Sie verglich sie sogar mit der Einfachheit der von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Anti-Corona – Maßnahmen. So dürften Kunden aus Single-Haushalten lediglich das 0,2-fache ihres Körpergewichts einkaufen. Für jede weitere 500 Gramm würde ein Strafzoll von 5 Prozent des Gesamteinkaufs fällig. Sollte der Kunde in einem Schaltjahr geboren worden sein, blondes Haar haben und zusätzlich an einem zweiten Dienstag im Monat erwischt werden, verringert sich die Strafe auf 1,5 Prozent. Kunden aus Haushalten mit nicht mehr als drei Kindern dürften die Hälfte des Gewichts ihres leichtesten Kindes einkaufen. Überschreiten sie diesen Wert um mehr als 10 Prozent, wird der Wert ihres Einkaufs mit der Quadratwurzel von Pi multipliziert und ihnen zusätzlich in Rechnung gestellt.

Privatbesuche statt Geschäftsaufgabe

Die Einzelhandelskette ist sich sicher, so einen wertvollen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten. Kleine und unnötige Einkäufe würden so verhindert werden, aber auch übermäßigen Hamsterkäufen würde man einen Riegel vorschieben. Ein Sprecher von REWE betonte, dass man so zu einem verantwortungsvollen Einkaufsverhalten beitrage: „Wir hoffen natürlich, dass unsere Idee Schule macht und sich weitere Filialen unserer Kette wie auch die Konkurrenz an der sinnvollen Maßnahme beteiligen.“

Auch viele Solo-Selbstständige zeigen sich angesichts eines drohenden zweiten Lockdowns ähnlich kreativ. Mehrere Friseurinnen und Friseure aus Thüringen, Bayern und Nordrhein-Westfalen bieten seit vergangener Woche fast ausschließlich Hausbesuche an. Friseurmeisterin Bettina S. aus Soest (NRW) sagt dazu: „Viele meiner Kunden hat das Maskentragen in meinem Salon gestört. Wenn ich sie daheim besuche, entfällt eine Maskenpflicht. Außerdem ist so besser sichergestellt, dass niemand reinplatzt und ein weiteres Infektionsrisiko darstellt.“ In mehreren Bundesländern gelten seit kurzem Beschränkungen für Besuche in den eigenen vier Wänden. Die Friseurinnen und Friseure machen sich diese Regelung nun zunutze und deklarieren ihre Dienste als Privatbesuche, wo sie allein mit ihren Kunden sind. Immerhin sind bei einem Haarschnitt in den eigenen vier Wänden selten mehr als zehn Personen zugegen, was in einem Friseursalon unter Umständen anders sein kann.

Kreative Sperrstunden

Andere Dienstleistungen verfolgen diese Entwicklung mit Interesse und erwägen sogar, mit einem ähnliche Service nachzuziehen. Einige Nagelstudios haben bereits einen Home-Service in ihr Programm aufgenommen. Vereinzelt schicken auch namhafte Bekleidungsgeschäfte Mitarbeiter auf Hausbesuche. In sehr kleinem Kreis können so vor allem Menschen aus Risikogruppen mit neuen Klamotten versorgt werden, selbst wenn die Filiale um die Ecke wegen des Lockdowns dichtmachen muss. Kathrin F. aus Bielefeld betreibt einen eigenen kleinen Klamottenladen. Von der Idee von Hausbesuchen ist sie ganz begeistert: „Wenn wir nun alle wieder unsere Läden zumachen müssen, verlieren wir trotzdem unsere Einnahmen nicht. Wir müssen nicht mal darauf hoffen, dass der Bund beim nächsten Corona-Paket an uns Solo-Selbstständige denkt.“

Kontrovers diskutiert wird dieser Tage auch die Sperrstunde, die es gastronomischen Betrieben verbieten soll, nach 23 Uhr geöffnet zu haben. Geschlossen erklärten die Niederlassungen von Irish Pub in Deutschland, diese in ihren Augen unsinnige Regelung zu boykottieren. Sie sind prinzipiell bereit, sich an einer allgemeinen Sperrstunde zu beteiligen, mögen sich das Wann aber nicht explizit vorschreiben lassen. So beschlossen die Betriebe, die Sperrstunde um eine Stunde nach hinten zu verschieben. Ausschank und Bewirtung gibt es bis Mitternacht. Irish Pub verwies dabei auf die Zeitverschiebung von einer Stunde zwischen Deutschland und Irland. Außerdem wüsste sowieso jeder, dass die Uhren in Irland anders tickten. Barbetreiber Kenny O’Reilly stellte gar einen Bezug zum bevorstehenden Brexit her: „Zumindest wir Nordiren sind bald sowieso nicht mehr an deutsche Verordnungen gebunden.“

Auch andere Restaurants und Gaststätten mit nationalem Bezug schlossen sich der Irish-Pub – Regel an. Sie alle richten die Sperrstunde an der Zeitzone ihrer Herkunftsländer aus. Das Echo ist allerdings gemischt. Xi Ping ist Pächter eines China-Imbisses in Erfurt. Er ist von der neuen Regelung enttäuscht: „Mein Heimatland China ist Deutschland um sechs Stunden voraus. Es ist für uns ein wirtschaftliches Fiasko, unser Lokal bereits um 17 Uhr schließen zu müssen.“


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