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Es ist seit Wochen in Stein gemeißelt: Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Kanzler, Oppositionsführung und ein Ex-Koalitionär haben so entschieden. Der Zeitplan ist zwar weiterhin knapp, aber für jeden bleibt gerade so genug Zeit, um sich auf den vorgezogenen Wahlkampf vorzubereiten. In Zeiten politischer Umbrüche und großer Unzufriedenheit genießt man lieber weiter die liebgewonnene Wärme im Elfenbeinturm. Dass Demokratie unbequem sein muss, um zu funktionieren, findet bei der gut durchorchestrierten Bundestagswahl kaum Beachtung.
Vertuschter Formfehler
Deutschland bekommt einen neuen Bundestag. Der Wahltermin am 23. Februar ist schon heute in aller Munde. Das Problem dabei: Es gibt überhaupt keine Rechtsgrundlage für diesen Termin. Denn ausgerufen werden kann die Neuwahl erst dann, wenn der Bundespräsident den Bundestag aufgelöst hat. Das wird erst dann der Fall sein, wenn der Bundeskanzler die Vertrauensfrage verliert. Diese Möglichkeit hat er aber erst, nachdem er sie überhaupt gestellt hat. Außer einer Ankündigung dieses gewagten Schritts liegt bislang nichts vor.
Der 23. Februar ist also kein zwangsläufiger Termin. Er ist das Produkt eines Kompromisses, welches die Opposition dem scheidenden Kanzler abrang, nachdem dieser die Vertrauensfrage am liebsten bis in den Januar hinausgezögert hätte. Diese anfängliche Empörung über die Hinhaltetaktik von Olaf Scholz (SPD) wich auch bei der Opposition schnell einem Konsens über den anvisierten Wahltermin.
Demokratisches Planspiel?
Die Damen und Herren in den blauen Sesseln scheinen dabei zu vergessen, dass sie ihre herausgehobene Position nicht der gönnerhaften Haltung eines wackeligen Regierungschefs zu verdanken haben, sondern dem Willen der Bürgerinnen und Bürger. Es waren die Wählerinnen und Wähler, welche in einem demokratischen Akt über die Zusammensetzung des Bundestags und damit mittelbar der Bundesregierung entschieden haben.
Nun ist die Bundesregierung zerbrochen und kann sich nicht mehr auf eine Mehrheit im Parlament stützen. Die logische Konsequenz daraus wäre die unverzügliche Anberaumung der Vertrauensfrage gewesen und keine strategischen Spielchen, welche die Bürgerinnen und Bürger über Wochen der demokratischen Teilhabe berauben.
Denn bei der Festsetzung des provisorischen Wahltermins fand der Wählerwille keine Berücksichtigung. Es ging in erster Linie darum, den anstehenden Wahlkampf so günstig wie möglich zu platzieren. Der aufbrandende Wahlkampf ist schon mehr als zwei Monate vor der Wahl genau getaktet, die Umfragewerte werden immer ernsthafter als Richtwert eines Wahlergebnisses interpretiert. So entsteht der Eindruck eines demokratischen Planspiels, bei dem die Wähler kaum eine Rolle spielen. Das ist nicht nur riskant, sondern auch konträr zum Sinn und Zweck einer Demokratie: Sie lässt sich nicht planen.
Oppositionsversagen
Insgeheim würde wahrscheinlich jede Regierung ihre Vorhaben am liebsten völlig ungestört in die Tat umsetzen – wäre da nicht das Parlament mitsamt der Opposition, die ihr immer wieder auf die Finger klopft und die stressfreie Verwirklichung ihrer Pläne vereitelt. In den letzten Wochen jedoch hat diese Opposition kläglich versagt. Nach einer kurz aufflammenden Empörung über die verschleppte Vertrauensfrage, ist heute selbst Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) d’accord damit, sich an das Drehbuch des Kanzlers zu halten.
Die anfängliche Fundamentalblockade der Union wich einem allgemeinen Kanzlerkonsens. Zwar verhindert sie die Realisierung rot-grüner Minderheitsfantastereien, sie unterdrückt aber auch die Bildung möglicher anderer Mehrheiten, um neue Projekte an den Start zu bringen. Ein Teil des Plenums wird dabei völlig außen vor gelassen: Nach neuer Lesart gehören AfD, Linke und BSW dem Bundestag bis auf Weiteres nicht mehr an.
Taktische Verschleppung
Die Union hat ihren Kontrollauftrag verraten und gibs sich der hemmungslosen Hinhaltetaktik der Resteregierung hin. Sie spielt dabei eine unrühmliche Doppelrolle: Einerseits lässt sie sich als die Retterin vor Rot-Grün abfeiern, andererseits vermeidet sie es tunlichst, selbst Farbe zu bekennen. In einem intakt laufenden Parlamentsbetrieb müsste sich die Union ständig dafür rechtfertigen, warum sie bestimmte potenzielle Mehrheiten nutzt – oder eben nicht. Das passt der künftigen Kanzlerpartei so gar nicht ins Konzept.
Da ist es doch wesentlich bequemer, die Pause zwischen Auflösung des Bundestags und Neuwahlen ein wenig zu verlängern, damit dem Wahlkampf nicht die Realität in die Quere kommt. In exklusiver Runde hat man die Termine für Vertrauensfrage und Neuwahl so ausgekungelt, dass sie für manche Beteiligten ganz besonders günstig liegen. Die Vertrauensfrage galt schon vor ihrer Anberaumung als verloren. Dieses Szenario ist zwar sehr wahrscheinlich, seine unwidersprochene Voraussetzung jedoch zutiefst undemokratisch.
Auf Demokratie schlecht vorbereitet
Noch müssen sich alle Wählerinnen und Wähler bei der offiziellen Ausrufung von Neuwahlen gedulden. Diese Verzögerung wird mit teilweise fadenscheinigen Ausflüchten unterfüttert. So warnte die Bundeswahlleiterin vor dem enormen Verwaltungsaufwand, der mit vorgezogenen Neuwahlen einherginge. Sie gab sogar zu bedenken, dass bei einer unverzüglichen Vertrauensfrage gegebenenfalls nicht ausreichend Papier für Wahlzettel zur Verfügung stünde. Die Demokratie scheint in Deutschland schon an den einfachsten Bedingungen zu scheitern.
Auch kleine Parteien verweisen immer wieder auf den kaum zu bewältigenden Aufwand, vor dem sie bei einem knapp angesetzten Wahltermin stehen. Immerhin können sie die fristgerechte Aufstellung geeigneter Listen, die Bestellung von Wahlkampfmaterial und die Organisation publikumsstarker Wahlkampfauftritte nicht so locker aus dem Handgelenk schütteln wie Parteien, die schon seit Jahrzehnten im Bundestag sitzen. Dieser Einwand ist durchaus berechtigt. Das Recht der Bürgerinnen und Bürger, über die Zusammensetzung des Bundestags zu bestimmen, wiegt im Zweifelsfall aber schwerer.
Ein demokratisches Lehrstück
Trotzdem stellen rasche Neuwahlen alle Beteiligten vor enorme Härten. Um diese möglichst geringzuhalten, gibt es die Fristen, die gerade bis zur Unkenntlichkeit ausgeleiert werden. Zwischen der Vertrauensfrage und den Neuwahlen liegen nicht mehr als 81 Tage. Auch wenn vorgezogene Bundestagswahlen nicht die Regel werden sollten: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben die Möglichkeit von Neuwahlen ganz bewusst vorgesehen, man muss sich dieser Möglichkeit also jederzeit bewusst sein.
Aus heiterem Himmel kam das Ampel-Aus schließlich auch nicht. Es ist daher ein Unding, dass die Organisation von Neuwahlen plötzlich alle Beteiligten derart überrumpelt. Überraschend kommt diese Entwicklung jedoch auch nicht. Sie reiht sich ein in einen wohlfeilen Politikstil, der aktive Basisdemokratie bislang nur gestreift hat und turnusmäßige Wahlen eher als notwendiges Übel erachtet.
Es ist daher gut, dass die nun anstehenden Neuwahlen den Politikbetrieb gehörig durcheinanderwirbeln und sowohl den Abgeordneten als auch den Wählerinnen und Wählern ganz genau vor Augen führen, wer im Staat die Hosen anhat. Die Wahlen am 23. Februar können durchaus als Lehrstück dienen, um künftig auf den Ernstfall Demokratie vorbereitet zu sein.