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Am vergangenen Sonntag war Anpfiff für die Fußballweltmeisterschaft in Katar. An der Wahl des Austragungsorts gab es diesmal heftige Kritik. Viele Menschen wollen es nicht hinnehmen, dass das arabische Land das sportliche Großereignis für politisches Greenwashing missbraucht. Reden und Handeln trennen aber auch in diesem Fall Welten. Katar kann die Bühne der WM nur für seine Propaganda nutzen, wenn Menschen aktiv zuschauen. Das werden auch bei dieser WM sehr viele sein.
Problematischer Gastgeber
Es ist wieder soweit: Seit dem 20. November fiebern Fußballbegeisterte aus der ganzen Welt bei der Fußball-WM der Herren in Katar mit. Autos werden verziert, Bierflaschen ploppen, sogar alte Nachbarschaftsfehden sind in dieser Zeit vergeben und vergessen. Doch vieles ist dieses Mal anders. Die WM findet nicht wie üblich im Sommer statt, sondern wurde wegen der extremen Hitze in diesem Jahr auf den Herbst verlegt. Zuschauer wie Spieler dürften über diese Entscheidung erfreut sein.
Weniger erfreulich ist die immense Kritik, die der WM seit der präziseren Planung entgegenweht. Der Austragungsort Katar ist für viele ein rotes Tuch. Jeder weiß von der unmenschlichen Politik der katarischen Regierung. Ein Land, in dem Frauen unterdrückt und sexuelle Minderheiten auf Staatsgeheiß diskriminiert werden, kann kein gutes Gastgeberland für ein solch freudiges Ereignis sein. Als dann noch die sklavenhaften Arbeitsbedingungen im Rahmen der Vorbereitung auf die WM ans Licht der Öffentlichkeit drangen, war für viele der Ofen aus. Mit solchen Praktiken möchten sie nichts zu tun haben. Mehrere Petitionen gegen die WM in Katar sind seither in Umlauf.
Marketing und Nationalstolz
Dass sich Fußball und Politik nicht mehr strikt trennen lassen, haben viele der Protestierenden längst erkannt. Sie machen sich die breite öffentliche Aufmerksamkeit zunutze, um für ihre Anliegen zu werben. Sie stehen ein für eine offene und vielfältige Gesellschaft und wenden sich entsetzt gegen die katarische Staatsführung. Bei der Fußball-Europameisterschaft 2021 haben sie schon einmal gezeigt, wie leicht sich der beliebte Ballsport politisieren lässt: Wochenlang war großes Streitthema, ob die Allianz-Arena in Regenbogenfarben angeleuchtet wird, um ein klares Signal nach Ungarn zu senden. Letztendlich setzte sich die UEFA durch und erteilte jeglicher politischen Botschaft eine Absage.
An der Entscheidung der UEFA lässt sich sicher einiges kritisieren. Grundsätzlich hat die Vereinigung aber recht, wenn sie sich gegen eine Politisierung des Fußballs wendet. Andererseits unterschlägt sie dabei die nicht ganz unwesentliche Tatsache, dass neben der Politik der Kommerz den Volkssport längst fest im Griff hat. Dass sich mit dem runden Leder ordentlich Geschäfte machen lassen, haben die Vorstände und Vereinsbosse schon vor Jahrzehnten erkannt. In den letzten zwanzig Jahren nimmt das Marketing aber nahezu groteske Züge an.
Kein Spiel kommt mehr ohne großkotzige Reklame namhafter und zahlungskräftiger Sponsoren aus. Es vergeht kein Turnier mehr, bei dem man nicht gefühlt drei Dutzend mal dazu aufgefordert wird, eine bestimmte Biermarke zu probieren oder auf die Medikamente eines allseits bekannten Pharmaunternehmens zu vertrauen. Getoppt wird das aber von den astronomischen Preisen, mit denen sich die Vereine auch über Landesgrenzen hinweg gegenseitig Spieler abwerben. Bei diesem internationalen Menschenhandel verwundert es schon, dass der Fußball weiterhin zum Nationalstolz beiträgt. Immerhin wird bei wichtigen Deutschlandspielen eifrig mit den schwarz-rot-gelben Fähnchen gewedelt, als hinge davon die Zukunft der Nation ab.
Sport als Propaganda
Schon in der Vergangenheit haben manche Länder versucht, sportlichen Großereignissen eine politische Note zu verleihen. Meistens ging es darum, das eigene Land in einem möglichst guten Licht erscheinen zu lassen. Deutschland erlitt dabei regelmäßig Schiffbruch. Sowohl die Inszenierung bei den Olympischen Spielen 1936 unter dem Nazi-Regime als auch die als Heiteren Spiele geplanten Olympiaturniere 1972 haben dem Land in der Rückschau geschadet.
Trotzdem wird auch in diesem Jahr die Fußballweltmeisterschaft zu genau diesem Zweck missbraucht. Es ist verständlich, dass das bei vielen auf Empörung stößt. Es ist unerträglich, wenn sich ein Land friedfertig und humanistisch inszenieren darf, obwohl jeder weiß, dass das Gegenteil der Fall ist. Diese Gegenpolitisierung ist durchaus populär, aber in keinem Fall durchsetzungsstark.
Kommerzielle Kumpanen
Die WM in Katar wird nämlich trotz der moralischen Unkenrufe aus anderen Ländern sehr wahrscheinlich ein voller Erfolg werden. Grund dafür sind genau diejenigen, die sich über Katar als Gastgeberland dermaßen echauffieren. Der Fußball lebt mittlerweile vom Kommerz. Und der Kommerz lebt vom Konsum. Wenn man die politische Inszenierung Katars unterbinden möchte, gibt es dafür nur ein konsequentes Mittel: den Verzicht. Inzwischen ist der Fußball so sehr von Profit und Kommerz durchtränkt, dass es den Veranstaltern und Gastgeberländern das Genick brechen würde, wenn die Menschen sich ernsthaft davon abwenden. Getreu dem Motto: Stell‘ dir vor, es ist Fußball und keiner geht hin.
Genau das wird aber nicht passieren. Nachhaltige politische Überlegungen haben im Sport keinen Platz, solange der Kommerz derart wild um sich greift. Boykottaufrufe gegen Katar sind aller Ehren wert, sie werden aber im Sande verlaufen. Die meisten Menschen fühlen sich gut, wenn sie andere Länder für deren Politik vollmundig kritisieren. Schalten sie dann doch für die 90 Minuten plus Verlängerung rein, rechtfertigen sie sich damit, dass sie das Ereignis ja nicht wegen der Landespolitik verfolgen, sondern einzig wegen des Sports. Natürlich sind sie gegen die Verhältnisse in Katar. Mit ihrem Verzicht auf den Verzicht billigen sie allerdings die plumpe Propagandamaschinerie von Menschenrechtsverbrechern. Man hätte bei der WM ein Zeichen setzen können. Doch viel von dem Getöse bleibt unaufrichtig.