Kommerzielle Kumpanen

Lesedauer: 6 Minuten

Am vergangenen Sonntag war Anpfiff für die Fußballweltmeisterschaft in Katar. An der Wahl des Austragungsorts gab es diesmal heftige Kritik. Viele Menschen wollen es nicht hinnehmen, dass das arabische Land das sportliche Großereignis für politisches Greenwashing missbraucht. Reden und Handeln trennen aber auch in diesem Fall Welten. Katar kann die Bühne der WM nur für seine Propaganda nutzen, wenn Menschen aktiv zuschauen. Das werden auch bei dieser WM sehr viele sein.

Problematischer Gastgeber

Es ist wieder soweit: Seit dem 20. November fiebern Fußballbegeisterte aus der ganzen Welt bei der Fußball-WM der Herren in Katar mit. Autos werden verziert, Bierflaschen ploppen, sogar alte Nachbarschaftsfehden sind in dieser Zeit vergeben und vergessen. Doch vieles ist dieses Mal anders. Die WM findet nicht wie üblich im Sommer statt, sondern wurde wegen der extremen Hitze in diesem Jahr auf den Herbst verlegt. Zuschauer wie Spieler dürften über diese Entscheidung erfreut sein.

Weniger erfreulich ist die immense Kritik, die der WM seit der präziseren Planung entgegenweht. Der Austragungsort Katar ist für viele ein rotes Tuch. Jeder weiß von der unmenschlichen Politik der katarischen Regierung. Ein Land, in dem Frauen unterdrückt und sexuelle Minderheiten auf Staatsgeheiß diskriminiert werden, kann kein gutes Gastgeberland für ein solch freudiges Ereignis sein. Als dann noch die sklavenhaften Arbeitsbedingungen im Rahmen der Vorbereitung auf die WM ans Licht der Öffentlichkeit drangen, war für viele der Ofen aus. Mit solchen Praktiken möchten sie nichts zu tun haben. Mehrere Petitionen gegen die WM in Katar sind seither in Umlauf.

Marketing und Nationalstolz

Dass sich Fußball und Politik nicht mehr strikt trennen lassen, haben viele der Protestierenden längst erkannt. Sie machen sich die breite öffentliche Aufmerksamkeit zunutze, um für ihre Anliegen zu werben. Sie stehen ein für eine offene und vielfältige Gesellschaft und wenden sich entsetzt gegen die katarische Staatsführung. Bei der Fußball-Europameisterschaft 2021 haben sie schon einmal gezeigt, wie leicht sich der beliebte Ballsport politisieren lässt: Wochenlang war großes Streitthema, ob die Allianz-Arena in Regenbogenfarben angeleuchtet wird, um ein klares Signal nach Ungarn zu senden. Letztendlich setzte sich die UEFA durch und erteilte jeglicher politischen Botschaft eine Absage.

An der Entscheidung der UEFA lässt sich sicher einiges kritisieren. Grundsätzlich hat die Vereinigung aber recht, wenn sie sich gegen eine Politisierung des Fußballs wendet. Andererseits unterschlägt sie dabei die nicht ganz unwesentliche Tatsache, dass neben der Politik der Kommerz den Volkssport längst fest im Griff hat. Dass sich mit dem runden Leder ordentlich Geschäfte machen lassen, haben die Vorstände und Vereinsbosse schon vor Jahrzehnten erkannt. In den letzten zwanzig Jahren nimmt das Marketing aber nahezu groteske Züge an.

Kein Spiel kommt mehr ohne großkotzige Reklame namhafter und zahlungskräftiger Sponsoren aus. Es vergeht kein Turnier mehr, bei dem man nicht gefühlt drei Dutzend mal dazu aufgefordert wird, eine bestimmte Biermarke zu probieren oder auf die Medikamente eines allseits bekannten Pharmaunternehmens zu vertrauen. Getoppt wird das aber von den astronomischen Preisen, mit denen sich die Vereine auch über Landesgrenzen hinweg gegenseitig Spieler abwerben. Bei diesem internationalen Menschenhandel verwundert es schon, dass der Fußball weiterhin zum Nationalstolz beiträgt. Immerhin wird bei wichtigen Deutschlandspielen eifrig mit den schwarz-rot-gelben Fähnchen gewedelt, als hinge davon die Zukunft der Nation ab.

Sport als Propaganda

Schon in der Vergangenheit haben manche Länder versucht, sportlichen Großereignissen eine politische Note zu verleihen. Meistens ging es darum, das eigene Land in einem möglichst guten Licht erscheinen zu lassen. Deutschland erlitt dabei regelmäßig Schiffbruch. Sowohl die Inszenierung bei den Olympischen Spielen 1936 unter dem Nazi-Regime als auch die als Heiteren Spiele geplanten Olympiaturniere 1972 haben dem Land in der Rückschau geschadet.

Trotzdem wird auch in diesem Jahr die Fußballweltmeisterschaft zu genau diesem Zweck missbraucht. Es ist verständlich, dass das bei vielen auf Empörung stößt. Es ist unerträglich, wenn sich ein Land friedfertig und humanistisch inszenieren darf, obwohl jeder weiß, dass das Gegenteil der Fall ist. Diese Gegenpolitisierung ist durchaus populär, aber in keinem Fall durchsetzungsstark.

Kommerzielle Kumpanen

Die WM in Katar wird nämlich trotz der moralischen Unkenrufe aus anderen Ländern sehr wahrscheinlich ein voller Erfolg werden. Grund dafür sind genau diejenigen, die sich über Katar als Gastgeberland dermaßen echauffieren. Der Fußball lebt mittlerweile vom Kommerz. Und der Kommerz lebt vom Konsum. Wenn man die politische Inszenierung Katars unterbinden möchte, gibt es dafür nur ein konsequentes Mittel: den Verzicht. Inzwischen ist der Fußball so sehr von Profit und Kommerz durchtränkt, dass es den Veranstaltern und Gastgeberländern das Genick brechen würde, wenn die Menschen sich ernsthaft davon abwenden. Getreu dem Motto: Stell‘ dir vor, es ist Fußball und keiner geht hin.

Genau das wird aber nicht passieren. Nachhaltige politische Überlegungen haben im Sport keinen Platz, solange der Kommerz derart wild um sich greift. Boykottaufrufe gegen Katar sind aller Ehren wert, sie werden aber im Sande verlaufen. Die meisten Menschen fühlen sich gut, wenn sie andere Länder für deren Politik vollmundig kritisieren. Schalten sie dann doch für die 90 Minuten plus Verlängerung rein, rechtfertigen sie sich damit, dass sie das Ereignis ja nicht wegen der Landespolitik verfolgen, sondern einzig wegen des Sports. Natürlich sind sie gegen die Verhältnisse in Katar. Mit ihrem Verzicht auf den Verzicht billigen sie allerdings die plumpe Propagandamaschinerie von Menschenrechtsverbrechern. Man hätte bei der WM ein Zeichen setzen können. Doch viel von dem Getöse bleibt unaufrichtig.

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Verhandeln statt schießen

Lesedauer: 7 Minuten

Der Krieg in der Ukraine ist die größte Katastrophe, die Europa in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Die Brutalität, mit der Putin vorgeht, hat uns alle überrumpelt und geschockt. Führende Politiker stimmen die Menschen auf harte Zeiten ein. Besonders der drohende Importstopp für Rohstoffe aus Russland wird nicht spurlos an uns vorübergehen. Die Verzichtsrhetorik verkennt allerdings die Lebensrealität von vielen Menschen im Land. Wenn sie nicht schon davor am Nötigsten sparen mussten, dann spätestens seit der Pandemie. Auch der Umstieg auf Öl aus Katar wird die explodierenden Preise kaum bremsen können. Letztendlich spielt die Herkunft von Öl und Gas eine untergeordnete Rolle, wenn es darum geht, einen Krieg zu beenden und Menschenleben zu retten.

Geschlossene Einigkeit

Seit fünf Wochen bombardiert Putin die Ukraine. Seit 35 Tagen verlassen Familien ihre Heimatdörfer. Sie verstecken sich in U-Bahn – Schächten, bewaffnen sich, viele wissen nicht, wie es ihren nächsten Angehörigen geht. Am Berliner Hauptbahnhof kommen täglich tausende Flüchtende an. In anderen europäischen Ländern ist die Lage ähnlich. Niemals dürfen wir uns mit solchen Zuständen abfinden. Das Entsetzen hält an, die Friedensdemos reißen nicht ab.

Auch viele Vereine, Organisationen und Stiftungen erklären sich weiterhin solidarisch mit der Ukraine. Immer lauter werden die Rufe nach Konsequenzen für Russland. Die Vereinten Nationen haben Russlands Einmarsch in der Ukraine eindeutig als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verurteilt. Viele Nationen beteiligen sich an den finanziellen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland. Auch in Deutschland mehren sich die Stimmen, die einen Importstopp für Rohstoffe aus Russland verlangen.

Der Preis der Freiheit

Die Begründung der Maßnahme ist simpel, ihr Ziel überaus edel. Viele sehen es als besonderen Akt der Solidarität mit der Ukraine, wenn wir mit unseren Importen nicht länger Putins Kriegskassen füllen. Der Verzicht von Rohstoffen aus Russland bedeutet spürbare Einschränkungen. Führende Politiker sprechen hier vom Preis der Freiheit. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck schwört die Bevölkerung darauf ein, dass es durchaus angemessen ist, einen Winter lang zu frieren, um ein Zeichen gegen den Krieg zu setzen.

Ob der nächste Winter besonders kalt wird, bleibt abzuwarten. Der Frühling hat noch gar nicht richtig angefangen. Wir sprechen von einer Zeit, die in weiter Ferne liegt. Immer mehr Menschen spüren aber schon heute, dass der Verzicht längst Einzug hält. Ein Blick in die Supermarktregale reicht aus, um das zu sehen. Vor allem Speiseöl wird immer knapper. Wie in der ersten Coronawelle informieren die Geschäfte auf leuchtenden Zetteln über die geltenden Ausgabebeschränkungen.

Angesichts ihrer Lebensrealität empfinden es manche Menschen als absurd, wenn man sie heute darauf einstimmt, dass sie im kommenden Winter verzichten müssen. Sie tun es bereits heute. Die Energiepreise steigen nicht erst seit Putins Überfall auf die Ukraine. Die Entscheidung Essen oder Heizen müssen schon heute zu viele in Deutschland treffen.

Es wird den meisten nicht gefallen, dass wir nahtlos von einer in die nächste Krise rutschen. Corona hat den Menschen enorm viel abverlangt. Verzicht war etwas, was jeder in dieser schweren Zeit kennengelernt hat. Die Menschen nehmen die Aussicht auf einen kalten Winter im Frühjahr 2022 noch zähneknirschend hin. Die Stimmung kann in einem guten halben Jahr aber leicht kippen.

Erstrebenswertes Bündnis?

Die Bundesregierung hat aber schon einen Plan, wie sie die Energieversorgung des Landes sicherstellen möchte. Statt aus Russland soll unser Öl künftig aus Katar kommen. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist dazu beim katarischen Energieminister Saad Scharida al-Kaabi bereits vorstellig geworden. Der Umstieg dürfte mit längeren Lieferzeiten einhergehen, welche die preisliche Attraktivität des Öls sicher nicht steigern werden. Trotzdem ist man entschlossen, die russischen Rohstoffimporte um jeden Preis zu boykottieren. Putins Kriegskassen dürfen nicht durch unseren Energiebedarf gefüllt werden.

Die Regierung wird bei diesem Schritt lange mit sich gerungen haben. Sie blenden dabei aber aus, dass es die Bevölkerung sein wird, die den größten Schaden dieser Wirtschaftssanktionen davonträgt. Sie müssen das teurere Öl aus Katar bezahlen, obwohl die Energiepreise schon heute durch die Decke gehen. Putin kann den Entschluss Deutschlands dafür gelassen nehmen: Er kann sich seine Kassen mittelfristig auch durch Energieimporte in andere Länder füllen. China ist dafür prädestiniert. Ob ein Bündnis zwischen diesen beiden Ländern wirklich erstrebenswert ist?

Diplomatie statt Krieg

Das Argument, man dürfe diktatorische Machthaber und Aggressoren nicht sponsern ist aller Ehren wert, aber genau deshalb mutet der Schritt in Richtung Katar auch so scheinheilig an. Menschenrechtsverletzungen stehen dort an der Tagesordnung, Grundlage für die dortigen Gesetze ist die Scharia. Frauen sind dort nicht Menschen zweiter Klasse, es sind überhaupt keine Menschen. Auf der Flucht vor Russland und auf der Suche nach der reinen Weste knickt unser Wirtschaftsminister buchstäblich ein und lässt sich dabei ablichten. Dieses Bild wird garantiert in die Geschichte eingehen. Es ist beschämend, dass das Vorgehen der Regierung so gefeiert wird.

Mit aller Macht will man sich von Putin und seinem Regime distanzieren. Es ist richtig, wenn die Staaten dieser Welt den Angriff auf die Ukraine als das bezeichnen, was er ist: ein Verbrechen. Trotzdem darf diese strikte Ablehnung des russischen Vorgehens keine Sackgasse sein. Es muss auch eine Zukunft mit Russland geben, sonst hätte Putin erreicht, was er wollte.

Auch wenn vieles dagegenspricht und es sich falsch anfühlt: die Gesprächskanäle nach Russland müssen geöffnet bleiben. Verhandlungen mit der russischen Seite sind nicht gleichbedeutend mit einer Ergebung gegenüber dem Aggressor und sie liefern uns auch nicht schutzlos Putin aus. Das Festhalten an Diplomatie ist stattdessen ein Zeichen von Stärke und Rückgrat. Es würde nämlich zeigen, dass wir verstanden haben, worum es geht: das sinnlose Blutvergießen zu stoppen.

Keine Zeit zum Rechthaben

Sich komplett von Russland abzuwenden, würde das gegenteilige Signal aussenden. Dann ginge es nicht darum, Leben zu retten, sondern darum rechtzuhaben. Ziel solcher Verhandlungen dürfte nicht sein, Russland jedes Zugeständnis zu machen. Es muss darum gehen, klare Bedingungen zu artikulieren, mit der beide Seiten leben können. Außerdem muss verhindert werden, dass der Konflikt in ein paar Monaten oder Jahren erneut eskaliert. Die Ukraine zur neutralen Zone zu erklären, wäre hier ein sinnvoller Vorstoß.

Damit wäre ein grundsätzliches Anliegen von Russland erfüllt. Putin hätte es in der Folge schwerer, seinen Krieg zu rechtfertigen. Natürlich weiß das auch Putin. Es bedarf kluger Verhandlungsführer, um den Frieden in Europa wiederherzustellen. Auch der Westen müsste dabei Abstriche machen. Letztendlich kämen dabei aber alle Beteiligten deutlich besser weg, als wenn wir uns gleich von der nächsten Diktatur abhängig machten. Der Krieg in der Ukraine endet nicht automatisch damit, dass wir unser Öl künftig aus dem arabischen Raum beziehen. Er darf aber auch nicht erst enden, wenn sämtliche Munition verschossen ist und ein Land dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!