Auf Stimmenjagd

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Es war so knapp wie nie zuvor: Das BSW scheiterte wegen weniger Tausend Stimmen am Einzug in den Bundestag. Dabei kam es in einer Vielzahl von Wahllokalen zu eklatanten Auszählungsfehlern. Einige wenige davon wurden überprüft, die meisten anderen werden konsequent ignoriert – trotz offensichtlicher Auffälligkeiten. Das BSW zieht vor Gericht. Ob die junge Partei damit Erfolg haben wird, steht in den Sternen. Klar ist aber schon jetzt, dass ein weiterer massiver Vertrauensverlust in die Demokratie bevorsteht.

Das BSW schreibt weiter Geschichte. Nach einem Parteiaufbau in Rekordzeit, einer fulminanten Serie von Wahlerfolgen im vergangenen Jahr und dem Einstieg in zwei Landesregierungen hat die etwas über ein Jahr alte Partei ein weiteres Novum geknackt. Noch nie hat eine Partei beim ersten Anlauf ein so gutes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erzielt. Noch nie zuvor ist eine Partei so knapp an der 5-Prozent – Hürde gescheitert wie das BSW. Selbst bei einer scheinbaren Niederlage lässt das BSW alle anderen alt aussehen.

Kampfansage

4,981 Prozent – so lautet das amtliche Zweitstimmenergebnis des BSW. Der Partei fehlten laut offizieller Verlautbarung gerade einmal rund 9.500 Stimmen, um auch im nächsten Deutschen Bundestag mitmischen zu dürfen. Doch schon einen Tag nach der Wahl drohte Ungemach: Die Parteispitze erklärte in der Bundespressekonferenz, man werde das Wahlergebnis in jedem Fall juristisch überprüfen lassen und wenn nötig anfechten. Was in den Medien als das letzte Aufbäumen einer gescheiterten Politexistenz vermarktet wird, könnte die deutsche Politik Monate, wenn nicht Jahre, in Atem halten.

Laut vorläufigem Ergebnis der Bundestagswahl fehlten dem BSW nämlich noch 4.000 Stimmen mehr, um ins Parlament einzuziehen. Berücksichtigt wurden dabei in der Zwischenzeit lediglich die Korrekturen vereinzelter Wahlbezirke. Wenn aber selbst eine oberflächliche Überprüfung eine Verringerung von mehr als 30 Prozent der fehlenden Stimmen bedeutet, sollte einer vollständigen Neuauszählung eigentlich nichts im Wege stehen.

Zufälle mit System

Es wurde anders entschieden. Trotz offensichtlicher Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung verwies man die Gelackmeierten auf das Instrument der Wahlprüfbeschwerde im Anschluss an die offizielle Bekanntgabe des amtlichen Wahlergebnisses. Dabei ließen schon die nachgereichten Stimmen vermuten, dass es sich um systematische Fehler handelt.

So gingen die Stimmen für das Bündnis Sahra Wagenknecht in der ersten Runde auffallend oft an das Bündnis Deutschland, das in vielen Wahlkreisen auf den Stimmzetteln direkt über der Wagenknechtpartei platziert war. Dieser Fehler mag in wenigen Einzelfällen nachvollziehbar sein. Tritt er allerdings in einer derartigen Häufigkeit wie bei der letzten Bundestagswahl auf, liegt der Verdacht nahe, dass es in vielen weiteren Wahllokalen zu einer derartigen Verwechslung kam. Aus der Luft gegriffen ist diese Vermutung jedenfalls nicht. Selbst auffällige Wahllokale wurden nicht flächendeckend überprüft. Und wer sich fragt, wer das Bündnis Deutschland ist: Von dieser Partei ist nur die Gründung vor gut zwei Jahren in Erinnerung geblieben.

In eigener Sache

Hinzu kommen weitere Ungereimtheiten, denen schnellstmöglich nachgegangen werden sollte. Weil das BSW in den meisten Wahlkreisen nur mit der Zweitstimme wählbar war, könnte es sein, dass viele seiner Wähler auf die Erststimme verzichtet haben. Bei der Auszählung bestünde dann die Gefahr, dass manche dieser Stimmzettel vorschnell als komplett ungültig gewertet wurden. Auch das ist keine haltlose Hypothese: Dieser Fehler wurde bei den lückenhaften Überprüfungen ebenfalls vielfach festgestellt.

Wenn solche eklatanten Fehler so schnell ans Licht kommen, ist es skandalös, wenn das amtliche Endergebnis ohne eine bundesweite Neuauszählung der Stimmen festgestellt wird. Dem BSW bleibt nun nur noch die Wahlprüfbeschwerde, in deren Folge der Bundestag eine Neuauszählung beschließen müsste. Dieses Instrument existiert jedoch nur auf dem Papier. Würden die im Bundestag vertretenen Parteien tatsächlich eine erneute Auszählung aller Stimmen veranlassen, liefen sie bei einem so knappen Ergebnis Gefahr, sich zusätzliche Konkurrenz ins Parlament einzuladen.

Zahnloser Papiertiger

Die Wahlprüfbeschwerde ist also schon in sich unlogisch. Zum einen kommt sie nur für solche Parteien infrage, die denkbar knapp am Einzug in den Bundestag gescheitert sind. Für Parteien mit beispielsweise 3 Prozent macht sie keinen Sinn, weil mehr als 0,1 Prozentpunkte zusätzlich nicht realistisch sind. Das BSW hingegen könnte durch eine Neuauszählung den Sprung ins Parlament doch noch schaffen. Darauf haben die übrigen Parteien bekanntlich so gar keine Lust.

Zum anderen hätte der Einzug des BSW in den Bundestag weitreichende Folgen für die angestrebte Regierung aus Union und SPD. Mit gerade einmal dreizehn Sitzen Vorsprung ist die ehemalige GroKo so knapp wie nie zuvor mehrheitsfähig. Eine zusätzliche Fraktion würde diese Regierungskonstellation definitiv die Mehrheit kosten.

Und selbst wenn die Oppositionsparteien die Regierung so sehr hassen, dass ihnen selbst das BSW lieber ist: Ohne Stimmen aus der Koalition wird eine Neuauszählung der Bundestagswahl nicht kommen. Die Wahlprüfbeschwerde sieht demokratisch aus, ist aber ein Webfehler im deutschen Parlamentarismus.

Schadensbegrenzung

Es sieht also so aus, als würde das BSW auch mit der Wahlprüfbeschwerde beim Bundestag scheitern. Für die Partei wäre das ein weiterer Rückschlag, für die deutsche Demokratie ein Desaster. Dem 21. Deutschen Bundestag würde bis auf weiteres der Makel anhaften, dass er nicht rechtskonform zusammengesetzt ist. Die angestrebte Koalition aus Union und SPD wäre immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass ihr die demokratische Legitimation fehlte.

Es sollte im ureigensten Interesse aller Abgeordneter liegen, diesen Verdacht so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen. Das wäre übrigens kein Einknicken vor einer unliebsamen Partei wie dem BSW. Es wäre ein echter Dienst an der Demokratie.

Doch Fairplay spielt bekanntlich weder für die Abgeordneten des alten noch des neuen Bundestags eine Rolle. So beriefen Union und SPD drei Wochen nach der Wahl noch flugs den gerade abgewählten Bundestag ein, um die dort vorhandene Zweidrittelmehrheit für ihre wahnsinnigen Aufrüstungspläne zu nutzen. Weil öffentliche Bundestagssitzungen das zügige Vorankommen bei den Koalitionsverhandlungen offenbar zu stören drohen, lassen die neugewählten Vertreter der gleichen Parteien rigoros die erste planmäßige Sitzungswoche des Parlaments streichen. Autoritarismus kommt eben doch nicht immer schleichend.


Auch wenn die etablierten Parteien es nicht wahrhaben wollen: Je länger sie eine Neuauszählung des Bundestags hinauszögern, desto weniger relevant wird es sein, ob das BSW tatsächlich da ganz links sitzen sollte. Noch ist der Skandal, dass fehlerhaft ausgezählt wurde und das BSW möglicherweise unrechtmäßig vom Parlamentsbetrieb ausgeschlossen wird.  Es liegt an den Abgeordneten des 21. Bundestags, ob daraus ein neuer Skandal erwächst, weil sie die Partei systematisch daran hindern, an ihr Recht zu kommen. Der Schaden an der Demokratie ist längst entstanden. 630 Menschen haben es in der Hand, wie groß er wird.

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