Volksparteien der Zukunft?

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Die Wahlen in Sachsen und Thüringen stellen die demokratischen Parteien auf eine harte Probe. In beiden Bundesländern zeichnen sich schwierige Regierungsbildungen ab. Brandenburg dürfte sich nach den Wahlen in knapp zwei Wochen dazugesellen. Klar dominante Kräfte gibt es nicht mehr, sehr unterschiedliche Parteien werden irgendwie zusammenkommen müssen. Aber hat die Volkspartei wirklich ausgedient? In den ostdeutschen Bundesländern sieht es eher so aus, als wären neue Parteien im Aufschwung, während die alten an Zustimmung verlieren. Dadurch entsteht eine momentane Balance zwischen den Akteuren, die das Koalieren deutlich erschwert. Ist diese Neujustierung des Parteiensystems ein rein ostdeutsches Phänomen oder blüht eine solche Entwicklung auch auf Bundesebene?

Stolz blickt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) im Anschluss an die EU-Wahlen vom 9. Juni in die Kameras. Inbrünstig bedankt sie sich bei allen Unterstützern und lobt ihre Heimatpartei für einen engagierten und erfolgreichen Wahlkampf. Gerade ist ihre Partei in Deutschland stärkste Kraft geworden – mit 30 Prozent der Stimmen. Scheinbar ist es inzwischen üblich geworden, den ersten Platz zu feiern, egal, wie miserabel das Ergebnis eigentlich ist.

Volksparteien auf dem Abstellgleis?

Die CDU bildet sich ein, noch immer Volkspartei zu sein. Dabei konnte sie bei der EU-Wahl nicht einmal ein Drittel der Wähler mobilisieren. Der Trend hat mittlerweile Tradition: Auch die SPD feierte bei der letzten Wahl ihren ersten Platz – und übersah dabei offensichtlich, dass ihr Spitzenkandidat acht Jahre zuvor für das zahlengleiche Ergebnis so richtig rundgemacht wurde. Die Freude über das Ergebnis bei der Bundestagswahl 2021 will man der SPD dennoch nicht vergönnen. Im Gegensatz zum Schulz-Desaster war das tatsächlich ein fulminanter Erfolg.

Trotzdem scheinen CDU und SPD als Volksparteien ziemlich in die Jahre gekommen zu sein. Einst deckten sie ein breites Spektrum an Themen ab und hatten für quasi jeden was im Angebot. Als konservative und sozialdemokratische Kraft waren sie dennoch beide klar erkennbar. ´Mit Wahlergebnissen von unter 35 Prozent war in der Regel nicht zu rechnen.

Schon die Kommentatoren zur Bundestagswahl 2009 läuteten das verheißungsvolle Ende der Volksparteien ein. Die beiden Großen lagen ausgeblutet darnieder, die „Kleinen“ schnitten allesamt zweistellig ab. Der Abstand zwischen den ehemaligen Volksparteien und ihrer „Klientelkonkurrenz“ hat sich seitdem stetig verringert. Zwischen Zweit- und Drittplatzierten lagen bei der letzten Bundestagswahl keine zehn Prozent.

Die Halbstarken

Insbesondere im Osten der Republik kommt dafür mittlerweile die AfD den Werten der ehemaligen Volksparteien beachtlich nahe. In Thüringen reichte es für knapp 33 Prozent der Zweitstimmen und damit für die berüchtigte Sperrminorität. Der Aufstieg der AfD zeigt exemplarisch, dass die Volksparteien nicht zwangsläufig CDU oder SPD heißen müssen. Trotzdem greift auch in den ostdeutschen Bundesländern das Konzept der großen Volksparteien nicht.

Stattdessen zeichnet sich bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ein Modell mit mehreren Parteien zwischen 15 und 30 Prozent ab. Raum für kleinere Parteien scheint es kaum zu geben. Mit viel Glück zog die SPD in Sachsen und Thüringen in die Landtage ein, die Grünen waren nur halb so erfolgreich. Dieses Modell der „Mittelgroßen“ zeigt, wie zerrissen die Gesellschaft in politischen Fragen ist. Keiner der Parteien gelingt es mehr, einen Großteil der Wählerinnen und Wähler an sich zu binden. Das macht die Regierbarkeit umso schwieriger.

Denn höchstwahrscheinlich werden mindestens zwei dieser Halb-Volksparteien miteinander koalieren müssen. Das kann deshalb problematisch werden, weil keine dieser Parteien aus den Wahlergebnissen einen klaren Regierungsauftrag ziehen kann. AfD, CDU und BSW – und mancherorts auch SPD und Linke – sind zu stark, um reine Mehrheitsbeschaffer einer klar dominanten Partei zu sein. Sie sind andererseits aber auch zu schwach, um einen Führungsanspruch zu stellen. Harte Kompromisse werden nötig sein, um eine Koalition zu schmieden. Das kann eine Chance sein – oder so richtig in die Hose gehen.

Der Osten im Umbruch?

Zwei dieser Halbstarken treten besonders polarisierend auf. Sowohl AfD als auch BSW gerieren sich als die Kümmererparteien. Sie gefallen sich in ihren Rollen als Protestparteien. Im Gegensatz zu ihren Mitbewerbern haben sie ein klares Profil. Sie setzen viel stärker auf Emotionen als die anderen Parteien. Diese Methode zieht bei den Wählern. CDU, SPD und Linke werden sich vorsehen müssen, dass sie in dieser Stimmung des Protests nicht zerrieben werden. Denn möglicherweise befindet sich der Osten gerade nur in einer Phase des Umbruchs. Die neuen und die alten Volksparteien ringen um die Macht. Es ist durchaus denkbar, dass AfD und BSW die Volksparteien der Zukunft sind, während andere Parteien bei knapp über 5 Prozent zum Beiwerk verkümmern.

Die Bundesebene hat dieses Kräftemessen noch nicht erreicht – zumindest nicht so ganz. Zwar haben auch hier die ehemaligen Volksparteien CDU und SPD deutlich an Zustimmung eingebüßt, ihr Abstand zu den anderen Parteien ist aber noch relativ stabil. Wie schnell sich das ändern kann, haben wir schon um 2019 gesehen. Gestärkt durch die Proteste von Fridays von Future standen die Grünen mit teilweise über 20 Prozent in den Umfragen fast volksparteilich da.

Alles nur Trend?

In der politischen Debatte wird seit einiger Zeit gerne von der sogenannten Zeitenwende geredet. Ist der Niedergang der ehemaligen Volksparteien also auch nur das Produkt eines neuen politischen Zeitgeists? Sind die Volksparteien vielleicht einfach nur aus der Mode geraten? Wer das so sieht, macht es sich viel zu einfach.

Denn schon immer waren Veränderungen im Parteiensystem, insbesondere die Entstehung neuer politischer Kräfte, auf politische Entscheidungen zurückzuführen. Die Grünen haben sich gegründet, weil die Sorge der Menschen vor einer nuklearen Eskalation im Kalten Krieg von den übrigen Parteien nicht ernst genug genommen wurde. Die PDS konnte besonders im Osten des Landes so abräumen, weil sie sich erfolgreich als die Stimme des Ostens vermarktete. Der AfD wurde von Kanzlerin Merkel am rechten Rand bereitwillig Platz gemacht, weil ihre Agenda viele Konservative nicht mehr miteinband.

Zwischen Volksverrätern und Bürgernähe

Mehr politische Konkurrenz bedeutet natürlich auch Einbußen bei den eigenen Wahlergebnissen. Das schlechte Abschneiden der einstigen Volksparteien CDU und SPD ist aber auch auf ein weiteres Phänomen zurückzuführen. Seit Jahren ist nämlich eine wachsende Distanz zwischen Wählerinnen und Wählern auf der einen Seite und den Parteien auf der anderen Seite zu beobachten. Ihren krassesten Ausdruck findet diese Entwicklung auf Demonstrationen, wo führende Politiker unverhohlen zum Rücktritt aufgefordert oder sogar als „Volksverräter“ bezeichnet werden.

Hier spielt der vorherrschende politische Stil eine wichtige Rolle. Zwar ist man seit einiger Zeit darum bemüht, wieder als besonders volksnah wahrgenommen zu werden, gelingen will das aber keiner der etablierten Parteien so richtig. Viel eher gewinnt man den Eindruck, die Wähler würden mit Samthandschuhen angefasst werden. Bei den Wählern kommt indes eine andere Botschaft an: Ihr seid uns egal, unsere politische Agenda ist uns wichtiger als eure Bedürfnisse.

So entsteht ein toxischer Nährboden, auf dem besonders populistische Parteien gut gedeihen. Seitdem die AfD die politische Manege betreten hat, ist der Ton zweifelsohne rauer geworden. Vieles, was lange Zeit als unsagbar galt, ist heute wieder salonfähig. Je länger die Populisten und Extremisten die Debatte mitbestimmen, desto tiefer sickert ihr Gift in die Mitte unserer Gesellschaft. Es beschleicht einen das Gefühl, dass heute das laute Argument mehr zählt als das vernünftige. Die etablierten Parteien können sich noch so abmühen – ihre sachorientierten Lösungsansätze interessieren immer weniger Menschen.


Die AfD hat nachhaltig Eindruck hinterlassen. Vieles was sie zerstört hat, ist möglicherweise irreversibel. Ob man sie wieder ganz loswird, ist eine schwierige Frage. Aber sie hat eines völlig klargemacht: Die Menschen fühlen sich nicht mehr mitgenommen. Bevor die etablierten Parteien mit den faktenbasiertesten und am besten durchdachten Lösungen daherkommen, sollten sie sich ernsthaft überlegen, ob es vielleicht weniger an den Inhalten, sondern eher ihrer Ansprache liegt, dass sie heute stehen, wo sie stehen.


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