Gut angelegtes Geld?

Lesedauer: 3 Minuten

Die zweite selbstorganisierte bundesweite Volksabstimmung steht in den Startlöchern. Momentan können die Bürgerinnen und Bürger auf der Beteiligungsplattform consul über die eingereichten Themenvorschläge abstimmen. Spätestens seit dem Sondervermögen für die Bundeswehr beklagen viele einen Kontrollverlust, was mit Steuergeldern geschieht. Ein Vorschlag sieht nun vor, dass die Bürger entscheiden können, dass ihre Steuern nur zivilen Zwecken zugutekommen. Sie vergessen dabei, dass auch die Landesverteidigung ein wesentlicher Bestandteil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens ist.

Notwendige Pflicht

Steuern sind eine lästige Angelegenheit. Für ein gerechtes und friedliches Zusammenleben sind sie jedoch unverzichtbar. Es ist wichtig, darüber zu reden, was mit dem Steuergeld der Bürger passiert und wofür es ausgegeben wird. Immer wieder gibt es Steuerzwecke, die nicht nur auf Gegenliebe stoßen.

Jüngstes Beispiel für eine solche Kontroverse ist das Sondervermögen für die Bundeswehr. Der Bundestag beschloss mehrheitlich, dass 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr fließen, um die Ukraine bestmöglich bei der Verteidigung ihres Landes gegen Russland zu unterstützen. Eine Steuer ist das Sondervermögen zwar nicht, es ist aber offensichtlich, dass das Geld irgendwo herkommen muss.

Es ist fraglich, ob das Sondervermögen für die Bundeswehr von einer Mehrheit in der Bevölkerung unterstützt wird. Da es auf Bundesebene keine Volksentscheide gibt, lassen sich solche Mehrheitsverhältnisse nur erahnen. Schwierige Diskussionen und fiskalpolitische Unzufriedenheit sind aufgrund dieses demokratischen Defizits vorprogrammiert.

Ein Teil des Ganzen

Steuern finanzieren unser gesellschaftliches Zusammenleben. Jeder soll sich solidarisch am Gelingen des Gemeinwesens beteiligen – auch finanziell. Dazu zählen die Kosten von Schulen und Krankenhäusern, aber auch der Bundeswehr. Sie dient der Landesverteidigung und ist daher sinnvoll angelegtes Geld. Man kann sich eine friedliche Welt noch so sehr wünschen, dass wir meilenweit davon entfernt sind, ist leider traurige Realität.

Würden sich einzelne Steuerzahler der Finanzierung der Landesarmee verweigern, würde ein wichtiger Teil unseres Gesellschaftssystems wegbrechen. Die Forderung, Steuergeld ausschließlich für zivile Zwecke einzusetzen, mag edel sein, ignoriert aber den Willen eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung, der sich eine gut ausgestattete Bundeswehr wünscht.

Gelebter Neoliberalismus

Es ist wichtig, dass durch Steuern alle Teile unseres Zusammenlebens abgedeckt sind. Die Bürgerinnen und Bürger müssen dennoch ein Mitspracherecht bei diesen Mittelflüssen haben. Hier sind stärkere Beteiligungsmöglichkeiten wünschenswert. Die individuelle Wahlmöglichkeit, was mit dem Geld geschieht, würde jedoch das gesamte Konstrukt infrage stellen.

Eine steuerliche Wahlfreiheit wäre im Grunde nichts anderes als gelebter Neoliberalismus. Das Steuersystem hätte nur noch das Individuum im Blick, das Gemeinwesen würde verschwimmen. Bei einer solchen Handhabung wäre ein solidarisches und friedliches Zusammenleben auf Dauer nicht möglich.


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Solidarität und Krise – ein politischer Kreislauf

Lesedauer: 10 Minuten

Vom linken Spielfeldrand aus, und leider nur leicht verfälscht, beobachtet.

Es ist Krieg! [Andere größere Katastrophen würden auch taugen, z.B. eine Hungersnot, weil die letzten zwölf Jahre die Sommer zu kalt und nass waren, wodurch auf den Feldern alles verschimmelt ist (ob das von diesem „Klima“ kommt, von dem sie im Fernsehen so oft geredet hatten? Dabei hatte der AfD-Bundeskanzler doch versichert, dass es den Klimawandel gar nicht gebe!). Oder ein anständiger Vulkanausbruch, der die Erde in Staub hüllt; und dann wächst auf den Feldern gar nicht erst etwas, das verschimmeln könnte.
Aber Krieg funktioniert ganz wunderbar, ohne dass sich die Natur besonders anstrengen muss. Dazu reicht eine Kombination aus Egoismus, Dummheit und Testosteron – davon gibt es überall genug.]


Für Familie Schmalberg-Neidhardt, wohnhaft in einem hübschen Villenviertel am Rande der Metropole Harsewinkel, kommt der Krieg relativ ungelegen. Eigentlich war vorgesehen, dass der älteste, Frédéric-Noel, im Herbst an die LMU München geht, um Wirtschaftsingenieurwesen zu studieren, mit einem vor-reservierten MBA-Platz in Boston. Das war wichtig, um die Ehre zu retten, denn die mittlere, Lea-Katharina, hatte sich peinlicherweise zu einem freiwilligen ökologischen Jahr gemeldet, um am Bodensee mit muffig riechenden Umweltschützern Vögel zu zählen – und wie soll man das den Nachbarn bloß erklären.

Jetzt ist Frédéric-Noel jedoch nicht auf Mentoren-Treffs, Karriere-Networking – Seminaren oder bei der politischen Arbeit mit den Julis, sondern kämpft in der Armee. Auch ein Attest auf eingebildeten Keuchhusten im rechten Ohrläppchen (beschafft von einem befreundeten Arzt) konnte das Kriegsamt nicht überzeugen, und so wurde der wertvolle Filius eingezogen und dem 37. Infanterie-Regiment zugeteilt. Aus der Schlacht um Bielefeld erreicht die Familie eine Feldpost; darin berichtet er, dass die Hornbrille zwar die Sicht zur Seite hin etwas störe, der Feind aber bisher dankenswerterweise nur von vorn angegriffen habe – auch seien Kopf und Glieder noch alle in ursprünglicher Zahl vorhanden.

Daheim im beschaulichen Harsewinkel, das mit der Front bereits früher in Berührung gekommen war, steht das fette SUV der Schmalberg-Neidhardts, das wegen seines bulligen Formats und des aggressiven Spritverbrauchs auf Holzvergaser umzurüsten leider nicht möglich war, derweil verstaubt im Carport, denn die Straßen sind in eher zertrümmertem Zustand und höchstens noch mit Fahrrädern oder Schubkarren befahrbar, nicht jedoch von Geländewagen, die nicht im Gelände fahren können. Auch gibt die Tankstelle nur noch kleine Portionen Benzin aus, und die Preise findet selbst Vater Schmalberg-Neidhardt „sportlich“. Ohnehin muss der jüngste, Yannick-Leon, zur Zeit nicht zum Vorschul-Kindergarten gefahren werden. Anstatt dort Kurse in Business English und Advanced Management zu besuchen, fährt der Kleine früh morgens mit dem Rad los, stopft in einer improvisierten Fabrik am Stadtrand Zündhütchen und fegt nach Schichtende in der Produktion aus; dabei hat er erst zwei Finger verloren (zum Glück an der linken Hand).

Die wertvollen Travertinplatten vom Gartenweg wurden von der Stadtverwaltung eingezogen, um einige der größten Schlaglöcher in den Militärstraßen zu stopfen, und der Chef-Grill mit drei Ebenen und Brennstoffzellenantrieb konnte bei einem Metallhändler gegen zwei Laibe Brot eingetauscht werden. Gerade letztens hat auch noch der vor nur wenigen Monaten mit der Post aus Amerika bestellte Dyson-Zirkulationsfön den Dienst quittiert. Die Stromversorgung ist ohnehin seit Monaten eher brüchig – nun jedoch ist ein kleines Plastikteil im Inneren gebrochen, und der Händler im Gemischtwarenladen hat gesagt, er empfehle, die Haare für die nächste Zeit mit dem Handtuch zu trocknen.

In Momenten wie diesen beginnt Familie Schmalberg-Neidhardt zu zweifeln, ob denn politisch in letzter Zeit wirklich immer alles richtig gelaufen sei.

Ein paar Jahre später ist der Krieg vorbei. Jetzt wird aufgebaut und links gewählt! Auch der letzte Normalschnösel hat verstanden, dass es Aufgaben gibt, die sich anzupacken lohnen, obwohl sie nicht ausschließlich auf den eigenen Vorteil (oder den der Familie) ausgerichtet sind. Die Großschnösel, die auf Grund von Landbesitz, Anlagen in Wertgegenstände oder Vermögen im Ausland nur geringfügige Einbußen erlitten haben, halten sich taktisch bedeckt. Der Wiederaufbau wird genutzt, um einige längst überfällige Entscheidungen zu treffen, z.B. ein Grundeinkommen, das eine halbwegs würdevolle Existenz ermöglicht, eine einheitliche Krankenversicherung für alle, eine Steuer auf Vermögen und Einkommen aus Finanzgeschäften und ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr.

Einige Querulanten erinnern daran, dass andere fortschrittliche Dinge, wie z.B. ein allgemeines Wahlrecht (jawohl – selbst für Frauen!) früher auch nur unter dem Eindruck alles vernichtender Katastrophen eingeführt werden konnten, und sorgen sich schon wieder um die Zukunft.

Was sich alles erreichen lässt, wenn die Prioritäten einmal etwas umsortiert wurden, und wenn den Leuten klar wird, dass Solidarität auch gegenüber Mitbürgern empfunden werden kann, nicht nur gegenüber großen Unternehmen, die wegen idiotischer Managemententscheidungen in Schieflage geraten sind und ihren Hauptzweck, nämlich das Generieren von Rendite für die Anteilseigner, nicht mehr länger erfüllen können. Und augenscheinlich ist es am Ende doch ein Unterschied, ob eine Regierung soziale Reformen deswegen durchführt, weil sie das Richtige tun will, oder eher deswegen, weil sie verhindern möchte, dass es zu Unruhen kommt, die die Eigentumsverhältnisse ihrer Wählerschaft, oder (noch wichtiger) den Zugang zu lukrativen Posten in der Wirtschaft für Parteimitglieder und ehemalige Amtsträger, einschränken oder gefährden könnten.

Ein bis zwei Jahrzehnte später: Jetzt geht es uns wieder gut! Der Staat stellt diverse Annehmlichkeiten bereit, niemand muss hungern, jeder hat eine Wohnung, und sogar die Bahn fährt – und ist obendrein bezahlbar. Für viele Familien hat sich die Situation erheblich verbessert. Auch Frédéric-Noel, jetzt Familienoberhaupt bei den Schmalberg-Neidhardts, ist fast zufrieden. Er hatte sich nach dem Krieg mit einigen riskanten Anlagegeschäften in Südamerika schnell saniert, konnte seinen MBA nachholen und als Alumnus sogar dem kleinen Bruder Yannick-Leon für dessen BWL-Studium an der LMU einen Platz in der Verbindung Superbia sichern, wo sich seit jeher exzellente Kontakte fürs spätere Berufsleben knüpfen lassen.

Was Frédéric-Noel jedoch inzwischen entschieden nervt, ist die hohe Steuerlast, die seine zahlreichen Einkommen mindert. Dabei unterhält sich eine Vorstadtvilla nicht von allein, und auch die Platzmiete im Yachthafen von Monaco will bezahlt sein. Dass die Abgaben zu großen Teilen für gesamtgesellschaftliche Projekte verplant sind, ficht ihn dabei nicht an, denn die Straßen sind inzwischen längst saniert, und er fährt wieder standesgemäß mit dem Auto – daher hat er gar kein Interesse an einem kostenlosen Nahverkehr, wo man neben stinkenden Mitmenschen auf einer abgewetzten Sitzbank Platz nehmen muss, um morgens zur Arbeit zu kommen. Im Gegenteil empfindet er die Steuern zunehmend als Strafe. Dafür, dass er erfolgreich ist, wo andere gescheitert sind. Dass von seinem hart verdienten Geld (bei dieser Formulierung muss er sich schon länger nicht mehr vor Lachen verschlucken) Hungerleider und Proleten in ihren sozialen Hängematten alimentiert werden, findet er unausstehlich.

Deswegen wählt Frédéric-Noel nun wieder rechts. Da trifft es sich hervorragend, dass der Spitzenkandidat der Union die Öffnung der Krankenversicherung für private Unternehmen angekündigt hat; auch der Spitzensteuersatz soll gesenkt werden. Außerdem ist eine Erhöhung der Pendlerpauschale (jedoch nur für Kfz-Besitzer) im Gespräch. Die Einnahmen hierfür sollen aus einer groß angelegten Privatisierungswelle stammen, bei der Wohnungsgesellschaften, die Bahn, die Post, die städtischen Unternehmen und die Energiewirtschaft wieder in die Hände von Investoren gegeben werden; davon verspricht man sich solideres Haushalten und höhere Rendite. Ein Bürokratie-Abbaugesetz soll zahlreiche Umweltvorschriften, Mieter- und Arbeitnehmerrechte streichen, die momentan noch den Fortschritt behindern. Aber nicht mehr für lange Zeit!

Die linken Querulanten von damals nach dem Krieg hatten offenbar doch Recht, nur dass ihnen das jetzt kaum noch Freude bereitet – denn die von ihnen favorisierten Parteien erleiden eine Wahlschlappe nach der anderen.


Wieder nur wenige Jahrzehnte später: Der Lebensstandard für Menschen mit geringem Einkommen (und das sind nicht wenige!) ist spürbar gesunken. Der Schmalberg-Neidhardt AG geht es allerdings prächtig, nicht zuletzt wegen diverser kreativer Methoden der Steuergestaltung, und wegen guter Kontakte zu wichtigen Stellen im Finanz- und Wirtschaftsministerium. Auch bei der letzten Novelle des Aktienrechts sowie beim Erbschaftsbesteuerungsänderungsgesetz hat man kräftig mitgeschrieben. Frédéric-Noel, inzwischen über 80 Jahre, ist zufrieden, denn für seine Familie, einschließlich sämtlicher Nachkommen für die nächsten zwölf Generationen, ist bestens vorgesorgt. Beruhigt verabschiedet er sich aus dem Vorstandsgeschäft, um sich von nun an besser um den Stiftungsvorsitz und die zahlreichen Aufsichtsratsposten kümmern zu können.

Am Horizont taucht eine Partei auf, die so weit rechts ist, dass das sogar Frédéric-Noel ein wenig unanständig findet. Man munkelt, dort gebe es Stimmen, die eine Rückgewinnung der verloren gegangenen Gebiete aus dem letzten Krieg fordern. Und überhaupt sei das Problem im Staat ja nicht, dass man sich zuwenig umeinander kümmere, sondern dass scharenweise Ausländer in die Sozialsysteme einwanderten und es sich dort gut gehen ließen. Genügend Menschen glauben das.


Noch einige Jahre später: Der neue Kanzler kündigt „einschneidende Veränderungen“ an, jedoch „zum Wohl des Vaterlandes und seiner wunderbaren Bürger“. Es sei an der Zeit, historisches Unrecht wieder auszubügeln!


[Zum weiteren Verlauf der Geschichte bitte ab Zeile 1 weiter lesen.]


Dieser Text ist ein Gastbeitrag von Anonymer Schreiberling. Er freut sich bestimmt über positives Feedback. 🙂

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