Deutsche Sprache, fremde Sprache?

Beitragsbild: Bru-nO, Pixabay, Bildausschnitt von Sven Rottner.

Lesedauer: 9 Minuten

All-You-Can-Eat, Lifting, Jackpot – die Zahl von Anglizismen in der deutschen Sprache kann inzwischen Seiten füllen. Nicht jeder befürwortet diese sprachliche Bereicherung. Viele sehen darin eine ernsthafte Bedrohung für die eigene Landessprache. Einige wollen Deutsch sogar im Grundgesetz verankern. Dass sie damit weit über das Ziel hinausschießen und ihr Ziel sogar verfehlen, ist den meisten gar nicht bewusst. Denn Anglizismen sind ein vergleichsweise kleines Problem, wenn es um den Erhalt von Sprache geht.

Warum kompliziert, wenn es einfach geht?

Der Pfeifenbläser Julian Assange ist in Equador verhaftet worden. Gestern hätte ich eine Verabredung gehabt, aber mir wurde über den Botschafter abgesagt. Der Haupt-Ausführungsoffizier hat angekündigt, sich aus der ersten Reihe des Unternehmens zurückzuziehen. Klingt bescheuert? Finde ich auch. In all diesen Sätzen würde der Durchschnittsdeutsche Anglizismen verwenden, um sich verständlich auszudrücken. Aus Pfeifenbläser würde Whistleblower, aus der schnöden Verabredung ein Date, aus dem Botschafter der Messenger und der Oberguru eines erfolgreichen Unternehmens ist natürlich der CEO (Chief Executive Officer, für all diejenigen, die nicht wissen, was sich hinter dieser salbungsvollen Abkürzung verbirgt).

Viele finden wiederum, dass die Anglizismen inzwischen Überhand nehmen. Mancheiner sieht die deutsche Sprache ernsthaft in Gefahr. Sie fühlen sich von der US-amerikanischen Sprachpolizei überrumpelt. Eigentlich wollen sie Begriffe wie Management, Container und Styling gar nicht in ihrem alltäglichen Sprachgebrauch verwenden. Oder etwa doch? Schließlich tun sie es ja. Ist es also wirklich ein rein externes Phänomen, etwas was den Deutschen übergestülpt wird?

Handy Handy

Bis zu einem bestimmten Grad sind Anglizismen unvermeidbar. Die deutsche Sprache lieh sich schon immer leidenschaftlich gerne Begriffe aus anderen Sprachen aus. Deutsch ist und bleibt eben eine Lehnsprache. Das Date hieß früher mal Rendez-Vous. Klingt auch nicht viel deutscher. Andere Begriffe sind inzwischen allerdings so fest in unserem Sprachgebrauch verankert, dass man erst beim zweiten Lesen bemerkt, dass sie gar nicht deutschen Ursprungs sind. Nehmen wir zum Beispiel den Wasserboiler. „to boil“ ist englisch und bedeuten sieden oder kochen. Tada!

Es gibt auch noch eine ganze Reihe anderer Wörter, die sich im Alltag etabliert haben. Bei den meisten von ihnen ist offensichtlich, dass sie englischen Ursprungs sind, doch sie werden allgemein akzeptiert. Das Handy und der Computer sind Begriffe, die gleichzeitig auch den Zeitgeist definieren. Alltagstaugliche deutsche Wörter gab es für sie nie. Es dauert ja auch schließlich fast dreimal so lange „Mobiltelefon“ zu sagen.

Es ist dabei aber schon erstaunlich, dass der Begriff „Handy“ zwar dem Englischen entstammt, aber in dieser Sprache nicht die gleiche Bedeutung hat wie in Deutschland. Das Gerät ist zwar handy, aber kein Engländer nennt es so. Ein Anglizismus um der Anglizismen willen also. Aber sei’s drum, es ist gut so wie es ist.

We are all sitting in one boat

Grotesker mutet es schon an, wenn man einen Blick in die Arbeitswelt wirft. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger wusste bereits vor gut zehn Jahren als einer der ersten, dass Englisch die Arbeitssprache werden würde. Doch, oh Schreck! Dass es gleich solch verheerende Ausmaße annehmen würde, konnte selbst das sprachaffine Landesoberhaupt nicht wissen.

On the one hand, haben wir da einige Begriffe, die so kompliziert sind, dass keiner sie ernsthaft aussprechen würde. Beim CEO begnügt man sich mit der Abkürzung. Es wissen so oder so nur die wenigsten, was damit genau gemeint ist (außer sie haben diesen Beitrag gelesen). On the other hand, werden tatsächlich deutsche Begriffe ohne Not durch englische ersetzt. Weil sie angeblich besser klingen. Viele Unternehmen inserieren heute Stellenangebote für ein exklusives Traineeship in ihrem Hause. Vielleicht eine erste Maßnahme, um unqualifizierte Bewerber abzuschrecken, die tatsächlich ein nautisches Abenteuer befürchten.

Von Krauts und Autobahn

Vielleicht regen sich manche Deutsche wirklich zu sehr auf. Anscheinend wissen viele nämlich nicht, dass die Sache mit den Anglizismen auf dem uralten Prinzip des Gebens und Nehmens beruht. Dass Begriffe wie „sauerkraut“, „lederhosen“ und „autobahn“ längst ihren Weg ins Englische gefunden haben, dürfte allgemein bekannt sein. Nicht jedoch, dass sich so mancher Engländer am glockenspiel erfreut, dass seine Kaffeemaschine kaput(t) gehen kann oder dass manche Dinge strengstens „verboten“ sind. Spätestens wenn sich eine Spinne an einer Hauswand abseil(t), gerät mancher Anglizismenkritiker ins Staunen.

Man sieht, auch deutsche Wörter sind im englischen Sprachgebrauch fest verankert. Und Vokabeln sind doch sowieso nur Ziffern, die eine Sprache alltagstauglich machen. Aber Sprache ist mehr. Wer sich über die angeblich viel zu große Zahl an Anglizismen echauffiert, der lenkt sich selbst von einem weitaus bedrohlicheren Schauplatz ab. Auch wenn es einzelne deutsche Wörter ins Englische geschafft haben, so gibt es in dieser Weltsprache eines nicht: Sprachstrukturen werden nicht zugunsten einer anderen Sprache aufgegeben. Im Deutschen ist das anders.

So werden bestimmte grammatikalische Strukturen ebenfalls durch die aus der englischen Sprache ersetzt. „Die Zahl an Straftaten in 2019 lag um 1,5 Prozent höher als noch es noch in 2018 der Fall war.“ Häh?! Seit wann bitteschön werden konkrete Jahreszahlen mit der Präposition „in“ verwendet? Das funktioniert im Englischen, aber nicht im Deutschen. Es ist einfach falsch!

Virale Influencer? Gesundheit.

Bevor ich jetzt vorschnell der Riege der ewig Gestrigen zugeordnet werde, gebe ich eines zu bedenken: Sprache verändert sich laufend. Nicht nur Wörter verändern ihre Konnotation, auch grammatikalische Eigenheiten sind diesem Wandel unterworfen. Es mutet allerdings schon ein wenig merkwürdig an, wenn dieser Wandel mit der Geschwindigkeit eines Lidschlags vollzogen wird und obendrein kaum vom englischen Original unterscheidbar ist. Auch dass es Konflikte IM Irak gibt und ein Krieg mit DEM Irak unter allen Umständen vermieden werden muss, wird immer mehr vom englischen Pendant verdrängt, welches bestens ohne bestimmte Artikel auskommt.

Der Gipfel der sprachlichen Verirrung wurde allerdings vor einigen Jahren erreicht, als viele Dinge viral gingen. Ähnlich wie beim Influencer handelt es sich hierbei jedoch nicht um eine ansteckende Krankheit. Es soll lediglich verdeutlicht werden, dass etwas durch die Decke ging. Dass das Verb „gehen“ in der deutschen Sprache niemals gleichbedeutend mit dem Wort „werden“ ist, scheint vielen egal zu sein. Schließlich ist es in der englischen Sprache ja so konnotiert, was kümmert mich da mein deutsches Original?

Eine zwangsläufige Entwicklung?

Mit Sicherheit hat das Internet maßgeblichen Anteil an diesen Entwicklungen. Und wer weiß? Vielleicht entwickelt sich Sprache in Zeiten des Internets tatsächlich rasanter als früher. Immerhin lebt Sprache von der Kommunikation. Und Kommunikation ist durch das Internet einfacher als jemals zuvor. Gut möglich also, dass zusätzliche Kommunikationskanäle die Sprachentwicklung beschleunigen. Also doch lieber ein Tempolimit für Sprachen anstatt auf der Autobahn?

Doch auch eine andere Deformation der deutschen Sprache stößt hart auf. Was wurde eigentlich aus dem formellen „Sie“? Liest man so manche Stellenanzeige oder hört sich eine besonders hippe Werbung an, könnte man meinen, die Höflichkeitsform hätte aufgehört zu existieren. „Bewirb dich jetzt und bereichere unsere Crew“ könnte aus jeder x-beliebigen Stellenanzeige kommen. Eigentlich sollte man dieses Phänomen einmal auf die Spitze treiben und die Personalverantwortlichen in der Bewerbung ebenfalls duzen. Führt dann wahrscheinlich nicht zum erhofften Erfolg, aber ein Denkmal würde man sich damit allemal schaffen.

Sprache per Gesetz?

Das Problem liegt also definitiv nicht an den Vokabeln, sondern an grammatikalischen Eigenheiten, die denen aus der englischen Sprache immer ähnlicher werden. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Eine gesetzliche Regelung, wie es den Rechtspopulisten vorschwebt, halte ich für den absolut falschen Weg. Eine Sprache ist eben kein Gesetz. Sie kann nicht in Stein gemeißelt werden. Sie ist immer abhängig von der jeweiligen Situation und der jeweiligen Zeit. Ihr können von außen keine Vorschriften gemacht werden, eine Veränderung muss von innen kommen. Ein Gesetz würde der Sprache wiederum vorschreiben, wie sie zu sein hat. Und genau das funktioniert eben nicht.

Stattdessen ist jeder selbst gefragt. Man kann sich im Klein-Klein der Anglizismen verlieren. Man kann aber auch selbst entscheiden, wie weit man mitgehen möchte. Wer statt „Party“ lieber „Feier“ sagen möchte, kann das doch tun. Keiner ist daran gehindert, fremde Menschen weiterhin zu siezen. Und keiner bricht sich einen Zacken aus der Krone, eben nicht insane zu gehen, wenn etwas total wunderbares geschieht.

Deutsch ist schön

Die am lautesten von der Abschaffung der deutschen Sprache reden, haben selbst den Sinn für diese schöne Sprache verloren. In zahllosen Kommentaren vergewaltigen sie ihre Muttersprache höchstselbst, wenn sie sich zu Rettern derselben aufschwingen. Einfachste Regeln der Rechtschreibung und der Kommasetzung werden einfach übergangen, die Konjunktion „dass“ scheint non-existent.

Deutsch ist eine Sprache, die so reich an unterschiedlichen Begriffen ist wie kaum eine andere Sprache. Was kümmert es denn da, wenn ein paar Begriffe aus anderen Sprachen den Alltag bereichern? Viel wichtiger ist doch zu wissen, wann manche Begriffe angebracht sind und wann nicht. Es macht nämlich durchaus einen Unterschied, ob ich in Magdeburg oder in Stuttgart einen Pfannkuchen bestelle. Fordert deshalb ernsthaft jemand eine Vereinheitlichung dieser Begriffe? Ich glaube nicht.

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