Die Schwerpunktsetzer

Lesedauer: 6 Minuten

In Deutschland gilt die Meinungsfreiheit. Jeder kann das sagen, was er will. Aber diese Vielfalt an Meinungen wird nicht immer adäquat repräsentiert. Von einseitiger Berichterstattung und einer Verengung des zulässigen Meinungskorridors ist die Rede. Besonders häufig betroffen sind Themen, die sich um soziale Gerechtigkeit, Diplomatie und Frieden drehen. Das ist angesichts einer konservativ und wirtschaftsliberal geprägten Opposition nicht verwunderlich.

Es rumort in der deutschen Bevölkerung. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, nicht verstanden zu werden oder mit ihren Problemen auf taube Ohren zu stoßen. Seit Jahren gilt es als chic, wenn man von einem Abbau der Meinungsfreiheit, einer Einschränkung der freien Rede oder sogar von Diktatur spricht. In Zeiten von Pegida und Querdenkern hatten diese zugegeben sehr vernehmbaren Vorwürfe Hochkonjunktur.

Eine Republik diskutiert

Wir leben nicht in einer Diktatur. Es gibt in diesem Land freie Wahlen, Machtwechsel sind jederzeit denkbar. Und es gibt zu vielen Themen lebendige Debatten. Wenn darüber diskutiert wird, wie künftig mit Menschen umgegangen werden soll, die containern gehen, dann bewegt das die Menschen. Es geht nämlich um weit mehr als einen möglichen Hausfriedensbruch und mögliche Eigentumsdelikte. Es geht um die grundsätzliche Frage, was mit Lebensmitteln geschieht, die nicht den Schönheitsidealen aus der Werbung entsprechen oder die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Es ist ein Thema, das alle in irgendeiner Art und Weise betrifft.

Ähnliches gilt bei der Freigabe von Genusscannabis. Auch wenn hier nicht alle Bürger unmittelbar betroffen sind, haben die meisten dazu eine Meinung. Über diese wird dann munter diskutiert. Das Thema macht Schlagzeilen, füllt ganze Seiten und landet auf den Titelseiten von politischen Magazinen. Man nähert sich einem Ja oder Nein, die Meinungen gehen zwangsläufig weiter auseinander als beim Containern.

Für heftige Debatten sorgte auch das Selbstbestimmungsgesetz, das unter anderem die Änderung des Geschlechtseintrags im Ausweis vereinfacht. Vielen im Land ging diese Art der Liberalisierung zu weit und sie taten laut ihre Meinung kund. Andere Kreise wiederum hielten entschieden dagegen und warfen der Gegenseite Homo- und Transphobie vor. Sie taten das in einer Weise, welche die Realität der Debatte nicht wiedergab. Viel zu laut waren dafür die Stimmen aus den Reihen der Kritiker.

Kein politischer Rückhalt

Als es um das Sondervermögen für die Bundeswehr und Waffenlieferungen an die Ukraine ging, war das lange Zeit anders. Hier gelang es den Befürwortern, abweichende Meinungen mit teilweise absurden Vorwürfen niederzubrüllen und die wahrnehmbare Kritik an dem Vorhaben möglichst kleinzuhalten. Dabei waren nicht wenige Menschen im Land völlig anderer Meinung. Der Unterschied zwischen den oberen und dem unteren Beispiel: Beim Thema Aufrüstung hatten die Skeptiker eine viel schwächere politische Repräsentanz als bei der Cannabislegalisierung und dem Selbstbestimmungsgesetz.

Denn geht es um sicherheitspolitische Ausgaben und um Aufrüstung, dann haben konservative und rechte Parteien grundsätzlich kein großes Problem damit. Das ist in der aktuellen Themensetzung deutlich zu spüren. Denn ein Rechtsruck in der Politik ist nicht von der Hand zu weisen. Jahre der AfD-Oppositionsführung haben diesem Land nicht gutgetan. Wie selbstverständlich spricht man heute über mehr Geld für Waffen und vernachlässigt dafür andere wichtige innenpolitische Themen.

Auch wenn sich die extreme Rechte in diesem Land häufig gegen eine militärische Unterstützung des Kriegs in der Ukraine positioniert, macht sie das nicht automatisch zu Pazifisten. Sie können es schlicht nicht ertragen, dass ihre Brüder im Geiste eins auf die Mütze bekommen. Das ist Selbstgerechtigkeit und keine Friedensliebe.

Klare Themensetzung

Die aktuelle Bundesregierung macht vieles falsch. Immer wieder belegt sie ihre völlige Inkompetenz und trifft fatale politische Entscheidungen. Der Widerspruch wird dann besonders laut, wenn es um die Rechte von Transmenschen geht, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen diskutiert wird oder die Legalisierung von Cannabis ins Haus steht. Droht ein Zusammenstreichen der Kindergrundsicherung, begeben sich tagtäglich zig Geringverdiener, Arbeitslose und Rentner auf Pfandflaschensuche oder erfrieren jeden Winter unzählige Obdachlose in deutschen Großstädten, flammt eine kurze Empörung darüber auf, die sogleich wieder abebbt. Das ist die logische Folge einer wirtschaftsliberal und konservativ geprägten Opposition und Zeugnis einer grotesk schwachen Linken.

Eine echte linke Opposition gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Die Debatten über Pfandflaschen, Obdachlose und arme Kinder werden nur am Rande geführt und sind sehr viel leiser als die Rufe nach Kriegstüchtigkeit und börsendominierter Rente. Soziale Gerechtigkeit verkommt immer mehr zum Nice-to-have.

Zeit für was Neues

Keine der im Bundestag vertretenen Parteien tritt glaubwürdig für Frieden und soziale Gerechtigkeit ein. Die SPD macht gelegentlich Ausflüge in die linke Ecke und der sozialpolitische Flügel der Grünen ist nichts weiter als eine Alibiveranstaltung dieser kriegsbesoffenen Partei. Lange hat sich Die Linke für diese Themen starkgemacht, aber nach Jahren der politischen Selbstverstümmelung nimmt diesen Verein heute niemand mehr ernst.

Stattdessen feiert die Partei den Austritt von Sahra Wagenknecht als Befreiungsschlag – und merkt nicht, wo die Reise hinführen wird. Stolz verkündet die Parteiführung auf verschiedenen Kanälen, dass es Parteieintritte in großer Zahl gab, seitdem sich die unbeugsame Linksrechte einem neuen Projekt zugewandt hat. Scheinbar ist es den führenden Köpfen der Linken mittlerweile egal, wen sie sich in die Partei holen. Es wird nicht lange dauern, bis von der einstigen Kämpferin für Gerechtigkeit und Frieden nichts weiter übrigbleibt als ein verlängerter Arm der Grünen. Die wenigen verbliebenen Linken in der Partei werden sich noch umschauen.

Im Grunde haben die linksgerichteten Parteien in diesem Land zwei Möglichkeiten: Entweder sie kommen endlich zur Vernunft und lassen eine ausgewogene und lebendige Debatte zu bestimmten Themen wieder zu oder sie können dabei zusehen, wie sich in Deutschland eine neue politische Kraft breitmacht, die ihnen Wähler absaugt und Regierungsbildungen in Zukunft noch schwerer macht.

Potenzial für eine solche neue Kraft gibt es allemal. Denn es stimmt, was die demokratischen Parteien über die AfD sagen: Die extreme Rechte hat keinen Plan für dieses Land, erst recht nicht, wenn es um Soziales und Gerechtigkeit geht. Sie selbst haben es aber auch nicht. Es liegt auf der Hand, was passiert, wenn eine Partei entsteht, die genau auf diese offenen Fragen plausible Antworten liefert…


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Gut angelegtes Geld?

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Die zweite selbstorganisierte bundesweite Volksabstimmung steht in den Startlöchern. Momentan können die Bürgerinnen und Bürger auf der Beteiligungsplattform consul über die eingereichten Themenvorschläge abstimmen. Spätestens seit dem Sondervermögen für die Bundeswehr beklagen viele einen Kontrollverlust, was mit Steuergeldern geschieht. Ein Vorschlag sieht nun vor, dass die Bürger entscheiden können, dass ihre Steuern nur zivilen Zwecken zugutekommen. Sie vergessen dabei, dass auch die Landesverteidigung ein wesentlicher Bestandteil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens ist.

Notwendige Pflicht

Steuern sind eine lästige Angelegenheit. Für ein gerechtes und friedliches Zusammenleben sind sie jedoch unverzichtbar. Es ist wichtig, darüber zu reden, was mit dem Steuergeld der Bürger passiert und wofür es ausgegeben wird. Immer wieder gibt es Steuerzwecke, die nicht nur auf Gegenliebe stoßen.

Jüngstes Beispiel für eine solche Kontroverse ist das Sondervermögen für die Bundeswehr. Der Bundestag beschloss mehrheitlich, dass 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr fließen, um die Ukraine bestmöglich bei der Verteidigung ihres Landes gegen Russland zu unterstützen. Eine Steuer ist das Sondervermögen zwar nicht, es ist aber offensichtlich, dass das Geld irgendwo herkommen muss.

Es ist fraglich, ob das Sondervermögen für die Bundeswehr von einer Mehrheit in der Bevölkerung unterstützt wird. Da es auf Bundesebene keine Volksentscheide gibt, lassen sich solche Mehrheitsverhältnisse nur erahnen. Schwierige Diskussionen und fiskalpolitische Unzufriedenheit sind aufgrund dieses demokratischen Defizits vorprogrammiert.

Ein Teil des Ganzen

Steuern finanzieren unser gesellschaftliches Zusammenleben. Jeder soll sich solidarisch am Gelingen des Gemeinwesens beteiligen – auch finanziell. Dazu zählen die Kosten von Schulen und Krankenhäusern, aber auch der Bundeswehr. Sie dient der Landesverteidigung und ist daher sinnvoll angelegtes Geld. Man kann sich eine friedliche Welt noch so sehr wünschen, dass wir meilenweit davon entfernt sind, ist leider traurige Realität.

Würden sich einzelne Steuerzahler der Finanzierung der Landesarmee verweigern, würde ein wichtiger Teil unseres Gesellschaftssystems wegbrechen. Die Forderung, Steuergeld ausschließlich für zivile Zwecke einzusetzen, mag edel sein, ignoriert aber den Willen eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung, der sich eine gut ausgestattete Bundeswehr wünscht.

Gelebter Neoliberalismus

Es ist wichtig, dass durch Steuern alle Teile unseres Zusammenlebens abgedeckt sind. Die Bürgerinnen und Bürger müssen dennoch ein Mitspracherecht bei diesen Mittelflüssen haben. Hier sind stärkere Beteiligungsmöglichkeiten wünschenswert. Die individuelle Wahlmöglichkeit, was mit dem Geld geschieht, würde jedoch das gesamte Konstrukt infrage stellen.

Eine steuerliche Wahlfreiheit wäre im Grunde nichts anderes als gelebter Neoliberalismus. Das Steuersystem hätte nur noch das Individuum im Blick, das Gemeinwesen würde verschwimmen. Bei einer solchen Handhabung wäre ein solidarisches und friedliches Zusammenleben auf Dauer nicht möglich.


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