Verhandeln statt schießen

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Der Krieg in der Ukraine ist die größte Katastrophe, die Europa in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Die Brutalität, mit der Putin vorgeht, hat uns alle überrumpelt und geschockt. Führende Politiker stimmen die Menschen auf harte Zeiten ein. Besonders der drohende Importstopp für Rohstoffe aus Russland wird nicht spurlos an uns vorübergehen. Die Verzichtsrhetorik verkennt allerdings die Lebensrealität von vielen Menschen im Land. Wenn sie nicht schon davor am Nötigsten sparen mussten, dann spätestens seit der Pandemie. Auch der Umstieg auf Öl aus Katar wird die explodierenden Preise kaum bremsen können. Letztendlich spielt die Herkunft von Öl und Gas eine untergeordnete Rolle, wenn es darum geht, einen Krieg zu beenden und Menschenleben zu retten.

Geschlossene Einigkeit

Seit fünf Wochen bombardiert Putin die Ukraine. Seit 35 Tagen verlassen Familien ihre Heimatdörfer. Sie verstecken sich in U-Bahn – Schächten, bewaffnen sich, viele wissen nicht, wie es ihren nächsten Angehörigen geht. Am Berliner Hauptbahnhof kommen täglich tausende Flüchtende an. In anderen europäischen Ländern ist die Lage ähnlich. Niemals dürfen wir uns mit solchen Zuständen abfinden. Das Entsetzen hält an, die Friedensdemos reißen nicht ab.

Auch viele Vereine, Organisationen und Stiftungen erklären sich weiterhin solidarisch mit der Ukraine. Immer lauter werden die Rufe nach Konsequenzen für Russland. Die Vereinten Nationen haben Russlands Einmarsch in der Ukraine eindeutig als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verurteilt. Viele Nationen beteiligen sich an den finanziellen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland. Auch in Deutschland mehren sich die Stimmen, die einen Importstopp für Rohstoffe aus Russland verlangen.

Der Preis der Freiheit

Die Begründung der Maßnahme ist simpel, ihr Ziel überaus edel. Viele sehen es als besonderen Akt der Solidarität mit der Ukraine, wenn wir mit unseren Importen nicht länger Putins Kriegskassen füllen. Der Verzicht von Rohstoffen aus Russland bedeutet spürbare Einschränkungen. Führende Politiker sprechen hier vom Preis der Freiheit. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck schwört die Bevölkerung darauf ein, dass es durchaus angemessen ist, einen Winter lang zu frieren, um ein Zeichen gegen den Krieg zu setzen.

Ob der nächste Winter besonders kalt wird, bleibt abzuwarten. Der Frühling hat noch gar nicht richtig angefangen. Wir sprechen von einer Zeit, die in weiter Ferne liegt. Immer mehr Menschen spüren aber schon heute, dass der Verzicht längst Einzug hält. Ein Blick in die Supermarktregale reicht aus, um das zu sehen. Vor allem Speiseöl wird immer knapper. Wie in der ersten Coronawelle informieren die Geschäfte auf leuchtenden Zetteln über die geltenden Ausgabebeschränkungen.

Angesichts ihrer Lebensrealität empfinden es manche Menschen als absurd, wenn man sie heute darauf einstimmt, dass sie im kommenden Winter verzichten müssen. Sie tun es bereits heute. Die Energiepreise steigen nicht erst seit Putins Überfall auf die Ukraine. Die Entscheidung Essen oder Heizen müssen schon heute zu viele in Deutschland treffen.

Es wird den meisten nicht gefallen, dass wir nahtlos von einer in die nächste Krise rutschen. Corona hat den Menschen enorm viel abverlangt. Verzicht war etwas, was jeder in dieser schweren Zeit kennengelernt hat. Die Menschen nehmen die Aussicht auf einen kalten Winter im Frühjahr 2022 noch zähneknirschend hin. Die Stimmung kann in einem guten halben Jahr aber leicht kippen.

Erstrebenswertes Bündnis?

Die Bundesregierung hat aber schon einen Plan, wie sie die Energieversorgung des Landes sicherstellen möchte. Statt aus Russland soll unser Öl künftig aus Katar kommen. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist dazu beim katarischen Energieminister Saad Scharida al-Kaabi bereits vorstellig geworden. Der Umstieg dürfte mit längeren Lieferzeiten einhergehen, welche die preisliche Attraktivität des Öls sicher nicht steigern werden. Trotzdem ist man entschlossen, die russischen Rohstoffimporte um jeden Preis zu boykottieren. Putins Kriegskassen dürfen nicht durch unseren Energiebedarf gefüllt werden.

Die Regierung wird bei diesem Schritt lange mit sich gerungen haben. Sie blenden dabei aber aus, dass es die Bevölkerung sein wird, die den größten Schaden dieser Wirtschaftssanktionen davonträgt. Sie müssen das teurere Öl aus Katar bezahlen, obwohl die Energiepreise schon heute durch die Decke gehen. Putin kann den Entschluss Deutschlands dafür gelassen nehmen: Er kann sich seine Kassen mittelfristig auch durch Energieimporte in andere Länder füllen. China ist dafür prädestiniert. Ob ein Bündnis zwischen diesen beiden Ländern wirklich erstrebenswert ist?

Diplomatie statt Krieg

Das Argument, man dürfe diktatorische Machthaber und Aggressoren nicht sponsern ist aller Ehren wert, aber genau deshalb mutet der Schritt in Richtung Katar auch so scheinheilig an. Menschenrechtsverletzungen stehen dort an der Tagesordnung, Grundlage für die dortigen Gesetze ist die Scharia. Frauen sind dort nicht Menschen zweiter Klasse, es sind überhaupt keine Menschen. Auf der Flucht vor Russland und auf der Suche nach der reinen Weste knickt unser Wirtschaftsminister buchstäblich ein und lässt sich dabei ablichten. Dieses Bild wird garantiert in die Geschichte eingehen. Es ist beschämend, dass das Vorgehen der Regierung so gefeiert wird.

Mit aller Macht will man sich von Putin und seinem Regime distanzieren. Es ist richtig, wenn die Staaten dieser Welt den Angriff auf die Ukraine als das bezeichnen, was er ist: ein Verbrechen. Trotzdem darf diese strikte Ablehnung des russischen Vorgehens keine Sackgasse sein. Es muss auch eine Zukunft mit Russland geben, sonst hätte Putin erreicht, was er wollte.

Auch wenn vieles dagegenspricht und es sich falsch anfühlt: die Gesprächskanäle nach Russland müssen geöffnet bleiben. Verhandlungen mit der russischen Seite sind nicht gleichbedeutend mit einer Ergebung gegenüber dem Aggressor und sie liefern uns auch nicht schutzlos Putin aus. Das Festhalten an Diplomatie ist stattdessen ein Zeichen von Stärke und Rückgrat. Es würde nämlich zeigen, dass wir verstanden haben, worum es geht: das sinnlose Blutvergießen zu stoppen.

Keine Zeit zum Rechthaben

Sich komplett von Russland abzuwenden, würde das gegenteilige Signal aussenden. Dann ginge es nicht darum, Leben zu retten, sondern darum rechtzuhaben. Ziel solcher Verhandlungen dürfte nicht sein, Russland jedes Zugeständnis zu machen. Es muss darum gehen, klare Bedingungen zu artikulieren, mit der beide Seiten leben können. Außerdem muss verhindert werden, dass der Konflikt in ein paar Monaten oder Jahren erneut eskaliert. Die Ukraine zur neutralen Zone zu erklären, wäre hier ein sinnvoller Vorstoß.

Damit wäre ein grundsätzliches Anliegen von Russland erfüllt. Putin hätte es in der Folge schwerer, seinen Krieg zu rechtfertigen. Natürlich weiß das auch Putin. Es bedarf kluger Verhandlungsführer, um den Frieden in Europa wiederherzustellen. Auch der Westen müsste dabei Abstriche machen. Letztendlich kämen dabei aber alle Beteiligten deutlich besser weg, als wenn wir uns gleich von der nächsten Diktatur abhängig machten. Der Krieg in der Ukraine endet nicht automatisch damit, dass wir unser Öl künftig aus dem arabischen Raum beziehen. Er darf aber auch nicht erst enden, wenn sämtliche Munition verschossen ist und ein Land dem Erdboden gleichgemacht wurde.

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