Hauptargument Moral

Lesedauer: 8 Minuten

Die Stimmen, die nach Einschränkungen für Nicht-Geimpfte rufen, werden aktuell wieder lauter. Man möchte nicht tatenlos dabei zusehen, wie sich ein Teil der Bevölkerung der Impfung verweigert und dabei andere Menschen gefährdet. Immer seltener geht es bei den folgenden Debatten aber um den Schutz von Menschenleben. Gesprächsziel ist immer häufiger, Andersdenken ein schlechtes Gewissen zu machen und sie zu schlechten Menschen zu degradieren. Diese Diskussionskultur treibt die Menschen auseinander in einer Zeit, in der sie eigentlich zusammenstehen sollten.

“Schon geimpft?” – Keine Frage bekommt man dieser Tage häufiger gestellt als die Frage nach dem Impfstatus. Man begegnet ihr in nahezu jeder Lebenslage – auf der Arbeit, in der Schule, im Gespräch mit Freunden, im Kreise der Familie und selbstverständlich beim Arzt. Seit nahezu jedem erwachsenen Menschen in Deutschland ein Impfangebot gemacht werden kann, ist das neue „Wie geht’s?“ aus keinem Gespräch mehr wegzudenken. Und wehe dem, der diese Frage mit „Nein“ beantwortet.

Keine schöne Diskussion

Die Verneinung dieser Frage zieht nämlich fast zwangsläufig eine zähe und wenig ergiebige Diskussion nach sich. Nachdem klipp und klar feststeht, dass die fehlende Impfung nicht auf Terminfindungsschwierigkeiten, sondern auf eine generelle Ablehnung der Corona-Impfung zurückzuführen ist, beginnt eine tretmühlenartige Tortur, die für beide Seiten ausgesprochen unangenehm ist.

Fragen wie „Willst du etwa, dass alle Geschäfte geschlossen bleiben?“ oder „Du weißt aber schon, dass so ein Verhalten zu mehr Toten führt?“ beenden eine argumentative Auseinandersetzung, bevor sie begonnen hat. Solche infamen Unterstellungen drängen den Nicht-Geimpften sogleich in eine Ecke, in die er in vielen Fällen nicht gehört. Der Verweigerer wird gleichgesetzt mit Querdenkern und Verschwörungstheoretikern, die die Wirksamkeit von Impfungen generell in Zweifel ziehen. Der Skeptiker gilt fortan als schlechter Mensch, als Unheilsbringer, der seine Entscheidung gegen eine Impfung leichtfertig aus dem Handgelenk geschüttelt hat.

Verhärtete Fronten

In den meisten Fällen stimmt das nicht. In Deutschland nehmen derzeit viele Menschen jenseits der Risikogruppen das umfassende Impfangebot wahr. Es gibt aber weiterhin eine beträchtliche Zahl an Personen, die sich nicht impfen lassen. Sie tun das aus unterschiedlichen Gründen. Manche davon sind unbelehrbare Schwurbler, viele andere hingegen mündige Bürger, die sich die Entscheidung alles andere als leicht gemacht haben. Beim Outing als Nicht-Geimpfte finden sich die Betroffenen in der Rolle des schlechten Menschen wieder.

Diese Einordung ist verkürzt, ungerecht und führt bei den Betroffenen selten zu einer Änderung ihrer Sichtweise. Denn kein Mensch möchte schlecht sein. Menschen lieben das Gefühl, das richtige zu tun und im Recht zu sein. Würde ein Nicht-Geimpfter einlenken und sich doch zu einer Impfung durchringen, müsste er im gleichen Moment zugeben, dass er zuvor tatsächlich ein schlechter Mensch war. Auf sein Konto gingen dann ewige Lockdowns, Schulschließungen und Todesfälle. Diese Last will niemand tragen. Konfrontiert der Befürworter den Gegner mit solchen Vorwürfen, bleibt die Impfentscheidung negativ.

Beide Seiten verharren dabei auf ihren Positionen. Keiner von beiden ist bereit, auf den anderen zuzugehen. Sie verheddern sich in dem Konstrukt, das sie für sich errichtet haben, um Andersdenkenden zu begegnen. Wenn der latente Vorwurf und der erhobene Zeigefinger die Diskussion anführt, werden beide Seiten für vernünftige Argumente immer unzugänglicher.

Freifahrtschein Impfung

Man darf bei der ganzen Debatte auch nicht vergessen, dass sich bereits ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung gegen das Coronavirus hat impfen lassen. Für eine Herdenimmunität reicht es noch nicht aus, zu wenig wirken die zugelassenen Vakzine gegen Infektionen, zu gering ist die Impfbereitschaft der Menschen. Verprellt fühlen sich viele der Ungeimpften durch eine Kampagne, die darauf ausgerichtet ist, Geimpften mehr Rechte einzuräumen als Nicht-Geimpften. Der Tenor ist stets, dass man darauf hinarbeitet, Einschränkungen für Geimpfte fallenzulassen und sie somit maßgeblich aus dem anstrengenden Kampf gegen die Pandemie zu entlassen. Völlig zurecht empfindet das die Gegenseite als ungerecht und vorschnell.

Diese Art der Diskussion verfehlt ihren eigentlichen Zweck, die Pandemie zu bekämpfen, gleich doppelt. Sie suggeriert einerseits, dass Geimpfte sprichwörtlich Narrenfreiheit haben und ihren Dienst getan haben. Beispielhaft dafür ist die Austragung der Fußball-EM im englischen Wembley-Stadion, wo sich 45.000 Menschen, zum großen Teil geimpft, dicht an dicht und ohne Maske zusammenfanden und dem Virus so enormen Vorschub leisteten. Diese großzügigen Lockerungen verleiten erst recht dazu, sich impfen zu lassen, auch wenn der Preis dafür hoch sein kann. Die Impfentscheidung ist dann hauptsächlich auf eine Sehnsucht nach dem Normalen, nach alltäglichen Bequemlichkeiten zurückzuführen. Sie ist in vielen Fällen unehrlich, was das verantwortungslose Verhalten vieler Betroffener drastisch untermauert.

Falscher Protest

Andererseits züchtet die Diskussion um mögliche Einschränkungen für Nicht-Geimpfte eine Generation an Märtyrern heran. Impfverweigerer fühlen sich in ihren Positionen immer weniger ernstgenommen, selbst wenn sie vernünftige und nachvollziehbare Argumente für ihre Entscheidung vorbringen können. Immer stärker verzichten sie nicht aufgrund von sachlichen Argumenten auf die Impfung, sondern weil sie die Nicht-Impfung als Akt des Protests empfinden.

Um auch diese Abweichler zu einer Impfung zu bewegen, stellt man ihnen nicht nur weitreichende Vergünstigungen in Aussicht, sondern baut auch den finanziellen Druck auf sie weiter aus. Die FDP gerierte sich stets äußerst kritisch, was eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland betraf. Nun stellte allerdings selbst Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der Partei, bei Markus Lanz ein Konzept vor, das einer Impfpflicht durch die Hintertür beachtlich nahekommt. Nach ihren Vorstellungen soll künftig jeder Ungeimpfte nur noch Anspruch auf einen kostenlosen Test pro Woche haben. Sie rechtfertigt das mit dem hohen finanziellen Aufwand, der auf Dauer nicht gestemmt werden kann.

Natürlich würde es enorme finanzielle Anstrengungen bedeuten, würde man das umfassende Testangebot aufrechterhalten. Bei teleskopierten, also verkürzten Testverfahren zur Entwicklung der Impfstoffe, bleibt uns aber gar keine andere Möglichkeit, als weiterhin breit zu testen. Denn lange ist nicht geklärt, wie gut die Präparate vor Infektionen schützen und wie infektiös Geimpfte tatsächlich sind. Die Erfassung solcher Daten ist deutlich schwieriger, wenn die Stoffe unkontrolliert verimpft werden. Verzichtet man zusätzlich auf die weitere Testung von Geimpften, sind solche Erkenntnisse aber schier unmöglich.

Eklatante Wissenslücken

Auch nach anderthalb Jahren Pandemie ist weiterhin nicht umfassend geklärt, inwieweit bestimmte Personengruppen durch das Virus bedroht sind und wo die gravierendsten Infektionsherde entstehen. Man hat weiterhin nicht systematisch ermittelt, wie hoch die Infektionsgefahr beim Einkaufen ist und wie hoch sie in deutschen Klassenzimmern ist. Das alles ist hauptsächlich auf ein völlig kaputtgespartes Gesundheitssystem zurückzuführen, welches bereits bei leicht steigenden Infektionszahlen an die Grenzen seiner Belastbarkeit bei der Infektionsnachverfolgung kommt.

Diese eklatanten Wissenslücken, die bei einem neuartigen Virus zunächst wenig verwunderlich sind, nutzen immer mehr Einflussnehmer für ihre eigenen Zwecke aus. Weil weiterhin nicht ganz klar ist, wie bedeutend Kinder bei der Weitergabe des Virus sind, erwägen viele nun ernsthaft, auch möglichst viele Kinder gegen das Coronavirus zu impfen. Dabei ist die Verträglichkeit der neuen Impfstoffe bei Kindern ein einziges Fragezeichen.

Immer weiter entfernt man sich von dem Motto „Schützt die Risikogruppen“ hin zur neuen Mission, die gesamte Bevölkerung zu impfen. Immer dreister wird versucht, den Nicht-Geimpften die Schuld für Online-Unterricht und Maskentragen in die Schuhe zu schieben. Sie versuchen von den wahren Gründen für die fortgeltenden strengen Maßnahmen abzulenken, welche sie selbst zu verantworten haben: eine marode Infrastruktur, fehlende Investitionen in Luftfilter und eine völlig unterfinanzierte Forschung, die sich nach naturwissenschaftlichen und nicht nach profitorientierten Maßstäben richtet.

Fakten statt Angst

Auch mit Angst lässt sich Politik machen. Dieses Prinzip war vielen Politikern lange vor Corona bekannt. Um die aktuelle Krise in den Griff zu bekommen, brauchen wir allerdings Entschlossenheit und Fakten. Besonders bei fortschreitender Impfkampagne erwies sich der vielgenutzte Inzidenzwert als wenig aussagekräftig. Erfasst werden verstärkt mittelschwere und schwere Krankheitsverläufe. Angebracht wäre eine Kennzahl, die schwere Krankheitsverläufe, beispielsweise auf der Intensivstation, in Relation zum gesamten Infektionsgeschehen und zu den verfügbaren Kapazitäten in den Krankenhäusern setzt. Auf diese Weise könnte das Gefährdungspotenzial des Virus deutlich treffender ermittelt werden.

Beide Seiten bei der Impfkampagne könnten von dieser Versachlichung profitieren. Die Übergänge könnten wieder durchlässiger werden. Man könnte wieder Debatten führen, ohne der anderen Seite das Gefühl zu geben, ein schlechter Mensch zu sein. Wir kommen nur gemeinsam durch die Pandemie. Lagerkämpfe bringen uns da nicht weiter.


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Noch vor einigen Monaten konnten es die meisten kaum erwarten: Die ersten Impfstoffe standen in Deutschland kurz vor der Zulassung. Seitdem hat die Impfkampagne verschiedene Phasen durchgemacht. Nachdem nach deutlichen Startschwierigkeiten endlich genügend Impfstoff für alle da war, wich die Impfvorfreude einer regelrechten Impfeuphorie. Fast allen Menschen in Deutschland konnte ein Impfangebot gemacht werden. Der Fortschritt zeigte Wirkung, die Infektionszahlen schmolzen dahin. Seitdem verliert auch die Impfung zusehends an Popularität. Maßgeblichen Anteil daran haben die Vergünstigungen und Freiheiten, die neuerdings wieder ohne Pieks verfügbar sind.

Unzivilisierte Ungeimpfte

Wieder Ärger mit der Impfkampagne: Doch dieses Mal liegt die Schuld nicht bei Politik und Regierung. Stattdessen ist etwas eingetreten, was vor wenigen Wochen noch völlig undenkbar schien. Reihenweise verzichten Bürgerinnen und Bürger auf ihre Zweitimpfung. Anstatt aber geordnet und zivilisiert abzusagen, kreuzen viele einfach nicht zu ihren Terminen auf. Diesen Menschen scheint nicht bewusst zu sein, welchen Schaden sie der Impfkampagne und dem Kampf gegen die Pandemie damit zufügen.

Denn immerhin geht es hier nicht um geplatzte Kontrolltermine beim Zahnarzt. Es ist noch nicht lange her, da waren Impfstoffe absolute Mangelware. Besonders Deutschland trat beim Thema Impfen unbeholfen auf der Stelle, während Länder wie Israel den Einwohnern ein umfangreiches Impfangebot machen konnten. Erst mit der Zeit kamen die Impfungen in Deutschland ins Rollen. Im Sommer 2021 ist die Impfpriorisierung auch hierzulande weitgehend aufgehoben. Umso ärgerlicher ist es, wenn manche Leute kurzfristig und ohne Vorankündigung einen Rückzieher machen.

Sie nehmen damit anderen Menschen die Möglichkeit, sich zeitnah impfen zu lassen. Manche von ihnen fielen zwar nicht in die Priorisierungsgruppen, haben eine Impfung aber aus anderen Gründen nötig. Lange hofften sie auf die Zulassung wirksamer Impfstoffe. Und nun dürfen sie wegen solch rücksichtsloser Menschen unnötig lange auf ihre Impfung warten.

Sanktionen gegen die Impfdeserteure

Diese Spätzünder unter den Impfverweigerern kamen reichlich spät auf den Trichter, dass sie allein die Erstimpfung gegen jegliche Varianten des Coronavirus schützt. Ihre Entscheidung mag fragwürdig erscheinen, ist aber wohl nicht zu ändern. Das unentschuldigte Fehlen bei der Zweitimpfung ist aber bestimmt nicht die logische Schlussfolgerung daraus. Dieses Verhalten ist nachhaltig rücksichtslos und zeugt außerdem von einer absoluten Rückgratlosigkeit.

Anstatt sich einzugestehen, dass man die Impfung für völligen Quatsch hält oder einfach keine Lust auf die zu erwartenden Nebenwirkungen hat, gibt man lieber dem sozialen Druck nach und macht gehorsam einen Impftermin aus. Weil man durch die Erstimpfung seine Pflicht als guter Bürger erfüllt hat, kann man den Termin zur Zweitimpfung guten Gewissens sausen lassen. Soweit die Logik der ewig Erstgeimpften.

Manche befürworten nun allen Ernstes, Sanktionen gegen solche Menschen zu verhängen. Das ist traurig, aber scheinbar bitter nötig. Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass die körperliche Unversehrtheit eines jeden einzelnen immer im Vordergrund stehen muss. Wer sich keinen Impfstoff injizieren lassen möchte, der sollte diese Freiheit weiterhin haben. Es darf nicht der Eindruck entstehen, die Menschen würden wegen ihrer Impfentscheidung bestraft, sondern einzig und allein wegen ihres rücksichtslosen Verhaltens ihren Mitmenschen gegenüber.

Die Alibi-Impfung

Dabei ist schon auffallend, wann die Bereitschaft zur Zweitimpfung nachgelassen hat. Die versäumten Termine liefen erst dann aus dem Ruder, als die Inzidenzwerte ins Bodenlose rauschten. Mit sinkenden Infektionszahlen nahm also auch die Impfbereitschaft ab. Vielleicht redeten sich manche Leute ein, bei einer scheinbar niedrigeren Bedrohungslage durch das Virus, könnte auf die Zweitimpfung verzichtet werden. Immerhin bedeuten die niedrigen Infektionszahlen auch, dass in vielen Bereichen kräftig gelockert wird.

So ist es seit einigen Wochen fast bundesweit nicht mehr nötig, eine vollständige Impfung oder einen tagesaktuellen negativen Corona-Test vorzuweisen, wenn man am normalen Leben teilnehmen möchte. Ungeimpfte sind nun nicht mehr verpflichtet, sich regelmäßig ein Wattestäbchen in die Nase rammen zu lassen, um ins Kino, in die Bar oder ins Restaurant zu gehen. Weswegen sollte man dann noch die Zweitimpfung über sich ergehen lassen? Immerhin ist allgemein bekannt, dass die Nebenwirkungen der meisten Präparate bei der Zweitimpfung deutlich heftiger ausfallen.

Diese Bürde möchte man natürlich nicht auf sich nehmen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Außerdem hat man mit der Erstimpfung ja bereits unter Beweis gestellt, dass man den Kampf gegen das Virus im Rahmen der Möglichkeiten unterstützt. Niemand kann erwarten, dass man womöglich schwere Nebenwirkungen in Kauf nimmt, ohne das unmittelbar etwas dabei herausspringt.

Das Misstrauen kehrt zurück

Diese offensichtliche Denkweise entlarvt die angebliche Solidarität auf dem Weg zur Herdenimmunität als ein bloßes Scheinargument. Dass eine große Zahl an vollständig Geimpften ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Pandemie ist, spielt für viele Menschen zwar eine Rolle, viel wichtiger sind aber die Vergünstigungen, die nach einer Impfung winken. Die Vereinbarung eines Impftermins ist bei vielen leider auf nichts anderes zurückzuführen als sozialen Druck und die Sehnsucht nach einem Mindestmaß an Bequemlichkeit. Dafür nimmt man auch gerne die Nebenwirkungen in Kauf und tut nebenbei noch etwas Gutes. Entfällt diese Notwendigkeit aber, schwindet auch die Impfbereitschaft.

Dann bricht eine andere Denkweise wieder Bahn, die seit vielen Jahren unbemerkt vor sich hingegärt hat. Denn die Käuflichkeit der Politik hat auch vor Medizin und Pharmakonzernen nicht haltgemacht. Viele Menschen wissen heute nicht mehr, was und wem sie glauben sollen und welche Interessen tatsächlich hinter bestimmten Vorhaben stehen. Dieses pauschale Misstrauen wurde von der allgemeinen Furcht vor dem Virus und der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zur Normalität zeitwiese überdeckt. Die Menschen hofften auf ein Wundermittel gegen das völlig neuartige Virus, das wie aus dem Nichts kam. Verständlicherweise sah die überwältigende Mehrheit die Impfung als den aussichtsreichsten Weg aus der Pandemie.

Als die Politik dann auch noch Lockerungen für Geimpfte zusicherte, gab es für viele kein Halten mehr. Die Aussicht auf ein Stück wiedergewonnene Normalität ließ viele die Bedenken gegen profitgetriebene Pharmaunternehmen zunächst vergessen. Doch schon heute argwöhnt viele, wie aggressiv die Politik die Impfung bewirbt. Manche fallen dann leichter auf Verschwörungstheorien herein, obwohl die eigentliche Intention der Impfwerbung doch der Schutz der Bevölkerung ist.


Doch immer mehr Menschen interessiert das nicht. Nach zahlreichen aufgedeckten Bezahlstudien und einem politischen Gebaren, das eher entzweit als eint, verzichten sie eher auf die Zweitimpfung, wenn es ihrer Meinung nach nicht unbedingt nötig ist. In ihnen schwelt ein Kampf zwischen Misstrauen und Bequemlichkeit. Der Sieger dieses Kampfes hängt von der jeweiligen Infektionslage ab. Immer offensichtlicher wird, dass nicht nur überfüllte Krankenhäuser und überforderte Gesundheitsämter in der Pandemie Zeugnis dafür sind, was in den vergangenen Jahren schieflief.


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Nachträglicher Blankoscheck

Lesedauer: 6 Minuten

Die Impfkampagne kommt in Deutschland allmählich in die Gänge. Eine beachtliche Zahl an Menschen hat bereits die Erstimpfung erhalten. Manche sind sogar bereits komplett durchgeimpft. Die Impfung ist ein wichtiger Meilenstein im Kampf gegen die Pandemie. Der Bundestag hat darum jüngst beschlossen, dass Geimpfte und Genesene von einem Teil der Beschränkungen ausgenommen werden. Diese Lockerungen betreffen aber zunächst nur den privaten Bereich, in dem viele Menschen seit Monaten munter gegen die Auflagen verstoßen. Kaputtgesparte Krankenhäuser und unterbesetzte Gesundheitsämter lassen eine Öffnung des öffentlichen Bereichs weiter nicht zu.

Ein Stückchen mehr Freiheit

Worauf viele seit Monaten gehofft haben, hat der Bundestag nun in der vergangenen Woche beschlossen: Die Grundrechtseinschränkungen von Geimpften und Genesenen werden teilweise zurückgenommen. Wer vollständig gegen Covid-19 geimpft ist oder in den vergangenen sechs Monaten eine Erkrankung überstanden hat, ist fortan mit negativ getesteten Personen rechtlich gleichgestellt.

Die Entscheidung wurde von vielen sehnsüchtig erwartet. Immerhin gelten entsprechende Regelungen in an deren Ländern schon seit längerem. Im Gegensatz zu Deutschland haben in diesen Ländern bereits weit mehr Menschen eine vollständige Impfung gegen das Virus erhalten. Trotzdem ist es richtig, die Grundrechtseinschränkungen laufend zu überprüfen und zurückzunehmen, falls der Grund für die Einschränkungen wegfällt.

Testpflicht statt Impfpflicht

Bis zuletzt hat sich in diesem Zusammenhang besonders Bundesjustizministerin Christine Lambrecht gegen den Begriff „Privilegien“ gesperrt. Und sie hat völlig recht: Die Rückgabe elementarer Grundrechte ist keine edelmütige Tat, es ist keine staatliche Großzügigkeit, es ist eine Selbstverständlichkeit. Der Wegfall der umfassenden Einschränkungen ist auch verantwortbar, wenn ein adäquates Mittel gefunden ist, das Neuinfektionen verhindert, ohne dass Menschen auf einige ihrer Grundrechte verzichten müssen.

Eine vollständige Impfung gegen das Virus allein reicht hier nicht. Bislang ist weiter ungeklärt, mit welcher Wirksamkeit die Impfstoffe Infektionen und schwere Krankheitsverläufe verhindern. Die Zahlen, die dabei immer wieder in den Raum geworfen werden, basieren auf Testverfahren, die nach weniger als einem Jahr abgeschlossen wurden. Niemand kann bei einer solch verkürzten Forschungsphase seriös die Wirksamkeit oder die Unwirksamkeit eines Präparats belegen.

Nach aktuellem Kenntnisstand beugen die Impfstoffe zwar einem schweren Krankheitsverlauf vor, die Weitergabe des Virus wird aber nur unzureichend verhindert. Genau darum sollte es beim Kampf gegen die Pandemie aber gehen. Im Vordergrund sollte der Schutz der Gemeinschaft stehen. Dieses Ziel wird am besten erreicht, wenn man dafür sorgt, dass man möglichst wenige Menschen ansteckt. Eine Impfung kann ein erster Schritt dazu sein, reicht aber bei weitem nicht aus. Viel sinnvoller wäre die Aufrechterhaltung der Testpflicht für alle Menschen. Auch die Tests arbeiten nicht immer ganz zuverlässig, können im Zweifelsfall aber Infizierte gezielt isolieren, anstatt ihnen einen Freibrief auszustellen.

Es ist kein Wunder, dass viele Menschen die Lockerungen für Geimpfte als Privilegien verstehen, wenn für sie mit der Impfung der Kampf gegen die Pandemie endet. Solange nicht klar ist, dass Geimpfte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit keine Überträger des Virus mehr sein können, muss auch für diese Gruppe die Testpflicht weiterhin gelten. Stattdessen dürfen sie nach der Impfung genau das wieder tun, was viele von ihnen seit Monaten sowieso wieder tun.

Infektionen im Verborgenen

Ausgerechnet die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen fallen für Geimpfte als erstes. Dabei tummeln sich die Menschen seit Monaten eng an eng in deutschen Wohnzimmern. Die bisher geltenden Besuchsregelungen handhaben viele äußerst lax oder setzen sich grundsätzlich darüber hinweg. Aus rein menschlicher Sicht fällt es schwer, dem etwas entgegenzusetzen. Als soziales Wesen braucht der Mensch die Begegnungen und den Austausch mit anderen. Regelmäßige Skype-Sessions und Telefonate können das auf Dauer nicht ersetzen. Eine Infektionsnachverfolgung im privaten Raum ist allerdings wesentlich schwieriger als in öffentlichen Einrichtungen.

Wenn der Staat als erstes diese Regelungen zurücknimmt, tut er sich damit keinen Gefallen. Schon jetzt entziehen sich die privaten Haushalte völlig zurecht der staatlichen Kontrolle. Anstatt möglichen Infektionstreibern mit den nun zugesprochenen Lockerungen einen Blankoscheck auszustellen, würde es deutlich mehr Sinn machen, sie aus den schwer kontrollierbaren Bereichen herauszuholen. Kombiniert mit den jetzt beschlossenen Lockerungen führt der schwache Infektionsschutz der Impfungen zu einer Reihe nicht erkannter Infektionen, die das Infektionsgeschehen weiter anheizen werden. Hätten die Menschen stattdessen die Möglichkeit, sich in Bereiche zu begeben, in denen Infektionen zumindest teilweise nachverfolgt werden können, würde das die Infektionslage deutlich schneller beruhigen.

Experimentieren mit Halbwissen

Bei solchen Lockerungen wäre allerdings der Staat in der Pflicht. Das öffentliche Leben bedeutet auch öffentliche Verantwortung. Der Staat müsste dafür sorgen, dass die Gastronomie und kulturelle Einrichtungen die ihnen auferlegten Maßnahmen effektiv umsetzen können. Unterbesetzte Gesundheitsämter und kaputtgesparte Krankenhäuser führten jedoch bereits in der ersten Welle der Pandemie dazu, dass die Hygienemaßnahmen in diesen Betrieben in vielen Fällen ins Leere liefen. Dort entstandene Infektionen konnten bald nicht mehr nachverfolgt werden, weil den Behörden schlicht das Personal fehlte.

Die großzügigen Öffnungen im privaten Bereich entlassen den Staat aus dieser Pflicht. Die Geimpften und Nur-so-halb-Corona-Immunen tragen die Verantwortung allein. Trotz fehlender fundierter Erkenntnisse, gaukelt man dieser Gruppe vor, dass von ihr eine weitaus geringere Infektionsgefahr ausgeht als von Ungeimpften. Das kann sogar stimmen. Gesichert ist dieses Wissen aber nicht.

Auf wackeligen Beinen

Gerade in dieser Situation wäre es umso nötiger, die Lockerungen kontrolliert zu vollziehen. Es muss nachvollziehbar bleiben, an welchen Stellen sich Menschen weiterhin anstecken und in welcher Häufigkeit das geschieht. Im privaten Bereich wird das selbst mit stark besetzten und hochdigitalisierten Gesundheitsämtern nur schwer möglich sein. Die voranschreitende Impfkampagne wäre in Kombination mit einer strikten Testpflicht ein großer Schritt zu mehr Normalität gewesen. Gleichzeitig hätten viele gastronomische und kulturelle Betriebe und Geschäfte des Einzelhandels aus ihrer Zwangssiesta erwachen können.

Man hat diese Chance nicht genutzt. Stattdessen lässt man den Zug der Lockerungen ähnlich unkontrolliert rollen wie bereits in der ersten Welle der Pandemie. Die gebeutelte Wirtschaft lässt man damit erneut im Stich. Wenn beizeiten keine geeigneten Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, ist der nächste Lockdown nur eine Frage der Zeit.


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