Fatale Dynamik

Lesedauer: 8 Minuten

Mehr Waffen erhöhen die Resilienz. Angesichts der unfassbaren Tat in Uvalde am 24. Mai 2022 klingt dieser Satz wie aus einer anderen Welt. Vor knapp zwei Wochen lief dort ein 18-jähriger Täter in einer Grundschule Amok. Er tötete 21 Menschen und zerstörte das Leben von weitaus mehr. Die Bewohner der Kleinstadt, die USA, die ganze Welt ist entsetzt über diese Bluttat. Gleichzeitig fliegen an vielen anderen Orten die Bomben und scharfe Munition wird verschossen. Es wird Zeit, die lobbykratische Geisterfahrt zu beenden und endlich einzusehen, dass Waffen niemals nur der Verteidigung dienen.

Die texanische Kleinstadt Uvalde ergänzt seit dem 24. Mai 2022 die Liste der Städte, in denen sich ein unfassbares Massaker ereignet hat. Der 18-jährige Täter marschierte dort schwer bewaffnet in die Robb Elementary School. Er tötete neunzehn Grundschüler und zwei Lehrerinnen. Zahlreiche weitere Personen wurden bei dem Amoklauf verletzt. Den Täter traf schließlich eine Polizeikugel tödlich. Die 15.000 Einwohner große Ortschaft im Südwesten Texas bleibt fassungslos zurück.

Traurige Routine

Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Besonders US-amerikanische Städte erlangen durch solche Vorfälle immer wieder traurige Bekanntheit. Doch auch in Deutschland sind derartige Exzesstäter leider keine Seltenheit. Die Tat in Uvalde weckt schmerzhafte Erinnerungen an die Amokläufe in Winnenden, in Heidelberg und in Erfurt. Letzterer jährt sich 2022 zum zwanzigsten Mal.

Die Bilder sind nach jedem Angriff die gleichen: Absperrbänder vor den Schulen, Polizisten, die Menschen aus dem Gebäude in Sicherheit bringen, weinende Angehörige, die angesichts dieser Taten zusammenbrechen. Jeder kennt diese Bilder. Jeder kennt aber auch die salbungsvollen Worte, die Politiker nach sämtlichen solcher Angriffe routiniert in die Kameras sprechen: Die Waffengesetze müssen verschärft werden.

Auch US-Präsident Joe Biden beeilte sich nach dem jüngsten Amoklauf, strengere Regeln beim Waffenverkauf in Aussicht zu stellen. Er vergisst dabei, dass viele seiner Vorgänger mehrmals in ihren Amtszeiten von ähnlichen Restriktionen gesprochen haben. Nichts hat sich seitdem geändert: Die Amokläufe gingen weiter, Familien wurden zerstört, Politiker erzählen die gleichen Lügen.

Im Waffenrausch

Joe Biden hat dieses Mal ein ganz besonderes Glaubwürdigkeitsproblem: Erst im vergangenen Jahr hatte der texanische Gouverneur Greg Abbott die Waffengesetze weiter gelockert und es Tätern wie Salvador Ramos spielend leicht gemacht, solche Taten zu verüben. Solche Gesetze begünstigen nicht nur Amokläufe an Schulen: Auch Supermärkte und andere Einrichtungen wurden in den letzten Jahren immer wieder Schauplatz brutalster Verbrechen. Erst vor knapp zwei Wochen eröffnete ein ebenfalls 18-jähriger Täter in einem Geschäft in Buffalo das Feuer und tötete dabei zehn Menschen.

Jeder weiß, dass kein einziger Politiker in den USA die Waffengesetze wirklich verschärfen möchte. Viel zu tief sind die Amtsträger mit der Waffenlobby verstrickt. Heute kommt quasi jeder Bürger der USA völlig legal an potentiell tödliche Schusswaffen. Die Hersteller hätten mit einem bösen Umsatzrückgang zu rechnen, würde in die amerikanische Waffenpolitik endlich Vernunft einziehen.

Auch international zeigen sich die USA in Punto Waffenhandel und -lieferungen selten bescheiden. Ungeniert diktieren sie anderen Nationen, mindestens 2 Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Waffen auszugeben. Weltweit sind die USA Spitzenreiter bei den angeblichen „Verteidigungs“-Ausgaben.

Fatale Dynamik

Das Argument der Verteidigungsfähigkeit ist eine uralte Legende, um höhere Rüstungsausgaben zu rechtfertigen. Die Regierungen der Welt stecken Unsummen in Waffen und Kriegsgerät, um für den Ernstfall vorbereitet zu sein. Auch Bündnispartnern steht man mit großzügigen Waffenlieferungen gerne zur Seite. Putin hat diese Logik weiter eskalieren lassen und nennt seinen Angriff auf die Ukraine nun einen Präventivkrieg, der den angeblich kriegslüsternen Bestrebungen der NATO etwas entgegensetzen soll.

Das Beispiel Ukraine zeigt deutlich, dass Aufrüstung immer eine gefährliche Spirale in Gang setzt. Keine Seite wird es jemals hinnehmen, dass andere Länder signifikant mehr in Rüstung stecken als man selbst. Steigende Rüstungsausgaben sind immer eine Provokation gegenüber anderen Staaten. Sie mögen die Gefechtsfähigkeit des eigenen Landes aufwerten, erhöhen aber immer die Kriegsgefahr. Im atomaren Zeitalter ist dieses Wettrüsten besonders gefährlich, weil territoriale Konflikte schnell zu einem globalen Inferno ausarten können.

Waffen für’s Schaufenster gibt es nicht. Es ist eine Lüge, wenn man behauptet, man besorgte sich nur deshalb Waffen, um anderen zu zeigen, wozu man unter gewissen Umständen in der Lage wäre. Wer sich eine Waffe anschafft, hat in letzter Konsequenz immer vor, diese auch einzusetzen. Salvador Ramos hat sich sein Gewehr nicht zugelegt, um damit ausschließlich auf Instagram zu prahlen. Er hatte ganz genau geplant, wo und wann diese Waffe zum Einsatz kommen sollte.

Lobbykratischer Realitätsverlust

Taten wie solche in Uvalde passieren in den letzten Jahren immer wieder. Die Täter sind in den meisten Fällen männlich. Bevorzugt schlagen sie an Orten zu, wo sich viele Menschen auf wenig Raum versammeln, zum Beispiel in Einkaufszentren oder in Schulen. Doch noch etwas anderes fällt ins Auge: Sehr viele dieser Taten ereignen sich in den USA. Immer wieder greifen Menschen dort zu Schusswaffen und richten Blutbäder an. Die Skrupellosigkeit und Brutalität der Täter erschüttern immer wieder, obwohl ähnliche Taten auch schon in Deutschland passiert sind.

Liegt es ausschließlich an den laxen Waffengesetzen, dass die USA immer wieder Schauplatz solch verheerender Taten werden? Sicher ist nicht nur die Rechtslage der Grund für die völlige Enthemmung der Amokschützen. Trotzdem hängt das eine direkt mit dem anderen zusammen. Viele Waffen in den USA sind nicht deshalb legal, weil führende Politiker Waffen per se für harmlos halten. Sie wissen um die Gefahren scharfer Waffen, haben sich aber in einem für sie sehr bequemen Lobbyumfeld eingerichtet.

Krankende Gesellschaften

Die schier grenzenlose Lobbyhörigkeit in den USA ist Ausdruck eines zutiefst kapitalistischen Politik- und Gesellschaftsverständnisses: Wer das beste Angebot vorlegt, bekommt den Zuschlag, egal, ob die Vorhaben moralisch vertretbar sind. Gepaart mit einer psychisch immer ungesünderen Gesellschaft sind Massaker wie in Uvalde vorprogrammiert.

Denn der große Einfluss von Lobbys und Wirtschaft auf die Lebenswirklichkeit der Menschen hinterlässt deutliche Spuren. Ist der Markt erst einmal entfesselt und wird keiner kapitalistischen Fantasterei Grenzen gesetzt, kommen die Menschen mit Fair Play immer weniger vom Fleck. In dieser Umgebung wächst eine Ellbogengesellschaft heran, der nicht jeder Zeitgenosse gewachsen ist. Viele menschliche Bedürfnisse bleiben auf der Strecke und die Gesellschaft entwickelt sich unweigerlich in eine fatale Richtung.

Es entsteht eine Gesellschaft der Individuen, in welcher der Zusammenhalt immer weniger zählt. Niemand gibt mehr auf den anderen Acht und so fällt gar nicht auf, dass einige wenige einem krankhaften Wahn verfallen. Wenn Politiker dann davon sprechen, man müsse mehr Geld in Waffen und Kriegsabenteuer investieren oder dass Lehrerinnen und Lehrer noch schwerer bewaffnet werden müssten, rechtfertigt das die menschenverachtende Weltsicht solcher Psychopathen.


Viele Länder dieser Welt haben mit krankenden Gesellschaften zu kämpfen. In ihnen scheint kein Platz mehr zu sein für Rücksicht und Verständnis. Die Menschen in diesen Ländern fühlen sich immer machtloser gegenüber politischen Entscheidungen, die zwar ihre Leben beeinflussen, bei denen sie aber nur wenig Mitspracherecht hatten. Es kommt zu persönlicher Isolation und manchmal eben auch zu Übersprungshandlungen. Erlaubt der Staat dann fast allen Menschen, eine Waffe mit sich zu führen, drückt der eine oder andere tatsächlich ab. Uvalde hätte verhindert werden können. Genau so wie andere Taten, die noch kommen werden.


Mehr zum Thema:

Die Gesellschaft der Fremden

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Auf dem Weg zur Transparenz?

Lesedauer: 8 Minuten

Ende des vergangenen Monats ging ein Aufatmen durch die Reihen der Lobbykritiker in der Republik. Der Bundestag hat endlich ein Lobbyregister verabschiedet, welches die Anstrengungen und Unternehmungen von Interessensvertretern zumindest teilweise ersichtlich macht. Teile der Opposition bemängeln zwar, dass dem neuen Register einiges an Biss fehlt, sie müssen aber auch zugeben, dass das Engagement der Großen Koalition nun endlich in die richtige Richtung geht. Viel zu lange war vielen nicht klar, welch ernsthaftes Problem ein eskalierender Lobbyismus in unserer Gesellschaft darstellt und dass es längst geeignete Mittel gibt, ihn in Grenzen zu halten.

Wenn die Masken fallen

Nach der Aufdeckung der jüngsten Lobbyskandale kommt das politische Berlin weiter nicht zur Ruhe. Die fragwürdigen Lobbytätigkeiten einzelner Abgeordneter sind sicher nicht das einzige Problem, dass die Politiker in der Bundeshauptstadt umtreibt. Die schleichend langsame Impfkampagne, der nun auch noch ein Impfstoff teilweise weggefallen ist, setzt die Abgeordneten zusätzlich unter Druck. Die Machenschaften von Nüßlein & Co. haben ganz bestimmt nicht zur Beliebtheit und erst recht nicht zur Glaubwürdigkeit der Mandatsträger beigetragen. Mit den halbseidenen Maskendeals und geheimen Absprachen wird einmal mehr klar, dass die Politik in Deutschland mit einem strukturellen Problem zu kämpfen hat.

Denn so kritikwürdig das Verhalten von Georg Nüßlein, Nikolas Löbel und anderen auch sein mag: Es ist letztendlich nur die Spitze des Eisbergs. Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu fragwürdigen Verstrickungen von Politikern. Da waren die falschen Doktortitel eines Herrn zu Guttenberg und einer Frau Schavan, die riskanten Spekulationen mit Steuergeldern im Zuge des Mautdebakels von Andy Scheuer und nicht zuletzt die Zahnlosigkeit der Politik beim Wirecard–Skandal. Über alle diese Vorkommnisse regt sich die Öffentlichkeit völlig zurecht auf. Sie kann sich aber nur deshalb darüber aufregen, weil es diese Fälle überhaupt an die Öffentlichkeit geschafft haben. Es ging nicht selten um jede Menge Geld und natürlich ruft das die Medien auf den Plan. Bedenklich sind aber nicht die einzelnen Verfehlungen von Abgeordneten, sondern die Umstände, die solche Fehltritte geradezu begünstigen.

Fragwürdige Altersvorsorge

Georg Nüßlein und seine Mannen sind doch nur der extremste Auswuchs eines außer Kontrolle geratenen Lobbyismus in der Politik. Seit vielen Jahren gehen Lobbyvertreter ein und aus in wichtigen Gremien, Ausschüssen und Ministerien. Nun ist das Geschrei wieder groß und die Union stimmt beinahe freudig in diesen Klagechor mit ein. Sie ist um Schadenbegrenzung bemüht und will ihr Image wieder aufpolieren. Die Sündenböcke des jüngsten Skandals kommen ihr da gerade recht. Auf keinen Fall will diese Partei es zulassen, dass sich irgendetwas an den günstigen Umständen für Lobbyismus ändert.

Machen wir uns nichts vor, viele Politikerinnen und Politiker haben sich längst damit abgefunden, dass mit Rückgrat und altruistischen Werten im heutigen Politikbetrieb kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Viel zu sehr sind sie mit ihrem persönlichen Aufstieg beschäftigt. Ehrlichkeit und treue Verbundenheit mit den Wählern kommt da nicht allzu gut. Schließlich wissen die Abgeordneten, dass ihre Zeit im Bundestag begrenzt ist. Die Wiederwahl ist nicht immer automatisch in trockenen Tüchern. Da will für die Zeit danach gründlich vorgesorgt sein. Und so hat sich im Laufe der Jahre eine Praxis etabliert, die sich treffend mit dem Motto zusammenfassen lässt – „Bezahlt wird später“.

Auf baldiges Wiedersehen

Um nicht wie Nüßlein oder Löbel auf der Schlachtbank der öffentlichen Empörung zu landen, vermeiden es die meisten Politiker tunlichst, während ihrer Amtszeit mit Lobbytätigkeiten in Verbindung gebracht zu werden. Kungeleien mit Lobbyisten stehen dennoch auf der Tagesordnung. Rein vorsorglich erweisen sie mächtigen Konzerninteressen den ein oder anderen Gefallen, denn man weiß ja nie, was einen nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik erwartet. Nicht selten wechseln manche dieser Damen und Herren völlig unverblümt in ebenjene Branchen, denen sie als Mandatsträger im Bundestag noch so wohlgesonnen gegenüberstanden. Durch versprochene Posten in Aufsichtsräten oder in den Führungsetagen erkaufen sich manche Konzerne fast ganz legal die Unterstützung aus der Politik.

Es ist immerhin nicht verboten, dass ehemalige Abgeordnete in die Wirtschaft wechseln. Im Laufe der Jahre hat man zwar sogenannte Karenzzeiten eingeführt, um Interessenkonflikte zu vermeiden, doch sind diese Zwangspausen für viele Betroffene durchaus hinnehmbar. Um den Einfluss mächtiger Wirtschaftsakteure auf die Politik effektiv einzudämmen, braucht es deutlich längere und schärfere Karenzregeln. Wenn man es Politikerinnen und Politikern beispielsweise generell untersagt, nach ihrer politischen Karriere in die Branchen einzutreten, mit denen sie vorher von Amts wegen zu tun hatten, wäre das sicherlich ein großer Gewinn für unsere Demokratie.

Wenn ein Job nicht reicht

Aber ob mit oder ohne Karenzzeiten lassen sich manche Politiker bereits als Abgeordnete von Lobbyvertretern und Unternehmen bezahlen. Einerseits wären da die Parteispenden, die bei manchen Parteien wirklich jeden feierlichen Rahmen sprengen. Aber auch unter der Hand verdient sich der eine oder die andere neben der Abgeordnetentätigkeit ein nettes Zubrot. Sie scheinen dabei völlig zu vergessen, dass die Abgeordnetendiäten ebendiesen Einkommensverlust kompensieren sollen. Man spricht in diesem Zusammenhang schließlich nicht umsonst von Entschädigungen.

Müssten alle Abgeordneten ihre Nebeneinkünfte, welcher Natur auch immer, offenlegen – man kann die öffentliche Entrüstung förmlich spüren. Dann würde nämlich klarwerden, dass sich mancheiner neben seiner Tätigkeit als Berufspolitiker eine goldene Nase verdient. Auch diese Vorgehensweise wird momentan nicht durch zielführende Regelungen eingedämmt.

Hartz-IV für Politiker

Für viele ist es völlig unverständlich, warum eine Kassiererin wegen eines eingesteckten Leergutbons fristlos entlassen wird und praktisch vor dem Nichts steht, während sich Investmentbanker oder auch Politiker nach wesentlich größeren Skandalen auf Staatskosten sanieren lassen. Die meisten Hartz-IV – Empfänger haben kein Verständnis dafür, dass bei ihnen immer dreimal hingeschaut wird und Politiker mit ihren Nebeneinkünften völlig unbehelligt satte Gewinne einfahren. Diese Empörung ist vollkommen berechtigt. Und zwar nicht, weil die Kassiererin oder der Sozialhilfeempfänger einen Persilschein verdient haben, sondern weil sich auch „die da oben“ gefälligst an Recht und Ordnung zu halten haben.

Was wäre denn, wenn man den Nebeneinkünften von Politikern die gleichen Regelungen zugrundelegen würde, mit denen auch die Einkommensschwächeren zurandekommen müssen? Wenn die teilweise üppigen Nebenverdienste der selbsternannten Volksvertreter 1:1 von deren Diäten abgezogen werden würden? Immerhin soll dieses Geld genau diese Nichteinkünfte ausgleichen. Fließt doch Geld auf das Konto, dann sind diese Entschädigungsleistungen doch zumindest teilweise unbegründet.

Und selbst wenn manche Politiker es nötig haben, nebenher einer anderen Tätigkeit nachzugehen, muss immer gewährleistet sein, dass dieses Engagement nicht in Konkurrenz zu ihrer Abgeordnetentätigkeit steht. Deswegen ist es bestimmt auch sinnvoll, wenn die Nebenverdienste von Politikern stets weniger als die Hälfte ihrer Diäten betragen müssen. Nur so kann effektiv sichergestellt werden, dass sie hauptberuflich die Interessen der Wählerinnen und Wähler und nicht die von irgendwelchen Arbeitgebern vertreten.

Auf dem Weg in die Lobbykratie

Nun hört man in der Debatte um ein Lobbyregister häufig Totschlagargumente, die das freie Mandat in Gefahr sehen. Natürlich muss es in einer Demokratie eine gesunde Portion Lobbyismus geben. In der parlamentarischen Demokratie geht es in erster Linie nun einmal um Interessensvertretung. Es ist daher sinnvoll, wenn sich Interessensverbände zusammenschließen und die Interessen von vielen Menschen gebündelt vortragen. Es fällt aber schon auf, dass die Interessen aus der Wirtschaft, vorsichtig formuliert, überproportional vertreten sind.

Das hat mit dem freien Mandat dann nichts mehr zu tun. Denn die Privilegien, die Abgeordnete genießen, gehen auch mit ernstzunehmenden Pflichten einher. Die oberste Pflicht ist es, den Wählerwillen zu vertreten. Ein Lobbyregister legt dar, welche Interessen welchen Einfluss bei bestimmten Vorhaben und Gesetzen hatten. Die Verweigerung einer solchen transparenten Dokumentation zeugt von fehlender Demut gegenüber dem Wählerwillen. Ein solches Verhalten steht dem Wählerwillen sogar entgegen.

Außerdem ist es eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie insgesamt, wenn man aufhört, Politik für die Wähler zu machen. Es ist Gift für unsere Gesellschaft, wenn Politiker in die eigene Tasche wirtschaften und meinen, dass sie über Moral und Anstand erhaben sind. Das vermittelt den Eindruck, dass ehrliche und rechtschaffene Politik eine Sackgasse ist. Die Menschen werden sich dann auch in Zukunft berechtigterweise über Schmiergeld- und Lobbyskandale aufregen, aber immer weniger ehrliche Menschen werden sich in den Plenarsaal im Reichstagsgebäude verirren. Mit jeder neuen Enthüllung wird klarer, wie nah wir einer reinen Lobbykratie bereits gekommen sind. Dass Philipp Amthor jüngst auf Listenplatz 1 in Mecklenburg-Vorpommern gewählt wurde, ist der beste Beweis dafür.


Mehr zum Thema:

Vertrauensbildende Maßnahmen

Politik im Hinterzimmer

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Politik im Hinterzimmer

Sigmar Gabriel wechselt zur Deutschen Bank. Diese fragwürdige Personalentscheidung sorgt für reichlich Wirbel und Kontroverse. Während Gabriel selbst seinen Schritt verteidigt, werfen ihm Kritiker reines Machtkalkül vor. Sie sehen in ihm ein fleischgewordenes Opfer von gelebtem Lobbyismus. Und tatsächlich verwundert Gabriels Entscheidung. Wie tief ist der Lobbyismus also in Deutschland verwurzelt? Und kommt eine Demokratie ohne ihn überhaupt aus?

Seit wenigen Tagen ist es offiziell: Der ehemalige Vizekanzler Sigmar Gabriel wird Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Während er in diesem Wechsel von Politik ins Finanzwesen keinen Interessenskonflikt sieht, werfen ihm andere gar einen Bruch mit der Sozialdemokratie vor. Viele befremdet: Gabriel war bis Anfang 2018 offiziell Angela Merkels Stellvertreter als Regierungschef. Bis Ende 2019 war er Mitglied im Deutschen Bundestag. Das vergangene Jahr liegt gerade einmal einige Wochen zurück. Und nun der Wechsel in die oberste Riege des Finanzmarktes. Alles Zufall?

Auf den Spuren von Gerhard Schröder

Ob Gabriel seine Ideale verrät und was man von seiner Berufung in Reihe 1 der Deutschen Bank hält, ist erst einmal zweitrangig. Fakt ist, dass er mit dem Wechsel kein Novum geschaffen hat. Viel eher eifert er weiter seinem großen Vorbild Gerhard Schröder nach. Genau wie der einstige Kanzler war auch Sigmar Gabriel über Jahre Ministerpräsident von Niedersachsen. Beinahe wäre er auch selbst Kanzler geworden. Aber nicht nur Angela Merkel hielt ihn davon ab. Er musste sich mit Rang 2 zufriedengeben. Um diesen Fehler wieder wettzumachen, legt er nach Ende seiner politischen Karriere nun den Turbo in Richtung Wirtschaft ein. Auch Gerhard Schröder wurde fast unmittelbar nach seinem Ausscheiden aus der Bundespolitik Aufsichtsratsvorsitzender der Nord Stream AG.

Von etwaigem Verrat will Gabriel nichts wissen. Er beschwört, dass er allen Kritiken zum Trotz durch und durch Sozialdemokrat bliebe und sich an seinem Verhalten nichts ändern würde. Außerdem verbietet er sich jedwede Unterstellung, er sei ein leichtes Fressen für Lobbyisten. Er beruft sich darauf, dass er in seiner gesamten politischen Laufbahn niemals die Deutsche Bank bevorzugt behandelt hätte. Alles in allem seien seine politischen Berührungspunkte mit dem krisengeschüttelten Finanzhaus äußerst gering gewesen.

Immerhin in diesem Punkt ist er seinem Vorbild Schröder voraus. Während Schröder die Vorhaben der Nord Stream AG immer gefördert hatte, kann man Gabriel tatsächlich keine auffallende Nähe zur Deutschen Bank vorwerfen. Seine Argumentation hinkt aber trotzdem aus zwei Gründen.

Ein Wirtschaftsminister ohne Alibi

Erstens ist es schlicht unglaubwürdig, dass er als Wirtschaftsminister und Vizekanzler keine Nähe zu großen Banken zugelassen haben soll. Unsere Wirtschaft würde ohne Banken überhaupt nicht funktionieren. Natürlich hängt der Wirtschaftsminister einer Nation da mit drin.

Zweitens sind seine Ausreden leicht umkehrbar. Er beteuert, dass er niemals etwas mit Banken am Hut hatte. Das stimmt sogar. Und genau darum mutet es auch so seltsam an, dass gerade er den Aufsichtsratsposten bekommen hat. Die wenigsten studierten Germanisten verirren sich in die vorderen Reihen einer der größten Banken des Landes. Und selbst hartgesottenen Bankern bleibt der Weg dorthin oftmals versperrt. Aber Siggi schafft’s von 0 auf 100 – ganz ohne Gegenleistung. Ist klar.

Zweierlei Maas

Von jeher hatte die Sozialdemokratie zwei natürliche Fressfeinde: den Rechtspopulismus und die Korruption. Beide gehören sie zur Gattung der Demokratieschädlinge. Während die deutsche SPD für Rechtsaußen allerdings nur schwer verdaulich ist, verspeist die Korruption sie zum Frühstück. Ganz deutlich wird das am aktuellen Fall Thilo Sarrazin. Der ehemalige SPD-Politiker hat sich mit seinen kritischen Äußerungen zur Einwanderung muslimischer Bürger unter den Genossen ins Aus manövriert. Erst vor kurzem schloss ihn seine ehemalige Partei aus.

Ganz offensichtlich sehen es die Sozen überhaupt nicht gerne, wenn man in den Kanon der Rechtspopulisten einsteigt. Und mit dem Parteiausschluss haben sie auch recht. Wer solche Ansichten vertritt, der ist in einer sozialdemokratischen Partei schlicht fehl am Platz. Aber sollte das nicht auch für Leute gelten, die sich der Wirtschaft beinahe andienen? Warum zweifelt die SPD nicht an den Idealen des ehemaligen Vizekanzlers? Gerade die Sozialdemokraten sollten doch ein gewaltiges Interesse daran haben, nicht einmal in die Nähe eines Korruptionsverdachts zu geraten. Trotzdem werden Mitglieder wie Sigmar Gabriel geradezu hofiert.

Endstation Politiker?

Irgendwo habe ich die süffisante Frage gelesen, was scheidende Politiker denn sonst machen sollten. Ob es irgendeine Beschäftigung gäbe, für die sie nicht kritisiert werden würden. Schwierig. Ich kann aber nur noch einmal wiederholen, wie merkwürdig es erscheint, wenn ein Mensch wie Sigmar Gabriel so mir nichts dir nichts in die Chefetage einer Bank wechselt, ohne Vorkenntnisse.

Angeblich will er seine sozialdemokratischen Ideale behalten. Wie schön für ihn. Als Abgeordneter könnte er sie allerdings viel besser einbringen als von der Spitze der Deutschen Bank. Sein Verhalten ist durchschaubar: Auf Bundesebene kommt er nicht höher. Kanzler wurde er nie und wird er auch nie werden. Erst recht nicht in der SPD. Der Wechsel zur Deutschen Bank entspringt seinem Machtkalkül.

Wenn Konzerne Gesetze schreiben

Bevor ich jetzt noch unfair werde und Sigmar Gabriel total in Grund und Boden wuchte, vielleicht einmal ein Blick hinter die Kulissen. Gabriel will sich unter gar keinen Umständen als Lobbyist verstanden wissen. Er beruft sich darauf, in seiner politischen Laufbahn die Deutsche Bank zu keinem Zeitpunkt bevorzugt behandelt zu haben. Glauben wir ihm das für den Moment. Das gemeine an Lobbyismus ist allerdings, dass er äußert subtil und verborgen sein kann. Nicht jeder macht’s wie Schröder und lässt sich ganz offensichtlich für seine wohlwollende Politik belohnen.

Dass Lobbyismus die Politik stärker beeinflusst als vielen lieb ist, ist ein unbestreitbarer Fakt. Trotzdem ist Lobbyismus nicht gleich Lobbyismus. Es gibt ihn in verschiedenen Gewändern. Er kann produktiv sein, aber auch eine Blockadehaltung einnehmen. Die deutschen Waffenexporte beispielsweise sind ein gutes Beispiel für produktiven Lobbyismus. Die Waffenschmieden profitieren ganz erheblich und sehr offensichtlich davon, dass Deutschland die Konflikte in Nahost militärisch aufheizt.

Chamäleon Lobbyismus

Die Lebensmittelbranche ist schon ein anderes Kaliber. Gegen die Widerstände großer Konzerne und Lebensmittelhersteller hat die Ernährungsministerin Julia Klöckner keinen größeren Wurf hinbekommen als eine freiwillige Lebensmittelampel. Eine echte Lenkungswirkung lässt sich so nur schwer entfalten. Viele Hersteller müssen also gar nichts tun. Ziel erreicht.

In diesem Fall ist es aber schon schwieriger, einzelnen Konzernen den Vorwurf von Lobbyarbeit zu machen. Solange die Angabe auf Lebensmitteln freiwillig bleibt, können Verweigerer nicht zu Buhmännern gemacht werden. Aber genau so funktioniert Lobbyismus: Einerseits können Gesetze diktiert werden, die eindeutig dem eigenen Vorteil gereichen. Andererseits können nachteilige Gesetze abgewehrt werden. Verantwortliche auszumachen ist besonders in letzterem Fall schwierig. Und das ist auch der Sinn von Lobbyismus. Er operiert vornehmlich verdeckt und ist eben nicht immer durchschaubar. So durchsichtig Sigmar Gabriels neuestes Manöver auch sein mag – aktiven Lobbyismus kann man ihm tatsächlich nicht vorwerfen.

Vielleicht wäre es da leichter gewesen, wäre er ein Politiker auf EU-Ebene. Nur zurecht ist diese politische Instanz als Hotspot des Lobbyismus verschrien. Fälle wie die zweifelhaften Vorhaben von Bayer-Monsanto machen das Parlament der Europäischen Union zum Gespött in der demokratischen Tradition Europas. Gerade erst hat Österreich ein Verbot des Unkrautvernichters Glyphosat in allerletzter Sekunde gekippt. Selbstredend hat der Mega-Konzern, der das Mittel vertreibt, nichts damit zu tun. Es lag an Formfehlern. Für ganz Europa ist ein solches Verbot erst recht nicht in Sicht, obwohl ein erheblicher Teil der Bürger dafür wäre. Die ehemalige EU-Abgeordnete Sarah Wagenknecht beschreibt den Einfluss von Lobbyismus in der EU gar als monströs.

Halb so wild?

So stark ist der Einfluss von Lobbyismus auf Bundesebene zum Glück nicht. Trotzdem gibt es auch dort massive Probleme. Manche werden sich fragen, was denn so schlimm daran sei, wenn auch Unternehmen und juristische Personen ein politisches Mitspracherecht haben. Dazu sei zum einen gesagt, dass hinter jedem Konzern und jeder juristischen Person immer mindestens eine natürliche Person steht. Dieser Mensch kann bereits jetzt schon auf herkömmlichem Wege demokratisch gestalten und mitwirken. Ganz ohne Hinterzimmertreffen.

Es bedarf also keiner lobbyistischen Instrumente, um demokratisch aktiv zu werden. Denn eines ist völlig klar: Lobbyismus ist das Gegenteil von Demokratie. Demokratie ist fair, sie ist transparent und sie ist inklusiv. Lobbyismus hingegen ist von Natur aus eigennützig und egoistisch, er zeichnet sich durch eine hohe Intransparenz aus und ist exklusiv. Einer zieht bei erfolgreichem Lobbyismus also immer den schwarzen Peter.

Lobbykratie vs. Demokratie

Die Macht da oben haben sowieso andere. Alle korrupt. Politiker sind Lügner. Solche Sprüche hat bestimmt jeder schon einmal gehört. Sie sind Zeugnisse einer funktionierenden Lobbykratie. Wenn politische Entscheidungen im verborgenen getroffen werden, braucht sich niemand darüber zu wundern, wenn immer mehr Menschen den Glauben an eine funktionierende Demokratie verlieren. Es sind Personalien wie Sigmar Gabriel, die die Glaubwürdigkeit von Politikern, angeblichen Volksvertretern, weiter untergraben. Gäbe es allerdings verpflichtende Lobbyregister und wirksame Karenzzeiten für scheidende Politiker, hätten sie es erheblich schwerer, ihrem Ruf als notorische Lügner gerecht zu werden.

Doch manche Menschen kriegen den Hals nicht voll. Als gut getarnter Soze wird Sigmar Gabriel die Deutsche Bank mit Sicherheit künftig von innen heraus revolutionieren. Eine zwangsläufige Erscheinung? Zeichnet es einen guten Opportunisten und einen guten Lobbyisten nicht gerade aus, dass sie sich auch in einer Demokratie über Wasser halten können? Ganz bestimmt nicht. Solche Charaktere sind in einer guten Demokratie gar nicht möglich. Ein guter Lobbyist versteht es nur meisterlich, die Defizite einzelner Demokratien zu nutzen, um das System als solches zu unterwandern.

Lobbyismus ist kein Fehler in der Demokratie. Er ist in einer funktionierenden Demokratie überhaupt nicht vorgesehen. Er fußt auf Geheimhaltung und Verschleierung. Er nimmt dort Einfluss, wo Bürger es nicht können. Er verschafft sich auf fragwürdige Art und Weise einen Vorteil vor den Wählern. Echte Demokratie geht nur ohne ihn.

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!