Richtungsentscheidung

Lesedauer: 8 Minuten

Am 23. Oktober 2023 hatte die Hängepartie ein Ende: Sahra Wagenknecht und ihr Gefolge gaben die Gründung eines Vereins bekannt, aus dem Anfang kommenden Jahres eine neue Partei entstehen soll. Das enorme Medieninteresse dürfte nur von der Erleichterung der Linken getoppt worden sein. Die Einordnung der entstehenden Kraft war schnell geschehen: Es soll natürlich nach rechts gehen. Dass die Initiative von Menschen ausgeht, die teilweise sogar schon zu links waren, gilt heute wenig. Die nächsten Monate werden zeigen, ob es der neuen Partei gelingt, den politischen Begriff „links“ wieder mit Leben zu füllen.

Kurz bevor die wiederholten Ankündigungen zu nervig wurden, war es dann doch soweit: Die vielbeschworene Wagenknecht-Partei kommt. Trotz monatelanger Dauerpräsenz in den Medien schlug die Bekanntmachung des Vereins BSW – Für Vernunft und Gerechtigkeit e. V. medial hohe Wellen. Der Ansturm von Journalisten in der Bundespressekonferenz am 23. Oktober zeigte einerseits, wie hoch das Interesse an den Plänen von Sahra Wagenknecht und Anhang ist und andererseits, wie bitter nötig eine neue Partei in Deutschland offensichtlich ist.

Entscheidung mit Folgen

Auch wenn der Vereinsname etwas anderes vermuten lässt: Sahra Wagenknecht ist nicht allein. Neben ihr verließen neun weitere Bundestagsabgeordnete die Partei Die Linke. Zwei davon saßen bei der Bundespressekonferenz neben Wagenknecht, weil sie zum Vorstand des neugegründeten Vereins gehören. Der Parteiaustritt blieb nicht ohne Folgen. Es brach eine regelrechte Kampagne gegen die Abtrünnigen los, die sie vehement zur Rückgabe ihrer Mandate auffordert, um Fraktionsstatus und Arbeitsplätze von Fraktionsmitarbeitern zu sichern. Vieles ist in dieser Debatte nachvollziehbar, anderes wiederum an den Haaren herbeigezogen.

Der Verein um Sahra Wagenknecht war kaum eine Woche bekanntgegeben, da ließ sich das sonst seriöse Meinungsforschungsinstitut INSA dazu hinreißen, die noch nicht gegründete Partei in ihre Umfragewerte aufzunehmen. Aus dem Stand schafft es das Bündnis demnach auf 12 Prozent. Besonders die AfD schmiert ab. Es ist offensichtlich, dass für die neue Partei großes Wählerpotenzial vorhanden ist. Trotzdem sollten solche Umfragewerte mit Vorsicht genossen werden. Auf der einen Seite sind sie auch bei etablierten Parteien stets eine Momentaufnahme, auf der anderen Seite wird hier über eine Partei spekuliert, die es noch gar nicht gibt. Der BSW ist die Vorstufe einer Partei, die voraussichtlich im Januar gegründet werden soll. Dann wird man sehen, wie groß die theoretische Zustimmung zur Partei ist.

Was heißt hier Rand?

Das Bündnis wirbt in einem ersten Grundsatzprogramm für wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit, persönliche Freiheit und für Frieden und Diplomatie. Obwohl eine politische Einordnung dieser neuen Kraft zunächst auf der Hand liegt, tun sich die Medien gerade damit sichtlich schwer. Sie konstatieren der kommenden Partei eine linke Sozialpolitik, die sich aber auch auf konservative Werte beruft, insbesondere wenn es um Migration geht. Sahra Wagenknecht selbst schürt diese Schwierigkeiten, indem sie das neue Label „linkskonservativ“ in den Raum wirft.

Der Vorwurf der Rechtsoffenheit ließ, wie bei allen Anstrengungen von Sahra Wagenknecht in den letzten Jahren, nicht lange auf sich warten. Dieses Mal wird ihr angekreidet, dass sie mit den eher konservativen Vorstellungen zur Einwanderungspolitik die potentiellen Wähler der AfD ansprechen will. Traut man der schon erwähnten INSA-Umfrage, gelingt ihr das auch ganz offensichtlich. Daraus jetzt aber den Vorwurf zu konstruieren, sie fische für diesen Erfolg am rechten Rand, ist absurd.

Die AfD erzielte in den letzten Monaten Umfragewerte von 20 Prozent oder mehr auf Bundesebene. Ein Fünftel der Befragten konnte sich also vorstellen, der Rechtsaußen-Partei die Stimme zu geben. Bei einer solchen Dimension an Zustimmung ist es hanebüchen, vom rechten Rand zu sprechen. Würde sich eine Partei tatsächlich nur auf einen der beiden politischen Ränder einschießen, würde sie maximal 2 Prozent erreichen. Das ist der Rand.

Mittlerweile haben aber weitaus mehr Menschen das Gefühl, dass außer der AfD keine andere Partei mehr ihre wirklichen Probleme anspricht. Natürlich lädt die AfD diesen Frust mit ihrer rechten Hetze auf, doch ist das keine Sackgasse. Wenn die Menschen das Gefühl haben, eine demokratische Alternative nimmt sich ihrer an und liefert dazu noch plausible Lösungsansätze, dann kehren sie der AfD den Rücken. Genau darauf weist auch die INSA-Umfrage hin.

Für immer rechts?

Doch es wie Perlen vor die Säue zu werfen: Seit ihrer umstrittenen Äußerungen zum Umgang mit straffälligen Asylbewerben 2016 haftet an Sahra Wagenknecht das Label Rechts. Auch das Podium bei der Bundespressekonferenz konnte dem wenig entgegensetzen, dabei waren neben der einstigen Linken-Ikone mindestens zwei weitere Personen platziert, die unumstritten immer auf der linken Seite des politischen Spektrums gekämpft haben.

Mit dem deutlichen Augenmerk auf soziale Gerechtigkeit, eine wohlstandssichernde Wirtschaftspolitik und eine auf Entspannung ausgerichtete Außenpolitik greift der neue Verein Ideen auf, welche sich die traditionelle Linke schon immer auf die Fahnen geschrieben hat. Als identitätsstiftendes Merkmal für die neue politische Kraft stürzen sich aber sogleich alle auf die Positionen zur Migration und geißeln diese als rechts.

Internationale Solidarität 2.0

Es ist richtig, dass der Gedanke der internationalen Solidarität schon immer einer der Grundpfeiler linker Strömungen war. Diese Überlegungen sind jedoch zu einer Zeit entstanden, als der Nationalstaat einen weitaus höheren Status hatte als heute. Die Globalisierung und die weltweite Mobilität spielten damals noch kaum eine Rolle. Das ist heute anders. Die Welt ist enger zusammengewachsen und viele Grenzen sind – zum Glück – überwindbar geworden.

Wer heute von echter internationaler Solidarität spricht, meint etwas anderes als vor 150 Jahren. Der Ruf nach offenen Grenzen ist heute nicht mehr realitätstauglich. Wer sich im Jahre 2023 wirklich international solidarisch zeigen will, dem muss daran gelegen sein, die wirtschaftlichen und militärischen Verwerfungen in den Herkunftsländern der Geflüchteten anzugehen und solche Nationen beim Wiederaufbau zu unterstützen. Mit dem Credo zum Abbau von Einreiseanreizen und der Beseitigung von Fluchtursachen vor Ort erweist sich die von Sahra Wagenknecht geplante Partei demnach als fortschrittlichere Kraft als ihre ärgsten Gegner im linken Spektrum.

Die Mischung macht‘s

Bildung und Aufbau der groß angekündigten Partei sollen überlegt und geordnet erfolgen. Spätestens zu den drei Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern in einem Jahr müssen aber entsprechende Landesverbände gegründet sein. Sahra Wagenknecht selbst hat angekündigt, dass sie Verschwörungstheoretiker und Extremisten von der Partei fernhalten will, um das auf Vernunft basierte Projekt nicht zu gefährden. Das wird vermutlich eine schwierige Aufgabe werden.

Das Podium bei der Bundespressekonferenz am 23. Oktober war jedenfalls ausschließlich mit Akademikern besetzt. Das ist grundsätzlich kein Problem, sollte aber nicht als Blaupause für die entstehende Partei dienen. Es ist elementar wichtig, dass keine Bewegung von oben entsteht, sondern eine authentische politische Kraft, die nicht nur über die Benachteiligten in der Gesellschaft spricht, sondern diese aktiv zu Wort kommen lässt.

Es gibt im Land sicher genügend Gestalten am linken Rand, die nur darauf gewartet haben, dass eine solche Partei entsteht, um dadurch ihre linken Ideologien zu verwirklichen. Auch ideologiegetriebene Politiker sind für eine Partei wichtig, sie dürfen aber nicht die Überhand gewinnen. Bestes Negativbeispiel dafür ist die SPD. Einst eine Partei aus Arbeitern, entwickelte sie sich zunächst zu einer Partei für die Arbeiter und ist heute nichts weiter als ein links angehauchter Verein aus Akademikern, die den Bezug zu den Wählern schon lange verloren haben. Die Wahlergebnisse der letzten Jahre sprechen hier Bände.

Das beste Mittel gegen diese politische Abgehobenheit ist die garantierte Einbindung von Menschen von der Basis. Es reicht nicht aus, nur über Menschen mit geringem Einkommen zu sprechen oder darüber zu diskutieren, wie man dem Pflegepersonal bessere Arbeitsbedingungen verschafft. Ebensolche Persönlichkeiten müssen in einer neuen Partei repräsentiert werden, sonst besteht die Gefahr, dass sie in wenigen Jahren ebenfalls zu den Etablierten zählt und als Teil der Elite wahrgenommen wird. Profitieren würde davon abermals die Rechte.


Mehr zum Thema:

Die Lückenschließerin

Auf dem demokratischen Abstellgleis

Ein Schritt nach links

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Die Lückenschließerin

Lesedauer: 7 Minuten

Traut sie sich, oder lieber nicht? Seit Monaten wird die Gründung einer Wagenknecht-Partei rauf- und runterdiskutiert. Wie ein penetrantes Schreckgespenst geistert diese Idee durch die Medien, die Zeitungen, die Talkshows. Konkret ist davon bisher wenig, auch wenn verschiedene Headlines im gerade zurückliegenden Sommer anderes vermuten ließen. Immer interessanter wird aber die Frage: Was passiert, wenn die neue Partei nicht kommt? Das Ende der Ikone Wagenknecht? Ein weiterer Push für die AfD? Dem Land fehlt eine durchsetzungsstarke linke Alternative. Die neue Partei, wer immer sie gründet, muss daher ein Erfolg werden.

Routiniert unkonkret

Das Sommerloch hat wieder zugeschlagen. Nachdem sich die Gerüchte um eine mögliche Wagenknecht-Partei seit mehreren Monaten hartnäckig hielten – und von der Hauptperson mitunter kräftig befeuert wurden – hatte die Presse ausreichend Zeit, sich damit zu befassen. Nun sorgten ausgerechnet exklusive Informationen der BILD-Zeitung für ein weiteres Medienbeben. Angeblich sei alles längst beschlossen, die Bekanntgabe sei nur noch eine Frage der Zeit.

Keiner der Beiträge hielt, was er versprach. Nicht einer von ihnen enthielt nennenswerte neue Informationen. Alle bereiteten sie seit Monaten bekanntes clever wieder auf. Dabei reichen die Gerüchte um einen politischen Neustart von Sarah Wagenknecht deutlich weiter zurück als zum Jahresanfang. Schon ihr Bestseller „Die Selbstgerechten“ aus dem Frühjahr 2021 machte mit erschreckender Offenheit deutlich, dass Wagenknecht mit ihrer Partei gebrochen hatte. Ihr „Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ war die Blaupause für neue politische Projekte.

Die Gründung einer neuen Partei ist daher nur die logische Konsequenz. Irgendwann begriffen das auch die Medien und so nahm man ihre zunächst sehr zurückhaltenden Äußerungen eines Tages zum Anlass, sie nach der Gründung einer eigenen Partei zu fragen. Der Geist war damit aus der Flasche. Seitdem werden die Hinweise immer konkreter, bleiben aber vage. Mittlerweile hat der Begriff „Wagenknecht-Partei“ das Potenzial, zum (Un-)Wort des Jahres gekürt zu werden.

Die Geister, die sie rief…

Fakt ist: Aus der Nummer kommt Sarah Wagenknecht nicht mehr raus. Zunächst machte alles den Anschein, als wartete die Linken-Ikone nur darauf, dass sich irgendwer anders fände, der die Gründung für sie übernehmen könnte. Sicher nicht zufällig zierte sie sich zunächst, einen entsprechenden Schritt anzukündigen. Lange sprach sie im Konjunktiv: Es gibt eine politische Leerstelle – es müsste eine neue Kraft entstehen.

Andere waren da kognitiv schneller und ließen alsbald Taten folgen. Der Vorstand der Linken erklärte öffentlich, dass Wagenknecht nichts mehr in der Partei verloren hätte. Die Journalisten nötigten Wagenknecht sodann regelrecht dazu, sich zu ihrer Idee zu bekennen.

Sie alle haben ihr Ziel gewissermaßen erreicht: Wagenknecht hat längst erklärt, dass sie für Die Linke nicht noch einmal in den Ring steigen wird, die Entscheidung über eine Parteigründung wird im Herbst fallen. Dabei ist die Sache völlig klar: Sahra Wagenknecht muss liefern, sonst ist sie selbst geliefert. Inzwischen hängt ihre Glaubwürdigkeit von der Gründung einer neuen Partei ab. Niemand würde es ihr durchgehen lassen, stellte sie sich nach den Landtagswahlen im Oktober vor die Kameras und sagte: „Ich habe leider keine Mitstreiter gefunden.“ Eher noch würde man ihr verzeihen, würde das Parteiprojekt nicht die erwünschte Durchschlagskraft entfalten.

Natürlich steht Sarah Wagenknecht unter enormem Druck. Schon einmal ist sie ein ähnliches Wagnis eigegangen und hat mit Getreuen die Sammlungsbewegung aufstehen gegründet. Nach viel Tamtam und Bohei ist der soziale Protest sogleich wieder im Keim erstickt. Wagenknecht selbst führt das heute auf ihr mangelndes Organisationstalent zurück. Nicht gerade rosige Aussichten für eine neue Partei…

Kampf der sozialen Ignoranz

Man kann von Sarah Wagenknecht halten was man will. Mit einem hat sie aber definitiv recht: Es gibt eine Repräsentationslücke in der deutschen Parteienlandschaft. Bestimmte Meinungen und Interessen sind in der heutigen Politik bestenfalls unterrepräsentiert. Um das zu ändern, dafür braucht es eine neue Partei.

Schon das Kanzlertriell 2021 hat gezeigt, dass viele Menschen mittlerweile dazu neigen, sich zwischen Pest und Cholera zu entscheiden. Olaf Scholz konnte auf den letzten Metern nur deshalb so gut aufholen, weil seine beiden Herausforderer noch viel schlechter für das Land waren – und keine Gelegenheit ausließen, das zu zeigen. Heute ist von den Siegern von damals nicht mehr viel übrig: Mickrige 23 Prozent sind mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden.

Besonders Vorhaben wie das Heizungsgesetz und die Gasumlage haben den Unmut in der Bevölkerung geschürt und der Regierung nachhaltig Vertrauen gekostet. Gerade in diesen Zeiten der sozialen Ignoranz und der entfesselten grünen Fantastereien wäre eine kraftvolle linke Opposition bitter nötig. Die Linke wird nicht müde, sich zu dieser Aufgabe zu bekennen – und vermasselt sie gehörig. Aus Angst, AfD-Wähler könnten mitlaufen, schafft es diese ausrangierte Protestpartei nicht einmal, Demonstrationen gegen die existenzgefährdende Politik der Ampel zu organisieren.

Politische Amnesie

Dabei wären doch vor allem die verführten AfD-Wähler erstes Ziel solcher Protestaufrufe. Sie haben sich aus genau den Gründen von der Politik abgewandt, gegen die sich der Protest richtet. Für eine selbstbewusste linke Opposition wäre es kein Problem, einen großen Teil dieser Wähler zurückzugewinnen und ihnen eine neue politische Heimat zu bieten. Auch Nichtwähler könnten auf diese Weise angesprochen und wieder eingebunden werden.

Stattdessen macht man es den Wählern der AfD zum Vorwurf, die Politik der demokratischen Parteien nicht zu verstehen. Getreu dem Motto „Der Wähler muss zur Partei passen“ ist man entsetzt darüber, dass viele die AfD der angeblich so offensichtlich besseren Option vorziehen. Im schlimmsten Fall geißelt man diese Wähler pauschal als rechtsextrem. Nach zehn Jahren neuem Rechtspopulismus hat leider noch immer kein Lerneffekt eingesetzt.

Es setzt sich stattdessen immer mehr der Trend durch, reflexhaft mit unhaltbaren Vorwürfen zu reagieren, wenn neue Ideen zu sehr vom Mainstream abweichen. Anders als mit fortschreitender Amnesie ist es zumindest nicht zu erklären, warum man sogar Sarah Wagenknecht ob ihrer Äußerungen in die rechte Ecke stellt. Es ist noch gar nicht so lange her, da warf man der ewig Unbequemen noch vor, sie stünde zu weit links. Ein Königreich für diese Zeiten…

Mut zum Linkssein

Die etablierten Parteien haben verlernt, die Sorgen und Ängste der Menschen ernstzunehmen. Ihnen geht es heute in erster Linie darum, ihre Ideologien und Programmatiken durchzusetzen. Früher versuchten die Parteien zumindest, ihre Parteiprogramme auf die realen Nöte der Wähler anzupassen. Momentan macht das fast ausschließlich die AfD – ihr Erfolg in den Umfragen ist das beste Zeugnis dafür.

Die Menschen im Land haben Angst vor der horrenden Inflation. Sie möchten preiswert ihre Wohnungen beheizen und für ihre Arbeit fair bezahlt werden. Das alles sind Tatsachen. Die meisten Parteien bleiben überzeugende Antworten darauf schuldig. Mit ihren Überlegungen einer Parteineugründung greift Sarah Wagenknecht exakt diese Fragen auf und stellt den plumpen Parolen der AfD eine vernünftige Alternative gegenüber.

Wenig überraschend bringt Wagenknecht dabei auch linke Konzepte ins Spiel. Das ist vielen nicht geheuer, hat man sich doch mittlerweile daran gewöhnt, dass unbequeme Töne nur noch von rechts kommen. Auf der linken Seite stehen stattdessen woke Gutmenschen, die vielen anderen zum Feindbild gereichen. Dass links davon früher auch eine Menge passiert ist, haben die meisten heute vergessen. Linke Politik ist kein Alleinstellungsmerkmal von woken Weltverbesserern und Umweltaktivisten, sondern ein Angebot an die Breite der Gesellschaft. Aber das muss Deutschland erst wieder lernen…


Mehr zum Thema

Auf dem demokratischen Abstellgleis

Brandmauer mit Substanz

Ein Schritt nach links

Rechtes Überangebot

Politische Leerstelle

Wie die Linken die Menschen rechts liegenlassen

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Ein Schritt nach links

Lesedauer: 7 Minuten

Gute Nachricht für alle Zukunftsbegeisterten: Meine Kristallkugel funktioniert wieder. Auf ihrer Suche nach politischen Schlagzeilen in den nächsten Monaten ist sie schnell fündig geworden. Eine besonders vorhergesehene Nachricht muss dabei unbedingt mit der Vorwelt geteilt werden. Denn es ist tatsächlich wahr – die Wagenknecht-Partei kommt. Wer jedoch glaubte, die gute Frau schmeißt den Laden allein, der wird sich wundern. Mal schauen, ob das Ding auch die Ergebnisse der nächsten Bundestagswahl kann…

Artikel auf tagesschau.de vom 2. September 2023:

In Saarbrücken gaben eine Reihe linksgerichteter Politiker und Aktivisten heute bei einer Pressekonferenz die Gründung einer neuen Partei bekannt. Die neue Partei für Soziale Gerechtigkeit (PSG) soll all jenen Menschen eine politische Heimat bieten, die nach Ansicht der Parteigründer in den letzten Jahren „sträflich vernachlässigt wurden“. Dem Podium der Initiatoren gehörten neben den ehemaligen Linkenpolitikern Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Fabio De Masi auch eine Reihe Personen des öffentlichen Lebens und Funktionsträger von Nicht-Regierungs – Organisationen an.

Parteigründung mit Ansage

Schon lange war über die Gründung einer sogenannten Wagenknecht-Partei spekuliert worden. Die umstrittene Politikerin befeuerte diese Gerüchte immer wieder mit vagen und ausweichenden Antworten auf ihre politische Zukunft. Ihr wurde dabei wiederholt eine Nähe zum rechten Spektrum und der AfD unterstellt.

Parteimitgründer und Ehemann von Sahra Wagenknecht Oskar Lafontaine betonte bei der Pressekonferenz hingegen, dass es sich bei der neugegründeten Partei eindeutig um eine linke Partei handele. Dabei unterstrich er, dass sich die Partei insbesondere darauf konzentrieren werde, enttäuschte Wähler anzusprechen, die sich „teilweise schon von der Demokratie abgewandt haben“.

Wagenknecht fügte hinzu: „Es kann einfach nicht sein, dass immer mehr Themen der extremen Rechten überlassen werden. Es kommt einer Obsession gleich, dass alle Bereiche, die von der AfD angesprochen werden, sogleich tabuisiert werden. Unter solchen Voraussetzungen ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen denken, nur die AfD spreche die Wahrheit aus. Diesem Trend stellen wir uns entschlossen entgegen.“

Keine linke Fraktion mehr im Bundestag

Der Pressekonferenz folgte die Veröffentlichung eines gemeinsamen Gründungsmanifests, in der verschiedene Parteimitglieder der ersten Stunde zu Wort kommen. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken Heike Hänsel begründet ihren Übertritt folgendermaßen: „Die Parteien des linken Spektrums sind schon viel zu lange viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wenn solche Parteien nicht einmal dazu in der Lage sind, zu sozialen Protesten zu mobilisieren oder eine Friedensdemo zu organisieren, bin ich in solchen Gruppierungen fehl am Platz.“

Folgerichtig trat auch Parteigründerin Sahra Wagenknecht mit dem heutigen Tage aus Partei und Fraktion im Bundestag aus. Dem Parlament wird sie dennoch als fraktionslose Abgeordnete angehören, weil sie „von den Wählerinnen und Wählern einen Auftrag erhalten hat“. Die Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen und Klaus Ernst folgten Wagenknechts Beispiel und verließen ebenso die Fraktion. Anders als Wagenknecht und Dağdelen legte Ernst gleichzeitig sein Mandat nieder. Mit dem Fraktionsaustritt dreier Abgeordneter verliert Die Linke außerdem ihren Status als Fraktion im Bundestag. Die gewählten Abgeordneten bilden fortan eine Abgeordnetengruppe. Die Linke büßt dadurch zentrale Rechte im Parlament ein.

Fairer Mindestlohn und gute Arbeitsbedingungen

Auch wenn die Parteimitgründerin immer wieder betont, es handele sich bei der neuen Partei nicht um ein Projekt „Wagenknecht“, fungiert die 54-jährige Saarländerin gemeinsam mit dem Hamburger Fabio De Masi als provisorische Parteichefin. Beim ersten ordentlichen Parteitag im Dezember soll dann die Parteiführung gewählt werden. Während De Masi seine Kandidatur schon fest zusicherte, bittet Wagenknecht noch um etwas Bedenkzeit.

Im Fokus der jungen Partei steht in den nächsten Monaten die Aufstellung zur EU-Wahl im nächsten Jahr. Sie wolle alles dafür tun, damit wieder eine starke linke Kraft nach Brüssel entsandt wird. Pateigründer Lafontaine fügt hinzu: „Auch auf die Landtagswahlen im Herbst nächsten Jahres bereiten wir uns schon jetzt vor. Wir sehen gute Chancen, viele Menschen von unserem Programm zu überzeugen und überraschend gut abzuschneiden. Für eine Teilnahme bei den Wahlen in Bayern und Hessen haben wir leider die Frist verpasst.“

Gefragt zu den konkreten Zielen der Partei, waren sich die Gastgeber der Pressekonferenz einig: Man wolle für einen fairen Mindestlohn streiten, der nicht mehr von einer „realitäts- und wirtschaftsfernen Kommission“ abhängig sei. Die Partei möchte außerdem das Rentensystem grundlegend überarbeiten. Prekären Arbeitsverhältnissen wie Kettenbefristungen in der Leiharbeit sagten die Parteigründer deutlich den Kampf an. Auch für insgesamt bessere Arbeitsbedingungen und eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte möchte sich die PSG einsetzen.

Parteimitgründerin Sahra Wagenknecht ist noch ein weiterer Aspekt wichtig: „Wir haben uns ganz bewusst dazu entschieden, keine politische Ausrichtung im Parteinamen zu nennen. Trotzdem ist es in unserem Interesse, die politische Linke wieder mit positiven Assoziationen zu belegen. Die Realpolitik der letzten Jahre hat diesen politischen Begriff leider völlig entkernt.“

Gemischtes Echo

Die Resonanz auf die Parteigründung ist durchwachsen und reicht von strikter Ablehnung bis zu großer Zustimmung. Besonders aus den Reihen der Linkspartei sind kritische Töne zu hören. Parteichef Martin Schirdewan äußert Zweifel an der Notwendigkeit einer neuen linken Partei und prognostiziert ihr ein ähnliches Schicksal wie der Sammlungsbewegung „aufstehen“: „Schon mit ihrem Projekt einer Sammlungsbewegung ist Sahra Wagenknecht böse hingefallen. Eine soziale Opposition im Bundestag gibt es bereits und das ist und bleibt Die Linke.“

Auch Vertreter der SPD sind von der Parteigründung nicht begeistert. Der Abgeordnete Michael Schrodi richtet deutliche Worte an die Adresse der Parteigründer: „Sie schwafeln im Parteiuntertitel von „Frieden, Freiheit, Menschenwürde“. In Wahrheit sind das Putinfreunde, die lieber mit Kriegsverbrechern und Faschisten paktieren als mit den Demokraten in diesem Land.“*

Mehrere Polit-Experten und Politikwissenschaftler sind ebenfalls skeptisch bis zurückhaltend, was die Erfolgschancen der neuen Partei anbelangt. Joris Schwalmer vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen sieht in der Parteigründung eine Konstellation verursacht, die linke Politik in Deutschland eher behindert als fördert: „Eine harmonische Koexistenz zwischen zwei linken Parteien, die den Anspruch auf die einzig wahre soziale Opposition stellen, wird nicht möglich sein. Letzten Endes werden beide Parteien untergehen und der linken Politik damit einen Bärendienst erweisen.“

Anders sehen es hingegen viele Bürgerinnen und Bürger. In ersten Umfragen könnten sich zwischen 15 und 20 Prozent der Befragten vorstellen, die neue Partei zu wählen. Vor der tatsächlichen Parteigründung waren es noch über 25 Prozent, weswegen solche Angaben mit Vorsicht zu genießen sind. Auffallend ist jedoch, dass viele der Befürworter der PSG aus den Reihen der AfD-Wähler kommen. Schon vor drei Wochen gab jeder zweite befragte AfD-Wähler an, im Zweifelsfall auch eine von Sahra Wagenknecht gegründete Partei zu wählen.

Aus der AfD gab es zunächst keine offizielle Stellungnahme zur Gründung der PSG. Trotzdem haben die Rechtspopulisten eindeutig Konkurrenz bekommen: In einer neuen INSA-Umfrage zum Wahlverhalten bei der Bundestagswahl fiel die AfD von vormals 20 auf nun nur noch 13 Prozent. PSG – Co-Chef De Masi hat dafür eine einfache Erklärung: „Diese Menschen sind keine Rechtsextremen. Wenn man ihnen ein vernünftiges und ehrliches politisches Angebot macht, dann hören sie auch zu.“


*Der Abgeordnete erhielt dafür ein weiteres Ordnungsgeld.

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!