Noch ganz dicht?

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Mit ihrer Aktion #allesdichtmachen haben 52 Künstlerinnen und Künstler einen Shitstorm erster Güte losgetreten. Mit einer kontroversen Debatte über ihre Videos haben sie mit Sicherheit gerechnet, mit solch vernichtender Kritik bestimmt nicht. Über die Inhalte der Kurzclips spricht kaum jemand. Immerhin waren sich die Medien und weite Teile der Öffentlichkeit schnell einig, dass es den Darstellerinnen und Darstellern nicht zusteht, auf diese Weise Kritik zu üben. Von dem künstlich erzeugten Scharmützel zwischen Befürwortern und Gegnern profitieren vor allem diejenigen, die die unhaltbaren Zustände in Krankenhäusern mitzuverantworten haben.

Einig wie selten

Seit Böhmermanns Ziegenficker-Affront aus dem Jahr 2016 schlug wohl keine satirische Überspitzung so hohe Wellen wie die Aktion #allesdichtmachen. Mehr als 50 Künstlerinnen und Künstler aus dem deutschsprachigem Raum üben mit der Aktion Kritik an dem gefühlt endlosen Lockdown, den die Regierung immer wieder verlängert. Die Promis bezweifeln in ihren Kurzvideos, dass die harten Maßnahmen gegen die Pandemie noch verhältnismäßig sind. Die Diskussion über diese Aktion erinnert in Teilen tatsächlich an den Vorwurf der Majestätsbeleidigung, der seinerzeit gegen Jan Böhmermann im Raum stand. Es gibt allerdings einen gravierenden Unterschied: Während sich 2016 die öffentliche Meinung über Böhmermanns Schmähgedicht in zwei mehr oder weniger ausgeglichenen Lagern verortete, ist im Falle der Aktion #allesdichtmachen für die Medien die Sache klar: Das geht gar nicht. Es ist absolut deplatziert und verachtenswert.

Die deutschen Leitmedien sind sich bei der Einschätzung des satirischen Fehlgriffs einig wie selten. Die Kritik, die über die Aktion hereinbrach, kam wie aus einem Guss. Unerbittlich verurteilten die großen Nachrichtensender, namhafte Zeitungen und andere Medien die Videoclips, die ihr Anliegen in etwa einer Minute deutlich machen. Zumindest dieses Ziel haben die Macher hinter der Aktion erreicht. Jeder redet darüber. Die Öffentlichkeit für das Thema ist definitiv hergestellt.

Steilvorlage für Rechts

Ein weiteres und weitaus wichtigeres Ziel haben die Initiatoren allerdings auch erreicht. Sie haben bravourös dargestellt, wie eingeengt der geduldete Diskurs in unserem Land zwischenzeitlich ist. Die Kritik an den Videos fiel mitunter so heftig und vernichtend aus, dass die Sachlichkeit an vielen Stellen darunter litt. Mit teilweise brachialer verbaler Gewalt rückte man die Künstlerinnen und Künstler unreflektiert in die Nähe der Querdenkerszene, die sich hauptsächlich aus Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen formatiert. Es geht daneben leicht unter, dass das in Kauf genommene Horrorszenario, in der Folge von der AfD vereinnahmt zu werden, ebenfalls eingetreten ist.

Die reflexartige Ausgrenzung der 52 Promis lässt den Rechten doch auch überhaupt keine andere Wahl, als deren Aktion für sich zu vereinnahmen. Erneut hat eine blauäugige und naive Weltsicht der AfD ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema auf dem Silbertablett serviert. In einem schier neurotischen Distanzierungswahn von der AfD haben bestimmte Meinungsmacher die Promis aus den Videos und deren wichtiges Anliegen auf dem Altar des Nicht-Sagbaren geopfert. Es ist völlig richtig, dass die AfD manche der angesprochenen Maßnahmen ebenfalls kritisiert. Das nun zum Maßstab des Tolerierbaren zu machen, übersteigert die Relevanz dieser rechten Gruppierung allerdings bis ins Wahnwitzige. Bloß weil die AfD auf Sonnenschein hinweist, ist das noch lange kein Grund, trotz frühlingshaften Wetters Regen zu propagieren.

Über’s Ziel hinaus

Einige der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler haben sich bereits laut gefragt, ob Ironie und Sarkasmus die richtigen Stilmittel für die Botschaft der Aktion gewesen wären. Tatsächlich kann man über die Geschmackhaftigkeit der Aktion streiten. Auch dass sich einige mit den Videos vor den Kopf gestoßen fühlen, war ein kalkulierbares Risiko. Hier kann man den Machern sicher noch zugutehalten, dass jede Form der Kunst, wenn sie gut gemacht ist, unbequeme Ausmaße für bestimmte Personen annimmt. Der Kreis dieser Personen ist in diesem Fall unerwartet groß und auch der Zeitpunkt der Aktion war zeitlich bestimmt nicht optimal. Auch vor einigen Wochen und Monaten lebten wir in einem gefühlt ewigen Lockdown bei zwischenzeitlich moderat anmutenden Infektionszahlen. Solche Videos zu verbreiten, wenn die Zahl der Infizierten wieder ganz knapp an der 30.000 kratzt, war auf keinen Fall ein Geniestreich.

Man kann den Künstlerinnen und Künstlern darum durchaus vorwerfen, über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Mit diesem überambitionierten Gebaren sind sie mit ihren Kritikern aber in allerbester Gesellschaft. Die Herabwürdigung der Aktion reichte von Rückzugsforderungen über persönliche Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen. Das geht so einfach nicht. Das ist nicht die logische Antwort auf etwas, was man als unangebracht und geschmacklos empfindet.

Besonders erschütternd ist aber der Vorwurf des Geschichtsrevisionismus. So wirft Meron Mendel, Direktor des Zentrums für politische Bildung, den Darstellerinnen und Darstellern vor, sie würden eine Verharmlosung der NS-Verbrechen befördern und damit Geschichtsrevisionismus betreiben. Mit dieser infamen Unterstellung wird die in weiten Teilen berechtigte Kritik in selbstgerechter und verantwortungsloser Weise sogleich in Grund und Boden gestampft. Es ist doch genau andersrum: Nicht die Kritik an der Regierung entspricht Nazi-Methoden, sondern die Gleichsetzung von kritischem Zeitgeist mit den Methoden der extremen Rechten.

Schneller Rückzug

Leider ließen sich von dieser regelrechten Hetzkampagne inzwischen einige der Künstlerinnen und Künstler beeindrucken. Bei manchen blieb es nicht bei hilflosen Erklärungs- und Distanzierungsversuchen. Sie nahmen die Videos gefolgsam vom Netz. Die Feierstimmung darüber in der AfD-Parteizentrale soll angeblich alle Ausmaße bisher dokumentierter Corona-Partys gesprengt haben.

So standfest und überzeugt die Darstellerinnen und Darsteller zunächst schienen, so umfallerisch wirken sie nun, nachdem sie ihre Videos zurückgezogen haben. Die heftige Kritik auf ihre Aktion hat alle Dimensionen des Denkbaren in den Schatten gestellt. Nun aber Videos tatsächlich zu löschen, gibt die Aktion dem Verdacht des Opportunismus und der Selbstdarstellung preis. Die Künstler ziehen dabei selbst in Zweifel, wie ernst es ihnen mit der Aktion war. Bemerkenswert ist dabei, wie rasant schnell einige der Videos verschwunden waren.

Das Unsagbare

Ein besonders beliebtes Totschlagargument, um die unliebsame Kritik am Corona-Management der Bundesregierung moralisch zu entmündigen, kam auch in diesem Fall zum Einsatz. Mit ihrer Aktion würden die Promis die Pandemie verharmlosen und die Maßnahmen ins Lächerliche ziehen. Außerdem würden sie sich über die zahlreichen Opfer der Erkrankung lustig machen, ungeachtet dessen, ob diese die Krankheit überlebt haben oder nicht. Diese Unterstellung ist so bösartig, dass spätestens jetzt klar wird, dass es nicht um sachliche Kritik, sondern um die öffentliche Demontage und Vernichtung der Künstlerinnen und Künstler geht.

Denn mit keiner Silbe stellen die Darsteller die Gefährlichkeit der Krankheit in Abrede. Sie bezweifeln lediglich die Verhältnismäßigkeit und die Zielgenauigkeit der geltenden Maßnahmen. Sie legen damit den Finger in eine offene Wunde. Nach über einem Jahr Pandemie gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse darüber, wo die Infektionsherde liegen. Jedem dürfte klar sein, dass das Infektionsrisiko in überfüllten Bahnen und Bussen viel höher liegt, als wenn zwei Personen ein Picknick unter freiem Himmel abhalten. Aber selbst dazu gibt es kaum verwertbare Zahlen.

Natürlich war es im Frühjahr 2020 richtig, provisorisch alles dichtzumachen. Wir hatten es mit einem unbekannten Virus zu tun, dessen Folgen nicht abschätzbar waren. Die gleiche Aktion hätte die Opfer der Pandemie vor einem Jahr tatsächlich verachtet, weil sie den gesunden Menschenverstand ins Lächerliche gezogen hätte. Diesen Job hat die Bundesregierung mit ihrem kläglichen Krisenmanagement in der Zwischenzeit aber selbst übernommen.

Rabatz auf dem Nebenschauplatz

Mit der ausufernden Kritik an der Aktion erweisen die Empörten der Bundesregierung übrigens einen großen Dienst. Erneut ist es der Politik gelungen, die Menschen an einen Nebenschauplatz zu verweisen, um sie von den wirklichen Problemen fernzuhalten. Getreu dem Motto „Zerfleischt euch gegenseitig, dann haben wir den Rücken frei“ sprechen die wenigstens über die Gründe dafür, warum ein anhaltender Lockdown leider nötig ist.

Lange vor der Pandemie war der Gesundheitssektor so heruntergewirtschaftet, dass er selbst bei gewöhnlichen Grippewellen an seine Grenzen stieß. Die Gesundheitsämter sind seit Jahren so kaputtgespart, dass es auch nach mehr als einem Jahr Corona kaum verwundert, dass niemand so recht weiß, wo die Infektionen eigentlich herkommen. Wer nun aber glaubt, dieser Missstand stagniert seit der Pandemie, der irrt gewaltig. Tatsächlich mussten im vergangenen Jahr zwanzig Krankenhäuser ihre Pforten für immer schließen. Das ist der Grund dafür, warum die Politik die Pandemie nicht unter Kontrolle bekommt. Das ist der Grund dafür, warum viele Menschen erkranken und die meisten Geschäfte weiterhin zuhaben.

Währenddessen lassen sich viele börsennotierte Unternehmen mit krisengeschüttelten Zwei-Mann – Betrieben gleichstellen und kassieren freudig die Coronahilfen ab. Dieses hart erwirtschaftete Steuergeld fließt dann fast ohne Umwege in Form von Dividenden an die Aktionäre. Die Kritik an diesem unhaltbaren Zustand schimpft sich dann Neiddebatte. In Wahrheit ist es allerdings genau diese Praxis, die die Pflegekräfte in den Krankenhäusern und in den Heimen verhöhnt. Es ist genau dieser Umgang mit Steuergeld, der die Menschen fassungslos zurücklässt. Es ist genau diese falsche Prioritätensetzung, die der Pandemie Tür und Tor öffnet.


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