Lesedauer: 5 Minuten
Es war ein Kampf gegen Wahrheit und Gerechtigkeit. Am 25. Juni 2024 hat Julian Assange diesen Kampf gewonnen. Doch der Preis, den er dafür zu zahlen hatte, war hoch. Der USA ist es gelungen, ein deutliches Exempel zu statuieren. Auch wenn das ganze zwiespältig ausgegangen ist: Vor dem Mut und dem Rückgrat von Julian Assange kann man sich nur verneigen. Und auch die deutsche Bundesregierung hat eine Sorge weniger.
Julian Assange ist frei. Endlich. Nach unglaublichen 1.903 Tagen Gefangenschaft konnte er am 25. Juni 2024 als freier Mann in seine Heimat in Australien zurückkehren. Mehr als fünf Jahre war er im britischen Hochsicherheitsgefängnis von Belmarsh inhaftiert, zuvor saß er mehrere Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in Großbritannien fest. Bis zum Schluss war seine Zukunft ungewiss. Ihm drohten bei Auslieferung an die USA bis zu 175 Jahre Haft. Sein Verbrechen: die Wahrheit.
Einsatz für die Wahrheit
Julian Assange hat Schreckliches ans Licht gebracht. Mithilfe seiner Informantin Bradley Manning konnte er belegen, dass US-Soldaten im Irakkrieg aus einem Hubschrauber heraus auf unbewaffnete Zivilisten und Journalisten geschossen und mehrere davon getötet hatten.
Die Enthüllungen von Julian Assange bewiesen das, was viele lange vermutet hatten: Die USA begehen Menschenrechtsverbrechen. Erschreckend war vor allem die Dimension der amerikanischen Kriegsverbrechen. Mit konstruierten Vorwürfen versuchten die USA, den Whistleblower Assange in Misskredit zu bringen. Sie unterschätzten dabei die Welle der Solidarität, die über all die Jahre ungebrochen groß blieb.
Berechtigte Interessen?
Der Prozess wegen Geheimnisverrats war von Anfang an eine einzige Farce. Natürlich hat jedes Land das Recht darauf, bestimmte Dinge unter Verschluss zu halten, damit feindliche Mächte dieses Wissen nicht destruktiv einsetzen können. Ein Gesetz aber so zu deuten, dass es dazu genutzt werden kann, um Verbrechen zu vertuschen oder gar zu ermöglichen, ist eine bemerkenswerte Rechtsauffassung und öffnet Tür und Tor für Willkür und Unrecht. Es ist daher völlig klar: Egal, wie das amerikanische Gericht geurteilt hat: Julian Assange hat kein Verbrechen begangen.
Letztendlich kam es dann doch zum Schuldspruch. Ein Deal mit der amerikanischen Justiz bewahrte Julian Assange vor der lachhaft hohen Haftstrafe. Offenbar hatten die US-Richter begriffen, dass sie keine Chance hatten, die dreistellige Haftstrafe zu verhängen, ohne eine neue Welle der Empörung loszutreten. Deswegen änderten sie ihre Taktik: Nicht mehr die Sühne stand im Vordergrund, sondern der Gesichtsverlust des Angeklagten.
97 Prozent Strafnachlass
Das Geständnis von Julian Assange interpretiert die US-Justiz als Demonstration ihrer eigenen Macht. Sie bringen auch noch so gefeierte Delinquenten zum Gestehen. Seine Überzeugung kann gar nicht so groß sein, wenn er nicht einmal bereit ist, die Konsequenzen seines Handelns zu tragen. Sie hoffen darauf, dass das Geständnis von Julian Assange von der Weltöffentlichkeit als Einknicken vor den USA aufgefasst wird.
Tatsächlich beweist das abstiegsgefährdete Imperium damit aber ein weiteres Mal seine komplette Hilflosigkeit gegenüber Wahrheit und Gerechtigkeit. Das Gericht war bereit, einen nicht geständigen Angeklagtem mit einer 35-mal höheren Haftstrafe zu belegen. Oder andersrum: Sie gewährten einem geständigen Angeklagten einen Rabatt von satten 97 Prozent. Man muss sich nicht schämen, wenn man dieses Rechtssystem nicht ernstnimmt.
Der Deal beweist aber auch, dass beide Urteile von vornherein feststanden. Entscheidend war nur das Szenario: Geständnis oder nicht? Letztendlich gestand Julian Assange, dass er die US-Verbrechen ans Licht gebracht und damit gegen amerikanisches Recht verstoßen hatte. Er bekannte sich damit zu seinem Handeln – nicht aber zu irgendeiner Schuld.
Maximaler Gesichtsverlust
Julian Assange geht sogar gestärkt aus Angelegenheit hervor – auch wenn die Jahre der Haft deutliche Spuren hinterlassen haben dürfte. Die USA ist indes damit beschäftigt, möglichst gesichtswahrend aus der Nummer rauszukommen. Vielleicht gelingt ihr das sogar. Klar war aber schon lange vor dem Urteil, wer auf jeden Fall ihr Gesicht verloren hat: die deutsche Bundesregierung.
Auch die deutschen Ministerinnen und Minister kritisierten die Inhaftierung und drohende Auslieferung von Julian Assange hier und da – meist, wenn es opportun war. Im Wahlkampf zum Beispiel. Insbesondere die Grünen wetterten im Wahlkampf vor drei Jahren damit, dass Julian Assange unverzüglich aus der Haft zu entlassen wäre. Zur Erinnerung: Das Außenministerium untersteht dieser Partei. Unsere Chefdiplomatin blieb aber auch bei diesem Thema bemerkenswert dünnlippig. Hohles Geschwätz mal wieder, wie vieles andere aus dem Wahlkampf 2021 auch.
In beschämender Art und Weise wurde das Schicksal des Herrn Assange bestenfalls mit Samthandschuhen angefasst. Zu keinem Zeitpunkt wurde in Frage gestellt, dass er in den USA ein faires Verfahren bekommt. Zum Nawalny hat er es in der deutschen Politik nie gebracht. Trotzdem steht die Frage im Raum, ob der Kanzler bereits eine Trauerrede für den mutigen Whistleblower in der Schublade liegenhatte – nur für den Fall, dass auch Julian Assange den „Haftbedingungen“ zum Opfer fällt.
Das Schicksal von Julian Assange ist eine Geschichte der himmelschreienden Ungerechtigkeiten. Es ist gut, dass für ihn das Schlimmste ausgestanden ist. Er kann endlich aufatmen. Genau so wie die USA, die dieses Problem zunächst los ist. Und auch die deutsche Regierung hat Grund zur Erleichterung: Ein weiteres Mal ist es ihr erspart geblieben, Farbe zu bekennen und Verantwortung zu übernehmen. Es ist gut, dass Julian Assange offenbar nie auf die Unterstützung dieser Truppe angewiesen war.