Der falsche Weg

Lesedauer: 9 Minuten

Politik und Wissenschaft sind sich einig: Impfen ist der Weg aus der Pandemie. Weil die Impfquote in Deutschland aber nach wie vor zu wünschen übriglässt, soll es nun eine allgemeine Impfpflicht richten. Die Debatte lässt die Emotionen hochkochen. Einigen kann es gar nicht schnell genug gehen, andere gehen gegen die Pläne empört auf die Straße. Das Thema spaltet und genießt bei den Bürgerinnen und Bürgern auch deshalb immer weniger Rückhalt, weil immer augenscheinlicher wird, dass der Pandemie mit einer Impfpflicht nicht beizukommen ist.

Klare Mehrheit

Die Ampelregierung hat sie für Anfang 2022 in Aussicht gestellt, doch sie lässt weiter auf sich warten: die Impfpflicht. Ende Januar debattierte der Bundestag erstmals zu dem Thema. Die Aussprache taugte nicht einmal als Generalprobe. Die Fraktionsdisziplin war nicht aufgehoben und so wich kaum ein Redner von der Linie seiner Partei nennenswert ab. Die meisten Rednerinnen und Redner sprachen sich entweder für eine allgemeine Impfpflicht oder für eine altersbedingte Impfpflicht aus.

Die dreistündige Debatte im Bundestag war lang und zäh. Ein ums andere Mal beteten manche Abgeordnete wieder und wieder die gleichen Argumente vor, warum die Impfpflicht die Rettung aus der Pandemie sei. Manche Politiker taten das in routinemäßiger Geschäftsmäßigkeit, andere stritten leidenschaftlich für ihr Anliegen. Getrieben war die Diskussion von Überzeugungen, die gegen jede Art von Gegenargument gefeit schien. Am Ende der Vereinbarten Debatte zeichnete sich eine klare Mehrheit für eine wie auch immer geartete Impfpflicht ab.

Keine sterile Immunisierung

Nicht nur im Bundestag schwingt bei der Frage nach einer Impfpflicht häufig die Prämisse mit, die Impfung würde die Pandemie ein für alle mal beenden. Wenn man von dieser Annahme wirklich überzeugt ist, wundert es kaum, dass sich so viele Menschen für eine verpflichtende Impfung gegen das Coronavirus aussprechen. Wissenschaftlich ist dieser Grundgedanke der Impfpflicht aber nichts weiter als eine steile These.

Denn eine sterile Immunisierung gegen das Virus steht bei allen zugelassenen Präparaten längst nicht mehr zur Debatte. Die Mittel waren kaum zugelassen, da häuften sich die Hinweise darauf, dass die Impfstoffe zwar zuverlässig gegen schwere Krankheitsverläufe schützten, aber bei weitem nicht so gut gegen Infektionen. Mit der Zeit wurde außerdem klar, dass bei allen Impfstoffen die Schutzwirkung nach einigen Monaten rapide nachließ.

Medizinische Gründe

Bei einer solchen Entwicklung verbietet sich eine allgemeine Impfpflicht, wenn man es nicht mit einem absoluten Killvervirus zu tun hat. Besonders zu Beginn der Pandemie schlugen die hohen Todeszahlen hohe Wellen. Als die ersten Impfstoffe zugelassen wurden, hatte sich das Bild jedoch schon relativiert. Die Gefährlichkeit der Krankheit stand außer Frage, klar war allerdings, dass es eindeutige Risikogruppen gab, bei denen sich eine Impfung besonders lohnt. Personen außerhalb dieser Risikogruppen mit einer Impfpflicht zur Impfung zu zwingen, ist bei völlig neuartigen Präparaten aus medizinischer Sicht in keinster Weise vertretbar.

Apropos medizinische Sicht: Wer sich nicht gegen Sars-Cov2 impfen lässt, gibt dafür meist medizinische Gründe an. Man sorgt sich vor bislang nicht bekannten Nebenwirkungen oder gar Langzeitfolgen der Impfstoffe, die kein seriöser Wissenschaftler ausschließen kann. Andere bewerten ihr Risiko, schwer an Corona zu erkranken, schlicht als zu niedrig, um sich mit den neuartigen Vakzinen impfen zu lassen. Die Entscheidung für die Impfung ist immer seltener auf medizinische Überlegungen zurückzuführen. Viele lassen sich inzwischen impfen oder boostern, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben oder um einer möglichen Stigmatisierung vorzubeugen.

Billige Taschenspielertricks

An dieser zum Teil offenen Diskriminierung von Ungeimpften trägt die Politik eine erhebliche Mitverantwortung. Obwohl längst bekannt war, dass die Impfstoffe nur unzureichend gegen Infektionen schützten, hielt die Regierung fest an 2G, Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren. Sie machte die Nicht-Geimpften damit zu den Buhleuten der Pandemie und trieb die gesellschaftliche Spaltung weiter voran.

Mit ihrem unberechenbaren Gebaren in der Pandemie machte sich die Politik aber auch unglaubwürdig und leistete damit antidemokratischen Kräften gewaltigen Vorschub. Die Streichung kostenloser Testmöglichkeiten ab Oktober 2021 war nichts weiter als eine verlogene Scharade. Bereits im August letzten Jahres kündigte man diese so dringend erforderliche Maßnahme an. Es ist schon erstaunlich, dass man sich damit dann doch zwei Monate und eine Bundestagswahl Zeit ließ, bis die Tests tatsächlich kostenpflichtig wurden.

Wider besseres Wissen

Übertroffen wurde diese Heuchelei aber vom Wortbruch bei der Impfpflicht. Monatelang versicherten viele Politikerinnen und Politiker, dass es eine allgemeine Impfpflicht nicht geben würde. Sie verbannten alle anderslautenden Vorwürfe ins Reich der Verschwörungstheorien. Die neue Regierung steckte noch mitten in den Verhandlungen über die künftige Zusammenarbeit, da sprachen sich die gleichen Abgeordneten für die Einführung der Impfpflicht aus.

Diese 180-Grad – Drehung ist schlimm genug und stärkt das Vertrauen in Politik und Regierung mit Sicherheit nicht. Zu allem Überfluss versuchen diese Politiker nun aber, die Bevölkerung hinter’s Licht zu führen. Sie begründen ihre plötzliche Befürwortung einer Impfpflicht damit, dass sich die pandemische Lage verändert hätte. Das ist nichts weiter als eine billige Floskel.

Das hohe Mutationspotenzial von Coronaviren war auch in der ersten Jahreshälfte 2021 bereits hinlänglich bekannt. Nach über einem Jahr Pandemie wusste man, dass sich eine zu großzügige Vorausplanung bitter rächen könnte. Wer in dieser Situation definitive Aussagen wie die Absage an eine Impfpflicht für alle Zeiten trifft, der erfüllt das, was der Jurist als Eventualvorsatz bezeichnet. Auch viele Politiker wussten, dass sie sich in einer äußerst dynamischen Krisensituation befanden, nahmen einen späteren Wortbruch aus wahltaktischen Gründen aber billigend in Kauf.

Inkonsequent kosequent

Die gleichen Politiker verspielen noch mehr wertvolles Vertrauen, wenn sie im Angesicht von Omikron mit der gleichen Begründung an den Plänen zur Impfpflicht festhalten. Wieder hat sich die pandemische Situation verändert; dieses mal zum positiven. In der Konsequenz müssten sich die Mandatsträger nun vehement gegen die Impfpflicht aussprechen.

Sie tun es nicht. Lieber setzen sie sich dem Vorwurf aus, sie hätten die Impfpflicht bereits im Sommer geplant und nur die Wahl abgewartet. Man mag diese Kritik als Verschwörungstheorie bewerten, doch viele Politiker haben eindrucksvoll gezeigt, wie schnell Verschwörungstheorien Realität werden können. Dicker Pluspunkt auf dem Konto der Extremisten, Glückwunsch an die Volksvertreter.

Pflicht vs. Verbot

Den Verfechtern der Impfpflicht muss außerdem klar sein, dass sie bei der vergleichbar niedrigen Impfbereitschaft nicht ohne Zwang umsetzbar sein wird. Die Impfpflichtbefürworter übersehen den gravierenden Unterschied zwischen einem Verbot und einer Pflicht. Ein Verbot lässt sich leicht ahnden, weil die Sanktionierungen erst dann in Kraft treten, wenn der Regelverstoß bereits passiert ist. Das erzeugt eine abschreckende Wirkung, die weiteren Übertritten vorbeugt. Eine Pflicht hingegen will ein Ereignis nicht verhindern, sondern es herbeiführen. Die Menschen müssen aktiv etwas tun, damit die Pflicht Erfolg hat.

Eine Pflicht funktioniert auch nur dann, wenn sie auf einen bestimmten Bereich begrenzt ist. Denn wer sich der Pflicht widersetzt, der wird einfach aus diesem Bereich ausgeschlossen. Wer im Laden keine Maske trägt, der muss das Geschäft verlassen. Die Infektionsgefahr ist damit abgewendet. Was passiert in einem solchen Fall aber bei einer allgemeinen Impfpflicht? Ihr Ziel wäre es, die Infektionsgefahr in allen Lebensbereichen zu reduzieren. Die Impfverweigerer müssten also in der Folge aus allen Lebensbereichen ausgeschlossen werden, um das Risiko gering zu halten. Das käme einer Abwertung des Lebenswerts von Ungeimpften sehr nahe.

Impfpflicht als Erziehungsmaßnahme

Deshalb ist auch die Diskussion um Geldstrafen und Ordnungshaft unehrlich. Entweder die Menschen verfügen über die finanziellen Mittel, sich aus der Impfpflicht freizukaufen oder sie sitzen ihre Wochen in der Zelle ab. Danach sind sie weiterhin nicht geimpft und nach Logik der Impfpflichtbefürworter weiterhin ein wandelndes Risiko. In letzter Konsequenz müssten sie also gegen ihren Willen und mit körperlichem Zwang geimpft werden, um die Infektionsgefahr abzuwenden.

Von diesen Szenarien wollen die Politikerinnen und Politiker nichts wissen. Stattdessen verkaufen sie die Impfpflicht neuerdings als besonders nachdrückliches Instrument, die Menschen zu einer Impfung zu bewegen. Sie wollen damit die Impfquote deutlich nach oben treiben, weil sie mit ihren bisherigen Maßnahmen nur mäßigen Erfolg hatten. Mit dieser Begründung verraten sie aber das Argument, die Impfpflicht sei medizinisch notwendig. Indirekt geben sie damit zu, dass sie die Impfpflicht nur wollen, weil ihnen die Entscheidung mancher Menschen nicht passt.

Stattdessen sollten sich die gleichen Politiker und Mediziner fragen, warum sich über ein Fünftel der Deutschen nicht hat impfen lassen. Der Grund dafür liegt eigentlich auf der Hand: Die Menschen haben kein Vertrauen mehr in Regierung und Forschung. Dieses Vertrauen gewinnen die Verantwortungsträger nicht dadurch zurück, wenn sie auf Maßnahmen pochen, deren wissenschaftliche Legitimation längst widerlegt ist. Bewirkten die Impfstoffe tatsächlich eine sterile Immunisierung gegen ein Virus, das für alle Menschen in gleichem Maße gefährlich wäre, dann läge die Impfquote bei deutlich über 90 Prozent. Bis auf eine verschwindend kleine Gruppe von Schwurblern und unbelehrbaren Impfgegnern würden sich dann fast alle Menschen impfen lassen. Allein das Nachdenken über eine allgemeine Impfpflicht ist immer fehl am Platz.


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Überzeugungstäter

Im Rechtsstaat nicht möglich

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Endzeitstimmung

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Deutschland macht sich bereit für das Ende der Pandemie. Viele Menschen im Land sind sich sicher, dass mit Omikron die letzte schwere Welle der Pandemie die Weltbevölkerung heimsucht. Mut schöpfen sie aus den bisher milderen Verläufen der Erkrankung, die von Omikron hervorgerufen wird, aber auch aus den Statements vieler Wissenschaftler, die Licht am Ende des Tunnels sehen. Trotzdem hat der gesellschaftliche Zusammenhalt unter Corona schwer gelitten. Einige Gruppen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Politik und Medien tragen ein beträchtliches Maß an Mitschuld, dass das gesellschaftliche Klima in Deutschland nach zwei Jahren Pandemie eisige Temperaturen erreicht hat.

Noch nie war das Ende der akuten Pandemie so nah wie in der Omikronwelle. Trotz erschreckend hoher Infektionszahlen erwies sich die neue Virusmutation in vielen Fällen als weniger aggressiv als andere Varianten des Coronavirus zuvor. Dazu kommt, dass sich die neue Virusvariante zu einer Zeit durchgesetzt hat, als die Pandemiemüdigkeit neue Höhepunkte erreichte. Nach zwei Jahren Pandemie haben die Menschen schlicht keine Lust mehr auf Verzicht, Einschränkungen und Abstandhalten. Während sie sich in anderen Ländern bereits erleichtert die Masken vom Gesicht reißen, ist man in Deutschland noch abwartend-vorsichtig.

Hoffnungsschimmer am Horizont

Trotzdem ist Omikron auch hierzulande für viele gleichbedeutend mit milden oder gar symptomlosen Verläufen der Erkrankung. Viele sehen in der neuen Mutation vielleicht sogar ein ungefährliches Virus, bei dem man eine natürliche Durchseuchung leicht in Kauf nehmen kann. Wieder machen die Menschen den Fehler, dass in Zeiten der Pandemie nichts gewiss ist. Die Datenlage reicht für aussagekräftige Prognosen, aber nicht für ein abschließendes Bild der Lage.

Wir wissen, dass Omikron eine weitaus infektiösere Mutation ist als wir es in der Pandemie bisher erlebt haben. Wir wissen aber auch, dass die Generationszeit des Virus bei Omikron deutlich geringer ist als noch bei Delta. Das heißt, dass Infizierte für kürzere Zeit ansteckend sind. Es zeichnet sich außerdem der Trend ab, dass Omikron für weniger schwere Verläufe oder Todesfälle verantwortlich ist. Diese Entwicklung gibt den Menschen Mut und weckt die Hoffnung, dass die Pandemie bald zu Ende sein könnte.

Die Überlastung der Intensivstationen ist immerhin seit Wochen nicht mehr das Thema Nr. 1. Die kalte Jahreszeit hält weiter an und trotzdem verlor das Top-Argument der Impfpflichtbefürworter in letzter Zeit merklich an Schlagkraft. Viele Menschen haben seit Omikron nicht mehr so große Angst, mit einem schweren Verlauf auf der Intensivstation zu landen.

Endemische Normalität

Seit kurzem schleicht sich außerdem eine neue Vokabel in die Berichterstattung zum Virus ein. Das Hoffen auf eine „Endemie“ ist mit Händen zu greifen. Viele erwarten durch die neue Virusvariante, dass sich die Lage nachhaltig entspannt und sich das Coronavirus ähnlich „normalisiert“ wie Grippe- und Erkältungsviren. Hohe Fallzahlen wären dann im Herbst und im Winter weiterhin zu erwarten, nicht aber harte Maßnahmen wie Maskenpflicht oder Teil-Lockdowns.

Diese Hoffnung wird durch Länder wie Dänemark oder Schweden weiter befeuert. In kurzer zeitlicher Abfolge fallen dort alle Schutzmaßnahmen gegen das Virus. Der Zustand der Endemie scheint dort offiziell ausgerufen zu sein. Die Menschen nehmen nicht so schwere Erkrankungen in Kauf, obwohl auch in diesen Ländern lange nicht alle Bürgerinnen und Bürger vollständig geimpft sind. Immer mehr Deutsche fragen sich angesichts dieses Vorgehens, warum solch ein Freedom Day nicht auch in der Bundesrepublik kommt.

Gefühlte Wahrheit

Viele haben sich so sehr auf Omikron und die Endemie fixiert, dass sie andere Faktoren zu leichtfertig ausblenden. Für sie steht fest, dass von Omikron eine weitaus geringere Gefahr ausgeht als von anderen Virusvarianten, obwohl viele Forscher zur Vorsicht mahnen. Die gleichen Forscher haben es in den letzten Monaten durch fehlerhafte Kommunikation aber auch geschafft, viel von ihrer Glaubwürdigkeit zu verlieren. Die Menschen leben nach ihrer gefühlten Wahrheit und nicht nach der, die sich empirisch nachweisen lässt.

Einerseits sprachen sich führende Forscherinnen und Forscher angesichts der Dominanz von Omikron für eine Verkürzung der gesetzlichen Quarantänezeit aus. Die kürzere Generationszeit machte lange Isolierzeiten unnötig. Andererseits begründeten sie den gleichen Schritt damit, dass zu lange Quarantänezeiten zu einem Kollaps der Infrastruktur führen könnten. Die viel infektiösere Omikronvariante würde früher oder später jeden befallen. Letzen Endes hätte das bedeutet, dass ein viel zu großer Teil der Bevölkerung in der Quarantäne festsitzen würde und ein reibungsloser Verkehr, eine umfassende Gesundheitsversorgung und die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern nicht mehr hätte gewährleistet werden können.

Kinder in Gefahr?

Politik und Medien verbreiteten die erschreckend hohen Infektionszahlen, um Werbung für das Großprojekt Impfpflicht zu machen und versuchten damit, gutgläubige Bürger hinter’s Licht zu führen. Die gebastelten Horrorszenarien haben ausgedient. Sie passen zwischenzeitlich nicht mehr zu den Erkenntnissen der Wissenschaft, auch wenn manche Vertreter weiterhin Alarm schlagen.

Viele Eltern und Lehrerinnen und Lehrer befürchten immerhin, dass der laxe Umgang mit Omikron zu einer Durchseuchung an Schulen führe. Sie kritisieren, dass Kinder und Jugendlichen im Kampf gegen die Pandemie ein weiteres Mal hinten runterfallen. Diese Vorstellung speist sich aus früheren Schreckensmeldungen zu Omikron, in denen befürchtet wurde, dass die neue Mutation besonders gefährlich für Kinder wäre.

Zwischenzeitlich ist klar, dass sich zwar vermehrt Kinder mit dem Virus infizieren, aber lange nicht ausschließlich. Dieser Irrglaube basierte auf Daten aus Afrika, wo die Mutante erstmalig nachgewiesen wurde. Auffallend war hier die hohe Infektionsrate bei Kindern. Diese ließ sich aber leicht dadurch erklären, dass ältere Menschen in Afrika aufgrund der katastrophalen Hygienezustände und der schlechten Gesundheitsversorgung selten das Corona-Risikoalter erreichten.

Pandemie ohne Bewährung

Der Trugschluss, Omikron würde signifikant mehr Kinderleben fordern, ist symptomatisch für den Umgang mit wissenschaftlichen Fakten durch Politik und Medien. Auch die täglichen Infektionszahlen werden verstärkt zum Nonplusultra der Lageeinschätzung aufgewertet. Dabei geben die Infektionszahlen ausschließlich Auskunft darüber, wie viele Menschen sich in einem bestimmten Zeitraum neu mit dem Virus infiziert haben, nicht aber darüber, wie viele davon schwer erkrankten, auf intensivmedizinische Maßnahmen angewiesen waren oder sogar verstarben.

Mit dieser augenscheinlichen Missinterpretation von Daten hat sich die Wissenschaft einen Bärendienst erwiesen. Bereits zu Beginn der Pandemie hatte sie mit einem schwindenden Vertrauen seitens der Bürgerinnen und Bürger zu kämpfen. In der nun angebrochenen Endzeitstimmung der Pandemie ist das Vertrauen in die Forschung weiter zurückgegangen. Dabei war die Pandemie stets auch eine Bewährungsprobe für die Wissenschaft. Drosten & Co. ist es allerdings nicht gelungen, das Vertrauensfundament in der Bevölkerung während dieser schweren Zeit zu festigen und auszubauen.

Der Exit aus der Pandemie

Weitaus größeren Misserfolg dabei hatte aber zweifelsohne die Politik. Seit Monaten ist die Coronakrise weitaus mehr als eine medizinische Notlage. Schon lange dominiert die politische Dimension in dieser Krise. Deutschland ist nach zwei Jahren Corona gesellschaftlich tiefer gespalten als je zuvor. Viele Politikerinnen und Politiker haben besonders in der zweiten Jahreshälfte 2021 rhetorisch gegen die Ungeimpften aufgerüstet. Sie schufen damit bereitwillig ein Klima, das auf Unverständnis, Ablehnung und Feindseligkeit fußt.

Eine Versöhnung ist weiterhin nicht in Sicht. Stattdessen bringt die Regierung immer mehr Menschen gegen sich auf. Der glasklare Wortbruch bei der Impfpflicht stößt vielen Menschen hart auf. Bei einigen von ihnen hatte das Vertrauen in Politik und Wissenschaft bereits gelitten, als klarwurde, dass die Impfstoffe nicht das hielten, was den Impfwilligen versprochen wurde. Dass die hohe Impfbereitschaft nicht das Ende der Pandemie bedeutete, das tragen viele den Politikern nach.

Die Rufe nach einer Exit-Strategie werden lauter. Die Menschen wollen endlich einen Fahrplan sehen, wie sich Deutschland aus der Spirale von Lockdowns, 2G und Impfpflicht befreit. Doch selbst wenn in absehbarer Zeit die Maßnahmen fallen, bleibt ein Problem weiter ungelöst: der Riss der durch das Land geht. Die Entzweiung der Gesellschaft hat nachhaltige Spuren hinterlassen. Den Politikerinnen und Politikern sollte klarwerden, dass sie auch dafür eine gute Strategie benötigen.


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Maßnahmen für’s Papier

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Gegen das Restrisiko

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Politik und Wissenschaft blicken weiterhin mit Sorge auf das dynamische Infektionsgeschehen infolge der Coronapandemie. Die größte Herausforderung liegt einhellig in der Überlastung des Gesundheitssystems, das den steigenden Fallzahlen immer schwerer beikommt. Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat darum jüngst eine Reihe ambitionierter Maßnahmen angekündigt, um der Lage wieder Herr zu werden. Seine Pläne gehen weit über die derzeitige Krisenlage hinaus und sollen das Gesundheitssystem auch in gewöhnlichen Zeiten spürbar entlasten.

Bäumchen-wechsle-dich

Die neue Ampelkoalition hatte einen denkbar ungünstigen Start. Die Koalitionsverhandlungen dauerten länger als gedacht, die vierte Welle der Pandemie katapultiert die Infektionszahlen in nicht gekannte Höhen, die Spaltung im Land geht immer tiefer. Die neue Regierung zeigt sich dennoch optimistisch und möchte getreu dem Titel ihres Koalitionsvertrags mehr Fortschritt wagen. Dabei war die Besetzung des Kabinetts keine unumstrittene Angelegenheit. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) holte mehrere Politiker in seine Regierung, die viele sicher nicht auf dem Zettel hatten. Am meisten rieben sich die Medien an der neuen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Ähnlich wie bei ihrer Kandidatur ums Kanzleramt spricht man ihr auch für dieses Ressort jegliche Kompetenz ab.

In einer weitaus komfortableren Lage befindet sich da schon der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Auch wenn viele seine Ernennung ob seiner bisherigen Politik eher skeptisch sehen, müssen sie doch eingestehen, dass er als Arzt grundsätzlich keine schlechte Wahl für den Posten ist. Sein Vorgänger hat ihm einen regelrechten Scherbenhaufen hinterlassen; das Vertrauen in die Coronapolitik der Bundesregierung ist zerrüttet. Nun wird offenbar auch noch der Impfstoff knapp. Trotzdem hält der neue Minister an einer allgemeinen Impfpflicht fest. Er sieht es als seine dringendste Aufgabe, eine Überlastung des Gesundheitswesens unbedingt zu verhindern.

Süße Sünde

Die Teilimpfpflicht im Gesundheitswesen ist dabei nur der erste Schritt. Mit einer allgemeinen Impfpflicht sollen nicht nur die vulnerablen Gruppen im Krankenhaus geschützt werden, sondern möglichst alle Bürgerinnen und Bürger. Doch auch der Gesundheitsminister sieht, dass Corona dadurch nicht ganz verschwinden wird. Um die Überlastung der Krankenhäuser zurückzudrängen, braucht es weitere einschneidende Maßnahmen.

Karl Lauterbach will sich dabei an einer Methode orientieren, die sich bereits vergangenes Silvester bewährt hat. Durch das Böllerverbot, das auch in diesem Jahr wieder greift, konnten viele schwerwiegende Verletzungen und Unfälle vermieden werden, die zum Jahreswechsel sonst immer die Notaufnahmen fluten. Der Minister möchte diese Maßnahme daher auf andere Lebensbereiche ausweiten. Er hat begriffen, dass die Prävention gesundheitsschädlichen Verhaltens Balsam für die Lage in deutschen Krankenhäusern ist.

Sein Haus arbeitet deshalb zur Zeit an einem Schokoladenverbot für die Weihnachtszeit. Dieses Jahr wird damit wenig zu erreichen sein, aber bereits zu kommendem Weihnachten könnten Schoko-Nikoläuse, überzogene Lebkuchen und andere Leckereien aus den Supermarktregalen verschwinden. Das Ministerium verweist darauf, dass der übermäßige Verzehr dieser Süßigkeiten jedes Jahr mehrere Tausend Zuckerschocks auslöst. Die Betroffenen müssten in den meisten Fällen intensivmedizinisch behandelt werden. Knapp 80 Prozent der jährlich erfassten Fälle ereignen sich in der Adventszeit.

Weniger Risiko, mehr Sicherheit

Auch Fettleibigkeit (Adipositas) ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums seit Jahren auf dem Vormarsch. Eine vom Ministerium beauftragte Studie stellte einen Zusammenhang zwischen der Krankheit und dem frühzeitigen Verkauf von Weihnachtsgebäck ab dem Spätsommer fest. Auch hier verspricht die drastische Maßnahme Entspannung. Adipositaspatienten seien anfälliger für Herzerkrankungen und landen auffällig oft auf der Intensivstation. Sie müssten dann aufgrund ihres Gewichts in Spezialbetten behandelt werden. Laut Ministerium und Ärztekammer seien genügend dieser Betten vorhanden. Sie erfordern aber einen erhöhten Personalbedarf, der bei der angespannten Lage im Gesundheitswesen in Zukunft nicht mehr gewährleistet werden könne.

Daher gibt es im Ministerium Überlegungen, das saisonale Schokoladenverbot auszuweiten. Es mehren sich die Stimmen, die für ein ganzjährige Verbot von Schokolade plädieren. Im Gespräch ist außerdem ein Gesundheitspass, der allen Bürgerinnen und Bürgern des Landes ausgestellt werden soll. Dieser Pass diene dazu, gesundheitsschädliches Verhalten aufzuzeigen und diesem vorzubeugen. Letztendlich soll das dazu führen, dass die Menschen ein medizinisch risikofreies Leben führen können. Sie haben sich dazu regelmäßigen Untersuchungen zu unterziehen, um Vorerkrankungen und Risikofaktoren zu erfassen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind maßgeblich dafür, welche Produkte der Betroffene konsumieren und welchen Aktivitäten er nachgehen darf.

Alles unter Kontrolle

Um die Vorgaben möglichst niederschwellig zu halten, sollen die Verträglichkeitswerte zukünftig direkt auf die Lebensmittelverpackungen aufgedruckt werden. Die Konsumenten können daran ablesen, ob das Produkt für sie in Frage kommt. Eine Sicherheitsüberprüfung an der Kasse verhindert Verstöße gegen die Vorgaben. Um auch hier das Personal zu entlasten, werden bundesweit die Selbstbedienungskassen ausgebaut. Mittels QR-Code im Gesundheitspass erhalten die Kundinnen und Kunden dann nur noch für sie verträgliche Waren.

Zusätzlich behält man die Ausbreitung schwerwiegender Erkrankungen und Gebrechen genau im Blick. Behandlungspflichtige Fälle, die besonders häufig auftreten, werden einer Inzidenz unterworfen. Bei steigender Inzidenz sind strengere Regeln in diesem Bereich möglich. Nehmen beispielsweise die Fälle von Adipositas signifikant zu, dürfen auch nicht vorbelastete Kundinnen und Kunden nur noch geringere Mengen zuckerhaltiger Produkte kaufen.

Bei der Ermittlung des Gesundheitsstatus soll aber nicht nur die physische Verfassung der Menschen eine Rolle spielen. Besonders bei künstlerischen und kulturellen Veranstaltungen und Erzeugnissen ist die psychische Gesundheit ausschlaggebend. Zutritt zu Kino, Theater oder Oper sollen nur die erhalten, die die Darbietung seelisch verkraften können. Diese Maßnahme ergänzt die gängigen Altersbeschränkungen und entlastet die ebenfalls überforderten psychiatrischen Einrichtungen. Die Einschränkungen in diesem Bereich betreffen auch den Verkauf von Kunstwerken, Zeitschriften und Literatur.

Entlastung an allen Fronten

Der neue Gesundheitsminister ist sich sicher, dass die Maßnahmen auch über die Coronapandemie hinaus eine spürbare Entspannung in den Krankenhäuern bewirken. Er geht sogar davon aus, dass durch den Gesundheitspass weiteres Personal im Gesundheitswesen eingespart werden kann. Einerseits steige dadurch die Lebensqualität der Menschen im Land, weil sie seltener krank werden, andererseits sinken die Beiträge für Krankenkassen und andere Vorsorgeleistungen.

Die Opposition im Bundestag befürchtet währenddessen, dass das ausgeschiedene Gesundheitspersonal in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten geraten könnte. Auch hier hält der Gesundheitsminister dagegen. Die freigewordenen Kapazitäten könnten dazu genutzt werden, den Fachkräftemangel in anderen Bereichen abzumildern. Durch groß angelegte Umschulungsmaßnahmen soll allen Betroffenen eine Brücke zurück in den Arbeitsmarkt gebaut werden. So könnten sich ehemalige Pflegerinnen und Pfleger innerhalb weniger Monate zu qualifizierten Lehrkräften ausbilden lassen. Das Ministerium verwies dabei auf den hohen Bedarf an geschultem pädagogischen Personal. Die Schülerinnen und Schüler hatten durch Lockdowns, Distanzunterricht und Schulschließungen am meisten unter der Pandemie zu leiden. Der geplante Gesundheitspass würde auch diese Situation entschärfen.

Das Kabinett berät momentan zu den Plänen des Gesundheitsministeriums. Sollte es zu einer Einigung kommen, möchte Minister Lauterbach das Vorhaben zügig umsetzen. Eine Beratung zu einer entsprechenden Gesetzesvorlage wird allerdings frühestens im Februar oder März erwartet.

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