Der Ton wird rauer

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Politik funktioniert fast immer über Emotionen. Gute Politiker sprechen unsere innersten Bedürfnisse an, weil sie wissen, was wir uns wünschen. Sie nehmen unsere Wünsche ernst und zeigen Wege auf, wie diese in Erfüllung gehen können. Schlechte Politiker hingegen nutzen unsere Ängste aus, um Erfolg zu haben. In der Coronapandemie spielte Angst oft eine große Rolle. An manchen Stellen konnte man sich nicht sicher sein, ob die Politik diese Angst überwinden wollte oder mit ihr spielte. Spätestens seit der Diskussion um 2G ist aber klar: Angst und teils offene Drohungen sind inzwischen ein gängiges Mittel in der Politik.

Der beste Nährboden für Angst ist Unwissenheit. Etwas nicht zu wissen oder zu kennen, erzeugt nicht automatisch Angst. Und doch ist Angst oft auf Unkenntnis und fehlende Informationen zurückzuführen. Kleine Kinder fürchten sich im Dunkeln, weil sie nicht sehen können, was um sie herum geschieht. Durch kleine Lichtquellen wirkt im Kinderzimmer eigentlich Vertrautes plötzlich völlig beängstigend. Diese Urangst vor dem Unbekannten wohnt allen Menschen inne und soll uns vor zu großen Risiken bewahren.

Viele offene Fragen

Anfang 2020 wurde die Menschheit mit einem völlig neuartigen Virus konfrontiert. Sehr wenig war über die neue Krankheit bekannt. Die Übertragungswege waren zunächst ein komplettes Mysterium, ebenso wie die Frage, wie gefährlich das Virus ist. Die meisten Menschen hatten Angst und diese Angst führte dazu, dass sie vorsichtig waren. Auch der Staat musste auf die unübersichtliche Notlage reagieren. Geschäfte blieben wochenlang geschlossen, das öffentliche Leben schlief fast ganz ein. Im Frühjahr 2020 erlebten wir eine Welle der Solidarität, als die Menschen wieder stärker aufeinander Acht gaben, weil sie das Virus nicht einschätzen konnten.

Inzwischen sind anderthalb Jahre vergangen. Viele haben sich zwischenzeitlich an ein Leben mit dem Virus fast gewöhnt. Es ist für sie normal geworden, auf öffentlichen Plätzen und in geschlossenen Räumen eine Maske zu tragen. Auch können viele das Virus heute besser einschätzen. Kennen tun es aber weiterhin nur die wenigsten.

Durch himmelschreiende Schlampereien bei der Datenerfassung, durch zahlreiche Skandale und wegen völlig kaputtgesparter Gesundheitsämter sind auch fast zwei Jahre nach den ersten Infektionen viele Fragen zu Covid-19 ungeklärt. Es ist bis heute nicht abschließend geklärt, wo die Hotspots für Infektionen liegen und wer als Pandemietreiber in Frage kommt. Man rühmt sich seit neun Monaten dafür, einen Impfstoff entwickelt zu haben und kann doch nicht einmal sagen, wie wirksam die Präparate sind und wogegen genau sie wirken.

Ein Scheunentor für Verschwörungstheorien

Gerade weil der Kenntnisstand zur Pandemie so intransparent ist, sind viele Menschen weiterhin verängstigt. Eine seriöse Risikobewertung war ihnen nie möglich. Darum ließ die Mehrheit einen Lockdown nach dem anderen über sich ergehen, akzeptierte Ausgangssperren und ließ sich mit kurzfristig erprobten Impfstoffen gegen das Virus immunisieren. Die Angst war dabei stets ein Treiber im Kampf gegen die Pandemie.

Die Regierung verließ sich bisweilen auf eine äußerst fragile Datenlage. Anstatt die Gründe für diese Intransparenz kritisch zu hinterfragen, rechtfertigte sie die weitreichenden Einschränkungen mit einem äußerst fragwürdigen Kenntnisstand. Dieses Vorgehen lud regelrecht dazu ein, sich seine eigene Wahrheit zusammenzuschustern. Mancher ließ sich dabei von seiner Vernunft leiten, andere neigten zu Übervorsicht oder einem äußerst laxen Umgang mit den Sicherheitsvorkehrungen. Wieder andere huldigten wirren Hetzrednern und haben seitdem jeglichen Bezug zur Realität verloren.

Die neuesten Zahlen

Betrachtet man die Berichterstattung zur Pandemie, so kann einem recht schnell Angst und Bange werden. Mit immer verfeinerten Kennzahlen versucht man seit 2020, die Gefährlichkeit des Virus abzubilden. Der große Nachteil solcher Erhebungen ist allerdings, dass über das Zustandekommen der Ergebnisse oft wenig bekannt ist. Die Gesamtzahl der Neuinfektionen von 2020 wich alsbald dem Inzidenzwert, der die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen in Relation zu einer bestimmten Einwohnerzahl ausgibt. Immer lauter werden allerdings die Zweifel an diesem Wert. Wenn für Ungeimpfte eine generelle Testpflicht besteht, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ein Ungeimpfter positiv getestet wird. Nicht höher liegt dann allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass er stationär behandelt werden muss oder bereits mit dem Tode ringt. Die Gefährlichkeit der Krankheit lässt sich so nur unzureichend erfassen.

Monatelang verließ sich die Tagesschau fast ausschließlich auf die Zahl der Neuinfektionen. Die Nennung der neuesten Infektionszahlen war lange Zeit fester Bestandteil jeder Sendung. Das hatte einerseits einen informativen Charakter, machte den Menschen bei hoher Zahl aber Angst und verleitete zur Unvorsicht, wenn am Abend zuvor nur von 200 Neuinfektionen bundesweit die Rede war.

Die falschen Schlüsse

Auch die Bilder leergeräumter Supermarktregale verfehlten häufig ihren Zweck der reinen Informationsweitergabe. Stattdessen führten sie zu einer Welle der Nachahmer, die innerhalb weniger Tage auch hierzulande zum Notstand im Einzelhandel führten. Auch die Bilder von Leichensäcken und Behelfsfriedhöfen erinnerten eher an ein Kriegsszenario. Zwar befanden sich die Gesundheitssysteme mancher Länder jenseits des Kollaps, doch bewirken auch die seriösesten Beschwichtigungen wenig im Angesicht solcher Bilder. Der Verweis auf ein stabiles deutsches Gesundheitssystem säte eher Zweifel als Vertrauen.

Den meisten Menschen war sowieso klar, dass auch unser Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenzen stieß. Plötzlich war von Ärztinnen und Ärzten und von Pflegekräften die Rede, die nicht mehr wussten, wo ihnen der Kopf stand. Begründet wurde all das mit einer höheren Belastung durch die Pandemie. Es ist unstrittig, dass Covid-19 zu einem Anstieg der stationären und intensivmedizinischen Behandlungen führte. Am Limit war das Gesundheitspersonal allerdings lange vor Corona. Statt in der Notlage die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, sah man tatenlos dabei zu, wie mitten in der Pandemie 20 Krankenhäuser geschlossen wurden und die Sana-Kliniken trotz Coronahilfen ausgerechnet beim Personal den Rotstift anlegten.

Der Druck steigt

Durch diese falsche Prioritätensetzung wich die Politik der Angst schon bald einer Politik des Drucks. Die Bilder von überfordertem Klinikpersonal nutze man geschickt dazu, um daraus die passenden Schlüsse zu ziehen. Solch katastrophalen Zustände ließen sich nur dann abwenden, wenn ein Großteil der Bevölkerung geimpft sei. Die Aussicht auf lukrative Vergünstigungen erhöhte die Impfbereitschaft weiter. Immer mehr Menschen jenseits der Risikogruppen nahmen das Impfangebot wahr. Der soziale Druck stieg.

Gleichzeitig hatten die Menschen das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Es war ihrer Impfbereitschaft zu verdanken, dass ein erneuter Lockdown in weite Ferne rückte. Indem man die Impfkampagne derart moralisch anreicherte, teilte man die Bevölkerung in gute und schlechte Menschen.

Im nächsten Schritt hob man die Testpflicht für Geimpfte auf. Dadurch stieg der Druck auf Ungeimpfte weiter. Immerhin mussten sie sich nun vor jeder öffentlichen Veranstaltung und vor jedem Besuch im Restaurant rechtfertigen, obwohl weiterhin nicht abschließend geklärt ist, in welchem Maße Ungeimpfte infektiöser sind als Geimpfte.

Der Ton wird rauer

Durch die Abschaffung der kostenlosen Tests brach sich endgültig eine Rhetorik der Drohgebärde Bahn. Entscheidend ist dabei nicht der Beschluss, dass Schnelltests in Zukunft kostenpflichtig sein sollen, sondern der Zeitraum zwischen Beschlussfassung und Inkrafttreten.

Immerhin liegen zwischen der Entscheidung und der Umsetzung zwei Monate und eine Bundestagswahl. Dieses großzügige Zeitfenster dienst nicht vorrangig dazu, den Ungeimpften entgegenzukommen, sondern erhöht den Druck auf diese Gruppe weiter. Unverhohlen droht man den Nicht-Geimpften an, sie durch die 2G-Regelung vollends vom öffentlichen Leben auszuschließen. Das Reden ist hier wichtiger als das Handeln. Solche Debatten sind nichts weiter als Drohgebärden. Die Drohung kann sich besonders gut entfalten, wenn zwischen Ankündigung und Einlösung genügend Zeit liegt.

Die Besserstellung von Geimpften ist seit Januar im Gespräch. Ihre Wirkung hat diese subtile Drohung nicht verfehlt. Die Impfquote schoss nach oben. Die Diskussion um 2G soll nun auch dem harten Kern der Impfrevoluzzer den Garaus machen. Warum Ungeimpfte plötzlich eine größere Bedrohung für die Allgemeinheit sein sollen, interessiert dabei nicht. Ebenso wenig, weswegen eine medizinisch angeblich so notwendige Maßnahme so viel Aufschub verdient. Den sanften Druck von gestern gibt es nicht mehr. Heute gibt die offene Drohung das Wort an.


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