Politik im Hinterzimmer

Sigmar Gabriel wechselt zur Deutschen Bank. Diese fragwürdige Personalentscheidung sorgt für reichlich Wirbel und Kontroverse. Während Gabriel selbst seinen Schritt verteidigt, werfen ihm Kritiker reines Machtkalkül vor. Sie sehen in ihm ein fleischgewordenes Opfer von gelebtem Lobbyismus. Und tatsächlich verwundert Gabriels Entscheidung. Wie tief ist der Lobbyismus also in Deutschland verwurzelt? Und kommt eine Demokratie ohne ihn überhaupt aus?

Seit wenigen Tagen ist es offiziell: Der ehemalige Vizekanzler Sigmar Gabriel wird Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Während er in diesem Wechsel von Politik ins Finanzwesen keinen Interessenskonflikt sieht, werfen ihm andere gar einen Bruch mit der Sozialdemokratie vor. Viele befremdet: Gabriel war bis Anfang 2018 offiziell Angela Merkels Stellvertreter als Regierungschef. Bis Ende 2019 war er Mitglied im Deutschen Bundestag. Das vergangene Jahr liegt gerade einmal einige Wochen zurück. Und nun der Wechsel in die oberste Riege des Finanzmarktes. Alles Zufall?

Auf den Spuren von Gerhard Schröder

Ob Gabriel seine Ideale verrät und was man von seiner Berufung in Reihe 1 der Deutschen Bank hält, ist erst einmal zweitrangig. Fakt ist, dass er mit dem Wechsel kein Novum geschaffen hat. Viel eher eifert er weiter seinem großen Vorbild Gerhard Schröder nach. Genau wie der einstige Kanzler war auch Sigmar Gabriel über Jahre Ministerpräsident von Niedersachsen. Beinahe wäre er auch selbst Kanzler geworden. Aber nicht nur Angela Merkel hielt ihn davon ab. Er musste sich mit Rang 2 zufriedengeben. Um diesen Fehler wieder wettzumachen, legt er nach Ende seiner politischen Karriere nun den Turbo in Richtung Wirtschaft ein. Auch Gerhard Schröder wurde fast unmittelbar nach seinem Ausscheiden aus der Bundespolitik Aufsichtsratsvorsitzender der Nord Stream AG.

Von etwaigem Verrat will Gabriel nichts wissen. Er beschwört, dass er allen Kritiken zum Trotz durch und durch Sozialdemokrat bliebe und sich an seinem Verhalten nichts ändern würde. Außerdem verbietet er sich jedwede Unterstellung, er sei ein leichtes Fressen für Lobbyisten. Er beruft sich darauf, dass er in seiner gesamten politischen Laufbahn niemals die Deutsche Bank bevorzugt behandelt hätte. Alles in allem seien seine politischen Berührungspunkte mit dem krisengeschüttelten Finanzhaus äußerst gering gewesen.

Immerhin in diesem Punkt ist er seinem Vorbild Schröder voraus. Während Schröder die Vorhaben der Nord Stream AG immer gefördert hatte, kann man Gabriel tatsächlich keine auffallende Nähe zur Deutschen Bank vorwerfen. Seine Argumentation hinkt aber trotzdem aus zwei Gründen.

Ein Wirtschaftsminister ohne Alibi

Erstens ist es schlicht unglaubwürdig, dass er als Wirtschaftsminister und Vizekanzler keine Nähe zu großen Banken zugelassen haben soll. Unsere Wirtschaft würde ohne Banken überhaupt nicht funktionieren. Natürlich hängt der Wirtschaftsminister einer Nation da mit drin.

Zweitens sind seine Ausreden leicht umkehrbar. Er beteuert, dass er niemals etwas mit Banken am Hut hatte. Das stimmt sogar. Und genau darum mutet es auch so seltsam an, dass gerade er den Aufsichtsratsposten bekommen hat. Die wenigsten studierten Germanisten verirren sich in die vorderen Reihen einer der größten Banken des Landes. Und selbst hartgesottenen Bankern bleibt der Weg dorthin oftmals versperrt. Aber Siggi schafft’s von 0 auf 100 – ganz ohne Gegenleistung. Ist klar.

Zweierlei Maas

Von jeher hatte die Sozialdemokratie zwei natürliche Fressfeinde: den Rechtspopulismus und die Korruption. Beide gehören sie zur Gattung der Demokratieschädlinge. Während die deutsche SPD für Rechtsaußen allerdings nur schwer verdaulich ist, verspeist die Korruption sie zum Frühstück. Ganz deutlich wird das am aktuellen Fall Thilo Sarrazin. Der ehemalige SPD-Politiker hat sich mit seinen kritischen Äußerungen zur Einwanderung muslimischer Bürger unter den Genossen ins Aus manövriert. Erst vor kurzem schloss ihn seine ehemalige Partei aus.

Ganz offensichtlich sehen es die Sozen überhaupt nicht gerne, wenn man in den Kanon der Rechtspopulisten einsteigt. Und mit dem Parteiausschluss haben sie auch recht. Wer solche Ansichten vertritt, der ist in einer sozialdemokratischen Partei schlicht fehl am Platz. Aber sollte das nicht auch für Leute gelten, die sich der Wirtschaft beinahe andienen? Warum zweifelt die SPD nicht an den Idealen des ehemaligen Vizekanzlers? Gerade die Sozialdemokraten sollten doch ein gewaltiges Interesse daran haben, nicht einmal in die Nähe eines Korruptionsverdachts zu geraten. Trotzdem werden Mitglieder wie Sigmar Gabriel geradezu hofiert.

Endstation Politiker?

Irgendwo habe ich die süffisante Frage gelesen, was scheidende Politiker denn sonst machen sollten. Ob es irgendeine Beschäftigung gäbe, für die sie nicht kritisiert werden würden. Schwierig. Ich kann aber nur noch einmal wiederholen, wie merkwürdig es erscheint, wenn ein Mensch wie Sigmar Gabriel so mir nichts dir nichts in die Chefetage einer Bank wechselt, ohne Vorkenntnisse.

Angeblich will er seine sozialdemokratischen Ideale behalten. Wie schön für ihn. Als Abgeordneter könnte er sie allerdings viel besser einbringen als von der Spitze der Deutschen Bank. Sein Verhalten ist durchschaubar: Auf Bundesebene kommt er nicht höher. Kanzler wurde er nie und wird er auch nie werden. Erst recht nicht in der SPD. Der Wechsel zur Deutschen Bank entspringt seinem Machtkalkül.

Wenn Konzerne Gesetze schreiben

Bevor ich jetzt noch unfair werde und Sigmar Gabriel total in Grund und Boden wuchte, vielleicht einmal ein Blick hinter die Kulissen. Gabriel will sich unter gar keinen Umständen als Lobbyist verstanden wissen. Er beruft sich darauf, in seiner politischen Laufbahn die Deutsche Bank zu keinem Zeitpunkt bevorzugt behandelt zu haben. Glauben wir ihm das für den Moment. Das gemeine an Lobbyismus ist allerdings, dass er äußert subtil und verborgen sein kann. Nicht jeder macht’s wie Schröder und lässt sich ganz offensichtlich für seine wohlwollende Politik belohnen.

Dass Lobbyismus die Politik stärker beeinflusst als vielen lieb ist, ist ein unbestreitbarer Fakt. Trotzdem ist Lobbyismus nicht gleich Lobbyismus. Es gibt ihn in verschiedenen Gewändern. Er kann produktiv sein, aber auch eine Blockadehaltung einnehmen. Die deutschen Waffenexporte beispielsweise sind ein gutes Beispiel für produktiven Lobbyismus. Die Waffenschmieden profitieren ganz erheblich und sehr offensichtlich davon, dass Deutschland die Konflikte in Nahost militärisch aufheizt.

Chamäleon Lobbyismus

Die Lebensmittelbranche ist schon ein anderes Kaliber. Gegen die Widerstände großer Konzerne und Lebensmittelhersteller hat die Ernährungsministerin Julia Klöckner keinen größeren Wurf hinbekommen als eine freiwillige Lebensmittelampel. Eine echte Lenkungswirkung lässt sich so nur schwer entfalten. Viele Hersteller müssen also gar nichts tun. Ziel erreicht.

In diesem Fall ist es aber schon schwieriger, einzelnen Konzernen den Vorwurf von Lobbyarbeit zu machen. Solange die Angabe auf Lebensmitteln freiwillig bleibt, können Verweigerer nicht zu Buhmännern gemacht werden. Aber genau so funktioniert Lobbyismus: Einerseits können Gesetze diktiert werden, die eindeutig dem eigenen Vorteil gereichen. Andererseits können nachteilige Gesetze abgewehrt werden. Verantwortliche auszumachen ist besonders in letzterem Fall schwierig. Und das ist auch der Sinn von Lobbyismus. Er operiert vornehmlich verdeckt und ist eben nicht immer durchschaubar. So durchsichtig Sigmar Gabriels neuestes Manöver auch sein mag – aktiven Lobbyismus kann man ihm tatsächlich nicht vorwerfen.

Vielleicht wäre es da leichter gewesen, wäre er ein Politiker auf EU-Ebene. Nur zurecht ist diese politische Instanz als Hotspot des Lobbyismus verschrien. Fälle wie die zweifelhaften Vorhaben von Bayer-Monsanto machen das Parlament der Europäischen Union zum Gespött in der demokratischen Tradition Europas. Gerade erst hat Österreich ein Verbot des Unkrautvernichters Glyphosat in allerletzter Sekunde gekippt. Selbstredend hat der Mega-Konzern, der das Mittel vertreibt, nichts damit zu tun. Es lag an Formfehlern. Für ganz Europa ist ein solches Verbot erst recht nicht in Sicht, obwohl ein erheblicher Teil der Bürger dafür wäre. Die ehemalige EU-Abgeordnete Sarah Wagenknecht beschreibt den Einfluss von Lobbyismus in der EU gar als monströs.

Halb so wild?

So stark ist der Einfluss von Lobbyismus auf Bundesebene zum Glück nicht. Trotzdem gibt es auch dort massive Probleme. Manche werden sich fragen, was denn so schlimm daran sei, wenn auch Unternehmen und juristische Personen ein politisches Mitspracherecht haben. Dazu sei zum einen gesagt, dass hinter jedem Konzern und jeder juristischen Person immer mindestens eine natürliche Person steht. Dieser Mensch kann bereits jetzt schon auf herkömmlichem Wege demokratisch gestalten und mitwirken. Ganz ohne Hinterzimmertreffen.

Es bedarf also keiner lobbyistischen Instrumente, um demokratisch aktiv zu werden. Denn eines ist völlig klar: Lobbyismus ist das Gegenteil von Demokratie. Demokratie ist fair, sie ist transparent und sie ist inklusiv. Lobbyismus hingegen ist von Natur aus eigennützig und egoistisch, er zeichnet sich durch eine hohe Intransparenz aus und ist exklusiv. Einer zieht bei erfolgreichem Lobbyismus also immer den schwarzen Peter.

Lobbykratie vs. Demokratie

Die Macht da oben haben sowieso andere. Alle korrupt. Politiker sind Lügner. Solche Sprüche hat bestimmt jeder schon einmal gehört. Sie sind Zeugnisse einer funktionierenden Lobbykratie. Wenn politische Entscheidungen im verborgenen getroffen werden, braucht sich niemand darüber zu wundern, wenn immer mehr Menschen den Glauben an eine funktionierende Demokratie verlieren. Es sind Personalien wie Sigmar Gabriel, die die Glaubwürdigkeit von Politikern, angeblichen Volksvertretern, weiter untergraben. Gäbe es allerdings verpflichtende Lobbyregister und wirksame Karenzzeiten für scheidende Politiker, hätten sie es erheblich schwerer, ihrem Ruf als notorische Lügner gerecht zu werden.

Doch manche Menschen kriegen den Hals nicht voll. Als gut getarnter Soze wird Sigmar Gabriel die Deutsche Bank mit Sicherheit künftig von innen heraus revolutionieren. Eine zwangsläufige Erscheinung? Zeichnet es einen guten Opportunisten und einen guten Lobbyisten nicht gerade aus, dass sie sich auch in einer Demokratie über Wasser halten können? Ganz bestimmt nicht. Solche Charaktere sind in einer guten Demokratie gar nicht möglich. Ein guter Lobbyist versteht es nur meisterlich, die Defizite einzelner Demokratien zu nutzen, um das System als solches zu unterwandern.

Lobbyismus ist kein Fehler in der Demokratie. Er ist in einer funktionierenden Demokratie überhaupt nicht vorgesehen. Er fußt auf Geheimhaltung und Verschleierung. Er nimmt dort Einfluss, wo Bürger es nicht können. Er verschafft sich auf fragwürdige Art und Weise einen Vorteil vor den Wählern. Echte Demokratie geht nur ohne ihn.

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Sozialer Rassismus – Unterschätzte Gefahr

Die Rechtspopulisten sind weiter auf dem Vormarsch – auch in Deutschland. Für viele ist es schier unbegreiflich, warum manche Menschen eine Partei wählen, die offen rassistische Ressentiments schürt. Sind denn jetzt alle Rassisten geworden? Wohl kaum. Die meisten waren viel zu lange viel zu stille Opfer. Andere befürchten zurecht, bald welche zu werden. Die wenigen übrigen sind echte Rassisten, die sich diese Ängste zunutzemachen.

Eine Horde Rassisten

Am Frankfurter Hauptbahnhof wirft ein Mann einen achtjährigen Jungen und dessen Mutter unvermittelt vor einen einfahrenden Zug. Für den Jungen kommt jede Hilfe zu spät. In Augsburg wird ein stadtbekannter Feuerwehrmann im Streit von einem 17-jährigren Jugendlichen totgeschlagen. Im Juni 2018 wird die 14-jährige Susanna F. aus Mainz tot aufgefunden. Ein 20-jähriger hatte sie zunächst vergewaltigt und dann erwürgt. Alle diese Fälle eint, dass sie von männlichen Tätern mit Migrationshintergrund begangen wurden. Alle Fälle eint auch, dass sie von Rechtspopulisten für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert wurden.

Diese Instrumentalisierung ging sogar so weit, dass die AfD eigenmächtig eine Gedenkminute für die ermordete Susanna aus Mainz abhielt. Im Fokus dieses Eklats stand allerdings nicht das Opfer der grausamen Tat, sondern der Täter. In ekelerregender Manier verschoben die Rechtspopulisten den Blickwinkel auf die Herkunft des Täters – und tanzten dadurch auf dem Grab eines Mordopfers. Immer wieder verweist die nationalkonservative Partei auf eine Vielzahl an Straftaten, die von männlichen Tätern mit Migrationshintergrund begangen werden. Sie verwahren sich gegen Vorwürfe, rassistisch zu handeln.

Doch genau das tun sie. Sie weisen auf einen Zusammenhang zwischen krimineller Tat und der nationalen Herkunft der Täter hin. Im Prinzip teilen sie dabei Menschen in verschiedene Gruppen ein, von der einige gewaltbereiter sind als andere. Sie stellen die Flüchtlinge unterschiedlichster Herkunft pauschal als unzivilisierte Barbaren dar, als tickende Zeitbomben, die jederzeit hochgehen könnten. Wer davon ausgeht, bestimmte Bevölkerungsgruppen hätten generell bestimmte Eigenschaften, der ist ein Rassist.

Wir sind mehr!

Ganz bewusst schürt die AfD also fremdenfeindliche Ressentiments. Genau so zuverlässig, wie die AfD ihre Stimme gegen Migration erhebt, so regelmäßig fällt auch der viel lautere Widerspruch gegen solche Stimmungsmache aus. Gerade in Deutschland ist man weiterhin äußerst sensibel dafür, wenn bestimmte Kräfte eine ganze Gruppe unter Generalverdacht stellen. Wo immer Rechtspopulisten ihre Kundgebungen und Demonstrationen abhalten, da schlägt auch eine Vielzahl von Gegendemonstranten auf, die sehr viel lauter die Werte der freiheitlichen Demokratie verteidigen.

Nach dem fürchterlichen Anschlag in Halle zeigten sich die meisten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland entsetzt darüber, wie kaltblütig ein Mensch handeln kann. Gerade wenn in diesem Land Jüdinnen und Juden in welcher Form auch immer angegriffen werden, wissen die meisten: So nicht! Es ist Zeit zu handeln.

In einem Land mit einer so dunklen Geschichte wissen die Menschen sehr genau, wann Grenzen überschritten werden. Und es bedürfte noch nicht einmal dieser finsteren Vergangenheit. Rassismus und Antisemitismus sind immer falsch. Immer!

Entwürdigendes Schauspiel

Ich finde es richtig, wenn sich Menschen solchen Entwicklungen entgegenstellen und mit lauter Stimme dagegenhalten. An anderen Stellen bleibt die Entrüstung leider viel zu leise. Wenn ein Rentner in einem absurd reichen Land wie Deutschland in Parks und in Bahnhöfen im Müll nach Pfandflaschen suchen muss, quittieren viele das bestenfalls mit einem genervten Augenverdrehen. Pfandflaschensammelnde Rentner gehören inzwischen leider zum gutbürgerlichen Panorama der Nation. Was bleibt diesen Menschen anderes übrig? Nach jahrzehntelanger Arbeit wird ihnen die Rente so pervers zusammengekürzt, dass viele sich weiter krummmachen müssen – ob im Betrieb oder über dem Mülleimer.

Und was macht die Gesellschaft? Ein genervtes Verdrehen der Augen, ein Wegschauen oder ein verächtliches Schnauben ist meist die wohlwollendste Antwort auf ein solches Phänomen. In widerlicher Überheblichkeit diffamieren einige solche Menschen als Asoziale, die der Gesellschaft mehr schaden als nutzen. Jüngstes Beispiel für diese völlige Verkennung der Tatsachen ist der vom WDR produzierte Song, der gegen die ältere Generation wettert. Angeprangert wird hier unter anderem, dass sich die Oma billiges Fleisch beim Discounter kauft. Wo denn auch sonst von einer so mickrigen Rente?!

Ich bin dann mal hartzen

Pfandflaschensammler oder auch Hartz-IV – Empfänger müssen es sich gefallen lassen, immer häufiger und immer unverblümter als Taugenichtse und als Last hingestellt zu werden. Natürlich gibt es immer genügend Beispiele von Menschen, die sich aus dem Hartz-IV herausarbeiten oder trotz der Sozialhilfe nicht 15 Jahre alt sind, kiffen und auf den Namen Cindy-Chantal hören. Diese Einzelfälle sind notwendig, um die Vielzahl der anderen noch erschreckender und abartiger erscheinen zu lassen. Genau so funktioniert übrigens auch herkömmlicher Rassismus.

Doch woher kommt diese gefühlte Überlegenheit über andere Bevölkerungsschichten? Ein Blick ins heutige TV-Programm reicht aus, um diese Frage zumindest teilweise zu beantworten. Während im WDR besagter Oma-Song in Dauerschleife läuft, reiht sich bei RTL II eine Frauentausch-Folge an die andere. Auf anderen Sendern bietet sich ein ähnliches Bild. Diese Geschichten spielen natürlich mitten im Leben von sozialschwachen Menschen. Der Begriff dafür: Assi-TV. Nicht für Assis, sondern mit Assis. Gezeigt werden bevorzugt Hartz-IV – Empfänger, die entweder zu faul oder zu blöd zum Arbeiten sind. Dass dabei eine deutliche Minderheit an den Pranger gestellt wird, ist egal. Diese Allgegenwärtigkeit schlechter Beispiele ist ebenso typisch für Rassismus.

Plötzlich Rassist?

Die Bundesregierung zeigt sich indes völlig entsetzt darüber, dass die AfD ihre völkischen Ideen verbreitet und den Rassismus im Lande streut. Dabei war und ist es doch die Regierung und ihre Vorgänger, die den Grundstein dafür gelegt hat. Mit Hartz-IV installierte die damalige Rot-Grüne Regierung ein Sanktionssystem, das die Gesellschaft natürlich spaltete. Arm wurde gegen Reich ausgespielt. Der Sozialhilfeempfänger gegen den fleißigen Arbeiter. Und selbstverständlich schürt das Ängste vor dem eigenen sozialen Abstieg.

Die Folge war sozialer Rassismus, der wie ein Riss durch das Land ging. Die AfD nutzte diese Spaltung aus. Die Opfer von Sozialrassismus konnten sich so wieder Gehör verschaffen. Obendrauf befreiten die Rechtspopulisten sie von den Fesseln der sozialen Unterdrückung. Diese Menschen wollten keine Opfer mehr sein. Opfer sind nun andere. Die vielen Flüchtlinge nämlich, die sich laut rechter Propaganda in unsere Sozialsysteme einschleichen und zum Dank deutsche Frauen vergewaltigen und serienweise deutsche Männer abstechen.

Ethnischer Rassismus hatte es schon immer sehr einfach, die Opfer von Sozialrassismus auf seine Seite zu ziehen. Die Menschen sagen: „Ich habe ja nichts gegen die Ausländer, aber…“ Und genau das stimmt. Die Menschen haben nichts gegen Ausländer. Wie soll das auch gehen? Ehrenhafte Bürger mutieren mir nichts dir nichts zu überzeugten Rassisten?! Klingt abwegig. Ist es auch.

Einen Schritt weiter

Das soll aber nicht heißen, dass die AfD einzig aus einer Truppe sozial abgehängter und vernachlässigter besteht. Das würde das Potenzial dieser Partei verharmlosen. Zündfunke der rechtspopulistischen Bewegung war echter Rassismus und rechtsextremes Gedankengut. Das ist übrigens nicht nur in Deutschland so, sondern in vielen anderen Ländern auch. Hinter jedem Aufmarsch sogenannter Wutbürger steht mindestens ein Scharfmacher, der die Protestierenden wie Marionetten an seinen Strippen führt.

Die AfD ist gut damit beschäftigt, ethnischen Rassismus in unserer Gesellschaft salonfähig zu machen. Sie haben es noch nicht ganz geschafft. Offener Rassismus ist in weiten Teilen der Bevölkerung nach wie vor tabu. Die Regierungen der letzten Jahre waren da erfolgreicher. Wenn ein Hartz-IV – Empfänger als „Assi“ beschimpft wird, trifft das auf breiteren Konsens. Keiner würde sagen: „Ich habe ja nichts gegen Hartz-IV – Empfänger, aber viele davon sind einfach dumm und faul.“ Der erste Teil des Satzes wäre für viele eine Lüge.

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Alles oder nichts – Wählen mit 16

Beitragsbild: jette55, pixabay.

Lesedauer: 10 Minuten

Wer in Deutschland unter 18 ist, hat bei Wahlen häufig schlechte Karten. Nur in einigen Bundesländern dürfen Jugendliche bei Kommunal- und Landtagswahlen ihre Stimme abgeben. „Richtig so“, meinen die einen. „Unfair“, protestieren die anderen. Viele Skeptiker lassen sich von plumpen Vorannahmen leiten, während einige Befürworter wichtige Spielregeln der Demokratie hinten anstellen. Dabei geht es bei dieser Frage doch um das Miteinander, und nicht um das Gegeneinander.

Wahlen FSK 18

“Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.“ Beim Wahlalter für die Bundestagswahl ist das Grundgesetz eindeutig. Wer nun noch glaubt, dass nur Volljährige in Deutschland wählen dürfen, der lese sich das Zitat aus der Verfassung noch einmal Wort für Wort durch. Denn nur das passive Wahlrecht, also das Recht, gewählt zu werden, ist an die Volljährigkeit gekoppelt. Das aktive Wahlrecht hingegen ist noch präziser an ein bestimmtes Alter gebunden. Dieses Alter ist momentan deckungsgleich mit der Volljährigkeit. Bei Verfassungsänderung könnte es also unkompliziert weiter gesenkt werden, ohne den Begriff der Volljährigkeit auszuhöhlen oder anzugreifen. Das ermöglichte es auch den Parlamentariern der Brandt-Ära das Wahlalter von damals 21 auf 18 Jahre abzusenken.

Doch für eine solche Grundgesetzänderung ist eine Zwei-Drittel – Mehrheit im Bundestag erforderlich. Die unionsgeführte Bundesregierung kann die Reform des Wahlrechts also kinderleicht blockieren. Denn auch wenn die Große Koalition geschrumpft sein mag – ihr sind weiterhin über die Hälfte der Sitze im Bundestag sicher. Auf Bundesebene wird sich ein Wahlrecht für 16-jährige also weiterhin nicht durchsetzen lassen.

Der Mythos von den komplexen politischen Zusammenhängen

Auf Landesebene sieht es da schon ganz anders aus. Artikel 38 des Grundgesetzes beschäftigt sich mit den Wahlen zum Bundestag, nicht aber mit denen zu den Landtagen. Für ihr jeweiliges Wahlrecht sind die Bundesländer selbst verantwortlich. Inzwischen dürfen 16-jährige in vier Bundesländern an den Landtagswahlen teilnehmen (und zwar in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein). In sechs weiteren Ländern sind die 16- und 17-jährigen zumindest nicht von den Kommunalwahlen ausgeschlossen. In Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt haben die jungen Menschen ein umfassenderes Wahlrecht als in den übrigen sechs Bundesländern.

In über der Hälfte der Republik dürfen 16-jährige also weiterhin nicht wählen. Viele der Kritiker einer entsprechenden Wahlrechtsreform berufen sich immer wieder auf die gleichen Argumente. So bezweifeln viele von ihnen, ob 16-jährige bereits in der Lage sind, die komplexen politischen Zusammenhänge zu verstehen. Ich aber frage: Wer, wenn nicht diese Altersgruppe? Genau dann werden Schüler nämlich im Gemeinschaftskundeunterricht an das Wahlsystem der Bundesrepublik herangeführt. Was ein Ausgleichsmandat ist und wie es zustandekommt, kann so mancher 16-jähriger sicher besser erklären als jemand, der schon mehrere Bundestagswahlen hinter sich hat.

Wenig überraschend kommt ein solches Argument häufig von der Partei um Christian Lindner. Der tiefgelbe Partei- und Fraktionschef machte vor nicht allzu langer Zeit gehörig von sich reden, als er das politische Verständnis jugendlicher Klimaaktivisten bezweifelte. Und das kommt ausgerechnet von einem Mann, der einst selbst als – Achtung, Pointe! –16-jähriger in seine Partei eintrat. Im übrigen ist eine Mitgliedschaft bei den Julis (Jungen Liberalen) bereits im zarten Alter von gerade einmal 14 Jahren möglich.

Lappen ja, Wahlschein nein

Womit wir auch schon beim nächsten Argument der Skeptiker wären. In solch jungen Jahren hat man andere Dinge im Kopf als Politik. Stimmt. Die nächste Mathearbeit zum Beispiel. Oder den ersten Freund. Oder die Führerscheinprüfung. Denn Fahrstunden dürfen 16-jährige in Deutschland problemlos absolvieren. Von vielen Wahlen bleiben sie allerdings ausgeschlossen.

Außerdem ist dieses Argument leicht umkehrbar. Es suggeriert nämlich beinahe, dass ältere Menschen an nichts anderes als an Politik denken. Wenn ich nicht gerade einen neuen Beitrag für diesen Blog schreibe, denke ich zum Beispiel oft an Essen. Oder an meine Freunde. Oder an Geld. Und nicht jeder denkt so oft über politische Zusammenhänge nach wie ein Bundestagsabgeordneter. Weder 16-jährige noch 40-jährige.

Die Jugend macht Druck

Vielleicht mag es stimmen, dass politisches Desinteresse verstärkt unter jungen Leuten auftritt. Doch hier werden grandios Ursache und Wirkung vertauscht. Würde man das Wahlrecht für Unter-18 – jährige öffnen, so würden sich viele Teenager ganz anders mit Politik und Gesellschaft auseinandersetzen. Das Phänomen „interessiert mich nicht“ würde in dieser Alterskohorte dann nicht mehr signifikant öfter auftreten als bei deutlich älteren Menschen.

Übrigens hat nicht nur die FDP eine Jugendorganisation. In vielen weiteren Parteien treten zahlreiche Jugendliche für ihre politischen Überzeugungen ein. Dieses Engagement geht dabei oft über Parteigrenzen hinaus. In jüngster Zeit bewies die Fridays-for-Future – Bewegung, welch enormes politisches Potenzial, und vor allem Interesse, in der Jugend steckt.

Die Gegner des Ab-16 – Wählens kommen dann mit der Keule, Jugendliche seien leichter durch Extrempositionen verführbar. Dazu sei folgendes gesagt: Der Ausschluss von 16- und 17-jährigen bei Wahlen hat in der deutschen Geschichte noch nie dazu geführt, dass das Volk besser vor Extremen geschützt war. Das Gegenteil ist richtig: Sowohl 1968 als auch 1989 und heute sind es in großer Zahl junge Menschen, die für die Demokratie und gegen Gewalt und Extreme auf die Straße gehen.

Keine Experimente mit dem Rechtsstaat!

Trotzdem ist genau so wahr, dass viele 16-jährige tatsächlich in höherem Maße manipulierbar sind als ältere Gruppen. Da sie nach geltendem Recht noch nicht volljährig sind, stehen sie weiterhin in verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen; zum Beispiel von den Eltern. Auch das muss beim Wahlrecht ab 16 bedacht werden. Ein solches „Experiment“ darf auf keinen Fall auf dem Rücken des Rechtsstaats durchgeführt werden.

Neue Wege sollten aber dennoch beschritten werden. Das Argument, Jugendliche hätten ja keine Erfahrung mit Wahlen halte ich für unlauter. Über eine solche Erfahrung verfügten unsere Vorfahren nach dem Ersten Weltkrieg schließlich auch nicht und trotzdem machten sie sich auf den mutigen Weg in die erste deutsche Republik.

Die herkömmlichen Gründe, warum 16-jährige auf ihr Wahlrecht verzichten sollen, hinken also größtenteils. Manche von ihnen sind willkürlich oder austauschbar. Viele andere sind leicht zu widerlegen. Wenn eine demokratisch verfasste Gesellschaft funktionieren soll, dann geht das nur, wenn möglichst wenige Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Demokratie gelingt nämlich nur gemeinsam. In den meisten Debatten zu diesem Thema vermisse ich allerdings oft ein zentrales Thema. Alle reden immer davon, warum es so eine gute Idee ist, Jugendliche wählen zu lassen oder warum das unter gar keinen Umständen erlaubt sein sollte. Kaum einem fällt allerdings die Ungerechtigkeit auf, wenn man Jugendliche einerseits wählen lässt, ihnen eine eigene Kandidatur, also das passive Wahlrecht, andererseits weiter vorenthält.

Von Wahlvieh, Amthor und der CDU

Für mich ist völlig klar: Aktives und passives Wahlrecht gehören untrennbar zusammen. Alles andere wäre zutiefst undemokratisch und würde der Demokratie eher schaden als nützen. Wenn Jugendliche zwar Parlamentarier wählen dürften, selbst aber keine Parlamentarier werden dürften, dann würde Politik über sie gemacht werden, bestenfalls noch für sie, aber niemals mit ihnen. Unter-18 – jährige würden auf diese Weise zum bloßen Wahlvieh degradiert werden, das zwar mitbestimmt, wie das Parlament zusammentritt, aber niemals aktiv daran teilnehmen könnte. Auf lange Sicht sehe ich hier die Gefahr von Politikverdrossenheit, weil sich Jugendliche trotz Wahlrecht nicht in der realen Politik wiederfinden.

Diese Gefahr steigt natürlich enorm, wenn man jungen Menschen generell das Recht zu wählen abspricht. Nachdem Rezo auf YouTube ordentlich Tacheles geredet hat, verbreitete sich der Hashtag NieMehrCDU wie ein Lauffeuer. Vor allem die Christdemokraten haben den Anschluss an die junge Generation verloren, sonst wäre eine solch ablehnende Haltung nicht denkbar, Amthor hin oder her.

Ein Spiegel der Gesellschaft

Um die Jugendlichen zu erreichen, müssten sich alle Parteien bewegen und ihre Programme zumindest in Teilen anpassen. Ich kann schon verstehen, warum einige Parteien darauf keine Lust haben. Denn durch ein solch einseitiges Wahlrecht – Wählen ja, aber Gewählt-werden nein – entstünde erst recht ein Ungleichgewicht in den Parlamenten. Die Parteien würden für Stimmen von Menschen werben, die selbst aber überhaupt nicht repräsentiert wären. Selbst wenn bereits heute die Realität anders aussieht, gilt weiterhin: Der Bundestag sollte ein möglichst umfassendes Gesamtbild der Bevölkerung widerspiegeln.

Doch, oh Schreck, solch eine Regelung würde ja fast zwangsläufig mit der Schulpflicht kollidieren. Außerdem hätten es Jugendliche schwerer, eine Ausbildungsstelle zu finden, wenn sie für ein Bundestagsmandat erst einmal beurlaubt werden müssten oder sich die Stellensuche dadurch um Jahre verzögern würde. In Bundesländern wie Baden-Württemberg hat man daher einen sehr geschickten Kompromiss gefunden. Jugendliche dürfen dort zwar nicht an den Wahlen zum Landtag teilnehmen, dafür aber an Bürgerbegehren und anderen plebiszitären Mitwirkungsformen.

Ein guter Kompromiss

Das gute am Plebiszit ist, dass dort stets sachbezogene Themen behandelt werden. Es geht nicht um die Wahl von Abgeordneten oder die Zusammensetzung eines Parlaments. Bei Volksbegehren geht es immer um konkrete politische Fragestellungen, etwa ob eine neue Schwimmhalle gebaut werden soll oder ob ein Bahnhof unter die Erde verlegt werden soll. Anders als bei abstrakten Parlamentswahlen gibt es hier immer etwas unmittelbar zu entscheiden. Man kann Jugendlichen nicht vorwerfen, und anderen natürlich auch nicht, sie würden die komplexen politischen Zusammenhänge nicht verstehen, wenn sie die Wahl haben zwischen Ja, Nein oder einer Stimmenthaltung.

Ich halte eine solche Praxis für sehr sinnvoll, weil sie Jugendliche zwar eindeutig miteinbezieht, ein einseitiges und undemokratisches Wahlrecht allerdings verhindert. Warum 16-jährige nicht mitbestimmen dürfen, was im Land vor sich geht, erschließt sich mir nicht. Den Argumenten, warum sie zu jung sind, ein tatsächliches Mandat auszuüben, stehe ich jedoch offen gegenüber. Und solange das eine nicht gewährleistet ist, darf auch das andere nicht stattfinden. Getreu dem Motto: Alles oder nichts.

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