Die Frustkescher

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Im Frühjahr 2020 überschlugen sich die Ereignisse. Nachdem das Infektionsgeschehen auch in Deutschland außer Kontrolle zu geraten drohte, ergriff die Bundesregierung drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahr. Statt zu applaudieren, beschwor die AfD einen schier unaufhaltsamen Weg in die Diktatur. Und das, obwohl sie ebendiese Maßnahmen wenige Wochen zuvor noch lautstark gefordert hatte. Die Zustimmungswerte der Rechtspopulisten streifte das nur peripher. Es wird immer deutlicher, dass es vielen Leuten gefällt, dagegen zu sein. Dahinter steckt nachhaltige Enttäuschung und Frustration.

Seit etwas mehr als einem Jahr leidet die Welt unter Corona. Nachdem das Virus bereits im Januar 2020 auch außerhalb Chinas festgestellt wurde, artete das Infektionsgeschehen rasend schnell zur Pandemie aus. Am 27. Januar 2020 wurden schließlich die ersten Corona-Fälle in Deutschland bekannt. Viele Menschen waren völlig zurecht besorgt. Man war beunruhigt, weil so wenig über das neuartige Virus bekannt war, außer dass es teilweise verheerende Krankheitsverläufe gab, die nicht selten tödlich endeten. Es blieb nicht bei einigen wenigen Fällen in Deutschland. Im Frühjahr suchte die erste Welle der Pandemie sämtliche europäischen Länder heim. Allein in Deutschland registrierte man zeitweise bis zu knapp 8.000 Neuinfektionen an einem Tag.

Alles auf Lockdown

Die Menschen hatten Angst. Das erkannte auch die Politik und leitete Maßnahmen ein. Geschäfte schlossen, Menschen blieben über Ostern zu Hause, Schulen und Kitas machten zu, eine Maskenpflicht wurde verhängt – mit diesen Maßnahmen versuchte die Bundesregierung, eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Zu den ärgsten Verfechtern dieser Maßnahmen der ersten Stunde gehörte – man lese und staune – die AfD.

Die Rechtspopulisten erkannten noch vor der Bundesregierung die Tragweite der neuen Krankheit. Sie wussten als erste, wie gefährlich das Virus war und dass man schnell gegenlenken musste. Früher als alle anderen forderten sie eine harte Gangart im Umgang mit dem Erreger. Inbrünstig rief Rechtsaußen nach knallharten Regeln wie sie bereits in Italien zum Einsatz kamen. Ihnen gefiel, wie das südeuropäische Land die Pandemie managte.

Nachdem das Infektionsgeschehen auch in Deutschland immer schwerer kontrollierbar wurde, ließ sich die Bundesregierung schweren Herzens auf solch einschneidende Maßnahmen ein. Auch wenn der ökonomische Schaden überhaupt nicht absehbar war, fuhr sie die Wirtschaft konsequent herunter. Die Bürgerinnen und Bürger bat sie eindringlich, auf unnötige Kontakte zu verzichten und zu Hause zu bleiben. Es ist dem disziplinierten Verhalten der Vielen zu verdanken, dass es im Sommer einige Wochen der Entspannung mit nur noch wenigen hundert Neuinfektionen pro Tag gab.

Hauptsache anti

Eigentlich alles tutti für die AfD könnte man meinen. Doch so überraschend wie Darmwinde kommen und gehen, drehte sich auch bei den Rechtspopulisten der Wind. Forderten sie im Februar noch eine harte Gangart, wollten sie von solchen Erwägungen wenige Monate danach nichts mehr wissen. Sie schlossen sich einer immer lauter werdenden Minderheit in der Bevölkerung an, die das Land im strammen Marsch hin zu einer Diktatur sah.

Und die Wähler der AfD? Ungeachtet dieser spektakulären 180-Grad – Wendung blieben die Umfragewerte der Partei ziemlich konstant. Die blau lackierten Faschisten hatten sich schon vor Corona in einem Umfragetief verfangen. Kamen sie bei der Bundestagswahl 2017 noch auf fast 13 Prozent der Stimmen, suggerierten neuere Umfragewerte eine Zustimmung von lediglich etwa 9 Prozent. Der ausgebliebene deutliche Einbruch bei diesen Werten lässt nur einen Schluss zu: Die AfD wendet sich immer unvoreingenommen gegen alles, was von der Regierung kommt – und den Wählern gefällt’s. Wie keine andere Partei versteht die AfD es meisterlich, die Frustration derer zu bündeln, die sich schon lange enttäuscht von der Politik abgewendet haben. Dieser rechtspopulistische Opportunismus offenbart einen großen Vertrauensverlust gegenüber der Politik und der Demokratie. Diese Menschen sind der festen Überzeugung, dass alles schlecht ist, was von der herrschenden Politik kommt. Sie wurden einfach zu oft enttäuscht.

Bloß nicht AfD

Corona mag die Umfragewerte der Unionsparteien beflügelt haben. Wie bei keiner anderen Partei schnellten die Zustimmungswerte der Konservativen während der ersten Welle der Pandemie in die Höhe. Man schien Merkels Partei einen souveränen Umgang mit dem Virus zuzutrauen. Trotzdem vermochte es auch die Union nicht, der AfD endgültig den Garaus zu machen. Es gelang den regierungstragenden Parteien weiterhin nicht, den Rechtspopulisten das Wasser abzugraben. Dabei machte es die AfD den anderen Parteien durch ihre krasse Kehrtwende in der Corona-Politik doch nun wirklich nicht sonderlich schwer.

Die schwindende Zustimmung zur AfD seit 2019 ist einzig damit zu erklären, dass einige ihrer Wähler eingesehen haben, dass auch von dieser Partei keine Politik in ihrem Sinne zu erwarten ist. Zu den verfemten Altparteien führte sie das nicht. CDU, SPD und Grüne nannten den Wählerinnen und Wählern immer wieder hunderte von Gründen, die AfD nicht zu wählen. Eines blieben sie den Menschen dabei aber schuldig: Einen einzigen Grund stattdessen sie zu wählen.

Politik von oben

Somit ist eigentlich sicher, dass die meisten der AfD-Abtrünnigen nicht zu CDU oder SPD zurückkehrten. Viele von ihnen werden dem Politikbetrieb stattdessen für immer den Rücken gekehrt haben. Sie sind endgültig Nichtwähler geworden. Auch der prozentuale Anteil dieser Gruppe hat sich in den Statistiken der letzten Monate kaum verändert. Das liegt aber vor allem daran, dass Statistiken dazu neigen, Unentschlossene und Nichtwähler zusammenzufassen. Die Aussagekraft dieser Kohorte ist also eingeschränkt.

Stattdessen klaute sich die Union die Stimmen munter bei anderen Parteien. Nachdem sie einsehen musste, dass das bei den Sozialdemokraten aufgrund mikroskopischer Umfragewerte nicht mehr lange möglich sein wird, boten sie nun auch gutverdienenden Grünen-Wählern ein politisches Zuhause. Gerade unter diesen grunddemokratischen Gutwählern werden sie aber kaum jemanden finden, der nachhaltig von der Politik der letzten Jahre enttäuscht wurde. Immer offensichtlicher machen die selbsternannten Parteien der Mitte fast ausschließlich denen ein politisches Angebot, die an einem Weiter-so der Politik Interesse haben – oder es zumindest gut verkraften können.

9 Prozent verloren?

Dass eine in Teile offen rechtsextremistische Partei mit einem zweistelligen Ergebnis in den Bundestag einzieht, hätte eigentlich ein Weckruf sein müssen. Anstatt aber die Gründe für das Erstarken der Rechten kritisch zu hinterfragen, suchten vor allem die Regierungsparteien die Schuld fast ausschließlich bei den Wählerinnen und Wählern. Man zeigte sich empört darüber, dass es Menschen gab, die ihre Stimme allen Ernstes einer Partei schenkten, die von einem Mahnmal der Schande sprach und an der Grenze am liebsten auf Flüchtlinge schießen würde. Die Frage nach der eigenen Schuld trat stets hinter selbstgerechten Bevormundungen der Wähler zurück.

Auch in der jetzigen Situation wird viel zu wenig hinterfragt, was 9 Prozent der Bevölkerung dazu veranlasst, weiter zur AfD zu halten. Mit ihrem obskuren Bäumchen-wechsle-dich – Spiel in der Corona-Politik haben die Rechten doch bewiesen, dass von ihnen kein großer Wurf zu erwarten ist. Ihr Einzug in den Bundestag war vielleicht die letzte Chance, davongelaufene Wähler zurückzugewinnen. Dass diese nach dem Corona-Trauerspiel weiterhin der AfD vertrauen oder sogar bereits zu Nichtwählern wurden, ist Beleg genug, dass auch dieser Weckruf verschlafen wurde.

Es zeigt natürlich, dass die AfD ihren Wählern viel eingeredet hat. Dass wir auf dem Weg in eine Diktatur sind und dass im Parlament ein Ermächtigungsgesetz durchgedrückt werden soll, ist vollkommener Blödsinn. Trotzdem wären die Rechten mit ihren Parolen auf taube Ohren gestoßen, wenn sich die Menschen von der Politik vertreten und ernstgenommen gefühlt hätten. Der Schulz-Hype war vielleicht die letzte Chance der SPD, eine Veränderung im Land herbeizuführen. Der ehemalige Kanzlerkandidat sprach augenscheinlich zunächst die Sprache der Mehrheit. Als jedoch klar wurde, wie mut- und kraftlos sein Programm war, wendeten sich die Menschen wieder ab.


Die AfD wird in diesem Land nichts zum Guten verändern können. Sie kann spalten und Angst machen. Aber sie kann auch Menschen politisieren, die lange die Hoffnung aufgegeben hatten. Statt dieses Potenzial zu nutzen und die Menschen von den eigenen Ideen zu überzeugen, überließ man sie ungläubig der AfD. Die verliert aber an Rückhalt. Die demokratischen Parteien können nur sehr wenige von ihnen auffangen. Der Rest hat noch nachdrücklicher das Gefühl, dass ihre Meinung keinen interessiert.


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Dafür oder dagegen

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Der Ausgang der anstehenden US-Präsidentschaftswahl ist völlig ungewiss. Trump schwächelt zwar, ein möglicher Sieg für ihn ist aber weiterhin nicht vom Tisch. Sein Herausforderer Biden hat es bis heute nicht geschafft, den Menschen über Donald Trump die Augen zu öffnen. Das ist auch kein Wunder, wählen viele schließlich nicht FÜR Trump, sondern GEGEN Biden. Auch in der deutschen Parteienlandschaft zeichnet sich ein ähnlicher Trend ab. Viele wählen nicht für die Populisten, sondern gegen das Establishment.

And the next president is…

Ende des Jahres stehen die US-Amerikaner erneut vor der Wahl: Wer soll ihr Land in den nächsten vier Jahren regieren? Darf sich der amtierende Präsident Donald Trump weiter im Weißen Haus verschanzen, ein sinnvolles Anti-Kriegs – Abkommen nach dem anderen aufkündigen und viele weitere egoistische Wirtschaftsembargos verhängen? Oder soll zukünftig Joe Biden die Geschicke des Staatenbunds bestimmen – ein in die Jahre gekommener Hardcore- Establishmentverfechter, den außer fehlendem Haarvolumen und Make-up nicht viel von seiner glücklosen Vorgängerin Hillary Clinton unterscheidet?

Auch bei der US-Wahl 2020 zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf – Rennen zwischen den beiden Kontrahenten ab. Wie bereits vor vier Jahren ist vollkommen ungewiss, wer die Wahl gewinnen wird. Trump schwächelt zwar in Umfragen, sein Rückhalt ist aber weiterhin enorm. Eines ist allerdings jetzt schon klar: Wer sein Kreuz hinter Trump macht, der stimmt nicht zwangsläufig für den amtierenden Präsidenten. Denn jede Stimme, die Trump einheimsen kann, ist eine Ohrfeige für Biden.

Pest und Cholera

Das Wahlsystem in den USA lässt prinzipiell gar keinen anderen Schluss zu. Im Rennen sind in der Regel nur zwei aussichtsreiche Kandidaten, einer für die Demokraten, der andere für die Republikaner. Und doch ziehen viele Amerikaner den tobsüchtigen, egoisitischen, organenen Mann einem Kandidaten vor, der zwar auf den ersten Blick stinklangweilig wirkt, aber bestimmt auch über eine Menge Lebenserfahrung verfügt. Wie bereits 2016 wird für Trump nicht gestimmt, weil er ein so unfassbar geeigneter Präsident ist, sondern weil sein Gegenspieler ein so unfassbar ungeeigneter Kandidat ist.

Selbst wenn Hilary Clinton 2016 die Wahl gewonnen hätte: Ähnlich wie Trump hätte sie das nur mit einem hauchdünnen Vorsprung geschafft. Und das hat Gründe. Viele Wählerinnen und Wähler spürten, dass es mit einer Präsidentin Clinton nicht vorwärts gegangen wäre. Von ihrer Präsidentschaft versprachen sich viele viel zu wenig. Sie war die Kandidatin des Establishments, der sozialen Unsicherheit und der Reichen und Mächtigen. Es ist ein Trauerspiel, dass die Wähler selbst einem Donald Trump eher das Vertrauen aussprachen – einem offensichtlichen Chauvinisten, der Frauen beschimpft und es mit der Wahrheit überhaupt nicht genau nimmt.

Und auch bei der kommenden Wahl dürfte es eng werden. Es ist natürlich möglich, dass Joe Biden der nächste Präsident der USA wird. Dann aber ganz sicher nicht, weil seine Argumente so überzeugt haben. Auch die schlechten Umfragewerte von Donald Trump hängen direkt mit dessen Missmanagement der Corona-Krise zusammen. Joe Biden ist ein Kandidat, der ausschließlich von der Führungsschwäche Trumps profitiert. Er führt einen Wahlkampf gegen seinen Kontrahenten, aber nicht für seine eigene Sache. Dann müsste er nämlich zugeben, dass er wie Trump ohne echten Plan dasteht. Er müsste gestehen, dass seine Alternative alles andere als erstrebenswert ist. Denn eine Zukunft ohne Trump ist nicht unbedingt eine bessere Zukunft – schon gar nicht, wenn sie Joe Biden heißt.

Eine zweite CDU

In Deutschland haben die Wähler traditionell die Wahl zwischen mehr als zwei Parteien. Man könnte meinen, dass die Wahl einer bestimmten Partei nicht dazu geeignet ist, einer anderen Partei eins auszuwischen. Spätestens seit die AfD am politischen Horizont erschienen ist, hat sich das aber geändert. Natürlich gibt es Menschen, die die AfD aus voller Überzeugung wählen. Das gilt aber nicht für die Mehrheit der AfD-Wähler. Die meisten wählen diese Partei, weil sie sich entweder von keiner der anderen Parteien vertreten fühlen oder weil sie es dem Establishment zeigen wollen.

Einige Parteien im Land tun auch wirklich alles, um die Serie an Wahlerfolgen der AfD nicht abreißen zu lassen. Jüngstes Beispiel ist vermutlich Olaf Scholz. Der stolze Olaf darf die SPD bei der nächsten Bundestagswahl als Kanzlerkandidat vertreten – es sei denn, die Partei besinnt sich rechtzeitig eines besseren.

Olaf Scholz ist nämlich der fleischgewordene Wahlgrund für die AfD. Er steht für alles, was die AfD-Wähler ablehnen. Er gilt als Wegbereiter der Hartz-Reformen, die viele Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse gestürzt haben. Und er war immer mit ganzem Herzen dabei, wenn es um die Errichtung einer großen Koalition ging. Zweimal war er bisher in einer solchen Regierung Minister. Mit Angela Merkel scheint es bisher keine größeren Reibereien gegeben zu haben. Viel eher hat man den Eindruck, Olaf Scholz will die SPD zur neuen Schwesterpartei der CDU umformen. Und genau dieser Mann soll ernsthaft einen Neuaufbruch verkörpern? Tatsächlich verkörpert dieser Mann nur eines: Er ist eine wandelnde Provokation an das wählende Volk. Seine Kandidatur wird keinen einzigen Wähler von der AfD zurückgewinnen. Eher gehen da die Menschen gar nicht zur Wahl.

Eine wandelnde Provokation

Denn auch um die Umfragewerte der AfD ist es seit Monaten nicht besonders gut bestellt. Seitdem die Lockerungen der Corona-Maßnahmen Fuß gefasst haben, steigen die Werte der Partei zwar allmählich wieder, an das Ergebnis der letzten Bundestagswahl kommen sie aber weiter nicht ran. Das hängt ähnlich wie bei Trump aber nicht mit der guten Performance der politischen Konkurrenz zusammen. Einzig die CDU konnte ihren Rückhalt in der Bevölkerung während der Corona-Krise merklich ausweiten. Alle anderen Parteien waren bisher nicht in der Lage, den AfD-Wählern ein besseres Angebot zu unterbreiten. Folglich bleiben diese Menschen bei der AfD – oder werden zu Nichtwählern. So sind die sinkenden Umfragewerte der AfD zu interpretieren. Mit Olaf Scholz und der SPD haben sie wenig zu tun.

Die Leute lassen sich nämlich nicht auf Dauer für blöd verkaufen. Hartz-IV und den maroden Arbeitsmarkt gibt es schon seit längerem, und ganz bestimmt ist Olaf Scholz nicht allein dafür verantwortlich. Doch die Sozialdemokraten haben da gerade jemanden zu ihrem Kanzlerkandidaten gekürt, der momentan bei gleich zwei Skandalen in den Seilen hängt. Zum einen ist da der Cum-Ex – Skandal. Der amtierende Finanzminister und frühere Bürgermeister Hamburgs hat sich in dieser Affäre bereits in zahlreichen Widersprüchen verheddert. Und auch beim noch aktuelleren Skandal um den Finanzdienstleister Wirecard macht Scholz kaum eine bessere Figur. Als Finanzminister hat er viel zu lange weggesehen und damit die kriminellen Geschäfte von Wirecard zumindest laufen lassen. Wie kann es so jemand eigentlich wagen, den Anspruch zu stellen, deutscher Regierungschef zu werden?

Alles auf Volksnähe

Gerade die Regierung sollte das gesamte Volk im Blick haben. Aber nicht nur in Deutschland wird seit Jahren am Volk vorbeiregiert. Die Interessen der einzelnen jucken die Politiker schon lange nicht mehr. Natürlich spüren das die Wählerinnen und Wähler. Und dann suchen sie sich Alternativen. Die Populisten geben den Enttäuschten zumindest das Gefühl, an ihrer Seite zu stehen. Mit ihren platten Parolen und ihren rassistischen Ressentiments täuschen sie vielen eine Volksnähe vor, die angeblich den Interessen der Bevölkerung dient. In Wahrheit allerdings machen Politiker wie Donald Trump eine fast noch wirtschaftshörigere Politik als das verhasste Establishment. Unter dem Deckmantel des Bürgerverständnisses können sie das aber meist gut verstecken.

Die deutsche Bundesregierung hingegen gibt sich immer weniger Mühe, die beinahe symbiotische Beziehung zur Wirtschaft zu verschleiern. Immer offensichtlicher kommuniziert sie an die Bürger, in wessen Auftrag sie wirklich handelt. Nach dem Dieselskandal machte die Regierung rege von der freien Meinungsäußerung Gebrauch und erklärte, dass ein solches Vorgehen nicht akzeptabel wäre. Schlagkräftige Konsequenzen blieben aber bis heute aus. Stattdessen knickte die Regierung vor dem augenscheinlichen Rechtsbruch der Autokonzerne ein und ließ die Autofahrer bluten. Plötzlich waren umweltpolitische Maßnahmen zur Bekämpfung des Feinstaubs Priorität Numero uno. Um die Umwelt ging es der Regierung allerdings nicht. Sie hatte einfach Schiss, sich mit den Konzernen anzulegen.

Gegen den politischen Mainstream

Auch bei den Cum-Ex – Geschäften agierte die Regierung nicht im Sinne der Steuerzahler. Anstatt die ergaunerten Steuermilliarden zurückzufordern, pfeifen die Verantwortlichen bis heute darauf, den betrogenen Steuerpflichtigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und auch die angebliche Rettung von Lufthansa ist das, was sie vorgibt zu sein: die Rettung eines Konzerns, nicht aber der darin prekär Beschäftigten. Die Regierung pumpte gewaltige Steuersummen in das Unternehmen, kann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichzeitig aber nicht vor Arbeitsplatzverlust schützen.

Moment, eigentlich sollte es eher heißen: Die Regierung will die Beschäftigten nicht schützen. Können tut sie es. Denn was wir in den letzten Jahren erleben, ist kein schlichtes Missmanagement der Politik. Im Prinzip managt die Politik ihre Angelegenheiten sogar ziemlich gut. Die Regierung versagt nicht in ihrem Auftrag, den Willen des Volkes umzusetzen. Sie missachtet ihn. Sie macht keine schlechte Politik für die Menschen im Land; sie macht überhaupt keine Politik für die Menschen im Land. Im Ergebnis ist das dann natürlich auch eine schlechte Politik für die Menschen.

Das schlimme daran: Auch wenn sich die GroKo in letzter Zeit zum Normalzustand der Regierung entwickelt hat, erleben wir das gleiche Trauerspiel in unterschiedlichen Konstellationen. Und plötzlich steht eine neue Partei bereit, die verspricht, den Wählern all das zu geben, was ihnen in den letzten Jahren vorenthalten blieb. Eine Partei, die alle anderen Parteien und Meinungen als politischen Mainstream geißelt und vorgibt, die einzig gute politische Alternative zu sein. Und immer deutlicher wird: Wer diese Menschen wählt, wählt vor allem die anderen nicht.


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Klare Kante gegen rechts?

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Von der Flüchtlingskrise hat keine andere Partei so sehr profitiert wie die AfD. Auch die Debatte um die Klimakrise konnte die nationalistische Partei nutzen, um sich über Wasser zu halten. Seit Corona schwächelt die Partei zwar, es gibt aber weiterhin eine beträchtliche Zahl an Menschen, die ihr die Stimme geben würde. Viele sind entsetzt darüber, dass eine inzwischen so offen rechtsextreme Partei so viele potentielle Wähler anzieht und sich gleichzeitig bürgerlich nennt. Die Reaktion der wirklich bürgerlichen Parteien ist verhalten bis destruktiv. Anstatt klare Kante gegen rechts zu zeigen, verbrüderten sich Union und FDP in Thüringen mit der AfD. Gemeinsamer Feind ist Rot-Rot-Grün. Immer offener treten Ähnlichkeiten zwischen den drei Parteien auf, die über eine Ablehnung des progressiven Lagers hinausgehen.

Nach der skandalösen Wahl des FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten am 5. Februar 2020 bezeichnete AfD-Chef Alexander Gauland seine Partei als eine bürgerliche Partei. Er wird seitdem nicht müde, diese Behauptung immer wieder zu wiederholen. Auch als die Personalie Bernd Höcke in den vergangenen Monaten wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, bezeichnete er den offiziellen Faschisten als die Mitte der Partei, auch wenn er sich damit oftmals missverstanden fühlte. Der leidenschaftliche Hundekrawattenträger schwadronierte und träumte von einer in seinen Augen bürgerlichen Mehrheit, die den verhassten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu Fall bringen würde. Nun wissen wir alle in der Zwischenzeit, dass Gaulands feuchte Träume nicht ganz aufgingen: Ramelow ist weiter Ministerpräsident, wenn auch nur auf Abruf, und Höckes Flügel musste sich zumindest pro forma auflösen.

Eine bürgerliche Partei?

Gaulands Behauptung, die AfD sei eine bürgerliche Partei, ist natürlich vollkommener Schwachsinn. Wenn die AfD tatsächlich eine bürgerliche Partei ist, steppe ich nackt durch die Straße und singe Loblieder auf den Kapitalismus. Beide Szenarien sollten uns besser erspart bleiben. Aber Klartext: Die AfD ist eine nationalistische, rückwärtsgewandte und zum Teil offen rechtsextreme Partei. Das hindert die Rechtsaußen-Partei allerdings nicht daran, sich das Gewand des Bürgertums überzuziehen und auch immer mehr Wähler aus diesem Spektrum zu gewinnen.

Denn von manchen inhaltlichen Ansichten her ist die AfD tatsächlich nicht so anders als die Parteien, die ihnen bei der Sitzverteilung in den Parlamenten am nächsten sind. Gerade im bürgerlichen und wirtschaftsliberalen Lager kann die AfD immer mehr punkten. Nicht nur die FDP spinnt fleißig die Legende vom faulen Hartz-IV – Empfänger, der den wahren Leistungsträgern der Gesellschaft auf der Tasche liegt. Sie sehen das Problem weniger im System des Arbeitslosengelds II, sondern viel mehr in dessen Empfängern. Bei der AfD kommt meistens noch die Komponente des Migrationshintergrunds dazu, wenn sie den Begriff Hartz-IV in den Mund nimmt.

Herrenüberschuss und Kinderfeinde

Ähnliches gilt für das Frauenbild, welches in allen Parteien rechts der Grünen vorherrscht. Union und FDP halten sich mit antifeministischen Äußerungen zurück, doch es sind gerade die drei Parteien aus Gaulands bürgerlichem Lager, welche an einem chronischen Mangel an Frauen leiden. So kommen Union und FDP auf nur etwas mehr als 20 Prozent Anteil von Frauen in den Bundestagsfraktionen. Bei der AfD sind es gerade einmal kümmerliche 11 Prozent. Wie kann auch nur eine dieser Parteien es wagen, sich als Volkspartei zu bezeichnen, wenn Frauen, immerhin die Mehrheit in der Bevölkerung, nur so unzureichend vertreten sind?

Auch auf die Fridays-for-Future – Demos im letzten Jahr fanden die drei angeblich bürgerlichen Parteien sehr ähnliche Antworten. Der Kanon des rechten Teils des Parlaments war stets der Vorwurf, es handle sich durch die Reihe um notorische Schulschwänzer. Mit ihren wenigen Jahren an Lebenserfahrung könnten die Kiddies bei dieser hochkomplizierten Debatte überhaupt nicht mitreden, das sei eine Sache für Experten. Man zweifelte außerdem die Ernsthaftigkeit der Bewegung an, weil sich ja angeblich kein einziger dieser Schüler in seiner Freizeit für dieses Thema einsetzte. Beinahe einstimmig kamen Union, FDP und AfD zu dem Ergebnis, die FFF-Demos seien ein Ergebnis einer linksrotgrün-versifften Jugend, die nur so großmaulig auf die Straße ging, weil sie in ihrem Leben noch keinen Cent an Steuern gezahlt hatte. Manche konnten diese Meinung diplomatisch ausdrücken, manche nicht.

Beleidigte Leberwürste

All diese Beispiele zeigen, dass Gauland mit einer Behauptung recht hatte: Die AfD steht Union und FDP tatsächlich näher als dem rot-rot-grünen Lager. Und auch nur so ist zu erklären, warum die Thüringer CDU und FDP so offen mit der Höcke-AfD kooperierte. Denn anders als SPD, Linke und Grüne sind Union und FDP nicht entsetzt über den Aufstieg der AfD – sie sind neidisch.

Apropos Neid: Kürzlich brachte die FDP-Fraktion im Bundestag einen Antrag ein, in dem sie für virtuelle Gerichtsverhandlungen warb. Sie hatte dabei alle anderen Fraktionen gegen sich, keine andere Fraktion konnte dem Antrag etwas abgewinnen. Anscheinend ging der Neid der FDP sogar so weit, dass sie wenigstens einmal anstelle der AfD erleben wollte, wie alle anderen Fraktionen gegen sie sind.

Angebot und Nachfrage

Trotzdem ist die AfD viel mehr als nur abgewanderte Wähler, denen die anderen Parteien nicht mehr bürgerlich genug sind. Die Wählerschaft der AfD ist nicht so homogen wie das bei anderen Parteien der Fall ist. Dennoch lassen sich im groben zwei Gruppen an Wählern ausmachen, welche der AfD ihre Stimmen geben. Da sind zum einen solche Wähler, denen FDP und vor allem die Union nicht mehr konservativ und wirtschaftsliberal genug ist. Wie unzufriedene Kunden haben sie sich ein neues Geschäft gesucht, weil die Qualität im alten nicht mehr gestimmt hat.

Und dann sind da noch solche Wähler, die immer wieder als die „Abgehängten“ von sich reden machen. Das sind die Menschen, die schon lange nicht mehr im Blickwinkel der Politik stehen. Teilweise schuften sie schwer und haben am Ende des Monats trotzdem nicht genug Geld in der Tasche, um sich einen gewissen Lebensstandard zu sichern. Es wird oft über sie gesprochen, wenn sie Glück haben auch zu ihnen, aber seit langem schon nicht mehr mit ihnen. Sie sind wie Kunden, die zigmal in ein Geschäft gingen und dann feststellten, dass das Regal mit ihren Waren stets leer war. Natürlich wandern sie dann zur Konkurrenz ab.

Genau dieser Wählergruppe gilt es ein Angebot zu machen. Wenn man deren Sorge und Nöte, ihre Lebensrealitäten mit allen Widrigkeiten endlich wieder ernstnähme, dann hätten sie auch keinen Grund mehr, einer Partei hinterherzulaufen, die Faschisten und Chauvinisten beherbergt. Ja, es sind Wähler abgewandert, weil die Union nicht mehr konservativ genug ist. Die AfD suggeriert das oft genug als den Schlüssel zu ihrem Erfolg. Das ist er aber nicht. Die AfD lebt davon, abgehängte Wählerschichten ein Angebot zu machen und für sich einzunehmen. Gewinnt man diese Wähler zurück, so haben die wenigsten der Konservativen noch einen Grund, der AfD die Treue zu halten. Mit einer Partei, die mit Müh‘ und Not dann vielleicht noch über die Fünf-Prozent – Hürde käme, könnten diese Wähler nichts mehr reißen.

Ein Bollwerk aus Enttäuschten

Es bringt also nichts, die AfD zu kopieren und eine härtere Gangart im Umgang mit Flüchtlingen anzukündigen. Wäre das der Fall, wäre die Rechtsaußen-Partei längst passé. Viel zu leicht lassen sich andere Parteien einreden, der große Fehler wäre fehlender Konservatismus und eine Abkehr vom Nationalstaat. Diese falschen Ansichten ermöglichen es den wirtschaftsliberalen Kräften in der AfD, die Protestwähler wie ein Bollwerk vor sich herzutreiben. Die neoliberalen Fantasien lassen sich am besten umsetzen, wenn die Partei von möglichst vielen gewählt wird, egal ob sie im Endeffekt von einer Entfesselung des Markts profitieren oder nicht. Würde man die wenigen ernsthaften sozialpolitischen Forderungen der AfD umsetzen, würde das definitiv zulasten derer gehen, die sich von der Politik der letzten Jahre im Stich gelassen fühlen. Solange sie das nicht durchschauen, wird sich an ihrer Situation nichts grundlegendes ändern. Und auch nicht an ihrem Grund, AfD zu wählen.

Jede Partei folgt einer Ideologie. Leider heiligt dabei viel zu oft der Zweck die Mittel. Wähler werden über vieles im unklaren gelassen, nur damit sie einer Partei ihre Stimme geben. Das ist grundsätzlich falsch. Bestimmt gibt es auch bei der Union eine ganze Reihe an Punkten, die einem Großteil der Bevölkerung zugutekommen. Doch gerade markthörige Parteien wie Union und FDP hatten es oftmals schwerer, alle Karten auf den Tisch zu legen, ohne Wähler zu vergraulen. Die AfD kann das besser. Und daher kommt der Neid.


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