Was wir 2020 gelernt haben…

Vorschaubild: stux, pixaby, bearbeitet von Sven Rottner.

Lesezeit: 11 Minuten

2020 – was für ein Jahr! Viele werden dem Jahreswechsel hoffnungsvoll entgegenblicken. Grund dazu haben sie genug. Die Pandemie bestimmt schließlich weiterhin unseren Alltag. Das Jahr 2020 hat uns allen enorm viel abverlangt. Trotzdem konnten wir einiges von diesem beknackten Jahr lernen. Die zehn wichtigsten Erkenntnisgewinne sind hier zusammengefasst.

Den Artikel zum Wort „Virus“

Nachdem das Genus dieses Wortes besonders im Frühjahr noch für reichlich Irritationen sorgte, stand spätestens nach den ersten 10.000 Coronafällen offiziell fest: Es heißt DAS Virus. Obwohl viele in den ersten Monaten des Jahres krampfhaft versuchten, den männlichen Artikel für das Wort durchzudrücken, mussten sie gegenüber einer breiten Front von Sprachwissenschaftlern und Virologen klein beigeben. Diese bestimmten nämlich auf alle Ewigkeit: Virus ist Neutrum. Einzige Ausnahme gilt in Baden-Württemberg: Die Menschen von dort dürfen weiterhin ungestraft „der“ Virus sagen. Gegen die jahrhundertelange Tradition der artifiziellen Maskulinisierung von Substantiven kamen selbst die Gelehrten nicht an. Immerhin heißt es in dem südwestdeutschen Bundesland bis heute auch der Butter und der Klo.

Abstandsstriche ersetzen kostspielige IQ-Tests

In Zeiten der Pandemie ist eines ganz wichtig: Abstand voneinander halten. In einer überbevölkerten Welt, die immer enger zusammenwächst, fällt das vielen allerdings nicht leicht. Der Einzelhandel hat sich deswegen etwas ganz besonders gewieftes ausgedacht. Nach etlichen Stunden in den Laboren und nach so manchem rauchenden Kopf konnte die Branche stolz ihre Erfindung präsentieren. Mithilfe sogenannter Abstandsstriche sollte vor allem im Kassenbereich gewährleistet werden, dass die Menschen Abstand zueinander hielten. Es handelte sich dabei um speziell angefertigte Klebestreifen in leuchtenden Signalfarben, die die Menschen auf das Abstandsgebot aufmerksam machten.

Den erhofften Erfolg brachte die geniale Maßnahme leider nicht. Trotzdem stellte sich schon nach kurzer Zeit heraus, dass die Striche noch einen ganz anderen Effekt hatten. So ließen sie ohne viel technischen Schnickschnack für jedermann und jedefrau die Intelligenz der Kundinnen und Kunden erkennen. Ruben V., Filialleiter eines REWE-Marktes in Gütersloh bedauerte: „Es war für uns ein harter Schlag, dass fast zwei Drittel unserer Kundschaft einen Intelligenzquotienten von unter 40 haben. Das ist dümmer als Donald Trump.“

Da nicht in jeder Lebenslage ein Abstandsstrich zur Hand ist, gibt es eine noch alltäglichere Methode, um den IQ seiner Mitmenschen zu ermitteln. Die Art und Weise, wie die Maske getragen wird, spiegelt die Intelligenz des Tragenden sogar noch zuverlässiger wider als die farbigen Linien in den Supermärkten. Sollte jemand mit seiner Mund-Nasen – Bedeckung nur den Mund bedecken, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dieser bemitleidenswerte Zeitgenosse nicht weiß, was eine Nase ist. Dies ist Indikator dafür, dass der IQ nicht höher als 10 liegt.

Es gibt in Deutschland Heerscharen an renommierten Wissenschaftlern.

Als sich die pandemische Lage auf der Welt zuspitzte, da hatte ihre Stunde geschlagen: Die Wissenschaft ist aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und war in aller Munde. Nachdem sich die Menschen gerade in Deutschland ihre Fakten jahrelang zurechtbogen, wie es ihnen passte, hielt nun die faktenbasierte Recherche wieder Einzug. In schier obsessiver Leidenschaft haute so mancher Mitbürger eine wissenschaftlich fundierte Aussage nach der anderen raus. Mancheiner fand sogar den Mut, sich nach jahrelangem Versteckspiel als Wissenschaftler zu outen. Im April hatten wir dazu bereits den 76-jährigen Hermann S. befragt, der schon im Frühjahr einen eindeutigen Standpunkt hatte: „Dieses neuartige Virus ist nicht einmal so gefährlich wie eine Grippe. Studien haben ergeben, dass im Straßenverkehr dreimal so viele Menschen in Autounfällen sterben wie an Corona.“

S. war früher Schaffner bei der Bundesbahn, betrieb aber heimlich ein eigenes Forschungszentrum im Keller, von dem weder seine Frau noch seine drei Kinder wussten. Auf seine Forschungen blickt er mit Stolz zurück: „Jahrzehntelang war es verpönt, empirische Studien zu betreiben. Hinter allem vermuteten die Menschen wirtschaftliche Interessen. Ich bin stolz darauf, meinen kleinen Beitrag zum Wiederaufleben der Gesundheitsforschung zu leisten. Das ist das einzige noch nicht korrumpierte Forschungsfeld, denn immerhin forschen die Labore fast ausschließlich nach einem Impfstoff, der für alle von Nutzen sein wird. Dahinter kann einfach kein Profitinteresse stehen.“

Die richte Aussprache des Worts „Quarantäne“

In Zusammenhang mit der Pandemie ist noch ein weiterer linguistischer Meilenstein gelegt worden. Ähnlich wie bei dem Genus des Wortes „Virus“ ist seit diesem Jahr für alle Zeiten klar, wie die medizinisch verordnete Isolation richtig ausgesprochen wird: Es heißt Karantäne, ohne einen eingeschobenen w-Laut, wie häufig falschgemacht. Eine Kwarantäne gibt es nicht. Diese Wortschöpfung ist genau so falsch wie eine revolutionäre Gerillja (Gerieja!), das stinklangweilige Fach Kemie (weiches ch wie in „rieCHen“) oder wie der klassische Anfängerfehler Leviosah.

Wir sind auf eine Pandemie schlecht vorbereitet

Mit dem Virus haben wir nun schon seit einigen Monaten zu kämpfen. Zeit also für eine Zwischenbilanz. Diese fällt jedoch ernüchternd aus: Obwohl Deutschland bisher vergleichsweise gut durch die Krise gekommen ist, gibt es eklatante Schwachstellen. Diese betreffen besonders die Frühphase der weltweiten Krise und haben deshalb auch Monate danach schwere Auswirkungen. Nachdem das Virus bereits in den ersten beiden Monaten des Jahres eindrucksvoll demonstriert hat, zu was es fähig ist, wartete man in Deutschland lieber seelenruhig ab, anstatt beizeiten geeignete Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Reiserückkehrer aus Risikogebieten konnten unbehelligt ihren Alltag in Deutschland wieder aufnehmen, ohne jemals auf das neuartige Virus getestet worden zu sein oder unter Karantäne gestellt zu werden.

Besonders blamabel an dieser Vorstellung: Geeignete Schutzkonzepte, um die Ausbreitung hochinfektiöser Krankheiten einzudämmen, lagen bereits zu Jahresbeginn vor. Zur Anwendung kam im Frühjahr kaum etwas. Schiefer ging in diesem Jahr einzig der bundesweite Sirenentest. Die Lehre von 2020 ist eindeutig: Wenn eine Krankheit erst einmal zu einer Pandemie ausgeartet ist, ist ambitioniertes Handeln reine Schadensbegrenzung.

Die AfD ist eine bürgerliche Partei

Lange angezweifelt, doch seit diesem Jahr eindeutig bewiesen: Die AfD ist eine Partei, die die Interessen der Mitte der Gesellschaft vertritt. Sie selbst verortet sich schon seit Jahren im konservativ-bürgerlichen Spektrum. Nach der Wahl des Abgeordneten Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten von Thüringen konnten selbst die etablierten Parteien die Augen davor nicht mehr verschließen. Immerhin war es maßgeblich der AfD zu verdanken, dass der Fünf-Prozent – Mann das höchste Amt im Freistaat bekleiden durfte, wenn auch nur für ein paar Stunden.

Die Partei unter Führung von Bernd Höcke hat am 5. Februar gezeigt, dass sie staatspolitische Verantwortung übernehmen kann, als sie dem glatzköpfigen Liberalen den Weg an die Spitze der thüringischen Regierung ebnete. Auch der frisch vereidigte Kemmerich signalisierte der bürgerlichen Höcke-Partei Entgegenkommen. Anders als so manche beleidigte Leberwurst im Saal warf er ihm weder einen Blumenstrauß vor die Füße noch verweigerte er ihm den Handschlag.

Die Internetabdeckung im Land ist grottig

Völlig überraschend mussten in diesem Jahr Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern feststellen, wie schlecht es um die Verbindung mit dem Internet bestellt ist. Nachdem auch die Politikerinnen und Politiker pandemiebedingt im Home Office arbeiten mussten, bemerkten sie plötzlich, dass sie völlig vergessen hatten, das Internet in Deutschland einzuschalten. Von dem Fauxpas betroffen waren auch viele Schülerinnen und Schüler. Die per E-Mail gesendeten Hausaufgaben haben sie nie erreicht. Im schlimmsten Fall kassierten sie dafür sogar einen Strich.

Um diesem Problem zügig Abhilfe zu verschaffen, kündigte Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) jüngst an, in allen deutschen Ortschaften großzügig Milchkannen zu verteilen. Diese seien prädestiniert für einen ruckelfreien Internetempfang.

Wir haben ein Rechtsextremismus- und Antisemitismusproblem

Hanau und Halle sind zwei Städte, die in diesem Jahr traurige Bekanntschaft erlangt haben, die weit über die deutsche Bundesgrenze hinausreicht. Sie stehen symbolisch für die schlimmsten rechtsextremen Anschläge, die es in Nachkriegsdeutschland je gab. Die beiden Täter metzelten auf ihren rassistischen Mordzügen alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Sie mögen Einzeltäter gewesen sein, doch gleichzeitig sind sie auch Ausdruck eines viel tieferliegenden Problems. Wenn in Deutschland regelmäßig jüdische Friedhöfe geschändet werden, dann ist es umso trauriger, dass es der beiden Täter aus Halle und Hanau bedurfte, um auf dieses eindeutige Rechtsextremismus- und Antisemitismusproblem aufmerksam zu werden.

Die Bereitschaft, vieler Demonstrierenden, rechtsextremen Symbolen hinterherzulaufen und sich gleichzeitig als ganz besonders überzeugte Demokraten zu gerieren, ist nicht nur heuchlerisch, sondern vor allem besorgniserregend. Die Grenzen zwischen Legitimität und absolutem No-Go verschwimmen immer mehr. Die Stimmen, die sich dagegen wehren, werden an vielen Stellen niedergebrüllt. Das Gewaltmonopol des Staats steht nicht zuletzt deshalb in Frage, weil selbst in der Polizei seit langem ein rechtsextremer Geist herumspukt. Anstatt dieses Problem ernstzunehmen und der Mehrheit der rechtschaffenden Polizistinnen und Polizisten den Rücken zu stärken, schiebt unser werter Herr Innenminister in einem Anfall von altersbedingter Sturheit und Senilität das Problem einfach beiseite. Horst Seehofer ist nicht die Lösung des Problems, sondern ein Teil davon.

Sophie Scholl lebt

Lange lehrten uns die Geschichtsbücher, dass die mutige Widerstandskämpferin Sophie Scholl am 22. Februar 1943 von den Nazis ermordet wurde. In diesem Jahr kam es aber in Hannover zu einer wundersamen Wendung. Die bisher unscheinbare Jana aus Kassel trat nämlich auf einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen auf und machte unmissverständlich klar: Der Geist von Sophie Scholl ist in sie eingefahren und hat sie zur Gegenbewehr berufen. Nicht noch einmal sollte es so weit kommen, dass Deutschland von angeblichen Demokraten zu einer Diktatur umgebaut würde. Dieses Mal seien sie und ihre Gefährten besser gerüstet: tausende Menschen auf Demonstrationen statt ein paar Dutzend Flugblätter an der Uni, öffentliche Entrüstung statt stillem Protest, mediale Aufmerksamkeit statt klammheimlicher Gerichtsverfahren. Ihre 1,0 im Leistungskurs bei Herrn Höcke hat sich dieses Mädel wahrlich verdient!

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„Last Christmas“ von Wham! ist ein nerviger Song

Der Pandemie fiel dieses Jahr auch ein echter Kultklassiker zum Opfer. Kein Weihnachtsfest der vergangenen 30 Jahre verging ohne den legendären Ohrwurm von Wham!, der uns Jahr für Jahr darauf einschwor, im nächsten Jahr nicht so leichtgläubig das eigene Herz zu verschenken. Er lief wirklich überall: im Radio, im Supermarkt, im Kaufhaus, in der Bahnhofshalle, teilweise sogar im Fahrstuhl. In der Zwischenzeit konnte man sich mit seinen Liebsten treffen und sich über die virtuosen Vorzüge dieses Meisterwerks austauschen. Genau diese Gelegenheit fiel dieses Jahr wegen Corona weg. Die Menschen hatten keine Möglichkeit, dieses Lied wenigstens für ein paar Minuten hinter sich zu lassen. Schnell verkam der sonst so beliebte Weihnachtssong zu einer nervtötenden Begleitmusik, die wir im nächsten Jahr sicher nicht mehr hören wollen.

Gegenvorschlag:

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Face It – Zwischen Punk, Kunst und Serienmördern

Lesedauer: 9 Minuten

Sie ist wohl einer der am meisten fotografierten Menschen auf dieser Welt: Debbie Harry, Frontfrau der New-Wave – Gruppe Blondie. Nur wenige andere Frauen haben die Musikwelt so sehr geprägt wie die New Yorker Punkveteranin. Kurz nach der Geburt adoptiert, in biederer Kleinstadtumgebung großgeworden, bahnt sich die Sängerin ihren Weg durch eine männerdominierte Szene. Schon bald tanzen die Männer nach ihrer Pfeife. Ein Hit reiht sich an den nächsten. In ihren Memoiren tut Debbie Harry nun das, was der Titel des Buchs verspricht: sie stellt sich ihrer bewegten Vergangenheit. Sie zieht Bilanz und macht eines allzu deutlich: Mit ihr muss man rechnen.

Ein ganz normales Leben?

Von außen betrachtet verlief das Leben der New-Wave – Ikone Debbie Harry enttäuschend geradlinig. Es gab weder ausgedehnte Ehekrisen mit niveaulosen Schlammschlachten noch machte sie als zugedröhnte Performerin von sich reden. Auch von einer Jahre überdauernden schweren Erkrankung blieb sie verschont. Warum also hat sich diese Legende nun dazu entschlossen, ihre Memoiren zu veröffentlichen? Und warum gibt es Menschen, die sich dafür interessieren?

Weil Debbie Harry ein Mysterium ist. Eines, das auch nach der Lektüre dieses Buchs noch lange nicht geknackt ist. Denn Debbie Harry schätzt ihr Privatleben. Kommerzialisiert hat sie es nie. Auch nicht mit diesem Buch. Denn Face It ist viel eher eine Geschichte über Debbies Leben in der Punkszene und darüber hinaus, aber nicht vorrangig eine Geschichte über ihr Privatleben. Natürlich gibt es in dem Werk das ein oder andere lustige Anekdötchen aus ihrem privaten Leben. Beispielsweise stellt sie stolz ihren hauseigenen Whirlpool vor, den sie zu einem überdimensionalen Sexspielzeug umfunktioniert hat. Bis heute bereut sie es, dass sie sich damit nie beim Patentamt gemeldet hat.

Sex, Drugs and Rock ’n‘ Roll

Das Buch ist keine Autobiografie. Denn eine Autobiografie stellt immer den Autor oder die Autorin vor. Face It allerdings ist Debbie Harrys ganz persönliche Hommage an die Punkszene der 1970er. Ein Großteil des Buchs widmet sich dieser Ära. Selbstverständlich sind die Erzählungen stark subjektiv eingefärbt – und Debbie wird nicht müde, das ein ums andere Mal klarzustellen.

Wer das Buch liest, wird schnell feststellen, dass Ehekrisen, Drogen und Krankheit durchaus eine Rolle im Leben von Debbie Harry spielen. Sie und ihr Langzeitpartner Chris Stein sind immer als Paar aufgetreten, doch irgendwann war Schluss. Dem Laien wird das gar nicht aufgefallen sein, denn die beiden scheinen sich auch heute noch so nah zu sein wie eh und je. Es macht durchaus Sinn, dass Chris das Vorwort zu Face It geschrieben hat und damit das erste Wort hat. Denn auf langwierige Rosenkriege und böswillige Diffamierungen haben er und Debbie verzichtet. Viel eher haben sie einvernehmlich beschlossen, getrennte Wege zu gehen – und haben das bis heute nicht hingekriegt.

Die Drogen prägten Debbie Harrys Erfahrungen in der Musikwelt wie wohl die Musik selbst. Viele schmerzhafte Beispiele führen uns leider immer wieder vor Augen, dass beides, Drogen und Showbiz, wohl untrennbar zusammengehören. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, redet Debbie in ihrem Buch von ihren Erfahrungen mit Drogen. Rückblickend ist sie sich vollauf bewusst, dass es manchmal ein Wunder war, dass sie das alles überlebte.

Viele Leser werden es schon vorher gewusst haben, aber: auch mit dem Thema Krankheit und Tod wurde Debbie Harry konfrontiert. Sie selbst schien sich immer bester Gesundheit zu erfreuen, immerhin steht sie mit fast 75 noch auf der Bühne. Ihr Partner Chris Stein allerdings erkrankte in den 1980ern an einer schweren Autoimmunkrankheit. Geredet hat Debbie über diese Zeit nie gerne. Das ist allzu verständlich. Und auch im Buch streift sie dieses Thema nur am Rande. Sie betont eher die verzwickte finanzielle Lage, in der sie sich mit Chris befand.

Wie aus einer anderen Welt

Lauscht man den Interviews mit Debbie Harry bleibt immer eine gewisse Neugier. Sie war schon immer sehr in charge, was sie von sich preisgibt und was nicht. Andere Stars und Sternchen reden hemmungslos über jeden Furunkel, der ihnen am Hintern zwickt. Debbie Harry war schon immer verschlossener. Viele Journalisten sind sich einig: Ein Interview mit ihr ist kein Spaziergang. Oft gibt sie sich einsilbig. Viele Interviews ähneln den anderen. In außergewöhnliche Themengebiete stoßen nur wenige Journalisten vor. Man kann beinahe sagen: Kennst du ein Interview mit Debbie Harry, kennst du alle Interviews mit Debbie Harry.

Das Buch wirkt ähnlich. Natürlich gibt die Sängerin darin viel mehr von sich preis als in den gängigen Interviews – anders hätte sie wohl niemals über 300 Seiten füllen können. Aber trotzdem beantwortet sie nicht alle Fragen. Face It greift das Mysterium Debbie Harry nicht an. Ihre Person bleibt unscharf und nicht wirklich greifbar. Und genau das macht doch den Reiz an dieser Musiklegende aus.

Wenn man das Buch liest, hat man viel mehr den Eindruck, in eine völlig andere Welt einzutauchen. Es ist nicht nur die Welt von Debbie Harry, sondern auch die Welt der Punkrocker aus den 1970ern. Züge einer Parallelgesellschaft sind nicht von der Hand zu weisen. In beinahe flapsiger Art und Weise spricht Debbie Harry von Geschehnissen, die für heutige Leser schier unvorstellbar sind. Besondere Aufmerksamkeit wurde einer Episode mit zwei weiteren Musiklegenden zuteil.

Die Sache mit David Bowies Schniedel

Denn auf David Bowie und Iggy Pop angesprochen, entgegnete Debbie bereits 2017 recht knapp: „I am writing a book.“ Und sie versprach nicht zu viel. In unverschämter Beiläufigkeit erwähnt sie in ihrem Buch eine ganz besonders pikante Begegnung mit den beiden Musikern. Auf einer gemeinsamen Tournee in den späten 1970ern war Bowie nämlich dermaßen breit, dass er Debbie hinter der Bühne bereitwillig sein bestes Stück präsentierte. Debbie gibt sich heute wie damals unbeeindruckt davon, obwohl sie die Größe von David Bowies Geschlechtsteil hervorhebt.

Gerade jüngere Leser werden an dieser Stelle entsetzt den Kopf schütteln. Würde heute ein Mann gegenüber einer Frau ein solches Verhalten an den Tag legen, würde sich die #MeToo-Bewegung weiterer medialer Aufmerksamkeit erfreuen. Für Debbie und ihre Gefährten allerdings war eine solche Begutachtung normal. Aber das Normal von gestern ist eben nicht das Normal von heute.

Um Haaresbreite

Zu sexuellen Übergriffen und sexueller Gewalt offenbart Debbie Harry eine ganz eigene Sichtweise. Die Figur Blondie beschreibt sie als fleischgewordenen Männertraum. Blondie ist so, wie die Männer sich eine Frau vorstellen. Und trotzdem lässt sie sich von Männern nichts gefallen. Selbst wenn eindeutig Grenzen überschritten werden.

Bei zwei Erzählungen im Buch läuft es einem eiskalt den Rücken herunter. In beiden Fällen wurde Debbie Harry Opfer sexueller Gewalt. Das eine Mal nach einer Show im legendären CBGBs. An der Wohnungstür wurden sie und ihr Partner Chris von einem „dude“ überfallen. Er fesselte die beiden, durchsuchte ihr Loft nach Wertgegenständen und fickte Debbie. Das Wort „Vergewaltigung“ verwendet Debbie hier nicht. Viel eher trauert sie den gestohlenen Gitarren hinterher. Dieser Mann mag sie gegen ihren Willen gefickt haben. Doch mit ihrer schamlosen Erzählung des Zwischenfalls fickt sie ihn. Denn sie schämt sich für das ganze nicht. Vielen anderen Opfern sexueller Gewalt hat sie damit etwas voraus.

Debbie Harry gibt solchen Tätern keine Macht über sie. Selbst im Angesicht solcher Gewalt bleibt sie cool. Auf dem Weg zu einer Party in den frühen 1970ern ließ sie sich widerwillig von einem Mann aufgabeln, der ihr eine Mitfahrgelegenheit anbot. Kaum im Auto bemerkte sie ihren Fehler. Der Wagen war im Innern komplett ausgeräumt, einen Türgriff an der Tür gab es nicht. Zum Glück konnte sie sich durch den Fensterschlitz befreien. Sie hatte die Brenzligkeit der Situation bemerkt, ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern. Anstatt in Panik auszubrechen, setzte sie ihren Weg zur Party fort, als ob es das normalste auf der Welt wäre. Beinahe enttäuscht merkt sie im Buch an, dass die Party bereits vorbei war. Ach ja, den Mann im Auto identifizierte sie Jahre später als den berüchtigten Serienmörder Ted Bundy.

Face It

Nicht nur in dieser Situation muss die fast-naturblonde Sängerin eine ganze Horde an Schutzengeln gehabt haben. Im Kapitel „Close Calls“ widmet sie sich gleich mehreren Begebenheiten, in denen sie dem Tod von der Schippe sprang. Selbst ihre eigene Geburt bezeichnet sie als Nahtoderfahrung. Und sie hat recht: Knapper als bei der Geburt entkommt man dem Tod tatsächlich nicht.

Gerade dadurch, dass sie sich von solchen Zwischenfällen wenig beeindruckt zeigt, strahlt ihre Geschichte eine unglaubliche Lust am Leben aus. Und vor allen Dingen drückt sie eine große Lust am Weitermachen aus. Gefüllte Konzerthallen und regelmäßige Tourneen sind da das eine. Im Buch zeigt Debbie Harry allerdings auch eine andere Facette des Berühmtseins und Bewundertwerdens. Immer wieder unterbricht sie ihre Geschichte, um ganz besondere Bilder mit dem Leser zu teilen. Es sind Bilder, die Fans von ihr und für sie über die Jahre hinweg angefertigt haben und von denen sie sich nie getrennt hat. Die Ehre, die ihr damit zuteilwurde, gibt sie mit der Veröffentlichung der Bilder zurück.

Die meisten dieser Bilder zeigen Debbie Harrys Gesicht. Dem Buchtitel Face It wird damit noch einmal eine ganz besondere Bedeutung gegeben. Debbie Harry ist sich sicher: Die Bilder verraten auch immer etwas über den Künstler oder über die Künstlerin dahinter. Vor allen Dingen zeigen sie aber, wie andere Menschen ihr Idol sehen. Mit den Portraits lässt Debbie Harry nicht nur sich selbst zu Wort kommen, sondern räumt auch ihren Fans einen Platz in ihrer Geschichte ein. Denn was wäre ein Weltstar ohne seine Fans?


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Endangered Species – oder: Ein einsamer Blondie-Fan

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Endangered Species – oder: Ein einsamer Blondie-Fan

Vorschaubild: Stig Nygaard from Copenhagen, Denmark, RamonesCBGB, Ausschnitt von Sven Rottner, CC-BY 2.0

Lesedauer: 10 Minuten

Vor wenigen Wochen erschien die deutsche Ausgabe von Debbie Harrys Memoiren. Zugegeben richtig schnell, die englische Ausgabe kam am 1. Oktober in die book stores. Auf dem Harbourfront-Literaturfestival in Hamburg stellte die inzwischen 74-jährige ihr neues Werk vor. Bis heute begeistert sie Jung und Alt, und mich. Doch wieso eigentlich? Das fragte mich bei der Gelegenheit ein Fan der ersten Stunde. Ein Denkprozess begann.

Schuld daran ist ein Computerspiel. Eins mit Gewalt. Und mit Waffen. Nein, es geht nicht um einen x-beliebigen Amoklauf jüngerer Zeit. Manchmal können Computerspiele auch die Fantasie anregen. Oder als kultureller Katalysator fungieren. So erging es zumindest mir.

Back to the 80s

Es war ungefähr 2006 oder 2007. Ich steckte mitten in der Pubertät. Ich spielte das Spiel GTA: Vice City von Rockstar Games. Wohlgemerkt auf dem Computer; mit Play Stations stand ich immer schon auf Kriegsfuß. Wer das Spiel nicht kennt: Im Grunde rast man in einem zufällig geklauten Auto durch die fiktive Inselstadt Vice City von einem Mafia-Auftrag zum nächsten. Nebenher fährt man über wehrlose Passanten oder rammt unliebsamen Gegenverkehr. Das ganze wird musikalisch mit Rock und Pop der späten 1970er und frühen 1980er untermalt – das Spiel handelt schließlich im Jahre 1986.

Bis zu diesem Zeitpunkt war solche Musik für mich alte, unhippe Mucke von vorgestern. Ich konnte ihr nichts abgewinnen. Ich habe mich vorher nie mit ihr beschäftigt. In penetranter Kontinuität wurde ich nun mit dieser Musik konfrontiert, während ich die Aggressionen eines schwulen ungeouteten Jugendlichen zumindest auf dem Bildschirm auslebte. Ich erwischte mich dabei, wie ich manche dieser Songs mehr oder minder heimlich selbst wiedergab: beim Aufräumen, beim Fahrradfahren, unter der Dusche.

Ich nutze also die Errungenschaft Internet, um mir auch visuell ein Bild von diesen Künstlern zu machen. Auf YouTube und myvideo (gibt’s das eigentlich noch?!) wurde ich auch schnell fündig. Bei Songs wie „Kids in America“ von Kim Wilde war das auch nicht weiter schwer, der Titel des Songs war recht offensichtlich. An einem besonders guten Stück verzweifelte ich allerdings beinahe. Immer wieder sang diese kräftige und mysteriös anmutende Stimme TONIGHT, TONIGHT, MAKE IT RIGHT. Anstandshalber suchte ich auf den erwähnten Seiten nach dem Musikvideo zu „Tonight“. Erwartungsgemäß war die Fülle an Suchergebnissen bei einem solch vagen Titel schier unbestreitbar.

Nicht verzagen, Mutti fragen

Doch der Song ließ mich nicht los. Ich summte ihn, ich fing an, ihn zu singen. Nachts träumte ich von ihm. Ich träumte von dieser engelsgleichen Stimme, die trotzdem viel zu kraftvoll und energisch war, um zu einem Engel zu gehören. Dann kam der Geistesblitz. Ich brauchte die Unterstützung eines Fachmenschen. Von jemanden, der diese Musik miterlebt hatte. Zufällig war meine Mutter mit im Raum, als der Song wieder aus dem virtuellen Autoradio schallte. Das war meine Chance. Meine Mutter überlegte kurz, ihre Stirn legte sich in Falten. Sie kenne den Song tatsächlich. Aber sie wisse nicht mehr, von wem der sei. „Vielleicht Blondie? Ne, das ist nicht Blondie. Oder doch? Nee.“

Doch plötzlich hatte ich einen Namen: Blondie. Der Rest war kinderleicht. YouTube belehrte mich, dass der Song nicht „Tonight“ sondern „Atomic“ hieße. Zunächst hatte ich keine Ahnung, warum. Erst später fand ich heraus, dass dieses Wort ruhmreiche zweimal in der Version von Vice City vorkam.

Der Moment, als ich zum ersten Mal das Musikvideo zu diesem Nummer-1 – Hit sah? Magnificent. Ein YouTuber hatte mal unter dem Video kommentiert: „Nobody else has ever looked that hot in a garbage bag.“ Er/Sie hat vollkommen recht. Da stand die Sängerin, Debbie Harry, anmutig mit Sonnenbrille und in einen Müllbeutel gewickelt in der Mitte einer Bühne. In starkem Kontrast zu dem wilden Gezappel um sie herum, bewegte sie sich kaum. Das musste sie auch nicht. Um mich war es geschehen, als sie die Sonnenbrille abnahm. Etwas cooleres und anziehenderes habe ich danach nie mehr gesehen.

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Keep on Going

Ich wollte mehr. Schnell interessierte mich, was diese Frau heute macht. Und siehe da: Die Band um Debbie Harry war sogar für mir geläufige Hits wie den Radio-Ohrwurm „Maria“ verantwortlich. Stück für Stück zog mich die Gruppe in ihren Bann. Ich erfuhr, dass die Dame kürzlich ein neues Solo-Album veröffentlicht hatte. Auf Necessary Evil klang Debbies Stimme wesentlich tiefer, rauchiger, aber nicht minder sexy. Ich wünschte mir die Platte zu Weihnachten. Während also mein kleiner Bruder hochentzückt vor seinem neuen Eye Toys herumwirbelte, saß ich im Hintergrund und versank in Songs wie „School for Scandal“ und „Deep End“.

Das war 2007. Debbie war bereits über 60. Zugegeben, mich ergriff bald eine Angst, dass die Band samt Frontfrau bald den Laden dicht machen würden. Ich befürchtete, dass ich meiner neugewonnenen Leidenschaft bald schon hinterhertrauern müsste, so wie es sonst nur ABBA-Fans taten. Doch ich musste bald feststellen, dass die Blondies eben durch und durch Punk sind. Aufgeben ist keine Option. Bereits 2008 kündigte Debbie ein neues Album ihrer Band an. Ich war wie elektrisiert. Das erste Album meiner exklusiven Lieblingsband seitdem ich mit im Boot saß.

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Stop Fucking the Planet

Letztendlich erschien Panic of Girls erst drei Jahre später. Doch bereits 2010 gaben die Blondies einige der neuen Songs bei Konzerten zum besten. Einer dieser Songs heißt „What I Heard“. Mein Bruder machte damals eine schwierige Phase durch (Pubertät?) und kam abends wie üblich viel zu spät nach Hause. Es war Juni. Blondie hatten gerade auf dem Isle-of-Wight – Festival ein Hammerset hingelegt, inklusive „What I Heard“. Während meine Mutter an jenem lauen Juniabend besorgt die Straße hinunterblickte und auf meinen Bruder wartete, drehte ich mich neben ihr euphorisch im Kreis. Der neue Song schien von mir Besitz ergriffen zu haben.

Euphorie verspürte ich auch beim Nachfolger-Album Ghosts of Download. Die Blondies machten 2014 etwas, was sie sonst vermieden. Sie spielten ein paar Konzerte in Deutschland. Mit im Getümmel: le me. Zum 40-jährigen Bandjubiläum trat Debbie damals in einem schwarz-weiß – gestreiften Jumpsuit auf, in Anspielung auf Blondies erfolgreichstes Album Parallel Lines. Die Fans erwartete ein gut durchmischtes Repertoire aus alten wie neuen Songs, Eigenproduktionen und Cover. Und schließlich versprühte die Band Euphorie pur: mit dem unterschätzten Song „Euphoria“, wie es sich für Blondie gehört mit Reggae-Elementen.

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Spätestens nach dem Kölner Konzert begrub ich meine Angst, dass Blondie bald Geschichte sein könnten. Ich hatte mich selbst von der Vitalität der New Yorker Punkband überzeugt. Das 2017er-Album Pollinator erfuhr im Gegensatz zu seinen Vorgängern auch hierzulande vergleichsweise gute Promotion. Endlich waren mal wieder neue Blondie-Songs im Radio zu hören. Ein ganz besonderes Geschenk machte mir die Band Ende April jenen Jahres: sie spielten an meinem Geburtstag in Berlin. Vor Ort war ich leider nicht, aber ich kam trotzdem auf meine Kosten. Das Konzert wurde per Livestream im Internet übertragen. Auch bei diesem Auftritt ließen die Blondies keinen Zweifel daran, wie sehr ihnen unser Planet am Herzen liegt. Ähnlich wie bei der Endangered-Species – Tour 2010/2011 betonten sie auch 2017 die Wichtigkeit von umweltbewusstem Leben und Handeln. Ich feiere Debbie dafür, wie sehr sie regelmäßig beim Song „Fragments“ ausrastete.

Trotzdem hatte ich meine Chance, Blondie noch einmal live zu sehen, verspielt. Ich war in Berlin nicht dabei. Würde es nach Pollinator ein weiteres Album geben? That remains to be seen. In diesem Jahr veröffentlichte Debbie zunächst ihre lang erwarteten Memoiren. Seit Jahren ist dieses Thema immer mal wieder aufgepoppt, manche glaubten schon gar nicht mehr daran, dass eine solche Abhandlung jemals erscheinen würde. Doch dann ging alles ganz schnell. Das Cover wurde veröffentlicht, der Erscheinungstermin stand. Und ich erhielt eine weitere Chance, ganz nah bei meinem Idol zu sein. Auf dem Harbourfront-Literaturfestival in Hamburg stellte Debbie ihr Buch kürzlich vor. Davor war sie bei Markus Lanz zu Gast – vier Blondie-Verrückte begafften sie aus dem Publikum. Auch diese beiden Auftritte nutzte Debbie dazu, um auf den fatalen Zustand unseres Planeten aufmerksam zu machen.

Punk, Disco, Hip Hop – alles dabei

Aber wieso bin ich als Blondie-Fan in Deutschland eigentlich in der Minderheit, „in meinem Alter“, wie ich kürzlich zu hören bekam? Dafür gibt es sicher viele Gründe, jeder davon wäre bestimmt guter Stoff für eine wissenschaftliche Ausarbeitung. Einer der gewichtigsten Gründe ist sicherlich, was Debbie bereits 1979 als „radio airplay“ gegeißelt hatte. Sie bezog sich auf den unterschiedlichen Erfolg der Band in den USA und im Vereinigten Königreich der 1970er Jahre, ich mache das gleiche mit dem heutigen Deutschland. Während auf BBC 2 regelmäßig diverse Songs der Band gespielt werden, hört man im deutschen Radio-Einheitsbrei seit Jahren bestenfalls den Hit „Maria“. Das einem Comeback ein erfolgreicher erster Akt vorausgegangen sein muss, ist den deutschen Radioredakteuren offenbar nicht bewusst. Traut man unserem Radio, hat sich die Band 1999 ein zweites Mal aufgelöst.

Doch Nachsicht gebührt auch den hiesigen Radiobossen. Was bleibt einem auch anderes übrig mit einer Band, die sich so gar nicht einordnen lassen will? Eine Band, die zunächst harten Punk macht, dann mit Disco Hochverrat begeht und schließlich sogar noch den Hip Hop pioniert? Anstatt dann einfach zu sterben, wagen es diese Abenteurer tatsächlich, nach fast zwanzig Jahren aufzuerstehen. Und ehrlich gesagt, ist der Punk sowieso nie ganz in Deutschland angekommen. Keine der Bands der ehemaligen Punkszenen der USA oder aus dem Vereinigten Königreich konnten in Deutschland besonders große Erfolge einfahren – und wenn, dann nur kurzfristig. Die Blondies konnten sich da schon glücklicher schätzen. Mit vier Top-10 – Hits revolutionierten sie auch die deutsche Musiklandschaft.

Manchmal ist es frustrierend, gleichaltrigen zu erklären, wer Debbie Harry ist. Und manche kennen noch nicht einmal Blondie. Da werde ich doch lieber von Fans älterer Semester für meine späte Leidenschaft für die Band um Debbie Harry belächelt. Fakt ist für mich: Debbie Harry hat mich in einer Zeit ereilt, zu der ich sehr empfänglich war für neue role models. Ich war damals tatsächlich sehr mit mir selbst beschäftigt. Debbie zog mich an den Ohren aus meinem Trübsal heraus und bereicherte mein Leben mit atemberaubender Musik und einer Fuck-it-all – Haltung, die mich noch immer zutiefst fasziniert. Manchmal lohnt es sich vielleicht doch, ein Ballerspiel zu spielen.

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