Nicht allein

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Es gab einmal eine Zeit, da war Corona der heißeste Scheiß. Jeder sprach darüber, jeder hatte Angst davor, jeder war vorsichtig. An Corona hat sich zwischenzeitlich wenig geändert, außer dass es fragwürdigen mutierten Zuwachs bekommen hat. Der Umgang mit der Pandemie hat sich allerdings sehr gewandelt – in vielen Bereichen leider nicht zum positiven. Ein gefühlt ewiger Lockdown und eine fehlende plausible Öffnungsstrategie erzeugte viel eher eine kontraproduktive Pandemiemüdigkeit. Doch ein laxer Umgang mit dem Virus ist und bleibt gefährlich.

Vier Nullen für Corona

Zu Jahresbeginn sah es so aus, als würden die verschärften Maßnahmen gegen das Coronavirus tatsächlich fruchten. Die Infektionszahlen und der Inzidenzwert gingen kontinuierlich zurück. Mit deutlich über 10.000 Neuinfektionen pro Tag lagen die Zahlen zwar weiterhin viel zu hoch, aber von den 30.000 im November und Dezember war man glücklicherweise wieder weit entfernt. Doch seit einigen Tagen verändern sich die Werte kaum noch. Es scheint, als hätten sie sich bei um die 10.000 eingependelt.

Die unweigerliche Schlussfolgerung daraus: Die jetzt geltenden Maßnahmen sind erschöpft. Ihre Wirksamkeit ist an ihre Grenzen gestoßen. Das mag so stimmen, aber was wäre dann der nächste Schritt? Nehmen wir die anhaltend hohen Zahlen in Kauf oder schärfen wir erneut nach? Sollen Restaurants und weite Teile des Einzelhandels noch länger geschlossen bleiben? Oder müssen wir unseren Blick noch stärker auf einen Bereich richten, der in den letzten Monaten immer mehr aus der Wahrnehmung geraten ist?

Die Privatpandemie

Es ist ein unumstößlicher Fakt, dass die jetzigen Infektionen nicht von Kontakten beim Friseur oder im Fitnessstudio herrühren können – die Geschäfte haben schließlich dicht. Der Übeltäter muss an anderer Stelle zu finden sein und da bleiben im Grunde nur zwei größere Felder übrig: die Arbeitsstätten der Menschen und der private Raum. Trotz fehlender Home-Office – Pflicht sind viele Betriebe und Unternehmen wieder auf das Arbeiten von zu Hause umgestiegen. Viel bedeutender für das Infektionsgeschehen sind hingegen private Treffen, bei der munter gegen die Kontaktbeschränkungen verstoßen wird.

Selbst wenn man solche Szenarien noch nicht selbst beobachtet hat, lassen sich fünfstellige Infektionszahlen nicht ausschließlich mit Ansteckungen im Büro erklären. Jeder weiß, dass der private Raum in vielen Fällen ein Hotspot ist, aber kaum jemand redet darüber. Einerseits sind Treffen in den eigenen vier Wänden kaum staatlicher Kontrolle unterworfen – und das ist gut so – andererseits herrscht bei vielen das Gefühl vor, allein mit ihrem Fehlverhalten zu sein.

Egozentrische Verdrängung

Statt sich nur mit einer anderen Person zu treffen, tun sich viele dieser Menschen gleich mit vier oder fünf Mitmenschen zusammen. Manche machen das regelmäßig, andere sporadisch. In einer bemerkenswerten egozentrischen Verdrängungsleistung blenden sie die etwaige Existenz anderer Regelbrecher konsequent aus. Sie scheinen offenbar zu vergessen, dass jeder, auch sie selbst, ein potentieller Superspreader ist. Sie ignorieren die Tatsache, dass ihre zahlreichen Gäste auch nach der Feier ein Leben haben und jedwede Bakterien und Viren in die Welt hinaustragen und an weitere Kontakte abgeben.

Obwohl sie sich in ihrem eigenen Zuhause absolut sicher fühlen, bleiben ihre Aktivitäten natürlich nicht vollkommen unbemerkt. Es gibt immer Menschen, die das Fehlverhalten mitbekommen. Mancheiner schüttelt darüber fassungslos den Kopf, andere lassen sich selbst zu einer rauschenden Party am nächsten Wochenende hinreißen – bei den anderen ist ja auch nichts schlimmeres passiert. Dass manche mit der Corona-Party von letzter Nacht geradezu herumprahlen, befördert die Kettenreaktion zusätzlich. Und solange man draußen die Maske trägt…

Danke für gar nichts

Die Menschen haben keine Lust mehr auf Corona. Und die Menschen haben keine Lust mehr, Kontakte einzuschränken, nur mit Maske einzukaufen und auf den Friseurbesuch zu verzichten. Neuerdings spricht man hier von einer Pandemiemüdigkeit. Jeder, dem diese Maßnahmen stinken und der sich nach dem Normalzustand sehnt, verhält sich absolut menschlich. Absolut unmenschlich ist es allerdings, eine Verlängerung des Endlos-Lockdowns herbeizuführen. Es ist zumutbar, seine Kontakte für eine begrenzte Zeit auf ein Minimum zu reduzieren. Es gibt keine zwingende Notwendigkeit, ständig miteinander abzuhängen. Man muss atmen und man muss einkaufen. Man muss aber keine Partys feiern.

Die Dauer des aktuellen Lockdowns lässt sich mit Müh‘ und Not vielleicht noch inkompetenten Politikern andichten. Die Höhe der Infektionszahlen sicher nicht. Hierfür sind in erster Linie die verantwortlich, die anscheinend nie gelernt haben bis 1 zu zählen und denen jegliches Rückgrat fehlt. Ihnen ist es zu verdanken, dass die vielen Anständigen im Land noch sehr lange Zeit auf große kulturelle Veranstaltungen, auf Besuche im Kino und nicht zuletzt auf ausgiebiges Feiern verzichten müssen. Sie sind schuld daran, dass einen noch lange ein ungutes Gefühl beschleicht, selbst wenn man sich an die Vorgaben hält.

Es gibt einen harten Kern an Idioten, welche die Maßnahmen von Anfang an mit Füßen getreten haben oder zumindest sehr früh damit anfingen. Dann gibt es wiederum solche Menschen, die sich zwar lange an die Regeln hielten, inzwischen aber auch immer öfter Ausnahmen machen, weil sie die Einschränkungen leid sind. Um zu verhindern, dass auch diese Menschen das nächste Superspreader-Event schmeißen, müssen Kontakte zukünftig wieder klar nachverfolgbar sein. In Restaurants, Bars und Kinos mit strengen Hygieneauflagen ginge das sicherlich leichter als in den heimischen Wohnzimmern.

Raus aus der Illegalität

Die vorsichtige Öffnung von gastronomischen Betrieben und Einrichtungen des Kulturbereichs hätte gleich mehrere wünschenswerte Effekte. Einerseits wäre das Infektionsgeschehen zumindest teilweise wieder kontrollierbar. Immerhin lassen sich Besuche an solchen Orten und etwaige Kontakte leicht nachverfolgen. Wie mit legalen Drogen könnte man das Pandemiegeschehen so schrittweise in den Griff bekommen, weil sich Risikokontakte weniger im Verborgenen abspielen, sondern in aller Öffentlichkeit.

Auf der anderen Seite würden sich viele Menschen nicht mehr so eingesperrt fühlen wie sie es jetzt tun. Wichtige menschliche Bedürfnisse wie die Pflege sozialer Kontakte könnten ganz regelkonform erfüllt werden. Natürlich birgt der Besuch einer Kneipe in Pandemiezeiten ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Weil aber in der Öffentlichkeit jeder Maske tragen muss, ist das Risiko einer Ansteckung auch nicht höher, als wenn man sich im privaten Raum trifft – ohne Maske.

Gerade weil das Gefühl des Eingesperrtseins entschärft würde, hätten es die selbsternannten Querdenker schwerer, ihre Scharen zu rekrutieren. Natürlich würden sich auch weiterhin Menschen angesprochen fühlen, wenn von Abschaffung der Demokratie und DDR 2.0 die Rede ist, aber immerhin hätten die meisten Menschen weniger Grund, frustriert zu sein. Der Kampf gegen die Pandemie ginge weiter. Die Kumpanei mit dem Virus im privaten Raum wäre eingedämmt.


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