Feminismus ohne Quote?

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Gewalt an Frauen ist ein weltweites Problem. Viel zu oft erleben Frauen nur deshalb Gewalt, weil sie Frauen sind. Die Täter leiten daraus einen Überlegenheitsanspruch für sich ab. Auch in Deutschland sind viel zu viele Frauen Opfer von psychischer und physischer Gewalt. Tatsächlich gibt es auch im Jahr 2020 noch Strukturen, die Gewalt an Frauen begünstigen. Wer also wirklich etwas gegen Gewalt an Frauen tun möchte, der muss zuerst die Wurzel des Übels beseitigen. Dazu gehört auch, dass Frauen in Arbeitswelt wie Politik viel zu wenig vertreten sind.

Faires Drittel?

Es ist schon leicht widersinnig: Mit ganzer Kraft kämpfen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier des Bundestags dagegen an, dass die Reichstagskuppel nach der nächsten Bundestagswahl aus allen Nähten platzt. Zumindest einige von ihnen tun das. Andererseits sinkt der Anteil der Frauen, die in deutschen Parlamenten sitzen kontinuierlich. Nach der Bundestagswahl 2013 erreichte der Frauenanteil im deutschen Bundesparlament seinen traurigen Höchststand. Traurig deswegen, weil damals gerade einmal knapp über 36 Prozent der Abgeordneten Frauen waren. Seitdem sinkt der Anteil der Frauen wieder – aktuell auf kaum 31 Prozent.

Nicht einmal ganz ein Drittel der Mandatsträger ist also weiblich. Der Begriff „Volksvertreter“ mutet in diesem Zusammenhang schon recht anmaßend an. Immerhin besteht die Weltbevölkerung, und repräsentativ dafür auch die deutsche Bevölkerung, aus annähernd so vielen Frauen wie Männern. Natürlich ist das nicht die einzige Bevölkerungsgruppe, die im Bundestag unterrepräsentiert ist. Auch bestimmte Berufsgruppen finden sich wenig bis gar nicht unter den Parlamentariern. Eine ausgewogene Politik wird dadurch mindestens erschwert.

Einige der im Bundestag vertretenen Parteien besetzen ihre Wahllisten daher ausschließlich paritätisch. Dadurch wollen sie erreichen, dass ihre Fraktionen im Idealfall zu gleichen Teilen aus Männern wie aus Frauen bestehen. Eine Garantie für eine 1:1 – Verteilung ist das allerdings nicht. Für Wählerinnen und Wähler spielt auch die Qualifikation der aufgestellten Kandidatinnen und Kandidaten eine Rolle. Eine paritätisch geführte Wahlliste hat bei der Grünen-Fraktion sogar dazu geführt, dass der Frauenanteil den der Männer übersteigt.

Kandidatur ohne Sinn

Gerade weil das Geschlecht eines Menschen nichts über seine persönlichen Qualitäten aussagt, ist eine Vorauswahl im Sinne der Parität mit Vorsicht zu genießen. Paritätische Wahllisten und paritätische Stellenbesetzungen in Unternehmen sind ein besonders wirkungsvolles Instrument, um gegen den chronisch geringen Frauenanteil in besagten Positionen anzugehen. Solche Paritäten ändern allerdings wenig an den Ursachen des Problems, wenn nicht gleichzeitig andere Weichen gestellt werden.

Denn gerade linke Parteien stehen den Zielen und Idealen der Frauenbewegung recht nahe. Es ist daher wenig verwunderlich, dass gerade solche Parteien von jeher über einen höheren Frauenanteil in ihren Reihen verfügen. Doch was würde eine Frauenquote für konservativere Parteien bedeuten? Nehmen wir als Beispiel die CDU: Für diese Partei wurden nicht deshalb so wenig Frauen in den Bundestag gewählt, weil sie alle so grottig performt haben, sondern weil sie von Anfang an in der Unterzahl waren. Viel zu wenige Frauen entschieden sich dazu, für diese Partei in den Wahlkampf zu ziehen. Eine Quote würde an dieser freien Entscheidung wenig ändern.

Die Frage ist doch, warum sich so wenig Frauen für Parteien wie CDU, FDP oder auch AfD engagieren. Doch nicht nur deswegen, weil diese Parteien keine paritätischen Wahllisten vorschreiben. Die meisten Frauen erkennen einfach, dass sie überhaupt keinen Mehrwert davon haben, wenn sie für diese Parteien ins Feld ziehen. Von abgehobener Gleichgültigkeit gegenüber der Benachteiligung von Frauen bis hin zu offenem Chauvinismus ist in diesem Spektrum doch alles vertreten. Paritätische Wahllisten können nur der erste Schritt sein. Für einige Parteien gilt viel mehr: nicht nur Personalwechsel, auch Kursänderung!

Festgefahrene Strukturen

Bei einigen wenigen Fragen herrscht Einmütigkeit in der Politik. Zum Beispiel sind sich die allermeisten Politiker einig, dass schleunigst etwas gegen Gewalt an Frauen unternommen werden muss. Die Frauenhäuser waren schon vor Corona proppenvoll. Die Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkungen machen es betroffenen Frauen umso schwerer, aus den Spiralen von Gewalt und Erniedrigung auszubrechen. So einig sich die meisten Parteien in dem Ziel sind, Frauen vor Gewalt von Männern zu schützen, so verbissen verweigern sich einige Parteien, Frauen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn zu zahlen wie ihn die männlichen Kollegen erhalten.

Zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe könnte man nun sagen. Beide Paare stehen allerdings im selben Schuhschrank. Denn man kann nicht gegen Gewalt an Frauen sein und ihnen gleichzeitig eine faire Entlohnung verweigern. Wenn eine Frau von ihrem Partner geschlagen wird, dann weiß sie immer, dass das Unrecht ist. Viele gestehen es sich nicht ein, suchen die Schuld womöglich bei sich selbst. Aber sie haben die Möglichkeit zu gehen. Sie haben die Möglichkeit, rechtlich gegen ihren Partner vorzugehen. Bei Lohndiskriminierung geht das nicht. Diese Form der institutionalisierten Benachteiligung impft den Frauen vom ersten Arbeitstag an ein, dass ihre Arbeit weniger wert ist. Und die Botschaft kommt auch bei den Männern an. Während Frauen möglichst an der kurzen Leine gehalten werden, bekommen die Männer stets vor Augen geführt, wie viel wichtiger sie doch sind. In der allerschlimmsten Konsequenz führt das dann dazu, dass sie sich gegen die Frauen erheben.

Nicht nur auf dem Arbeitsmarkt werden Frauen Opfer dieser psychischen Gewalt. Auch auf dem Wohnungsmarkt haben sie oftmals mit Benachteiligung zu kämpfen. Wenn sie diese institutionalisierte Benachteiligung immer und immer wieder zu spüren bekommen, stehen sie auch seltener dagegen auf, wenn die Gewalt eine gewisse Grenze überschreitet. Frauen werden auch im 21. Jahrhundert viel zu häufig in die Opferrolle gezwängt. Die Folge ist nicht nur Gewalt von Männern, sondern auch, dass sich Frauen weitaus weniger ins öffentliche und politische Leben einbringen.

Männer machen Feminismus

Es muss also in erster Linie viel mehr gute Politik für Frauen gemacht werden. Dabei sind übrigens gerade auch die Männer gefragt. Gute Politik für Frauen bedeutet nämlich nicht schlechte Politik für Männer. Wer das wirklich glaubt, der outet sich eindeutig als Chauvinist.

Fragt sich nur, was zuerst kommen muss: Politik für Frauen oder Politik mit Frauen? Ganz bestimmt geht das eine nicht ohne das andere. Bereits jetzt schwindet die Zahl der Frauen in deutschen Parlamenten. Es wird höchste Zeit, diesem Trend durch eine fortschrittliche Politik Einhalt zu gebieten. Das geht nur, wenn der Teufelskreis aus institutionalisierter Benachteiligung endlich durchbrochen wird und Frauen nicht immer wieder eingeredet wird, ihr Wort zählte weniger. Eine Frau an der Spitze der Regierung ist schön und gut, doch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass weiterhin vieles versäumt wird. Auch die Männer müssen sich beim Feminismus mehr zutrauen. Erst wenn die institutionalisierte Gewalt gegen Frauen abgeschafft ist, kann der Kampf gegen individuelle Gewalt an Frauen volle Fahrt aufnehmen.

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