Mit Wumms in den Abgrund

Lesedauer: 10 Minuten

Die Spitze der SPD hat sich entschieden: Olaf Scholz geht ins Rennen um den Kanzlerposten. Der Zeitpunkt verwundert, der Kandidat eher weniger. Immerhin passt er so unglaublich gut zu den Enttäuschungen der vergangenen Wahlen. Wie ein viel zu anstrengender lernresistenter Grundschüler verweigert sich die SPD seit vielen Jahren der Wahrheit, dass sie mit Kandidaten wie Olaf Scholz keinen Blumentopf gewinnen kann. Denn Scholz ist doch mit ein Grund dafür, warum viele der SPD den Rücken kehren. Ein weiterer Abstieg scheint unaufhaltsam bevorzustehen.

Alte Gesichter, altes Spiel

Mit der Nominierung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten der SPD preschten die Sozialdemokraten mit ungewohnter Agilität voraus. Alle anderen Parteien wollen sich mehr Zeit lassen, ihre Spitzenkandidaten bekanntzugeben – oder sie überhaupt auszuwählen. Die SPD hat den Wahlkampf 2021 nun aber offiziell begonnen. Dabei schwelt ein latenter Wahlkampf bereits seit der letzten Bundestagswahl vor drei Jahren. Zur Ruhe sind die Parteien seither nicht gekommen. Da war der Einzug der AfD in den Bundestag, Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis, das Scheitern von Jamaika, die schwierige Bildung einer neuen großen Koalition, innerparteiliche Querelen und die Frage nach Merkels Nachfolge. Die SPD ist allerdings die erste Partei, die in Bezug auf den Wahlkampf konkret wurde.

Spannung bringen die Sozen allerdings wie zu erwarten nicht in die politische Arena. Erneut präsentieren sie einen Spitzenkandidaten, der so Establishment-konform ist wie man es sich nicht ausdenken kann. Olaf Scholz war in den vergangenen Jahren an mehreren Bundesregierungen beteiligt. In Merkels erster Groko gab er zeitweise den Arbeitsminister. Seit 2018 ist er Bundesfinanzminister, wiederum in einer großen Koalition. Durch kritische Äußerungen ist er sicherlich nie aufgefallen. Er hielt sich oft bedeckt und haute selten auf den Tisch. Sein vielgepriesener „Wumms“ ist nichts weiter als ein Lippenbekenntnis, mit dem er versucht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Er ist der unscheinbare zweite, der Angela Merkel den Rücken freihält und hinter ihr aufräumt. Offen gestanden ist er eine noch größere Schlaftablette als die Kanzlerin selbst. Dem TV-Duell der Kanzlerkandidaten im nächsten Sommer kann man daher nur mit Bauchweh entgegensehen. Vielleicht bringt ja der ein oder andere Werbeeinspieler wenigstens ein bisschen Spannung in dieses zu erwartende Trauerspiel.

Spannungsgarantin Merkel

Scholz als Kanzlerkandidat ist ein Paradox. Einerseits verwundert es wirklich niemanden mehr, dass die SPD so aussichtslose Kandidaten ins Rennen schickt, andererseits ist man bei Olaf Scholz doch ein wenig überrascht über diese Freude an politischer Selbstzerstümmelung. Der Meister Propper der SPD kann mit Fug und Recht als der neueste Tiefpunkt in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie bezeichnet werden.

Eigentlich ist es nach Steinmeier, Steinbrück und Schulz eine echte Leistung, einen noch ungeeigneteren Politiker für die Kanzlerkandidatur zu nominieren. Vielleicht sollte mal jemand der einstigen Volkspartei bescheidgeben, dass Mutti demnächst weg ist. Ihr braucht also nicht mehr solche Trauerfiguren den Karren ziehen lassen. Aber wie es aussieht, würde selbst Merkel noch Spannung in den kommenden Wahlkampf bringen.

Flirt mit Links

Mit ihrem neuen Spitzenkandidaten zeigt sich die SPD indessen selbstbewusst. Die Sozen glauben an eine echte Neuausrichtung der Partei. Sie sind fest davon überzeugt, dass sie mit Olaf Scholz an einer zukünftigen Regierung zumindest beteiligt sein könnten. Mit Signalen knausern die Sozialdemokraten definitiv nicht. Jüngst zeigte sich Parteichefin Esken für ein Bündnis mit den Linken offen. Dieses Linksblinken vor Wahlen ist zwischenzeitlich ein altbekanntes Manöver der SPD. Nach den Wahlen flüchtet sich die Partei dann in die nächstbeste Koalition, wo alle Forderungen nach Gerechtigkeit ruckzuck über Bord geworfen werden. Linksblinken und dann trotzdem geradeaus weiterfahren stellt im Verkehrsrecht mindestens eine Ordnungswidrigkeit dar. Auch auf der politischen Bühne verzeihen die Wähler ein solches Verhalten nicht so schnell. Trotzdem hält die SPD seit Jahren an dieser Taktik fest. Neu ist allerdings der Zeitpunkt, zu dem mit dem roten Kuscheln begonnen wird.

Die ehemalige Arbeiterpartei ist sich inzwischen aber wohl für nichts mehr zu schade. Immer weniger verhehlt sie, dass sie das, was sie verspricht, sowieso nicht halten kann. Denn wie soll eine echte linke Trendwende mit einem Kandidaten wie Olaf Scholz überhaupt möglich sein? Erstens ist der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg Anhänger des sogenannten Seeheimer Kreises, einer konservativen Gruppierung innerhalb der SPD. Na schön, gute Politik für die SPD kann er trotzdem machen. Aber zweitens ist er einer der Gründungsväter der Agenda 2010. Und die Hart-IV – Reformen sind wohl das unlinkeste, was eine Bundesregierung jemals zustandegebracht hat.

Vielen Dank für nichts!

Die Versuche der SPD ihren fehlenden politischen Gestaltungswillen zu überdecken, werden von Mal zu Mal liebloser. Als ob die Wahl von Saskia Esken und Nowabo zu den beiden Parteichefs nicht bereits ausreichend gezeigt hat, dass von dieser Partei keine großen Sprünge mehr zu erwarten sind, legt die SPD nun mit Olaf Scholz gekonnt nach. Der Fast-Parteivorsitzende und Jetzt-Kanzlerkandidat hat doch nun wirklich keine Gelegenheit ausgelassen, um die herrschenden politischen Verhältnisse schönzureden und zu verteidigen. Man darf gespannt sein, wie die viel angepriesene Distanzierung von Hartz-IV mit solch einem Personal umgesetzt werden soll.

Dabei gibt es durchaus linke Kräfte in der SPD. Aber selbst die haben inzwischen eingesehen, dass es keinen Wert hat, sich dem Kurs der Partei allzu vehement entgegenzustellen. Wenn die Gelegenheit es zulässt, wird für mehr soziale Gerechtigkeit geworben, aber dann sofort wieder zurückgerudert. Mehrfach haben Abgeordnete der SPD im Bundestag zwar einen weitaus linkeren Kurs beschworen, fügten dann aber beinahe selbstgefällig hinzu, dass diese Vorhaben mit der Union als Koalitionspartner nicht umsetzbar sind. Ein Schrei nach Hilfe.

Und wer könnte das Aufbäumen der SPD kurz vor den Wahlen im Jahr 2017 vergessen? Noch völlig benebelt vom Schulz-Hype stellte sie sich gemeinsam mit Linken und Grünen gegen die Union und setzte mal eben die Ehe für Alle durch. In seiner viel zu schlecht gespielten GroKo-Endstimmung schnauzte der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs die Bundeskanzlerin an: „Vielen Dank für nichts!“ Mehr als Wahlkampfgetöse war das nicht.

Die SPD lebt

Wähler hat die SPD dadurch trotzdem nicht dazugewonnen. Auch heute stellt sich die Frage, wen Olaf Scholz eigentlich zu einer Wahl seiner Partei bewegen möchte. Hat er ernsthaft vor, abgewanderte Wähler zurückzugewinnen? Wer soll das sein? Hartz-IV – Empfänger vielleicht? Oder Leiharbeiter, die für Subsubsubunternehmen zu mickrigsten Löhnen schuften? Vielleicht aber doch das viel beklatschte Gesundheitspersonal. Fakt ist, dass all diese, und viele weitere mehr, ganz sicher kein Kreuz bei der SPD machen werden, solange die Partei ein fundiertes und vor allem glaubwürdiges Konzept schuldig bleibt.

Denn seit Jahren verharrt die SPD im Umfragetief. Nun legt die Partei zu, liegt nach aktuellen Umfragen sogar vor den Grünen. Donnerwetter! Aber leider sind 18 Prozent für eine selbsternannte Volkspartei weiterhin blamabel und außerdem sind Verschiebungen bei den Beliebtheitswerten überhaupt nichts außergewöhnliches, wenn ein neuer Spitzenkandidat nominiert wird. Die leichten Zugewinne zeigen aber auch: Die SPD lebt. Und das ist gut so. Wie die SPD lebt, ist allerdings nicht gut.

Durch ihre leeren Versprechungen, ihre Mutlosigkeit und ihr Gekuschele mit der Großen Koalition schmiert die Partei doch immer weiter ab. Selbst von der Coronakrise konnte sie nicht profitieren. Die Union hingegen verstand es meisterlich, sich in dieser schweren Zeit zu profilieren und auch die AfD findet nach kurzer Flaute allmählich zu alter Stärke zurück. Dabei ist doch gerade die SPD in dieser Krise besonders gefragt. Sie könnte sich für die Geringverdiener, die prekär Beschäftigten, die Alleinerziehenden, die Rentnerinnen und Rentner und die Solo-Selbstständigen einsetzen. Doch mit viel zu viel Wumms werden gerade diese Gruppen in den Hilfspaketen an vielen Stellen übergangen.

Der Eiskönig

Trotz ihrer miesen Umfragewerte ist die SPD aber immer wieder im Gespräch. Einerseits natürlich, weil sie an der derzeitigen Regierung beteiligt ist, andererseits, weil sie durch viel zu langgezogene Personaldebatten immer wieder von sich reden macht. Anfangs haben bestimmt viele gehofft, dass die Wahl des Parteivorsitzes 2019 neuen Schwung in die Partei bringt. Spätestens aber als der „Showdown“ zwischen Scholz und Dings auf der einen Seite und Esken und Nowabo auf der anderen Seite lief, war die Sache gelaufen. Diese ewigen Personalquerelen versperren den Blick auf das Wesentliche. Und so leid es mir für die Delegierten der SPD auch tut: Das Rennen um den Parteivorsitz war für die überwältigende Mehrheit der Bürger sicher kein abendfüllendes und adrenalingeladenes Programm.

Den Kick holen sich die Wähler woanders. Bei der AfD zum Beispiel. Seit Jahren verlieren gerade die Sozialdemokraten immer mehr Wähler an die Partei rechtsaußen. Reinholen kann sie diesen Verlust sicher nicht. Schließlich verliert die SPD die meisten ihrer Wähler ans Nichtwählerlager. Die meisten von der SPD enttäuschten reagieren also mit Resignation. Und das ist schwer wieder wettzumachen. Währenddessen wählen eher konservative SPD-Wähler inzwischen die Union, weil es sowieso keinen Unterschied macht. Die Empörten gehen zur Linken, zufriedene Schwule zu den Grünen und die ganz Harten eben zur AfD. Für all diese abtrünnigen hat Olaf Scholz kein Rezept.

Scholz könnte nur dann siegen, wenn alle anderen Parteien in ihrem jetzigen Zustand einfrören. Denn momentan hat die SPD durch ihren frischnominierten Kanzlerkandidaten einen Vorteil. Vielleicht hat sie deswegen bei der Nominierung von Scholz so auf die Tube gedrückt. Hätte sie ihren Spitzenkandidaten später ernannt, wären ihr womöglich andere Parteien zuvorgekommen. Wahrscheinlich hätte die SPD dann kein Schübchen in den Umfragen bekommen. Zur jetzigen Stunde ist Scholz wahrlich das kleinere Übel zu den herrschenden Verhältnissen. Aber sobald auch die anderen Parteien in Bewegung kommen, wird er das sicher nicht lange bleiben…

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Der politische Star der Pandemie

Lesedauer: 9 Minuten

Ein Stück Stoff gegen die Pandemie – keiner anderen Maßnahme wird so viel Bedeutung beigemessen wie der Maske. Der Weg zur Maskenpflicht war lang – zu lang, wie einige sicherlich sagen werden. Auf den Tag genau seit drei Monaten ist in Baden-Württemberg das Tragen der Maske Pflicht. Viele setzen ganz aktuell große Hoffnungen in die Maske, eine zweite Welle der Pandemie möglichst milde ausfallen zu lassen. Eine ziemlich große Aufgabe für ein bisschen Stoff könnte man meinen. Doch aus den Kinderschuhen der Schutzmaßnahme ist die Maske längst herausgewachsen. Immer häufiger missbrauchen einige Spezialisten den Mund-Nase – Schutz dazu, politische Spielchen mit ihm zu treiben. Es wird dabei immer schwieriger zwischen rücksichtslosem Protest und bloßer Dummheit zu unterscheiden.

Wenn wir eines Tages die Pandemie überstanden haben, wenn sie vielleicht Jahrzehnte zurückliegt, was werden wir unseren Enkeln erzählen? Es ist unwahrscheinlich genug, dass wir dann noch in der Welt leben, wie wir sie jetzt kennen. Das Klima wird sich deutlich verändert haben, weite Teile der Erde werden nicht mehr bewohnbar sein, vielleicht hat uns bis dahin eine weitere Pandemie heimgesucht. Aber all diese Szenarien einmal ausgeblendet, was werden wir der Enkelgeneration über Corona sagen? Wir können von abstrakten wirtschaftlichen Folgen reden, die unsere Kindeskinder niemals begreifen werden, wenn sie in einer stabilen und wirtschaftlich starken Umgebung aufwachsen. Sie werden es zur Kenntnis nehmen, vielleicht Mitleid empfinden, so wie wir es tun, wenn wir uns die Lebensrealität unserer Großeltern und Vorfahren vor Augen führen. Aber eine Frage werden wir uns gefallen lassen müssen: Was war mit der Maske?

Gute Miene zum bösen Spiel

Denn wenn die Krankheit überwunden ist, verschwindet auch eine schwere Last. Die Rückkehr zur Normalität wird äußerst schwer, aber auch unverzichtbar. Was bleibt sind die Erinnerungen, über die natürlich niemand gerne reden wird. Aber es bleiben auch die Bilder von Menschen mit Maske, die bereits heute erstaunlich viele Menschen voller Inbrunst von sich machen. Der Masken-Selfie gehört in den Social Media bereits zum guten Stil. Stolz halten viele ihre Maske in die Kamera, als wäre die Pandemie ein schlechter Witz, ein Modegag, den es unbedingt auf Kamera festzuhalten gilt. Viel zu gut gelaunt werden wir unseren Enkeln auf diesen Fotos entgegenstrahlen wie es unsere eigenen Vorfahren taten, obwohl sie außerhalb der Fotos nicht viel zu lachen hatten.

Die Maske wird auf lange der Indikator dafür sein, wann ein Foto entstanden ist. „Das war doch bei Corona.“ Tatsächlich ist die Maske der offensichtlichste Ausdruck der Coronakrise. Sie ist nicht nur in den Medien omnipräsent. Bei jedem Gang nach draußen, bei jeder Bahnfahrt und bei jedem Einkauf erinnert sie uns daran, dass die Pandemie noch immer nicht überwunden ist. Von all den Maßnahmen, die zum Schutz vor dem Virus ergriffen wurden, ist die Maske die Maßnahme, die am meisten in die persönliche Freiheit der Menschen eingreift – zumindest kurzfristig. Denn jedes Mal, wenn wir die Maske aufziehen, müssen wir uns erneut an ihren fehlenden Tragekomfort gewöhnen. Abstandhalten kann doch jeder, Maske-Tragen aber will gelernt sein.

Die Maske als Politikum

Die Pflicht, Mund und Nase zu bedecken, wurde von Anfang an heiß diskutiert. Kommt die Maskenpflicht? Wie lange? Wo muss sie getragen werden? Inzwischen hat man sich beinahe an den Stofffetzen gewöhnt, da reden einzelne von Lockerungen. In einer dicht besiedelten Welt, in der Abstand halten oft gar nicht so leicht ist, belegte die Maske bald Platz 1 unter den Schutzmaßnahmen. Einerseits machte sie eine Ansteckung mit dem Virus trotz fehlendem Abstand bei korrekter Verwendung unwahrscheinlicher. Andererseits nutzen viele die Maske immer häufiger dazu, mit ihr ein politisches Statement zu setzen.

Denn häufig gibt die Maske, gewollt oder nicht gewollt, Aufschluss über die persönliche Haltung zur Pandemie. Falsch- oder Nichtträgern ist die eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen entweder egal oder sie schätzen die Bedrohung aus unterschiedlichen Gründen nicht so groß ein. Andere wiederum instrumentalisieren die Maske dazu, um politisch Stellung zu beziehen. Sie tragen ihre Masken bewusst locker um den Hals oder unter dem Kinn, um bei Ansprache das Virus herunterzuspielen und von Grundrechtsverletzung und Totalüberwachung zu schwafeln.

Weil sie keinerlei Berührungspunkte mit dem Virus haben, mit der Maske gezwungenermaßen aber doch, ist die Bedrohung durch die Maske für sie realer. Wahrscheinlich kennen sie niemanden, der an dem Virus erkrankt oder gar gestorben ist, sie arbeiten vermutlich auch nicht in gesundheitlichen Einrichtungen und einen Nobelpreis für Medizin haben sie womöglich auch noch nie gewonnen. Darum schustern sie sich ihre heile Welt zusammen. Die Maske identifizieren sie in dieser Welt als Störenfried.

(K)eine heile Welt

Natürlich will jeder Mensch in einer Welt ohne Sorgen und Probleme leben. Denn Probleme zu erkennen und sie anzupacken, bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Davor haben viele Menschen Angst. Und deswegen schauen sie zu Menschen auf, die ihnen das Gefühl geben, richtig zu handeln. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz gehen regelmäßig mit gutem Beispiel voran und tragen Maske. Gestalten wie Jair Bolsonaro und Donald Trump hingegen nutzen die Maske rein für ihre politischen Zwecke. Erst vor kurzem zog der brasilianische Präsident trotz Corona-Erkrankung die Maske in Beisein von Kameras und Journalisten ab, um die Harmlosigkeit des Virus zu untermauern. Corona greift wohl doch schneller als erwartet das Gehirn an.

Doch scheinbar erreichen solche Politiker sehr viele Menschen. Sie schaffen es, den Menschen einzureden, dass in Wahrheit alles halb so wild ist und dass die da oben ein falsches Spiel treiben. Die Maske, als der greifbarste Ausdruck der Pandemiemaßnahmen mutiert für diese Menschen zum roten Tuch. Sie verteufeln diesen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte und wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, Stunk gegen die Maskenpflicht zu machen. Das alles sei doch nur eine von Bill Gates initiierte Verschwörung, die Maske soll auch symbolisch die Redefreiheit beschneiden, manche reden vom Merkel-Maulkorb. Dann wiederum besteigen ebensolche Menschen ein öffentliches Nahverkehrsmittel und ziehen sich noch vor Öffnen der Türen die Maske ins Gesicht.

Ungewollt politisch

Diese Doppelmoral, dieses zwiespältige – ich bin eigentlich gegen die Maske, möchte mich aber nicht zu explizit gegen die Mehrheit stellen – ist eine unglaubliche Rückgratlosigkeit. Einerseits diffamiert man die Maske als direkten Eingriff in die Grundrechte, als einen Angriff auf die freie persönliche Entfaltung, andererseits fügt man sich der verhassten Obrigkeit. Teilweise schaffen es diese Menschen, die Maske im selben Moment zu politisieren und ihr gleichzeitig die politische Dimension zu nehmen.

Denn die Maske ist in erster Linie kein politisches Instrument. Sie ist eine sinnvolle Maßnahme, die dem Gesundheitsschutz dient. Erst die Ablehnung der Maske eröffnet ihr einen politischen Raum. Es sind nicht Menschen wie Merkel, Macron oder Kurz, die die Maske politisieren. Es sind die Bequemen, die Gegner der Maske, die keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um die Maske in ein Politikum zu verwandeln.

Von Idiotie und Pandemie

Die Übergänge zwischen Idiotie und politischem Statement sind dabei fließend. Es wird zunehmend schwierig zu unterscheiden, wer die Maske aus Nachlässigkeit falsch trägt oder wer bewusst unser aller Gesundheit gefährdet. Solche, die die Maske permanent unterhalb der Nase tragen, sie aber wenigstens konsequent in Bus, Bahn und beim Einkaufen aufsetzen, gehen gerade noch so als Vollidioten durch. Vielleicht meinen es einige von ihnen nicht mal böse. Sie glauben, ihren Teil zur Pandemiebekämpfung beizutragen, obwohl sie dem Virus durch ihre grenzenlose Dummheit enormen Vorschub leisten. Möglicherweise sind sie zu bequem, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Lieber machen sie gute Miene zum bösen Spiel. Es gibt eine Verordnung, also wird sich daran gehalten. Solche Mitbürger sind die unpolitischsten Menschen, die man sich nur vorstellen kann. Sie halten den Mund – und die Maske unterstützt sie offensichtlich dabei.

Dann gibt es die Verweigerer. Deren egoistisches Verhalten macht es ihnen unmöglich, sich auf die Gnade der Idiotie zu berufen. Sie setzen sich mit Maske in öffentliche Verkehrsmittel und betreten mit Maske die Geschäfte des Einzelhandels. Die Maske schwingt allerdings locker um ihren Hals; ans Aufziehen denken diese Gefährder nicht. Ganz bewusst verweigern sie sich dem Kampf gegen das Virus. Die Maske besitzen sie einerseits zu Alibizwecken, andererseits, um den Menschen in ihrem Umfeld zu beweisen, dass das Virus nicht so schlimm ist und sie auch ohne Mund-Nase – Schutz gut durchkommen.

In vollem Bewusstsein der Fahrlässigkeit ihres Handelns bringen sie alle anderen Menschen in Gefahr. Sie sorgen mindestens indirekt für steigende Fallzahlen, knappe Krankenhauskapazitäten und nehmen denen die Maske weg, die sie dringend benötigen. Sie sind Terroristen am Gesundheitssystem und es ist mehr als bedauerlich, dass die Gesellschaft diese Menschen duldet und mitträgt.

Immer mehr Menschen scheinen es für unnötig zu halten, in Bus und Bahn die Maske korrekt aufzusetzen, wenn sie weniger als drei Stationen fahren. Sie wollen allen zeigen, dass sie die Lage jederzeit unter Kontrolle haben, dass sie stärker sind als das Virus. Dabei ist es ihre chronische Angst davor, Verantwortung zu übernehmen, die sich schon viel länger als die Corona-Pandemie global breitmacht. Wegsehen, sich nur um sich selbst kümmern, Ellbogen ausfahren und nichts wie geradeaus – diese generelle Haltung ist alles andere als hilfreich im Kampf gegen die Pandemie.


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Sozial ist, wer Männchen macht

Lesedauer: 8 Minuten

Der Paketbote klingelt verschwitzt an der Tür, die Kassiererin zieht gehetzt die Waren über den Scanner, die Altenpflegerin hechtet von einem Zimmer zum nächsten. Arbeit scheint für alle da zu sein, aber ist sie auch sozial? Gerade die Unionsparteien sind der festen Überzeugung, dass jeder geschaffene Arbeitsplatz ein guter Arbeitsplatz ist. Ob man sich unter widrigen Bedingungen für etwas über 9 Euro dabei krummackert und den großen Bossen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, stört sie nicht. Wer arbeiten will, der muss eben auch in den sauren Apfel beißen. Deutlicher kann man seine Geringschätzung vor Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht zum Ausdruck bringen.

Umstrittener Wahlspruch

“Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Mit diesem Slogan versuchte die Union bereits vor knapp zwanzig Jahren voll durchzustarten und der Zwangspause hinter den Oppositionsrängen zu entkommen. Geklappt hat das erst drei Jahre später, der Spruch ist seitdem nicht richtiger geworden. Im übrigen war er schon seinerzeit alles andere als unumstritten. Trotz eindringlicher Warnungen, man könnte einen Bezug zum Dritten Reich herstellen, verharrten die Konservativen auf ihrem neuen Leitspruch. Denn bereits in den 1930ern hat Alfred Hugenberg von den Deutschnationalen diesen Spruch für Wahlen verwendet. Letztendlich verhalf seine Partei Hitler an die Macht. Allein aus diesem Grund hätte man bei der Auswahl seiner Wahlsprüche ein wenig mehr Feingefühl an den Tag legen können.

Die Erfüllung dieses Wahlversprechens ist die Union seitdem übrigens schuldig geblieben. Auch unmittelbar vor Corona lag die Arbeitslosigkeit in Deutschland viel zu hoch, als dass man ernsthaft von Vollbeschäftigung hätte reden können. Dabei hat es die Union mit abwechselnden Koalitionspartnern tatsächlich geschafft, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dass das nicht immer mehr soziale Sicherheit bedeutet, hat die Partei dabei deutlich gezeigt. Mit 1-Euro – Jobs, ausufernder Leiharbeit und Kettenbefristungen strafte die Union ihren heißgeliebten Slogan selbst lügen.

Es ist eben nicht alles sozial, was neue Arbeit schafft. Wenn eine alleinstehende Frau oder ein Familienvater neben der Hauptbeschäftigung noch einen Nebenjob annehmen muss, um irgendwie über die Runden zu kommen, dann ist das das Gegenteil von sozial. In grotesk abgehobener Manier feiert sich die Bundesregierung allerdings stets für die sinkenden Arbeitslosenzahlen. Sie übersieht dabei getrost, dass die freien Stellen von bereits arbeitenden Menschen bekleidet werden und eben nicht von solchen, die bereits seit Jahren auf neue Arbeit hoffen.

Arbeitslose Gelegenheitsjobber

Die Hörigkeit vor der schöngerechnet Arbeitslosenstatistik mutiert indessen immer mehr zum Wahn. Ungeniert werden selbst solche Menschen aus der Statistik herausgerechnet, die einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung nachgehen. Gemeint sind damit die sogenannten 1-Euro – Jobber, obwohl selbst die Agentur für Arbeit klarstellt, dass diese Menschen in eben keinem gewöhnlichen Arbeitsverhältnis stehen . Folglich sind diese Menschen ohne wirkliche Beschäftigung und damit arbeitslos.

Das juckt die Damen und Herren von der Regierung allerdings herzlich wenig. Ihnen geht es allein darum, eine gute Quote vorzuweisen, um möglichst gut dazustehen. Auch die Bundeskanzlerin wird nicht müde zu behaupten, den Deutschen ginge es gut. Kunststück bei solch schamlos manipulierten Zahlen. Sozial ist nur das, was gute Arbeitsbedingungen schafft und nicht eine große Menge an Leuten kategorisch vom Arbeitsmarkt ausschließt.

Alles für die Arbeitsplätze

Immer offensichtlicher wird, welche Interessen die Regierung tatsächlich im Blick hat. Fast alle arbeitspolitischen Maßnahmen der letzten Jahre kam den Arbeitgebern, sehr selten aber den Arbeitnehmern zugute. Bei vielen Vorhaben scheute man sich nicht, das ganze dennoch in ein möglichst arbeitnehmerfreundliches Gewand zu zwängen. Der Mindestlohn beispielsweise ist ein Armutslohn. Aber es ist Geld, welches direkt an die Arbeitnehmer geht. Nach der Logik der Bundesregierung ist es somit ganz besonders arbeitnehmerfreundlich. Gute Löhne für gute Arbeit sind jedoch keine Almosen. Sie sind eine Selbstverständlichkeit.

Die Regierung hat die Instrumente, um den Arbeitsmarkt von Grund auf zu reformieren und zu sozialisieren. Gebrauch davon macht sie in den seltensten Fällen. Stattdessen sieht sie dabei zu, wie sich Subsubsubunternehmen auf dem Arbeitsmarkt breitmachen, wie Schlupflöcher genutzt werden, um selbst den mickrigen Mindestlohn zu unterlaufen und wie fleißige Menschen sich kaputtrackern, um irgendwie bestehen zu können.

Dann passiert das unbegreifliche: Eine Bank oder ein Unternehmen gerät in Schieflage. Tatü-tata, die Bundesregierung ist da! Aberwitzige Summen werden teilweise in Unternehmen gepumpt, deren Geschäftsmodel schon vorgestern das Verfallsdatum überschritten hat. Die Verantwortlichen ziehen dann immer gerne das riesige Damoklesschwert, dass es doch in erster Linie darum ginge, Arbeitsplätze zu bewahren. Genau mit dem gleichen edlen Ziel argumentieren sie, wenn sie begründen, warum eben kein höherer Mindestlohn drin ist. Will man denn ernsthaft riskieren, dass die ganzen guten Unternehmen abwandern und sich ihre Arbeitskräfte woanders suchen?! Dann doch lieber unsoziale Arbeit. Aber immerhin Arbeit.

Eine Luftnummer

Und so verdingt sich die Regierung in immer mehr Unternehmen, um sie vor der Pleite zu bewahren. Jüngstes Beispiel in dieser Serie an Unternehmensrettungen ist sicherlich die Lufthansa. Die Geschäftspraktiken der Fluggesellschaft waren schon immer eher fragwürdig. Lange vor Corona legten viele Beschäftigte immer wieder ihre Arbeit nieder, um für bessere Arbeitsbedingungen zu streiken. Eine zufriedenstellende Lösung gab es selten. Und eines ist gewiss: Von Lufthansa hängen eine Menge Arbeitsplätze ab. Dem Unternehmen unter die Arme greifen, nachdem es durch die drastischen Coronamaßnahmen in Not geraten ist – an sich keine schlechte Idee.

Doch auch hier zeigt sich, dass es der Regierung eher darum geht, die Arbeitgeber möglichst weich landen zu lassen, während Arbeitnehmer in der Luft hängengelassen werden. Denn die Rettung von Lufthansa mit 9 Milliarden Euro ist lange keine Garantie dafür, dass auch nur ein einziger bedrohter Arbeitsplatz erhalten bleibt. Im Gegenteil, die Regierung hat sich in ihrer arbeitgeberhörigen Politik allen Ernstes so weit runterhandeln lassen, dass sie nun weniger als ein Viertel der Lufthansa-Aktien hält. An wichtigen Unternehmensentscheidungen kann sie de facto nicht mitwirken. Selbst wenn es zu keinen Massenentlassungen bei der Lufthansa kommt – bessere Arbeitsbedingungen sind weiterhin nicht in greifbarer Nähe.

Moderner Menschenhandel

Bei der Rettung von Arbeitsplätzen gilt für Politik wie Unternehmen immer mehr das Leitmotiv „Der Zweck heiligt die Mittel“. Kollateralschäden in Form von einzelnen Entlassungen werden billigend in Kauf genommen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur von Lufthansa werden zu beliebigen Ziffern degradiert, deren Arbeitsplätze hin- und herverschoben werden – oder im schlimmsten Falle entsorgt. In vielen Branchen kommt die Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag immer häufiger dem Verkauf der eigenen Seele gleich. Die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt bleibt für viele Beschäftigte ein Ammenmärchen. Oder kann es den Mitarbeitern der Warenhauskette real wirklich so egal sein, dass sie in Zukunft Kittel von Edeka oder Kaufland tragen müssen?

Das monatelange Geschachere um die angeschlagene Warenhauskette war zuletzt weniger als ein schlechter Treppenwitz. Letztendlich riss sich ein russischer Finanzinvestor die Filialen unter den Nagel. Weil der aber kein Interesse am Einzelhandel hat, verpachtet er viele der Filialen an die Konkurrenz von real. Viele der Mitarbeiter werden froh sein, dass sie ihren Arbeitsplatz doch behalten dürfen, aber ein Pyrrhussieg ist es für sie allemal. Ihnen wurde ultimativ vor Augen geführt, dass ihre Arbeitskraft austauschbar ist, ein echtes Mitspracherecht bei solch weitreichenden Entscheidungen hatten viele kaum.

Immer wieder müssen Mitarbeiter die falschen Entscheidungen aus Politik und Unternehmensführung ausbaden. Gestern haben Galeria Kaufhof und Karstadt fusioniert, heute arbeiten die Mitarbeiter dort unter äußerst prekären Bedingungen und morgen sitzen sie im schlimmsten Fall auf der Straße. Man rühmt sich damit, dass nun doch nicht so viele Arbeitsplätze wie befürchtet abgebaut werden müssen. Dieses mikroskopische Trostpflaster wird jene, die von den Kündigungen betroffen sind, kaum beschwichtigen. Einige werden in Grundsicherung und Hartz IV abrutschen, werden sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob hangeln müssen. Am allerschlimmsten ist allerdings, dass sie dafür auch noch dankbar sein sollen. Denn immerhin wurden diese Arbeitsplätze speziell für sie geschaffen. Und was Arbeit schafft, muss auch sozial sein.


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