Auf dem Weg zur Transparenz?

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Ende des vergangenen Monats ging ein Aufatmen durch die Reihen der Lobbykritiker in der Republik. Der Bundestag hat endlich ein Lobbyregister verabschiedet, welches die Anstrengungen und Unternehmungen von Interessensvertretern zumindest teilweise ersichtlich macht. Teile der Opposition bemängeln zwar, dass dem neuen Register einiges an Biss fehlt, sie müssen aber auch zugeben, dass das Engagement der Großen Koalition nun endlich in die richtige Richtung geht. Viel zu lange war vielen nicht klar, welch ernsthaftes Problem ein eskalierender Lobbyismus in unserer Gesellschaft darstellt und dass es längst geeignete Mittel gibt, ihn in Grenzen zu halten.

Wenn die Masken fallen

Nach der Aufdeckung der jüngsten Lobbyskandale kommt das politische Berlin weiter nicht zur Ruhe. Die fragwürdigen Lobbytätigkeiten einzelner Abgeordneter sind sicher nicht das einzige Problem, dass die Politiker in der Bundeshauptstadt umtreibt. Die schleichend langsame Impfkampagne, der nun auch noch ein Impfstoff teilweise weggefallen ist, setzt die Abgeordneten zusätzlich unter Druck. Die Machenschaften von Nüßlein & Co. haben ganz bestimmt nicht zur Beliebtheit und erst recht nicht zur Glaubwürdigkeit der Mandatsträger beigetragen. Mit den halbseidenen Maskendeals und geheimen Absprachen wird einmal mehr klar, dass die Politik in Deutschland mit einem strukturellen Problem zu kämpfen hat.

Denn so kritikwürdig das Verhalten von Georg Nüßlein, Nikolas Löbel und anderen auch sein mag: Es ist letztendlich nur die Spitze des Eisbergs. Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu fragwürdigen Verstrickungen von Politikern. Da waren die falschen Doktortitel eines Herrn zu Guttenberg und einer Frau Schavan, die riskanten Spekulationen mit Steuergeldern im Zuge des Mautdebakels von Andy Scheuer und nicht zuletzt die Zahnlosigkeit der Politik beim Wirecard–Skandal. Über alle diese Vorkommnisse regt sich die Öffentlichkeit völlig zurecht auf. Sie kann sich aber nur deshalb darüber aufregen, weil es diese Fälle überhaupt an die Öffentlichkeit geschafft haben. Es ging nicht selten um jede Menge Geld und natürlich ruft das die Medien auf den Plan. Bedenklich sind aber nicht die einzelnen Verfehlungen von Abgeordneten, sondern die Umstände, die solche Fehltritte geradezu begünstigen.

Fragwürdige Altersvorsorge

Georg Nüßlein und seine Mannen sind doch nur der extremste Auswuchs eines außer Kontrolle geratenen Lobbyismus in der Politik. Seit vielen Jahren gehen Lobbyvertreter ein und aus in wichtigen Gremien, Ausschüssen und Ministerien. Nun ist das Geschrei wieder groß und die Union stimmt beinahe freudig in diesen Klagechor mit ein. Sie ist um Schadenbegrenzung bemüht und will ihr Image wieder aufpolieren. Die Sündenböcke des jüngsten Skandals kommen ihr da gerade recht. Auf keinen Fall will diese Partei es zulassen, dass sich irgendetwas an den günstigen Umständen für Lobbyismus ändert.

Machen wir uns nichts vor, viele Politikerinnen und Politiker haben sich längst damit abgefunden, dass mit Rückgrat und altruistischen Werten im heutigen Politikbetrieb kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Viel zu sehr sind sie mit ihrem persönlichen Aufstieg beschäftigt. Ehrlichkeit und treue Verbundenheit mit den Wählern kommt da nicht allzu gut. Schließlich wissen die Abgeordneten, dass ihre Zeit im Bundestag begrenzt ist. Die Wiederwahl ist nicht immer automatisch in trockenen Tüchern. Da will für die Zeit danach gründlich vorgesorgt sein. Und so hat sich im Laufe der Jahre eine Praxis etabliert, die sich treffend mit dem Motto zusammenfassen lässt – „Bezahlt wird später“.

Auf baldiges Wiedersehen

Um nicht wie Nüßlein oder Löbel auf der Schlachtbank der öffentlichen Empörung zu landen, vermeiden es die meisten Politiker tunlichst, während ihrer Amtszeit mit Lobbytätigkeiten in Verbindung gebracht zu werden. Kungeleien mit Lobbyisten stehen dennoch auf der Tagesordnung. Rein vorsorglich erweisen sie mächtigen Konzerninteressen den ein oder anderen Gefallen, denn man weiß ja nie, was einen nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik erwartet. Nicht selten wechseln manche dieser Damen und Herren völlig unverblümt in ebenjene Branchen, denen sie als Mandatsträger im Bundestag noch so wohlgesonnen gegenüberstanden. Durch versprochene Posten in Aufsichtsräten oder in den Führungsetagen erkaufen sich manche Konzerne fast ganz legal die Unterstützung aus der Politik.

Es ist immerhin nicht verboten, dass ehemalige Abgeordnete in die Wirtschaft wechseln. Im Laufe der Jahre hat man zwar sogenannte Karenzzeiten eingeführt, um Interessenkonflikte zu vermeiden, doch sind diese Zwangspausen für viele Betroffene durchaus hinnehmbar. Um den Einfluss mächtiger Wirtschaftsakteure auf die Politik effektiv einzudämmen, braucht es deutlich längere und schärfere Karenzregeln. Wenn man es Politikerinnen und Politikern beispielsweise generell untersagt, nach ihrer politischen Karriere in die Branchen einzutreten, mit denen sie vorher von Amts wegen zu tun hatten, wäre das sicherlich ein großer Gewinn für unsere Demokratie.

Wenn ein Job nicht reicht

Aber ob mit oder ohne Karenzzeiten lassen sich manche Politiker bereits als Abgeordnete von Lobbyvertretern und Unternehmen bezahlen. Einerseits wären da die Parteispenden, die bei manchen Parteien wirklich jeden feierlichen Rahmen sprengen. Aber auch unter der Hand verdient sich der eine oder die andere neben der Abgeordnetentätigkeit ein nettes Zubrot. Sie scheinen dabei völlig zu vergessen, dass die Abgeordnetendiäten ebendiesen Einkommensverlust kompensieren sollen. Man spricht in diesem Zusammenhang schließlich nicht umsonst von Entschädigungen.

Müssten alle Abgeordneten ihre Nebeneinkünfte, welcher Natur auch immer, offenlegen – man kann die öffentliche Entrüstung förmlich spüren. Dann würde nämlich klarwerden, dass sich mancheiner neben seiner Tätigkeit als Berufspolitiker eine goldene Nase verdient. Auch diese Vorgehensweise wird momentan nicht durch zielführende Regelungen eingedämmt.

Hartz-IV für Politiker

Für viele ist es völlig unverständlich, warum eine Kassiererin wegen eines eingesteckten Leergutbons fristlos entlassen wird und praktisch vor dem Nichts steht, während sich Investmentbanker oder auch Politiker nach wesentlich größeren Skandalen auf Staatskosten sanieren lassen. Die meisten Hartz-IV – Empfänger haben kein Verständnis dafür, dass bei ihnen immer dreimal hingeschaut wird und Politiker mit ihren Nebeneinkünften völlig unbehelligt satte Gewinne einfahren. Diese Empörung ist vollkommen berechtigt. Und zwar nicht, weil die Kassiererin oder der Sozialhilfeempfänger einen Persilschein verdient haben, sondern weil sich auch „die da oben“ gefälligst an Recht und Ordnung zu halten haben.

Was wäre denn, wenn man den Nebeneinkünften von Politikern die gleichen Regelungen zugrundelegen würde, mit denen auch die Einkommensschwächeren zurandekommen müssen? Wenn die teilweise üppigen Nebenverdienste der selbsternannten Volksvertreter 1:1 von deren Diäten abgezogen werden würden? Immerhin soll dieses Geld genau diese Nichteinkünfte ausgleichen. Fließt doch Geld auf das Konto, dann sind diese Entschädigungsleistungen doch zumindest teilweise unbegründet.

Und selbst wenn manche Politiker es nötig haben, nebenher einer anderen Tätigkeit nachzugehen, muss immer gewährleistet sein, dass dieses Engagement nicht in Konkurrenz zu ihrer Abgeordnetentätigkeit steht. Deswegen ist es bestimmt auch sinnvoll, wenn die Nebenverdienste von Politikern stets weniger als die Hälfte ihrer Diäten betragen müssen. Nur so kann effektiv sichergestellt werden, dass sie hauptberuflich die Interessen der Wählerinnen und Wähler und nicht die von irgendwelchen Arbeitgebern vertreten.

Auf dem Weg in die Lobbykratie

Nun hört man in der Debatte um ein Lobbyregister häufig Totschlagargumente, die das freie Mandat in Gefahr sehen. Natürlich muss es in einer Demokratie eine gesunde Portion Lobbyismus geben. In der parlamentarischen Demokratie geht es in erster Linie nun einmal um Interessensvertretung. Es ist daher sinnvoll, wenn sich Interessensverbände zusammenschließen und die Interessen von vielen Menschen gebündelt vortragen. Es fällt aber schon auf, dass die Interessen aus der Wirtschaft, vorsichtig formuliert, überproportional vertreten sind.

Das hat mit dem freien Mandat dann nichts mehr zu tun. Denn die Privilegien, die Abgeordnete genießen, gehen auch mit ernstzunehmenden Pflichten einher. Die oberste Pflicht ist es, den Wählerwillen zu vertreten. Ein Lobbyregister legt dar, welche Interessen welchen Einfluss bei bestimmten Vorhaben und Gesetzen hatten. Die Verweigerung einer solchen transparenten Dokumentation zeugt von fehlender Demut gegenüber dem Wählerwillen. Ein solches Verhalten steht dem Wählerwillen sogar entgegen.

Außerdem ist es eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie insgesamt, wenn man aufhört, Politik für die Wähler zu machen. Es ist Gift für unsere Gesellschaft, wenn Politiker in die eigene Tasche wirtschaften und meinen, dass sie über Moral und Anstand erhaben sind. Das vermittelt den Eindruck, dass ehrliche und rechtschaffene Politik eine Sackgasse ist. Die Menschen werden sich dann auch in Zukunft berechtigterweise über Schmiergeld- und Lobbyskandale aufregen, aber immer weniger ehrliche Menschen werden sich in den Plenarsaal im Reichstagsgebäude verirren. Mit jeder neuen Enthüllung wird klarer, wie nah wir einer reinen Lobbykratie bereits gekommen sind. Dass Philipp Amthor jüngst auf Listenplatz 1 in Mecklenburg-Vorpommern gewählt wurde, ist der beste Beweis dafür.


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